In der Heimat der Oberkrainer oder kreuz und quer durch den Nationalpark der Julischen Alpen
Das Abenteuer beginnt bereits auf der Anreise: Der zweimal wöchentlich verkehrende Bus Konstanz - Karlovac soll wegen dem folgenden Feiertag erst morgen fahren. Meine beiden kroatischen Begleiterinnen aber insistieren darauf, heute zu fahren, da der traurige Anlaß einer Beerdigung sie dazu zwingt, morgen in ihrem ehemaligen Heimatort eintreffen zu müssen, koste es, was es wolle. Für mich selbst wäre es zwar nicht gerade lebensnotwendig, heute noch zu reisen, die Zeit meines Aufenthaltes in Slowenien ist jedoch knapp kalkuliert, so daß für mich jeder Tag kostbar ist, zumal man bei Outdoor - Aktivitäten stets auch mit eventuellen wetterbedingten Ausfällen rechnen muß. "Wir haben abgemacht, daß wir zusammen reisen, also reisen wir auch zusammen!" lautet die Devise von Maria und so zwängen wir drei uns denn mitsamt Gepäck und Fahrer in den engen VW - Golf, der uns bis zu einer Autobahnraststätte hinter München kutschiert, wo uns schließlich ein bereits überfüllter Bus, der ins bosnische Bihac rollt, aufnimmt. Gelobt sei, was hart macht, und somit lege ich mich in den Gang, meine Jacke dient mir als Kopfkissen, und ich finde diesen Platz eigentlich gar nicht so übel, denn die Sitzplatzinhaber sind schließlich zum aufrechten Schlaf verdammt. Nachdem wir den österreichischen Zoll gerade nochmal glücklich passieren ("Was tun denn die ganzen Leute im Gang?" "Ein Bus ist unterwegs liegengeblieben, wir mußten einige aufnehmen!"), scheitern wir dann bei den slowenischen Kollegen, die eine längere Inspektion beabsichtigen. Wir drei haben wieder einmal Glück, der Chef des Busunternehmens, ein stämmiger Kerl, mit dem tönenden Baß eines Grizzly - Bären, kommt mit seinem Lieferwagen daher, und für uns geht es dann weiter durchs nächtliche Slowenien, zu unserem gemeinsamen vorläufigen Ziel, der kroatischen Hauptstadt Zagreb. Zuvor erwartet uns jedoch abermals ein Intermezzo, diesmal vom kroatischen Zoll inszeniert. Der Chef hat den Lieferwagen vollgepackt mit allen möglichen Haushalts - und Elektroartikeln. Der kroatische Zöllner schnappt sich einfach die Papiere aus dem Handschuhfach, und schon geht der Streit los. Es ist absehbar, daß das länger dauert, und somit bleiben Chef, Krimskrams, Papiere und kroatischer Zöllner zurück und der Beifahrer bringt uns nach Zagreb, wo wir dann frühmorgens gegen fünf ein Taxi zu einem Parkplatz auf der die Stadt tangierende Autobahn ordern müssen, da unser bosnischer Zubringer nicht direkt in die Stadt einfahren darf. Kroatischen und bosnischen Busunternehmen ist es ebenso untersagt, in der slowenischen Hauptstadt Ljubiljana zu halten, die wir ohnehin mitten in der Nacht passiert haben. Aus diesem Grund hielt ich es für klüger, bis nach Zagreb mitzufahren, und dann mit dem frühestmöglichen Bus ins etwa zweieinhalb Stunden entfernte Ljubiljana zurückzukehren und von dort aus meinen geplanten Ausgangspunkt Kranjiska Gora am Nordrand der Julischen Alpen zu erreichen. Das Abenteuer der Anfahrt soll jedoch noch nicht ganz überstanden sein: Mein Bus zurück nach Slowenien fährt später, als ich erwartet habe, und nach dem Frühstück in einem Cafe des Busbahnhofes von Zagreb verabschieden sich meine beiden Begleiterinnen von mir, da ihr Anschlußbus schon recht früh geht. Für mich bleibt noch etwas Wartezeit, die ich mir mit einem Bummel durch das erwachende Zagreb abkürze. Das nächste Ungemach erwartet mich bei der Wiedereinreise nach Slowenien: Ein deutscher Bergwanderer in Slowenien ist gewiß nichts Ungewöhnliches, es sei denn, er reist von Zagreb aus ein. Meine Antwort "Sie wissen doch, daß kroatische Busse in Ljubiljana nicht halten dürfen!" verhindert die folgende Gepäckkontrolle nicht, und da außer mir noch zwei kroatische Mitreisende fällig sind, gehen halt nochmals zwei Stunden drauf. Aber ich erreiche noch mein Kranjiska Gora, sogar der Lebensmittelladen hat noch geöffnet, und die verbleibende Zeit dürfte gerade noch ausreichen, die Bergunterkunft Koca v Krnici (slow.: Koca = Hütte) kurz vor Sonnenuntergang zu erreichen.
Um es gleich vorwegzunehmen: die Julischen Alpen sind nicht etwa zweite Wahl, was vielleicht der geringere Bekanntheitsgrad in unseren Breiten schließen lassen könnte, diese Berge sind ein wahres Schmuckkästchen unter den zahlreichen Gebirgsgruppen der Alpen, das auch in alpinistischer Hinsicht höchsten Ansprüchen genügt. Hier steht man mit offenem Mund vor gigantischen, blendend weißen Kalkwänden, die manche Gegenden in den nördlichen Kalkalpen bescheiden aussehen lassen, und Gebirgsbäche leuchten in einem Smaragd - und Türkisgrün, wie ich es selten zuvor gesehen habe.
Bei der Anfahrt nach Kranjiska Gora bietet sich mir aus dem Busfenster heraus bereits ein frohlockender Anblick auf eindrucksvolle Bergspitzen, die aber noch bedenklich viel Schnee tragen, womit ich, ehrlich gesagt, nicht unbedingt gerechnet habe, im Glauben, daß auf der Südseite der Alpen das Klima schneller mild wird und auch im Winter die Schneemengen im Durchschnitt geringer sind, als auf der Nordseite. Aber erstens ist dies nur eine ungefähre Regel, die schon gar nicht immer zutreffen muß, zweitens gilt die grundsätzliche Unberechenbarkeit des Hochgebirgswetters, und zudem unterscheiden sich die Julier von den italienischen Gebirgsstöcken nicht nur kulturell, sie stellen sich auch in klimatischer Hinsicht außerhalb der für die Südalpen typischen Normen. Dazu zählt auch sicher die für den Bergtouristen weniger vorteilhafte Tatsache, daß die Julier eines der niederschlagsträchtigsten Gebiete des gesamten Alpenraumes sind. Das schottische Ehepaar, mit dem ich im Bus ins Gespräch komme, belustigt mich mit der Feststellung, daß die zungenbrecherischen slawischen Geographie - und Ortsbezeichnungen ihnen wahre Mühe machen, und die Namensgebungen im deutschsprachigen Alpenraum, mit denen sie sich auf früheren Reisen in die Alpen hatten herumplagen müssen, ihnen jetzt leicht erscheinen. Der Bergort Kranjiska Gora (809 m) gefällt durch etliche sich im Ortskern drängende urige Bauernhäuser mit schönen, heruntergezogenen Dachgiebeln, wie man sie häufig in Gebieten der ehemaligen K.u.K. – Monarchie antrifft ( z.B. Siebenbürgen, Böhmerwald, österreichische Wachau) und die sich von der Bauform, die in anderen ehemaligen Teilrepubliken Ex – Jugoslawiens und des Balkan üblich sind, deutlich unterscheiden. Auch ein nettes Dorfkirchlein bildet den romantischen Vordergrund für die hinter der Ortschaft sich eindrucksvoll auftürmenden zackigen Kalkriesen. Deutlich erkennt man ein Kar, in dem sich noch immer ein riesiges Altschneefeld ausbreitet. Ich passiere zunächst ein schneeweiß leuchtendes Steinfeld, wo sich kleine Seen gebildet haben und der Pisnica – Bach in den Ort hineinfließt. Kleine Holzbrücklein inmitten des trockenen Gerölls zeigen an, daß der Wasserstand hier wohl nicht immer so niedrig ist. Dem Pisnica – Tal folge ich nun aufwärts, wobei der Pfad mich durch einen schönen Wald führt. Ich marschiere im Schweinstempo, denn meine Berechnungen ergeben, daß ich die Hütte Koca v Krnici (1113 m) gerade noch mit dem letzten Tageslicht erreichen werde. Jetzt bloß kein Verhauer! Als ich aufgrund der angegebenen Wegzeit bereits nervös werde, taucht dann endlich auf einer Lichtung die traumhaft gelegene Bergunterkunft auf. Vor der Hütte sitzen eine Frau und ein Mann mit ihren Kindern, die sich mir gleich als das Wirtsehepaar vorstellen. Ich bin der einzige Gast und bis ich mich einquartiert habe und das bestellte Abendessen zubereitet ist, ist es draußen schon zappenduster geworden. Das Essen ist reichlich und wohlschmeckend und man sollte aufgrund der wirklich günstigen Preise keinesfalls davon ausgehen, etwa Miniportionen serviert zu bekommen, von denen man eventuell nicht satt wird. Die Hütte verfügt über kein elektrisches Licht, stattdessen hat mir der Hüttenwirt eine Karbidlampe auf den Tisch gestellt. Wie kann es gemütlicher sein, als hier und jetzt! Der aufgeschlossene Herbergsvater sucht sofort das Gespräch mit mir und befragt mich auch nach meinen Plänen. Er spricht gebrochenes deutsch mit einem Wiener Akzent, was mich ein wenig amüsiert. Er habe schließlich sechs Jahre in Wien gearbeitet, räumt er auf meine Nachfrage ein. Seine Frau spricht nicht ganz so gut deutsch, dafür aber englisch und italienisch, sowie ihre Muttersprache, kroatisch. Stolz verweist man auf die Tatsache, daß die Kinder mehrsprachig aufwachsen, wobei wir bei einem Thema angelangt sind, an dem auch ich gut anknüpfen kann. Die Kinder werden vom Vater jeden Morgen mit dem Geländewagen hinunter nach Kranjiska Gora zur Schule gebracht. Ein recht schaukliger Weg, denke ich mir, denn selbst mit einem Geländewagen ist es schwierig, hier hinauf zu gelangen, da der Fahrweg, der gelegentlich mit dem Wanderpfad kreuzt, stark ausgewaschen und mit etlichen Steinen und Felsbrocken „gespickt“ ist.
Natürlich habe ich mir unter anderem zum Ziel gesetzt, den höchsten Juliergipfel Triglav (2864 m) zu besteigen, sowie die anspruchsvolle Hochroute vom Triglav über den Razor (2601m) bis vor zum Prisojnik (2547 m) anzubinden. Der Hüttenwirt nimmt mir aber sogleich den Wind aus den Segeln und läßt meine großartigen Pläne wie Seifenblasen zerplatzen. Acht (!!) Meter Schnee würden sich noch auf dem Tiglav – Gipfel türmen, und erst kürzlich sei noch Neuschnee gefallen, was für einen nicht hundert Prozent Ortskundigen die Routenfindung derzeit unmöglich mache, da aufgrund der zurückliegenden Schlechtwetterperiode wohl kaum damit zu rechnen sei, daß dort oben bereits wieder jemand gespurt habe. Kurz und gut, ich bin für ein solches Unternehmen noch zu früh dran und muß mich Wohl oder Übel damit abfinden, kleinere Brötchen zu backen. Ohnehin habe ich für´s Erste die Besteigung des östlich gelegenen Spik (2472 m) vorgesehen, wobei mir der Wirt grünes Licht gibt, da dieser zur Zeit schon gut begehbar sei. Somit vereinbaren wir einen Aufenthalt von zwei Nächten und ich mache mich am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück, nur mit Tagesgepäck und Eispickel versehen, auf den Weg. Nach kurzem Wegstück auf Markierung roter Kreis mit weißem Punkt gelange ich an eine Geröllrinne, der ich nun aufwärts folge. Daß hier keine Markierungen mehr sind, beunruhigt mich nicht, ich habe während meiner Reisevorbereitung gelesen, daß die Wege hier in den slowenischen Alpen oft mangelhaft markiert seien, zumal der bisherige Wegverlauf ja mit der Beschreibung in meinem mitgeführten Büchlein übereinzustimmen scheint. Als ich aus dem Bergwald heraustrete, taucht in geringer Entfernung zu mir ein deutlich sichtbarer Steig aus einem Altschneefeld hervor, mit Markierung roter Kreis/weißer Punkt. Zweifellos ist dies mein Weg, denn laut Karte verläuft nur ein Pfad von der Hütte hinauf zum Spik. Vor mir erhebt sich ein enormer Felskessel, dessen Standort überhaupt nicht mit dem in meiner Karte eingezeichneten Relief übereinstimmen will. Schließlich betrete ich ein riesiges Schneekar und nach geduldigem Suchen finde ich den Weiterweg, der ziemlich ausgesetzt direkt durch die geradeaus vor mir sich auftürmende Felswand führt. Unter aperen Verhältnissen ist dies ein für schwindelfreie und trittsichere Bergwanderer unschwieriger Steig, unter den jetzigen Konditionen jedoch gestaltet sich die Sache weitaus dramatischer. Mehrere Male verschwindet der Pfad unter extrem steilen Altschneefeldern und zwingt mich zum Umklettern durch freies, ausgesetztes Gelände, das zudem noch mit Grasnarben und lockerem Gestein übersät ist, und ich muß zugeben, ich habe schon etwas Bauchweh bei der ganzen Aktion. Ich befinde mich wieder einmal in einer der Situationen, wo man zweifelt, ob es richtig ist, weiter zu machen, oder ob es nicht etwa vernünftiger wäre, umzukehren, wobei mir allerdings vor dem Abstieg durch dieses Gelände graut. Der Spik bietet im Abstieg eine Alternative über den Kacji (dt.: Schlangen -) Graben, dessen Schuttrinne zwar unangenehm sein soll, aber sonst mit keinerlei Schwierigkeiten aufwartet. Dieser Weg mündet dann ein paar Kilometer unterhalb der Krnici – Hütte in deren Zugangspfad. Während ich mich mühevoll durch die Wand kämpfe, ziehen langsam aber sicher unheilvolle Wolken über mir auf.Ein sich lösender Steinschlag in der schräg gegenüberliegenden Wand bestätigt mir, daß ich gut daran tue, meinen Steinschlaghelm auf dem Kopf zu lassen. Schließlich überwinde ich die Felswand und gelange zu einem schneebedeckten Hochplateau, wo ein Wegweiser mir den Weiterweg zum Gipfel des Kriz (2410 m) anzeigt. Jetzt fällt mir aber echt die Kinnlade runter! Der Kriz steht genau südlich der Koca v Krnici, während sich der Spik nordöstlich von ihr befindet. Jetzt wird mir auch klar, warum die gegebenen Geländeverhältnisse sich so sehr von denen auf der Karte unterscheiden. Schande über mich, ein kurzer Blick auf den Kompaß hätte hier wohl einiges vorzeitig aufgeklärt, aber ich war mir ja so sicher. Nun, da es bis zum Gipfel des Kriz nicht mehr allzu weit und der Weg dorthin auch nicht mehr schwierig ist, nehme ich halt mit diesem Gipfel vorlieb. Bis ich schließlich oben angelangt bin, erscheinen die Wolken über mir allerdings schon bedrohlich düster und nach einem hastigen Eintrag ins Gipfelbuch schaue ich, daß ich mich schnellstens auf den Rückmarsch begebe. Leider besteht in diesem Falle vom Kriz hinunter zur Krnici - Hütte keine Alternativroute und ich muß wohl oder übel auf dem selben Weg zurückkehren, über den ich gekommen bin. Als ich den Wandabsturz erreiche, vernehme ich schon ein entferntes Donnergrollen. Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren und zügig, aber mit äußerster Konzentration steige ich die Wand hinunter, wobei mir gar nicht mehr wohl ist in meiner Haut. Ich bin gottfroh darüber, nur leichtes Gepäck bei mir zu haben, und mein Eispickel leistet mir auch in schrofigen Passagen als sichernde Stütze gute Dienste. Als ich das Firnkar erreiche, unter dem sich dann laut Karte auch ein Minigletscher befindet, atme ich nicht nur wegen der körperlichen Anstrengung durch. Ich habe noch nicht die Baumgrenze erreicht, als das Unwetter über mich hereinbricht. Daß ich bei dieser Gelegenheit so naß werde, als wäre ich in einen See gefallen, stört mich nicht im geringsten, ich bin nur froh darüber, es noch rechtzeitig aus der Wand herausgeschafft zu haben. Als ich in der Hütte ankomme, hat sich dort eine größere Gruppe österreichischer Wanderer zu einem Umtrunk eingefunden, die meinen Gang zum Kriz um die jetzige Jahreszeit mit respektvollen Bemerkungen quittieren, während ich selbst aufgrund des dilettantenhaften Verlaufs der Tour nicht mit mir zufrieden bin. Als am fortgeschrittenen Nachmittag das Wetter wieder aufklart, mache ich mich nochmals auf den Weg, um mir anzuschauen, wie denn nun der richtige Weg zum Spik verlaufen wäre. Ich habe mich auch nochmals mit der Wegbeschreibung im Büchlein befaßt, sowie bei der Wirtin nachgefragt. Die Beschreibung ist insofern mißverständlich, als daß sich auf dem Weg nicht eine, sodnern drei Schuttrinnen befinden, und der Weg zum Spik nicht durch die erste, sondern durch die dritte aufwärts führt. Dieser Pfad ist dann auch durchgehend markiert. Hätte ich die erste Rinne einfach überquert, so hätte ich gegenüber an einem Baum gleich die weiterführende Markierung gefunden. An der Baumgrenze unterhalb eines Geröllfelds halte ich inne und genieße die wärmdende Nachmittagssonne und die zauberhafte Aussicht.
Am folgenden Morgen nehme ich Abschied von den freundlichen Wirtsleuten und der urgemütlichen Krnici - Hütte und begebe mich in westliche Richtung, wo ein nichtmarkierter Pfad mich hinüber zur Vrisic – Paßstraße bringt, die Kranjiska Gora mit dem südlich gelegenen Trenta – Tal verbindet, auf dessen Herrlichkeit ich später noch zurückkommen werde. Die alte, teilweise noch mit Kopfsteinpflaster beschlagene Paßstraße und deren Umgebung sollen für mich das Thema dieses sonnigen Vormittags sein. Mein Weg führt überwiegend durch Bergwald, wobei er immer wieder die Straße kreuzt. Herrliche Ausblicke auf aschgraue, mit Schneefeldern durchzogene, monstruöse Felswände und Bergspitzen bieten sich mir, und ich empfehle motorisierten Nichtwanderern unbedingt das Befahren dieses wunderschönen Passes, um sich wenigstens auf diese Weise von der Schönheit und Erhabenheit der Julischen Alpen überzeugen zu können. Auch ein kleines Einod bietet sich am Straßenrand zur Besichtigung in Form einer russisch – orthodoxen Holzkapelle, die während des Ersten Weltkrieges von den selben russischen Kriegsgefangenen erbaut wurde, die auch für den Bau der Paßstraße herangezogen wurden, wobei etliche in Felsstürzen, herniederdonnernden Lawinen, oder in Folge der unmenschlichen Strapazen ihr Leben lassen mußten. Die Julischen Alpen waren während jener Kriegsjahre Schauplatz fürchterlicher Schlachten zwischen italienischen und K. u. K. – Truppen.. Viele Steige, auf denen sich heutzutage friedliebende Wanderer durch die bezaubernde Berglandschaft bewegen, stammen noch aus jener Zeit. Der an Militärgeschichte Interessierte findet hier zahlreiche Zeugnisse der damaligen Begebenheiten, sodaß eine Bergfahrt in den Juliern durchaus auch eine Reise in die Zeitgeschichte werden kann.
Nahe des an der Paßstraße gelegenen Berghauses Erjacev Koca führt nun ein Wanderweg in Serpentinen hinauf zum Vratica –Paß (1807 m). Von diesem aus besteht die Möglichkeit der Besteigung oder gar der Überschreitung des Gipfels Mala Mojstrovka (2332 m). Das steile Geröllfeld unterhalb der Felswand ist noch vollkommen mit Schnee bedeckt und ich kann zunächst den Einstieg in den Klettersteig nicht finden, bis ich auf eine Gruppe ortskundiger Österreicher treffe, die mir die Stelle weisen, wo ein Drahtseil aus der Schneedecke hervortaucht. Durch Tiefschnee schaffe ich mich dann bis hin zur Felswand, ich will den Versuch, diesen Steig zumindest teilweise zu begehen, oder gar, im besten Falle, über ihn den Gipfel zu erreichen, nicht auslassen, zumal der von meinem Standpunkt aus einsehbare Teil der Wand aper, also schneefrei ist. Vorsicht ist stets geboten, wenn man sich von der Randkluft eines Schneefeldes hin zur Felswand begibt, da dort oft die Gefahr besteht, in einer zu dünnen Schneebrücke einzubrechen und unter Umständen mehrere Meter tief in die Kluft zwischen Schneefeld und Felswand zu stürzen. Ich erreiche jedoch das Drahtseil des Klettersteiges unfallfrei und kann mich sogleich einer angenehmen Kletterei widmen, wobei ich zu Beginn ein gutes Stück vorwärts komme, ohne auf Unannehmlichkeiten zu stoßen. Leider bleiben diese aber nicht aus, und wie zu erwarten war, wird der weitere Aufstieg immer wieder durch kleinere und größere Firnfelder erschwert, keines jedoch so schwierig, daß es mich zur Umkehr gezwungen hätte. Eine kleine Gruppe junger Leute, die ich unterwegs überhole, tut sich da offensichtlich schon schwerer. Mich wundert nur, warum unten am Einstieg keine Spur von ihnen zu sehen war. Die einzige Erklärung ist die, daß sie wohl über den in der Karte als unmarkiert eingezeichneten Weg, der weiter östlich beginnt, und schließlich in meinen Steig einmündet, gekommen sein müssen. Der Ausblick vom Gipfel lohnt die Mühen des Aufstiegs allemal, zumal dieser wirklich kurzweilig in einfacher Kletterei absolviert wird. Über mir läßt mittlerweile ein dichtes, graues Wolkenmeer der Sonne keine Chance mehr, die Gipfel der nächsten Umgebung sind jedoch überwiegend frei und noch ist ein gutes Panorama gewährt. Wilde Felsbastionen, die teilweise noch von enormen Schneeresten belegt sind, sind fantastisch einsehbar. Direkt vor mir erhebt sich ein Gipfel, der pyramidenförmig eine noch mit reichlich Schnee bedeckte, schräg zum Gipfel hinlaufende Westflanke besitzt, während er nach Osten hin abrupt in Form einer senkrechten Felswand abbricht. Es ist dies die Velicka Mojstrovka (2366 m ), die große Schwester der Mala Mojstrovka, die weder durch Pfad noch durch Klettersteig erschlossen ist, und somit nur sehr guten, vor allem klettertechnisch versierten Seilschaften vorbehalten bleibt. Ich teile mir den Gipfel mit einem knappen Dutzend anderer Wanderer, die ganz offensichtlich von der Südseite her hier heraufgekommen sind, also auf jenem Weg, den ich nun zum Abstieg zu nutzen gedenke. Ich schließe daraus, daß der Weg dann wohl gut begehbar ist, zumal es sich bei dieser Variante um einen unschweren Bergpfad handelt, während der Nordaufstieg einen Klettersteig vorstellt, der einem doch etwas mehr abverlangt, besonders zu den jetzigen Bedingungen. So begebe ich mich nach einer Gipfelvesper hinab über einen deutlich sichtbaren Pfad, der zunächst durch Geröll führt. Im unteren Teil des Abstiegs erwartet mich dann schließlich doch noch ein recht steiles Altschneefeld, das ich vorsichtig, mittels Sicherung durch meinen Eispickel, überwinde. Mein Weg mündet schließlich in die Vrisic – Paßstraße, wo hinter einem Parkplatz die Paßhöhe (1611 m) erreicht wird. Ich folge nun einige Kilometer der Straße abwärts, die jetzt hinunter ins Trenta – Tal führt, anbetrachts der noch frühen Tageszeit das Berghaus Ticarjev Dom (1618 m) links liegenlassend. Bald löst sich ein Wanderpfad von der Straße, der mich durch schönen Wald, gelegentlich über Holzstufen und mit Tiefblick in die enge Schlucht des Limarica –Baches gleichfalls in das schöne, von den gischtenden Wassern des Flusses Soca dominierte Trenta – Tal hinunterführt. Daß mir bei diesem einfachen Pfad dennoch zwischendurch ein kleiner Verirrer unterläuft, liegt daran, daß Pfad und Markierung teilweise noch unter Schnee liegen. Die hinter mir liegenden Berge bilden jetzt einen richtiggehenden Schutzwall vor den Regenwolken, sodaß das Trenta – Tal von einem köstlich goldgelb leuchtenden Nachmittagslicht beschienen wird. Unter diesen Bedingungen, und da mir bis zum Sonnenuntergang immer noch genügend Zeit bleibt, beschließe ich, dem Pfad weiterhin flußabwärts zu folgen, um mir einen Eindruck von diesem wunderschönen Flußtal zu verschaffen. Nachdem sich der Weg zwischendurch abermals mit der Paßstraße vereinigt hat, wo der kleine Abstecher zu einer engen Klamm mit einem tosenden Wasserfall unbedingt lohnt, führt er bald wieder als ruhiger Wanderpfad am orographisch rechten Ufer der Soca entlang, während die Straße linksufrig verläuft. Romantische Holzbrücken verbinden die beiden Uferseiten, und zwischen Büschen und Bäumen bestaune ich bald ein wunderschönes altes Kirchlein, bald das eine oder andere schmucke Bauernhaus, die bereits zur weitgestreuten Talschaft Trenta gehören, während die Soca in ihrem Bett einen wilden Veitstanz aufführt. Über eine Brücke kehre ich schließlich auf dem anderen Ufer zurück zum Ortskern von Trenta (620 m), wobei ich zunächst einem bergauf führenden Feldweg folge, der mich an ein paar Anwesen vorbeibringt, ehe ich dann den Kern der Streusiedlung erreiche. Die Koca Zlatorog befindet sich am oberen Ende des Dorfes, doch leider finde ich sie verschlossen vor. Auch bei drei umliegenden Pensionen habe ich Pech: auf mein Klingeln öffnet niemand. Eigentlich habe ich keine rechte Lust mehr, nochmals die Dorfstraße hinunterzudackeln, um dort eventuell eine Unterkunft zu ergattern. Kurz entschlossen begebe ich mich auf den eigentlich für morgen vorgesehenen Weg entlang des Zadnjica – Baches, um dort einen Heuschober oder ähnlichen Unterstand ausfindig zu machen, in dem ich die Nacht zubringen werde. Der Weg entlang der Zadnijca begeistert mich: im schillerndsten türkisgrün leuchtet das klare, wild über Felsen springende Wasser, während die Abendsonne das waldige, nach den Essenzen harziger Kiefern duftende Tal in ein goldenes Licht taucht. Da ich mich in der Nähe des Siedlungsgebiets befinde, ziehe ich es vor, etwas versteckt zu nächtigen, um nicht etwa von einem gestrengen Förster oder dem Dorfpolizisten geweckt zu werden. Bald entdecke ich linkerhand ein Wasserreservoir, an dem ein kleines Bächlein über einen rauschenden Wasserfall vorbeifließt. Hier beschließe ich meine heutige Etappe, das Dach des Reservoirs soll mir für mein Biwak dienen. Es sieht zwar momentan nicht nach Regen aus, doch für unliebsame Überraschungen führe ich eine Plastikplane mit mir, in die ich Schlafsack mit Isomatte, sowie meinen Rucksack einwickle. Bevor ich mich in den Schlafsack begebe, nehme ich noch ein Bad a la nature in besagtem Bach und verbringe anschließend die Nacht unter freiem Sternenhimmel.
Die Kälte des frühen Morgens lädt nicht gerade zu einem üppigen Frühstück ein, und so beschließe ich, mich erst einmal warm zu laufen. Hierbei verfolge ich zunächst weiterhin den Lauf der Zadnjica, bis bei einem Parkplatz im Wald ein Weg Richtung Pogacnikov dom abzweigt. Der Wirt der Krnica – Hütte hatte mir die Empfehlung gegeben für diesen ehemaligen Maultierpfad, der hinauf zu besagter Berghütte auf 2050 m führt. Er ist momentan schneefrei, ungefährlich und wunderschön. Gleich zu Beginn passiere ich einen schönen Wasserfall, und an der Talstation der Materialseilbahn frühstücke ich eine Kleinigkeit. Da die Talschaften hier auf der Südseite des Triglav - Massivs recht tief liegen, ist beim Wiederaufstieg in die hochalpine Zone doch etwas Kondition gefragt, und die Etappen führen länger durch die Misch – und Bergwaldzone, als man das woanders in den Alpen gewohnt ist. In weiten Serpentinen geht der Pfad, teilweise eindrucksvoll in die Felswände geschlagen, aufwärts, und ich muß dem Krnici – Wirt recht geben, es ist ein wirklich schöner Weg, obwohl das Wetter bis jetzt nicht so recht mitmachen will, und mich zwischenzeitlich in die Regenkleidung zwingt. Mitten auf dem Weg liegt eine tote Gemse. Keine Ahnung, ob die hier nur abgestürzt, oder etwa von einem Jäger „heruntergeholt“ worden ist. Als ich schließlich die Bergwaldzone hinter mir lasse, habe ich doch schon einiges an Höhenmetern unter mir gelassen, und ich muß zugeben, daß mir der Aufstieg heute schwer fällt. Vielleicht liegt es an der etwas inkommoden Nacht, aber sei´s drum, da muß ich durch! Da die Hütte partout nicht kommen will, beschließe ich, mich noch mal aus der Rucksackverpflegung zu stärken. Als ich nach der Vesperpause, die ich in einer windgeschützten Kurve des Saumpfades gehalten habe, zwei oder drei Serpentinen weiter nach oben schnaufe, taucht unvermittelt die von den Schwaden der Regenwolken umzogene Berghütte Pogacnikov dom (dom = Haus) vor meinen Augen auf. Zu meiner Enttäuschung wird die Hütte derzeit jedoch renoviert. Trotzdem ist es möglich, sich im Aufenthaltsraum zwischen Baumaterialien am geheizten Kachelofen aufzuwärmen. Eine größere slowenische Wandergruppe ist ebenfalls anwesend, die sogar die Küche in Beschlag genommen hat, wo Eintopf und Gulaschsuppe in den Töpfen dampfen. Direkt neben dem Kachelofen befindet sich eine mit Kissen ausgestattete Bank, und ich gönne mir in der wohltuenden Wärme ein kleines Nickerchen. Nachdem ich mich etwas ausgeruht habe, geht es nun an die Planung des Weiterwegs. Ein Übergang über die Dovska vratca (2180 m) hinunter ins Vrata – Tal scheint mir eine interessante und recht sichere Angelegenheit. Auf alle Fälle werde ich den Versuch unternehmen und bei zu extremer Schneelage notfalls eben ins Zadnjica – Tal zurückkehren, um von dort aus über den Luknja – Paß (1757 m) ins Vrata - Tal zu gelangen. Die wilde, durch strotzende Felswände und Gipfel kreisförmig begrenzte Karstlandschaft um das Pogagnikov dom, die es nun zu durchschreiten gilt, habe ich bereits vor zwei Tagen vom Gipfel des Kriz aus einsehen können, der nördlich der Hütte aufragt und der von dieser aus ebenfalls leicht zu besteigen wäre. Ich wende mich jedoch gen Osten, Kompaß und Karte gezückt, da der Sommerweg noch unter einer nahezu geschlossenen Schneedecke verborgen ist. Als ich zurückblicke, erkenne ich eine Gestalt, die vor der Hütte stehend jede meiner Bewegungen verfolgt. Als ich mich dort verabschiedet habe, war mir ein vollbärtiger Mann an der Eingangstür begegnet, dem auch ich wohl erst beim Gehen aufgefallen bin. Offensichtlich handelte es sich um den Hüttenwirt, dessen wachsamer Blick nun wohl abwägt, ob sich da oben nicht etwa ein Unerfahrener in gefährliches Gelände versteigt. Doch ich gebe ihm keinen Anlass zur Besorgnis. Zügig nehme ich nun den Gipfelaufstieg in Angriff, wobei es bisher, trotz des Schnees, recht gut vorangeht. Der Steig zieht in sehr steilen Serpentinen aufwärts, und bald schon stoße ich auf Kettenversicherungen. Den offensichtlich nicht allzu markanten Gipfel der Dovska vratca habe ich entweder schon überschritten, oder ich habe ihn im Schnee umgangen. Ich komme rasch zu der Einsicht, daß ich mich im Aufstieg zum Bovski Gamsovec (2393 m) befinde. Da der Klettersteig, der auf diesen Gipfel führt, bis jetzt ohne Schwieigkeiten zu begehen war, setze ich die Tour fort. Es herrscht heute schon eine besondere Atmosphäre: der Himmel ist von grauen, sonnenundurchlässigen Hochnebelwolken bedeckt, es herrscht jedoch aufgrund der recht frischen Temparaturen keine Gewittergefahr, aber ein kräftiges Lüftlein weht mir um die Ohren. Außer mir ist wieder einmal keine Menschenseele hier oben unterwegs, während ich mich in luftiger Ausgesetztheit an Ketten und über gut kletterbare, aber steile Felspassagen, nach oben arbeite, und ein bißchen wie Messner oder Kammerlander fühle (an Kettenversicherungen, haha!). Immer wieder fällt der Blick zurück zum Pogacnikov dom, das weit unter mir, herrlich auf einer Anhöhe am Absturz der schneebedeckten Karsthochfläche, den sogenannten Kriz – Böden (Kriski podi) liegt, wo der besorgte Hüttenwirt, nun nur noch als kleines Spielzeugfigürchen zu erkennen, immer wieder mal vor die Hüttentür tritt, um nach dem Rechten zu sehen. Nachdem ich das mit Eisenstiften versehene Kamin durchstiegen habe, gelange ich nun über einen Grat zum vernebelten Gipfel. Während des Abstiegs hinunter zum Lukjna – Paß gelingt es dem kräftig blasenden Wind, dem Wokenmeer den Garaus zu machen, und bald scheint die Sonne durch die bereits arg löchrig gewordene Hochnebeldecke. Dafür steht jetzt Ungemach ins Haus in Form eines sehr steilen, ungespurten Firnfeldes, auf das ich mich nur so mit dem Eispickel nicht wagen möchte. Ich steige stattdessen zu dessen oberen Rand und zwänge mich zwischen Schneedecke und Felswand. Nicht allzu angenehm arbeite ich mich vorwärts, wobei ich auch zwischendurch gezwungen bin, gänzlich ins besonders mit dem großen Rucksack unangenehm zu kletternde Felsgelände überzuwechseln. Schließlich bin ich froh, als ich heil aus diesem Engpaß wieder herauskomme und geh nun schnurstracks bergab, wo sich jetzt die mächtigen Triglav – Wände direkt vor meinen Augen aufbauen und mich zu einem Gartenzwerg in einer für Riesen geschaffen zu scheinenden Landschaft werden lassen. Die Ansicht auf dieses wahrhaft gigantische Felsszenario vom Luknja – Paß und dessen näherer Umgebung aus ist für mich eine der respekteinflößendsten, die mir bisher untergekommen ist und sicher ein exklusiver Beleg dafür, daß die Julier keinesfalls nur ein Nebenschauplatz im Gesamtspektrum der Alpen vorstellen. In dieser Gegend soll es noch zahlreiche Steinböcke geben, wobei mir das Glück, welche zu sehen, trotz des menschenleeren Wandertages, leider nicht wiederfährt. Im Abstieg verliere ich für kurze Zeit den Weg, orientiere mich dann aber an zwei aufsteigenden Personen, den ersten, denen ich seit der Pogacnikov – Hütte begegne. Die beiden Österreicherinnen streben ebenfalls zum Bovski Gamsovec, und ich warne sie noch vor dem Firnfeld, an dem sie am besten selbst abschätzen müßten, ob sie dort weitergehen oder lieber umkehren wollten. Mit Erreichen des Luknja – Passes heißt es für mich weiterhin abwärts gehen, und zwar nach Nordost, zunächst durch das Hochtal Bukovlie, um schließlich zum Berghaus Aljazev dom (1015 m), im Talschluß des Vrata - Tales zu gelangen, wo meine heutige Etappe ihr Ende finden soll. Der Lukjna – Paß offeriert auch andere Möglichkeiten, wie den Abstieg in südwestliche Richtung hinunter zum Talabschluß des Zandnjica – dolina (dt.: hinterstes Tal), jenem Tal, in dem ich die letzte Nacht verbracht und aus dem ich heute morgen hinauf zum Pogacnikov dom gestiegen bin, oder dem Aufstieg über einen anspruchsvollen Klettersteig hinauf zum Triglav - Gipfel, wobei vom Paß aus noch mehr als 1000 Höhenmeter zu überwinden sind. Der Weg hinunter zum Aljajazev dom indes liegt teilweise unter enormen Lawinenkegeln begraben, was mich abermals in die Irre, sprich ins Unterholz führt, wo ich eine schwarze Schlange aufschrecke, die sich sofort davon macht. Jetzt begegne ich wieder zahlreichen Wanderern, man merkt die Nähe zu einem der größten und bekanntesten Berghäuser der Julischen Alpen. Im Berghaus angekommen, entscheide ich mich für eine Übernachtung im Massenlager, es gibt auch die Möglichkeit gemütlicher Mehrbettzimmer. Es stellt sich heraus, daß in dem sich direkt unter dem Dach befindenden Massenquartier außer mir niemand sonst untergebracht ist, sodaß ich in den Genuß eines, wenn auch etwas zu groß geratenen, Einzelzimmers komme. Was ich heute an der Übernachtung spare, investiere ich lieber ins Essen, das heute doch etwas zu kurz gekommen ist und ich lasse auffahren, daß sich der massive Holztisch, an dem ich mich auf der sonnigen Aussichtsterrasse niedergelassen habe, förmlich zu biegen droht. Noch befinden sich zahlreiche Tagesgäste in und um die schöne Bergunterkunft, doch bleiben, außer einer etwa zwanzigköpfigen Jugendgruppe, wenige Gäste auch über Nacht. Als dann mitten in der Nacht grelle Blitze über dem Hüttendach zucken und der Donner den Holzboden vibrieren läßt, bin ich gottfroh, die heutige Nacht in der Hütte zu verbringen, anstatt beim Biwak unter freiem Himmel.
Tags darauf starte ich nach dem Frühstück bereits im Regenzeug. Kurz nach der Hütte auf einem Parkplatz tritt mir ein Typ aus Görlitz entgegen, der dort in seinem Auto übernachtet hat. Er hat bereits zwei Wochen Reise mit seinem Gefährt hinter sich, wobei er ständig zwischen Alpen und Adria, sprich zwischen Slowenien und Kroatien hin – und herpendelt. Ein gutes Stündchen unterhalten wir uns, ehe ich meinen Weg fortsetze, inzwischen hat es wieder aufgehört, zu regnen. Ich beabsichtige heute einen Stellungswechsel, wobei ich mich mit Hilfe öffentlicher Verkehrsmittel auf die Südseite des Gebirges begeben möchte. Zuerst will ich das wohl bekannteste Städtchen in den Julischen Alpen, vielleicht sogar Sloweniens, Bled, besuchen, um alsdann vom Wocheiner See (Bohinjsko jezero, 525 m) aus meine Wanderung fortzusetzen. Zunächst jedoch folge ich überwiegend dem Fahrweg des recht lang gestreckten Vrata (dt.: Tor, bedeutet vermutlich „das Tor zum Triglav“) – Tales, wobei ich noch zwei Sehenswürdigkeiten in Wegesnähe „mitnehme“. Zuerst gelange ich über einen hoch über dem Schluchtgrund des Bistrica – Baches verlaufenden Waldpfad zu den sogenannten Felsengalerien, die ich gerade noch so mit dem nächsten Gewittterguß erreiche. Eine riesige Felswand bildet hier ein Überhang und dieses Felsdach dient mir jetzt als Unterschlupf vor den enormen Wassermassen, die jetzt vom Himmel herabströmen. Mehrere Feuerstellen lassen darauf schließen, daß diese Überdachung wohl öfters – wenn auch verbotenerweise - als nächtliche Bleibe genutzt wird. Als sich das Wetter wieder einigermaßen beruhigt hat, setze ich meinen Weg fort, wobei ich bald wieder auf den Fahrweg stoße, wo sich dann an einem weiteren Wanderparkplatz oberhalb der Koca Pericniku abermals die Gelegenheit für einem kleinen Abstecher bietet, nämlich zum eindrucksvollen Wassserfall Slap ( = Wasserfall) Pericnik. Genaugenommen handelt es sich um zwei Wasserfälle, der erste und beeindruckendere wartet mit einer Fallhöhe von 55 m auf, während der zweite, weiter oben tosende, über 16 Meter die Felswand hinunterstürzt. Der untere Wasserfall läßt sich zudem hinter seinem Auffangbecken unterhalb eines Überhangs praktisch „hintergehen“, so daß es möglich ist, sich hinter den Fallschleier zu positionieren, was eine ungewönliche und faszinierende Perspektive bietet. Man sollte beim Besuch der Fälle damit rechnen, auch ein paar Wassertropfen abzubekommen, was beim heutigen Sauwetter jedoch keine Rolle mehr spielt. Auf meinem Weiterweg scheint sich das Wetter dann doch noch bessern zu wollen und als ich die ersten Häuser von Mojstrana erreiche, lacht über mir schon wieder die Sonne. Die Ortschaft Mojstrana befindet sich, gleichwohl wie Kranjiska Gora, im Tal der Save, ich bin bereits auf der Hinfahrt mit dem Bus hier durchgekommen. Auf meiner Karte ist keine Bushaltestelle in Mojstrana verzeichnet, obwohl dort einer am Straßenrand parkt. Da es Mittagszeit und der Bus abgeschlossen ist, rechne ich nicht damit, daß er in absehbarer Zeit fährt, zudem weiß ich nicht, wohin er fahren wird. Ein Wanderweg führt ins weiter westlich gelegene Hrusica, von wo sowohl Zug – als auch Busverbindung besteht. Also mache ich mich kurz entschlossen auf den Weg, der über Wald, Wiesen und Felder dem Lauf der Sava (Save) folgt, aber im Vergleich zum bisher Gesehenen eher langweilig ist. Auch bin ich etwas von den Ortschaften Mojstrana und Hrusica enttäuscht. Allgemein scheinen es die Dörfer am nördlichen Rand der Julier in puncto traditionelle Bauernhäuser und alte Dorfkerne nicht mit denen mancher österreichischer, bayrischer oder schweizer Regionen aufnehmen zu können, was mir auf der Anfahrt im Bus bereits aufgefallen war. Alles ist sauber und ordentlich hergerichtet, es läßt jedoch meist an Originalität fehlen, und manche alte Höfe sind durch Renovierung oft zu „neu“ geraten. Daß dies nicht immer und überall so ist in Slowenien, soll mir im weiteren Verlauf meiner Reise noch vorgeführt werden. Landestypisch sind jedenfalls die großen, hölzernen Gestelle, auf denen das Heu zum Trocknen aufgehängt wird, die sogenannten Heuharfen (slowen.: kozolci), sowie viele schöne Kapellen, Marienstatuen und Kruzifixe am Wegesrand. Kurz vor Erreichen des Ortseinganges von Hrusica fällt mir ein riesiger, moderner Betonkomplex auf. Es handelt sich um nichts anderes als das slowenische Zollgebäude mitsamt Tankstellen und Einkaufsläden am Ende des Karawankentunnels, der ins österreichische Villach führt. Hier waren wir des Nachts mit unserem bosnischen Bus ins Land eingereist, und hier werde ich, wenn alles gut läuft, mit dem kroatischen Bus nach Beendigung meiner Bergtour wieder ausreisen.
An der Bushaltestelle in Hrusica komme ich mit einer älteren Dame ins Gespräch, die mit ihrem Ehemann gleichfalls auf den Bus wartet, und die sehr gut deutsch spricht. Man hört es oft in den ehemals sozialistischen Ländern, so auch hier: am Anfang, unmittelbar nach der Wende, habe alles toll angefangen. Doch jetzt regiere die Arbeitslosigkeit. Das Warenangebot läßt zwar nichts mehr zu wünschen übrig, sämtliche westlichen Markenartikel werden feilgeboten, doch alles dermaßen teuer, daß nur eine relativ kleine Ober – und Mittelschicht davon nutzniesen kann. Um nach Bled zu gelangen, muß ich unterwegs zweimal umsteigen. Bled ist wohl, neben der Hauptstadt Ljubiljana, der bekannteste Ort in Slowenien. Zahlreiche Kalenderblätter und Titelseiten von Reisekatalogen präsentieren das romantische Bild des bergumsäumten Bleder Sees (475m) mit seinem auf einem Eiland mitten im See gebauten Kirchlein. Auch eine beeindruckende Burg thront auf einem Felsturm hoch über dem Spiegel des Bergsees. Bled soll für mich nur ein Zwischenstop sein, sozusagen ein „das muß man gesehen haben“ – Besuch. Enttäuscht bin ich jedoch nicht wegen des schlechten Wetters - der Himmel hängt zwischenzeitlich grau in grau über der Landschaft und kündigt erneute heftige Niederschläge an – es ist vielmehr der Ort selbst, der die Romantik seiner herrlichen Umgebung zunichte macht. Besonders im Gegensatz zu unserem bekannten Kalenderbild steht das „Gaddhafi – Center“ genannte, riesige, hochmoderne Einkaufszentrum direkt an der Uferpromenade. Ursprünglich hätte das Ding in Lybien gebaut werden sollen, doch als das Geschäft platzte, haben die Slowenen zugegriffen, und diesen riesigen Konsumpalast kurzerhand an den Gestaden des Bleder Sees errichtet. Daß dieser Ort viele Touristen anzieht, ist verständlich. Was mir sauer aufstößt, sind diese neureichen „Sehen und Gesehen werden – Typen“, die mich und meinen Rucksack mit abfälligen Blicken belegen, wobei ich die Gedanken „Penner“, Stinktier“ „Verrückter“ und „ armseeliger Bettelmönch“ geradezu ablesen kann. Solcherlei Arschlöcher wissen weder die kulturellen Werte dieser Gegend noch die naturgegebenen Schönheiten der Umgebung zu schätzen, sie schießen ihre Fotos, um danach vor anderen prahlen zu können, daß sie schon hier waren, ansonsten außer Konsum nichts gewesen. Ich versuche eigentlich immer, tolerant zu bleiben, aber wenn man von der Intoleranz solch bornierter Affen betroffen ist, geht einem leicht der Hut hoch!
Genug der Bosheiten. Nach meiner kleinen Runde am Seeufer pfeife ich mir noch einen Kaffe ein, bevor ich in den Bus einsteige, der mich weiter zum Bohinjsko Jezero (Wocheiner See) bringt. Unterwegs bricht eine Sintflut über´s Land, und ich erschaudere jetzt schon bei dem Gedanken, nachher noch eine, wenn auch nicht allzu lange, Wegstrecke zu Fuß zurücklegen zu müssen. Trotz trister Wetterlage übermittelt sich mir die urig – rustikale Stimmung der Dörfer, die wir unterwegs passieren und ich bin entzückt von dieser Gegend. Was ich bislang eher vermisst habe, scheint hier noch präsent: bodenständige Ortschaften mit ländlichem Flair und sehr viele alte, landestypische Häuschen, das Ganze noch dazu in prächtige Berglandschaft eingebettet, von der heute allerdings leider nur die eine oder andere Felswand eines Bergfußes oder die etwas sanfter abfallenden Kuppen grüner Almwiesen und Waldungen zu sehen sind. Die Sava Bohinjka schlängelt sich durch dieses Tal, die den Wocheiner See entwässert, um sich schließlich nördlich von Ljubiljana in die Save zu ergießen, welche wiederum im serbischen Beograd (Belgrad) auf die Donau trifft. In Ribcev Laz entspringe ich dem Bus, und unter dem Dächlein der Bushaltestelle inspiziere ich ein letztes Mal die Landkarte und packe mich und meinen Rucksack unter den Regenponcho. Der kleine Ort liegt übrigens malerisch direkt am Ostufer des Wocheiner Sees (525m). Ich folge zunächst der Teerstraße zum Dorf hinaus, um bald darauf die schöne, traditionelle Ortschaft Stara Fuzina zu erreichen. Wer von hier aus, auf der Südseite des Triglavmassivs, ins Gebirge aufsteigen will, hat sich aufgrund der tiefergelegenen Talschaften mehr zu bemühen, als beispielsweise von Kranjiska Gora aus. Ich überlege zunächst noch, ob ich mir nicht lieber eine Pension suchen soll, entscheide mich dann aber doch für das Übernachten in einer Berghütte. Die sich im Mostnica – Tal aufwärts befindliche Koca bol. Prvorcev na Vojah (690m) ist die nächst gelegene und mit einer angegebenen Wegzeit von anderthalb Stunden vor Einbruch der Dunkelheit noch gut zu erreichen. Wie bereits erwähnt, haben die Markierungen in Slowenien die Eigenschaft, immer gleich auszusehen, und so folge ich einer Abzweigung vom Hauptweg über eine Bergwiese, gleichfalls mit rotem Kreis mit weißem Punkt markiert, da ich glaube, es handle sich um eine Alternative zum Fahrweg. Es dauert nicht lange, bis ich meinen Fehler bemerke, da der Weg nun nahezu parallel oberhalb des Seeufers entlangläuft. Hier lang geht es in zweieinhalb Stunden hinauf zur Berghütte Kosijev dom (1054m), weshalb ich die eingeschlagene Richtung beibehalte. Allerdings muß ich mich jetzt schwer beeilen, will ich die Unterkunft noch vor Einbruch der Nacht erreichen. Ein wurzliger, steiniger Pfad führt durch den bereits recht düster gewordenen Wald, zwischendurch komme ich der einen oder anderen idyllisch aussehenden Almhütte vorbei, die gelegentlich sogar mit Blumentöfen geschmückt sind. Langsam wird mir schon bange, wann den die Hütte nun endlich aufttauchen würde, die Nacht läßt nicht mehr lange auf sich warten. Der Weg wird immer düsterer, bis er endlich aus dem Wald heraustritt und auf einer Lichtung in der schummrigen Dämmerung des regennassen Abends das idyllische Berghaus vor mir auftaucht. Als ich eintrete, finde ich den Wirt bei einem wüsten Zechgelage mit einem Kumpel. Bereits schwer vom Schlivovitz gezeichnet, hängen die beiden über einem mit einer Karbidlampe beleuchteten kleinen Tisch im ansonsten menschenleeren Gastraum. Kein allzu netter Empfang, denn mein Gruß wird nur mit einem unwilligen Murren erwidert. So stehe ich zunächst ein Weilchen triefend naß mit Sack und Pack etwas verloren in der guten Stube, und ich glaube schon, die beiden Herren hätten mich bereits wieder vergessen, als sich der jüngere Kompagnon schließlich meiner erbarmt und seinen angeschlagenen Kadaver schwerfällig erhebt, um mir mit einem laxen Wink zu bedeuten, ich solle ihm folgen. Ein schönes, sogar beheiztes Mehrbettzimmer ganz für mich allein, na das ist ja schon mal was! Ob ich noch etwas essen möge, werde ich gefragt. Das habe ich eigentlich schon abgeschrieben anbetrachts der liederlichen Verfassung, in dem sich der Hausherr und sein Gefährte befinden, aber in diesem Fall bejahe ich natürlich. Auch der Hüttenwirt hat zwischenzeitlich wieder halbwegs ins Leben zurückgefunden und das Servieren der mit bis zum Rand mit Sauerkrauteintopf gefüllten Suppenterrine gerät zur zirkusreifen Artistennummer. Mein Respekt, der gute Mann schafft es tatsächlich, schwankenden Schrittes mitsamt Schüssel bis zu meinem Tisch zu balancieren, ohne dabei etwas zu verschütten. Nach dem heißhungrigen Verzehr des schmackhaft mit geschnittener Wurst angereicherten Eintopfs, einer willkommenen Alternative zu Salami und Brot aus dem Rucksack, halte ich mich noch ein wenig in der Gaststube auf, um auf der Landkarte meinen morgigen Weg zu studieren und in den Heften des slowenischen Bergvereins zu blättern, während sich der Wirt und sein Freund wieder der Schnapsflasche zuwenden, wobei die beiden hin und wieder in gelangweilter Gemütsverfassung ein paar schleppend aus rauhgekratzten Schnapskehlen dringende Phrasen austauschen. Ich muß sagen, die Hütte gefällt mir sehr gut, sie ist im bäuerlich – gemütlichen Stil mit viel Holz eingerichtet und der große Kachelofen ermöglicht auch bei kalter Witterung einen lauschigen Aufenthalt. Wann ich denn frühstücken wolle, werde ich noch gefragt. Ich antworte „Um halb acht, wenn´s geht.“ Ja klar, geht schon, allerdings glaube ich noch nicht daran und rechne eher damit, vielleicht gegen zehn Uhr verkohlte Spiegeleier und einen miserablen Kaffee serviert zu bekommen. Doch ich habe abermals die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Als ich um halb sieben erwache, vernehme ich unten aus der Küche bereits das Klappern von Töpfen und Pfannen. Bald danach stehe ich auf, packe schon mal zusammen, um mich anschließend hinunter in den Gastraum zu begeben, wobei ich die offene Küchentür passiere. Da steht er, der wackere Mann, unrasiert, mit glasigen Augen, aber voll im Element. Das Frühstück kommt dann auch rechtzeitig, es schmeckt herzhaft, und Spiegeleier, Speck und Kaffe sind tadellos.
Nicht ganz so tadellos ist heute das Wetter, wenngleich es sich im Vergleich zu gestern wohl etwas gebessert zu haben scheint.
So mache ich mich denn auf in einen zunächst noch reichlich wolkenverhangenen Tag, durch nassen Bergwald, wobei das Regenwasser von den triefenden Zweigen und Ästen auf mich heruntertropft. Der eingeschlagene Weg enttäuscht mich zunächst ein wenig. Gemäß der Karte verläuft er fast direkt überhalb der Absturzkante der steil zum Wocheiner See hinunterbrechenden Steilhänge und Felswände, weshalb ich mir ein großartiges Panorama mit Blick auf den tief unter mir ruhenden See mit seinen winzigen Talschaften ausgemalt habe. Leider führt der Weg nicht direkt entlang des Abbruchs, sondern etwas zurückversetzt durch dichten Tannenwald, so daß vom See zunächst nichts zu sehen ist. Eine beeindruckende Szenerie bietet ein tiefer, schwindelerregender Schluchteinschnitt, wo dann auch zwischen tiefhängenden Nebelschwaden ein Stück See mit den Häusern und Weideflächen der an dessen Westabschluß hingestreuten Siedlung Ukanc (560m) zu sehen ist. Der 1761 m hohe Prsivec ist mit seinem Latschenbewuchs sicherlich kein hochalpines Gipfelziel, dafür ist er ein hervorragender Aussichtsberg. Die langsam, aber sicher sich anbahnenende Wetterverbesserung hat bereits den größten Teil der frühmorgens noch die Seefläche wie eine riesenhafte, weiße Bettdecke unter sich verborgen haltenden Wolkenschwaden verbannt und auch die Aussicht zum südlich des Sees sich hinziehenden Gebirgskamm, sowie dem im Westen sich emporreckenden Gebirgswall sind frei, nur weit oberhalb der mit weißen Schneeflecken betupften Gipfel hängt noch immer eine graue, zähe Wolkendecke. Der steile und abrupte Absturz der südlich gelegenen Bergkette hinunter zum See erinnert mich daran, daß so ziemlich direkt unter mir ein noch steileres Gefälle als das nun einsehbare bis kurz vor´s Seeufer herunterbricht, denn es ist eigentlich der Nordabbruch, der für seine oft senkrecht zum Seeufer hinabstürzenden Steilwände bekannt ist. Meinem Aussichtsplatz schräg gegenüber spannt eine Materialseilbahn ihre Stahlkabel durch die Lüfte bis hinauf zum Berghaus Dom na Komni (1520m), dem ich von meiner Position aus quasi auf´s Dach gucken kann. Südöstlich von Ukanc führt die Kabinenbahn hinauf ins Skigebiet. Mein Weiterweg führt mich schließlich zur ersten von vielen hier auf diesem Karstplateau südlich der Triglav – Gruppe sich verteilenden Hochalmen. Es handelt sich hierbei um uralte, mit durch Wind und Wetter aschgrau ausgebleichtem Schindelholz bedeckte Sennerhütten, meist auf hölzernen Stelzen stehend, die in dieser Form einmalig sind im gesamten Alpengebiet. Manche sind aus Stein gemauert, viele sind aber pure Holzblockhütten und erinnern irgendwie an kauzige Hexenhäuschen. Der Zustand dieser Kleinode reicht von sehr gut erhalten bis zu hoffnugnslos verfallen. Dieses gesamte Almenplateau, die sogenannte Fuzina – Hochebene, steht zwischenzeitlich unter dem Schutz der UNESCO und man kann nur hoffen, daß es durch schonende Konservierung gelingen wird, möglichst viele dieser schönen Kulturdenkmäler über die Zeiten hinweg zu erhalten. Durch den Tourismus wiederentdeckt, hat jedenfalls bereits eine Wiederbelebung bereits aufgegebener Almen eingesetzt, und so hat man auch schon die eine oder andere Mini – Solaranlage auf ´s Dächlein montiert und Schilder weisen auf Einkehrmöglichkeit und den Verkauf von frischen Sennerprodukten wie Käse und Milch hin. Als ich zwischen den ersten Almhütten hindurchmarschiere, steigt eine Rauchfahne aus dem Schornstein einer der Hütten empor, es ist allerdings noch kein Vieh auf den Weiden, welches vor Anfang bis Mitte Juli auch noch nicht in diese Höhen zurückkehren wird. Zwei weitere Almen passiere ich auf dem Weg hinauf zum Dolina Triglavskih jezer („Tal der Triglav – Seen“) mit seiner gleichnamigen Hütte. Häufig wird das Tal auch mit dem Namen Sieben – Seen – Tal belegt, denn sieben sind es, die hier ständig vorzufinden sind, und während der Schneeschmelze im Frühjahr soll sich noch der eine oder andere Minisee hinzugesellen. Um in dieses Tal zu gelangen, habe ich aber zunächst noch einen Felsriegel zu überwinden, wobei ich es nicht damit belasse, einfach nur die Scharte zu passieren, denn die Mala Ticarica (2071 m) liegt so günstig am Wege, daß ich diesen Gipfel nicht auslassen möchte. Herrlich der Blick hinunter ins Tal, wo drei wunderschön glänzende Bergseen zwischen dunklen Tannenwäldern, sattgrünen Wiesen und teils noch beträchtlich sich ausdehnenden Altschneefeldern ruhen. Die schöne Berghütte Koca pri Triglavskih jezerih (1685m) hat ihren pittoresken Platz am Nordufer des mittleren Sees, prädestiniert als Bergunterkunft für romantisch veranlagte Seelen. Bergspitzen aus hellgrauem Kalk, mit scheckigem Weiß enormer Altschneereste durchsetzt, säumen das Tal. Am wolkenverhangenen Himmel gelingt es der Sonne, sich immer wieder durchzusetzen, und dieser Ringkampf zwischen Sonne und Wolken sorgt nun für stimmungsvolle Lichtspiele. Nie zuvor hat mich eine Gegend so an Norwegen erinnert, dessen prächtige Landschaft ich bei meiner Anreise in den schwedischen Teil Lapplands aus dem Zugfenster heraus kennengelernt habe. In den Julischen Alpen vergißt man oft, daß man sich auf der Alpensüdseite befindet, und jetzt überkommen mich sogar noch Erinnerungen an Skandinavien. Gänzlich differieren sich Landschaft und Kulturland vom Südalpenklischee, das unsere Vorstellungen von Aufenthalten im Tessin oder in Südtirol prägt. Der atemberaubenden Schönheit der Natur und den eigenwilligen Erscheinungsformen landestypischer Bauten, wie Bauernhäuser, Kirchen oder Sennerhütten, tut dies jedoch keinen Abbruch, wie mir soeben wieder beispielhaft vor Augen geführt wird, als ich mit Prachtpanorama vor Augen durch schotterige Abhänge ins Tal hinuntersteige, wo ich, an der verschlossenen Hütte angekommen, erst einmal eine ausgiebige Rast einlege. Den lieben langen Tag war mir wieder einmal keine Menschenseele begegnet, und auch hier, an einem der „Highlights“ der Julischen Alpen, herrscht um diese Jahreszeit noch absolute Ruhe und Einsamkeit. Wie oft hört man, daß die Alpen ja so überlaufen seien und dem Individualisten kaum noch Spielraum böten. Ich kann nur antworten: es ist oft nur die Frage des wann, wo, und wie!
Leider ist es mir zeitlich nicht mehr möglich, weiter talaufwärts vorzudringen, wo die anderen vier Seen anzutreffen sind. Ich habe zwar einen bescheidenen Winterraum neben dem Haupthaus der Sieben – Seen – Hütte zur Verfügung, mir ist aber eher danach, in einer warmen und bewirtschafteten Hütte zu nächtigen, zumal ich mir für morgen ein genaueres Durchstöbern des Fuzina – Plateaus mit seinen interessanten Almen vorgenommen habe. Großartiges erwartet mich allemal noch auf meinem Abstieg zu der von mir zur Übernachtung auserkorenen Koca pri Savici (653m). Weit oben im Talabschluß des Sieben – Seen - Tales steht dann noch die Zasavska Koca auf 2071m, doch es ist aussichtslos, um diese Jahrezeit darauf zu hoffen, daß eine derart hochgelegene Berghütte bereits geöffnet hat.
Ein letztes Mal drehe ich mich auf einer Anhöhe um, zurückblickend auf die beiden südlichsten Seen und die dahinterstehende Hütte, um alsbald in die Wälder des interessanten Tales Lopucniska Dolina abzutauchen. Eine Gruppe Jugendlicher begegnet mir, die ersten Menschen des Tages, seit ich heute morgen von der Kosijev – Hütte aufgebrochen bin. Sie wollen die Nacht an der Sieben – Seen – Hütte verbringen, ich wäre da oben also doch nicht alleine geblieben. Mein Weiterweg führt mich unmittelbar am Fuße der beeindruckenden Felswand Bela Skala („weißer Fels“) vorbei und schließlich gelange ich zum von Felswänden und Bergwald umschlossenen See Cerno jez, wo zwei Verliebte am Ufer herumturteln. Meine zweite Begegnung mit menschlichen Wesen innerhalb so kurzer Zeitspanne empfinde ich nach der langen Einsamkeit schon fast wie eine Masseninvasion. Klasse ist dann der Abstieg durch die mit Drahtseilen versicherte Komarca – Wand. Die schwindelerregende Felswand befindet sich bereits in der Mischwaldzone und eignet sich nur für schwindelfreie Personen. Langsam aber sicher bin ich dann aber froh, nach dieser langen Tour endlich mein Tagesziel zu erreichen, doch zu meiner großen Enttäuschung finde ich die Savici – Hütte (653 m) verschlossen. Also, auf geht´s hinunter nach Ukanc, jenen kleinen Ferienort am Westende des Wocheinersees, das ich heute morgen bereits vom Gipfel des Prsivec aus der Vogelperspektive bewundert habe, in der Hoffnung, dort in einer preisgünstigen Pension unterzukommen. Was ich am meisten bedauere, ist die Tatsache, daß ich morgen die ganzen jetzt kaputtgemachten Höhenmeter wieder emporklimmen muß, um abermals auf das Fuzina – Karstplateau zu gelangen.
In Ukanc finde ich eine nette Pension, mit umgerechnet etwa 50 Mark die Nacht im Doppelzimmer mit Frühstück liegt sie preislich zwar über den Berghütten, in Deutschland hätte mich jedoch dieselbe Kategorie und Qualität mindestens das Doppelte gekostet. Lobenswert ist auch das ausgezeichnete Restaurant, wo mir das Essen zu den Klängen der Original Oberkrainer mit slowenischen Texten serviert wird. Diese „Volkshelden“ um den verstorbenen Akkordeonisten Slavko Avesik scheinen mir in Slowenien noch recht hochgehalten zu werden, immer wieder erklingen ihre Lieder, sei es im Bus, im Restaurant oder im slowenischen Radio. Die Julischen Alpen erstrecken sich über zwei slowenische Provinzen: bevor sie sich auf der italienischen Seite fortsetzen (Friaul, ital. Frioli), ziehen sie sich durch die westlichste Provinz Sloweniens, die Primorska. Der zentrale Teil mit dem Triglav – Nationalpark befindet sich jedoch in der Gorenjiska, deren deutsche Bezeichnung zu K.u.K. – Zeiten Oberkrain lautete. Ergo befinde ich mich in der Heimat der legendären Oberkrainer.
Wohl ausgeruht und mit einem üppigen Frühstück im Magen starte ich am folgenden Morgen in meine letzte Wanderetappe, wobei zunächst einmal gute 1000 Höhenmeter am Stück zu überwinden sind, die mir jedoch aufgrund der am Weg liegenden Attraktionen recht kurzweilig erscheinen. Zunächst einmal hole ich den Besuch des Savica – Wasserfalls nach, zu dem gestern die Zeit nicht mehr gereicht hatte. Von der Savica – Hütte aus ist es nur ein kleiner Abstecher zur gebührenpflichtigen Sehenswürdigkeit. In Form einer Karstquelle schießt das Wasser abrupt aus den Felsen hervor und stürzt über eine Fallhöhe von 51 Metern hinunter ins grün schimmernde Bassin. Reichlich zerstäubtes Wasser liegt in der Luft, weshalb sich bei Annäherung eventuell das Tragen von Regenzeug empfiehlt. Durch Färbung konnte nachgewiesen werden, daß das Wasser seinen Ursprung in Sieben – Seen – Tal hat, das unterwegs im Karstboden versickert, um hier an dieser Stelle wieder zutage zu treten. Daß ich nun abermals durch die prächtige Komarca – Wand steigen muß, ärgert mich nicht im Geringsten, denn es ist wohl die letzte Möglichkeit, vor Beendigung meiner Tour durch die Julier nochmals einen der hier so zahlreichen und spannenden Klettersteige zu begehen. Auch am Crno – See und an der Visevnik - Alm komme ich abermals vorbei, ehe ich bei der nach dem gleichnamigen See benannten Wanderhütte Koca na Planini jezeru (1453m) eine weitere nostalgische Hochalm besichtige. Die Komarca – Wand war übrigens schuld daran, weshalb ich diese herrlich gelegene Hütte mit seinem verträumten Bergsee und den nahegelegenen, bestens erhaltenen Sennerhütten nicht zur Übernachtung ausgewählt habe, denn unbedingt wollte ich noch den abenteuerlichen Steig durch diese enorme Felswand mitnehmen, auch wenn ich ihn dann zweimal begehen muß.
Weiter geht es nun auf und ab durch typische Karstlandschaft. Tannenwald und offene Wiesen wecheln sich dabei ab, das leuchtend weiße Kalkgestein ist ohnehin immer präsent, entweder in Form kleinerer Felsblöcke oder aber mächtiger Felswände. Das sehr unebene Gelände zeigt deutliche Spuren von Dolinenschächten, die große, durch Vegetation überwucherte Krater bilden. Hier ist es sicher angebracht, den Wanderweg nicht zu verlassen, um nicht unversehens vom Erdboden verschluckt zu werden. Die Planina Dedno Polje präsentiert gleichfalls eine kleine Sammlung enzückender, uralter Sennerhütten. Immer wieder faszinieren auch die Details der kleinen Häuschen, beispielsweise ein Holzgeländer, das durch einen wie dafür gewachsenen Holzstock gebildet wird, rostige Hufeisen an den Außenwänden oder ein über der Eingangstür aufgehängtes Hischgeweih. Mit Gewinnung an Höhe erscheinen auch wieder zahlreiche Altscneefelder, bis ich dann eine der am höchsten gelegenen Almen des gesamten Gebietes erreiche. Die Planina v Lazu (1560m) liegt herrlich in einem Felskessel, die bestens erhaltenen Sennhütten sind auch hier eine wahre Augenweide. Wie viele andere Almböden, wird auch die Lazu – Alm im Sommer noch mit Vieh beschickt, und es wird auch gekäst, jetzt aber liegt sie noch, umgeben von Schneeresten, in tiefer Einsamkeit, während Sonne und Wolken ein faszinierendes Licht – Schattenspiel über die prächtige Szenerie werfen. Um zu meinem nächsten Ziel, die Blato – Alm, zu gelangen, muß ich mich nahezu 500 Höhenmeter abwärts begeben. Recht spät ist es zwischenzeitlich geworden, bis ich an der letzten der heute von mir besuchten Almen ankomme, Hier ist ein Schäfer mit seinen Tieren zugegen, bei dem ich mich nach dem Weg zur Vojah – Hütte erkundige. Diese Wanderhütte, die mir beim Eintreffen in der Fuzina – Region vor zwei Tagen bereits durch die Lappen ging, ist von hier aus laut Karte über einen unmarkierten Pfad zu erreichen. Der junge Schäfer spricht leidlich Englisch, jedoch genug, um die Situation zu klären. Der Weg sei nicht einfach zu finden, erklärt er, vor wenigen Tagen erst wäre er den Weg selbst gegangen, um ein verirrtes Schaf zu suchen und habe sich dabei verirrt. Ich will es trotzdem riskieren, zu aller Not müßte ich eben im Wald biwakieren, einen kleinen Lebensmittelvorrat habe ich ja noch bei mir. Nachdem anfänglich alles so verläuft, wie es der Schäfer mir beschrieben hatte, bald links, dann am nächsten Baumstumpf wieder rechts abbiegen usw., stehe ich schließlich an einem Punkt, wo ich nicht mehr weiter weiß. Der Pfad endet an einem verwitterten Holzschild mit der gerade noch lesbaren Aufschrift „Grintovica“. Die Grintovica – Alm befindet sich nördlich von hier und eigentlich müßte mein Pfad hier irgendwo auf den markierten Wanderweg treffen, der zur Vojah – Hütte hinunterläuft. Erst nach längerem Hin und Her stoße ich schließlich auf die Wandermarkierung, und ich bin erleichtert, denn es dämmert bereits. Der Weg war dann wirklich nicht so einfach zu finden, und ich bin nicht ohne Stolz, ihn trotzdem gemeistert zu haben, obwohl der einheimische Schäfer vor wenigen Tagen selbst Schwierigkeiten dabei hatte.
Endlich führt der Weg hinaus aus dem bereits recht düsteren Wald auf einen Fahrweg und ich gelange auf diesem zur Hütte. Sie macht von außen einen sehr gepflegten Eindruck, beinahe schon ein Berghotel, nur leider ist sie verschlossen. Offensichtlich haben die Wirtsleute nicht mehr mit dem Eintreffen von Gästen gerechnet, weshalb sie wohl ins Dorf zurückgekehrt sind. Man sieht jedoch, daß sie heute noch hier waren. Ich gehe einmal rings ums Haus herum und beschließe kurzerhand, mein Nachtlager unterm Balkon aufzuschlagen, wo ich im Falle nächtlicher Niederschläge geschützt wäre. Statt eines warmen Menüs muß ich mich eben mit Salami, Brot und etwas Schokolade begnügen und schlafe schließlich mit der Vorfreude auf ein opulentes Frühstück morgen in Stara Fuzina ein, während mir ein sanfter Wind um die Nase streicht.
Eine überraschende Sehenswürdigkeit erwartet mich tags darauf beim Abstieg nach Stara Fuzina. Ich folge dem Mostnica – Gebirgsbach stromabwärts, der bald eine eindrucksvolle Klamm bildet. Der Blick hinunter in den schwindelerregenden Abgrund, wo Drahtseilsicherungen ein Herunterstürzen verhindern sollen, imponiert. Unterhalb der Klamm bildet der Bach ein paar kleine, aber anmutige Wasserfälle, an denen ich erst einmal eine Rast einlege, und die Gelegenheit nutze, mich notdürftig zu waschen, ehe ich wieder unter zivilisierte Menschen zurückkehre. Nahe am Ortseingang stoße ich auf eine Pension, in der ich mich an einem reichhaltigen Frühstücksbuffet stärke. Eine Gruppe Deutscher älteren Jahrgangs ist dort ebenfalls zu Gast.
Mein Weiterweg führt mich von Stara Fuzina nach Ribcev Laz, da von dort aus erst wieder Busse verkehren. Im Gegensatz zu meiner Ankunft vor wenigen Tagen herrscht heute eitel Sonnenschein. Eine Schulklasse mit ihren Lehrern kommt mir entgegen, aus etwa 30 Kinderkehlen schmettert ein slowenisches Volkslied durch die frühsommerliche Luft. Immer wieder drehe ich mich um, in Richtung der Berge, schweift der Blick über saftiges Weideland. Zwei ältere Bauersfrauen ziehen, mit Sensen bewaffnet, auf´s Feld. Bald erreiche ich Ribcev Laz und den Wocheiner See. Bis zur Abfahrt des Busses bleibt mir noch genügend Zeit, also treibe ich mich noch ein wenig am Seeufer herum, setze mich auf ein sonnenbeschienenes Bänklein und genieße das prachtvolle Panorama. Sicher gibt es auch hier touristische Einrichtungen, trotzdem läßt sich hier alles viel ruhiger und gemächlicher an, als weiter vorne am Bleder See. Mit der Busverbindung klappt es hervorragend, es geht direkt nach Ljubiljana (Laibach), der Hauptstadt Sloweniens, wo ich meine letzte Nacht vor der Rückreise nach Deutschland zuzubringen gedenke. Gleichfalls wie die kroatische Kapitale Zagreb hat Ljubiljana für Budgedurlauber nur eine bescheidene Auswahl an Unterkünften zu bieten. Mein Reiseführer verweist auf die Möglichkeit, in einem der Studentenheime die Nacht zu verbringen, die besonders während der Semesterferien auch Touristen zu günstigen Preisen aufnehmen. Nun, das erste und am zentralsten gelegene erteilt mir gleich eine Abfuhr, sie sind voll bis auf´s letzte Bett. Ein weiteres Studentenwohnheim befindet sich im Stadtteil Besigrad, der jedoch einige Kilometer von Zentrum und Busbahnhof entfernt liegt, weshalb ich erst einmal meinen Rucksack am Gepäckschalter des Bahnhofs zurücklasse, um mich alsdann auf den Fußmarsch zu begeben. Der Chef des Studentenwohnheims ist ein bärtiger Mann mittleren Alters mit einer etwas schulmeisterlichen Art. Nachdem ich ihm auf seinen gestellten Fragen stets mit einem flüssigen Englisch pariert habe, scheint er von meiner Intellektualität überzeugt und ich bin nun offensichtlich würdig, daß ich einkehre unter sein Dach. Also, wieder zurück zum Bahnhof, Gepäck aufgeschultert, und nochmal die selbe Strecke, weil´s so schön war. Nachdem ich mich im Mehrbettzimmer, das ich allerdings allein belege, einquartiert und etwas ausgeruht habe, lasse ich es mir jedoch nicht nehmen, abermals Richtung Zentrum zu eilen, um von dort aus eine Stadtbesichtigung zu unternehmen, die sich durchaus lohnt. Auch eine Burg gibt es, von der aus man die gesamte Stadt überblicken kann, während die Klänge eines Rockkonzertes, das unten in der Altstadt gerade abgehalten wird, zu mir herauf dringen. Sehr gut gelungen finde ich die Symbiose der mittelalterlichen Burggemäuer mit moderner Kunst. In der Altstadt brillieren unzählige alte K.u.K. - Jugendstilhäuser, enge Gassen führen zum Teil steil bergauf. Weniger schön ist die Neustadt, die den alten Kern umringt. Der sozialistische Plattenbaustil hat etwas Ödes, Tristes. Der Stadtteil Besigrad, in dem ich nächtige, ist ein typisches Beispiel. Dort befinden sich übrigens die meisten Schulen und Fakultäten, viele Studenten weilen dort entweder in Wohnheimen oder Privatzimmern.
Am nächsten Morgen reise ich mit dem frühestmöglichen Zug nach Zagreb. Der Bus nach Deutschland fährt zwar erst um 16.00 Uhr von dort los, ich will aber auf Nummer sicher gehen, und ziehe es vor, lieber noch ein paar Stunden mit Sightseeing in der kroatischen Hauptstadt zuzubringen, schließlich gibt es auch im dortigen Busbahnhof eine Gepäckaufbewahrung. Zweimal bin ich ja nun bereits mit dem Bus auf der Strecke Ljubiljana - Zagreb verkehrt, und ich muß sagen: die Zugfahrt ist ungleich schöner und unbedingt der eher langweiligen Straßenstrecke vorzuziehen. Außer der anfänglichen Aussicht auf Julische und Steiner Alpen, die man schließlich auch vom Busfenster aus hat, führt die Zugstrecke direkt durch´s wunderschöne Tal der Save, vorbei an schmucken Ortschaften, wo hügeliges Bergland in bewaldeten oder mit Weinreben besetzten Abhängen oder auch durch schroffe Felswände direkt vom Flußufer aus aufsteigt.
Ich hatte bei meiner Anreise ja bereits etwas Zeit zu einer Schnuppertour in Zagreb. Diesmal aber dringe ich ins "echte" Zentrum vor, wo quasi der Puls der Stadt schlägt. Jugendstilhäuser, mit jungen Leuten vollbesetzte Straßencafes und großzügige Einkaufsmöglichkeiten verleihen der Stadt einen mondänen Touch. In der Nähe des Busbahnhofs ragen Ruinen alter Fabriken und Wohnhäuser in die Höhe, das sieht verdächtig nach Bombenschäden aus. Auch Zagreb wurde während des Krieges durch Bombardierungen in Mitleidenschaft gezogen, doch die Spuren scheinen gottlob so gut wie beseitigt. Die Stadt wird von einem langgezogenen Mittelgebirgshügel überragt. Sicher würde sich eine Wanderung dort hinauf rentieren, würde man sich längere Zeit hier aufhalten. Mein Bus trifft pünktlich um 16.00 Uhr in Zagreb ein, abermals passiere ich die kroatisch - slowenische Grenze zweimal an einem Tag. Nochmals genieße ich die Reise bei Tageslicht, bis dann irgendwann auf der Fahrt durch Österreich die Nacht hereinbricht. Ohne Zwischenfälle erreichen wir im Morgengrauen Meersburg am Bodensee und ich erreiche mein Zuhause rechtzeitig zum Frühstück.
Sonntag, 17. Dezember 2006
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