Zwölf Jahre sind vergangen, seit meiner Trekkingtour durch die Toubkal-Region im Hohen Atlas. Marokko ist per Flugzeug leicht und schnell erreichbar, eine Reise dorthin ist normalerweise recht kostengünstig, Möglichkeiten für Trekker und Bergsteiger sind mannigfaltig, lassen sogar Unternehmungen zu Jahreszeiten zu, wo es in vielen anderen Gebirgen schwierig bis unmöglich ist, Touren in große Höhen zu unternehmen.Das Land mit seinen zugegebenermaßen nicht immer ganz einfachen Bewohnern bietet dem Reisenden ein schillerndes Kaleidoskop aus exotischer Kultur, atemberaubenden Landschaftsbildern, Sehenswürdigkeiten von Weltrang, aber auch viel wenig Bekanntes, jedoch nicht minder schön, und natürlich sowohl angenehme, als auch mühsame, manchmal auch skurrile menschlichen Begegnungen. Insgesamt sind das Prädikate, die mit Reiseerlebnissen etwa aus dem Himalaya vergleichbar sind - für Individualisten gar mit einer hohen Abenteuergarantie, und das alles gerade mal drei Flugstunden von Deutschland entfernt. Fast schon frage ich mich, weshalb ganze 12 Jahre für eine Wiederkehr verstreichen mussten ;-)?
Sämtliche Gebirge Marokkos vorzustellen würde einen Aufsatz für sich ergeben, von daher möchte ich an dieser Stelle ausschließlich auf den Hohen Atlas eingehen. Die höchste Gebirgskette Marokkos und zugleich Nordafrikas zieht sich südlich von Marrakesch wie eine riesige Barriere in grober West-Ost-Ausrichtung quer durch den oberen Südteil des Landes. Es liegt auf der Hand, dass ein solch gewaltiges Gebirge klimatische Einflüsse nimmt. Der markanteste und nennenswerteste ist die Funktion als Klimascheide zwischen den eher noch mediterran geprägten Zonen nördlich des Gebirges, und den wüstentrockenen Regionen südlich davon, welche nahtlos, und für Laien optisch schon fast nicht mehr unterscheidbar, in die größte Wüste der Welt, die Sahara, übergeht.
Zwischen den Monaten Oktober und April erhält der Hohe Atlas das Gros seiner Niederschläge, abhängig von Höhe und genauer Jahreszeit dann in Form von Schnee. Viele Trekkingunternehmen bieten seit langer Zeit Skitouren im Hohen Atlas an, als beste Zeit hierfür gilt der Zeitraum Mitte Februar bis Mitte/Ende März. Je nachdem, können Skitouren aber durchaus auch mal bis Anfang Mai möglich sein. Spätestens ab August kann davon ausgegangen werden, dass selbst die höchsten Gipfel weitestgehend schneefrei sind. Gletscher existieren im Hohen Atlas überhaupt keine. Dies ist somit schon ein Hinweis darauf, dass in diesem Gebirge die Bedingungen für Bergsteiger allgemein günstiger und einfacher sind, als etwa in den Alpen.
Für die Planung und Durchführung dieser Reise dienten mir folgende Materialien:
1. Karten:
Mgoun Massif Central High Atlas Mountains Morocco, scale 1:100.000
Kultur-Trekking im Zentralen Hohen Atlas (Mohammed Ait Hamza u. Peter Popp)
Djebel Toubkal 1:60.000 u. 1:100.000
Carte Touristique Maroc (Straßenkarte)
2. Bücher:
Thomas v. Clarmann: Der Hohe Atlas - Wandern, Klettern und Skibergsteigen in Marokko
Hermann Kiendler: Afrika - die höchsten Berge des Schwarzen Kontinents (Panico-Verlag)
Lonely Planet Marokko (Reiseführer für Backpacker, daraus auch die Idee für meine 4-tägige Trekkingtour)
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29.03.2012
Ich sitze im Zug Casablanca - Marrakesch. Ging ohne Probleme ab dem Flughafen, mit Umsteigen auf dem Hauptbahnhof "Casa Voyageur". Die Landschaft unterhalb von Casablanca erinnert mich noch ein wenig an Mitteleuropa. Ausgedehnte, grüne Felder erstrecken sich über flache Weiten. Erst, als wir weiter nach Süden kommen, ändert die Landschaft ihr Gesicht, wird steiniger, trockener, afrikanischer - zumindest im Sinne klischeehafter Vorstellungen. Ich unterhalte mich mit einer jungen Dame, sehr gebildet und ein gutes Englisch sprechend. Ich muß dabei an die daheim weit verbreiteten Vorurteile gegenüber Kopftuchträgerinnen denken ... eben die, welche solche Frauen noch nie persönlich kennengelernt haben, deren Töchter leider keine türkische Freundin haben, oder eine kopftuchtragende Klassensprecherin ... ich schweife ab, aber in der heutigen Zeit, wo sich in unserer Gesellschaft ein weit verbreitetes Muslim-Bashing breit macht, wo alles, was mit dem Islam irgendwie zu tun hat, nur noch über einen Kamm geschert wird, muss man sich äußern.
Mitten auf der Strecke legt der Zug plötzlich eine Vollbremsung hin. Irgendwann kursiert das Gerücht, ein Selbstmörder hätte sich vor den Zug geworfen. Einige steigen aus, ich bleibe, wie die meisten anderen auch, sitzen. So treffen wir eben mit einer Stunde Verspätung in Marrakesch ein. Kurz vor dem Eintreffen dort setzt sich ein Herr mittleren Alters zu uns ins Abteil, auch er spricht ganz passabel englisch, bietet mir seine Hilfe an. Nun kenne ich die Spielchen ja bereits, insbesondere die nordafrikanischen Länder sind bezüglich sich aufdrängender "Helfer", die nichts anderes, als Geschäftsinteresse im Sinn haben, besonders anstrengend. Die meisten erkenne ich sofort, manche aber sind so gute Schauspieler, dass man es erst zu einem späteren Zeitpunkt merkt, wie dieser hier. So wirds für mich eine teuere Fahrt zum Hotel Ali, ein Taxi wäre mich merklich billiger gekommen. Immerhin gelingt es mir, alle sonstigen Angebote, die dieser Herr an mich herantragen will, abzuschlagen. Leider führen solche Erlebnisse dazu, dass man als Tourist blockiert, niemanden mehr an sich heranlässt, der einen anspricht, und manchmal tut man auch den wirklich Gutmeinenden Unrecht damit.
Das Hotel Ali befindet sich ganz nahe an der Djamaa al Fna, dem wohl bekanntesten Platz Marokkos, wo sich tagaus, tagein, Gaukler, Händler, Schlangenbeschwörer oder pittoresk gekleidete Wasserverkäufer ein Stelldichein geben. Ich öffne die Balkontüre meines Zimmers, trete hinaus. Der bizarre Klang der Instrumente von Schlangenbeschwörern dringt zu mir hinauf, es ist bereits dunkel, ein leichter Nieselregen geht hernieder. Seit der Landung hier in Marokko befinde ich mich unter einer permanenten Wolkendecke, die tagsüber für ein erträgliches Klima sorgte. Nun muss ich mir aber für den abendlichen Ausgang eine Jacke überziehen. Gediegen geht´s im Riad Omar zu, das Menü hier kostet 180 Dirham, also etwa 18 Euro, nicht nur für marokkanische Verhältnisse ein gehobener Preis. War eben wieder mal eine "Empfehlung", diesmal von der Dame an der Hotelrezeption. Allerdings muss ich sagen, ich genieße es, das Essen dort ist wirklich vom Allerfeinsten,vornehm serviert in einem ansprechenden 1001-Nacht-Ambiente, bequeme Sitzpolster, schabrackenverzierte Vorhänge, doch, fürwahr, ein angemessener Reiseauftakt.
30.03.2012
Ich eile durch Marrakesch, durch die Souks der Altstadt, dann zu einem Supermarkt in der Neustadt - nirgends komme ich an Camping-Gaskartuschen ran, zumindest nicht an diejenigen, die ich benötigen würde. Basta, es muss auch ohne gehen, zumal kochen und zelten nur für den Notfall eingeplant ist, bzw. falls die Tarkkedit-Hütte am Fuße des Mgoun geschlossen sein sollte.
Ich möchte Marrakesch spätestens um die Mittagszeit verlassen, was ich dann auch tue. Azilal soll mein heutiges Ziel sein, ein Städtchen, das an und für sich wenig zu bieten hat, außer der Tatsache, dass es unverfälscht landestypisch geblieben ist und für Touristen meist nur als Umsteigestation zu den Wasserfällen von Ouzoud oder eben auf dem Weg ins Ait Bou Guemez, dem Tal der glücklichen Leute, dient.
Vom Hohen Atlas, der eigentlich so nah ist, und den man an guten Tagen selbst von Marrakesch aus bewundern kann, sehe ich auf der gesamten Fahrt gar nichts, denn wiederum hängt diese Wolkendecke über dem Land, die zwar keine Tendenzen zeigt, sich zu entleeren, dafür aber auch die Sonne konsequent abschirmt. Klimatisch betrachtet soll mir das eigentlich recht sein, denn ich vertrage keine Hitze. Aber bezüglich meiner weiteren Pläne sehe ich hier durchaus ein Problem. Zwei Dinge liegen mir für diese Reise besonders am Herzen: eine viertägige Trekkingtour quer durch den Zentralen Hohen Atlas und die Besteigung des Mgoun. Den Mgoun betrachte ich als einen außergewöhnlichen Berg, der meine persönliche Gipfelsammlung in besonderem Maße zieren würde. Eigentlich stellt der Mgoun ein Kleinmassiv dar, welches sich über 35 km hinweg von Südwest nach Nordost erstreckt und drei benannte Gipfel aufweist: Ouamassi(3883 m) im Südwesten, Mgoun-West (3978 m), sowie der Hauptgipfel Oumsoud (4068 m). Der sich zwischen Mgoun-West und dem Oumsoud befindliche Punkt 4008 trägt keinen eigenen Namen. Neben zahlreichen 3000er-Gipfeln wartet der Hohe Atlas mit insgesamt neun 4000ern auf, 8 davon befinden sich im Gebiet um dem Djebel Toubkal, im Westen des Gebirges. Der Mgoun ist der Einzige, welcher außerhalb des Toubkal-Gebietes steht. Er hat seine Position mitten im Zentralen Hohen Atlas. Sein Standort ist nicht das einzige, was ihn für mich so begehrlich macht. Seine wuchtige Erscheinung als langgestrecktes Massiv mit verschiedenen Überschreitungsmöglichkeiten, schlussendlich aber auch die Tatsache, dass dieser Berg nicht so einfach "abgeräumt" werden kann, wie das bei den Spitzen des Toukal-Gebiets der Fall ist. Mindestens drei Tage sind für eine Besteigung mit Rückkehr anzuberaumen, eine Nord-Süd-Überschreitung würde gar 4 Tage in Anspruch nehmen. Ja, und die Anfahrt: das Toubkal-Gebiet ist von Marrakesch aus in etwa 2 1/2 h erreichbar, der Ausgangspunkt für den Mgoun lässt sich frühestens nach einem langen Fahrtag erreichen, oder eben mit einer Zwischenübernachtung unterwegs, wie ich das jetzt mache. Hat man vor, den Berg von Süden her anzugehen, dann werden 2 Tage Anfahrt obligatorisch. À propos Ausgangspunkt: das Ait Bou Guemez, Tal der glücklichen Leute, sowie die Umgebung, sind für sich schon eine Reise wert. Atemberaubend und einzigartig, sowohl von den landschaftlichen Aspekten, als auch von der dort noch stark traditionell gelebten Berberkultur her.
Nun aber sitze ich erst einmal hier, in Azilal, diesem schlichten, marokkanischen Städtchen, wenig sensationell, aber angenehm unaufdringlich. Das Essen im Restaurant Ibnou Ziad entspricht ganz den Bemerkungen im Lonely Planet, einschließlich der dort erwähnten Fußballübertragungen. Die Nacht im einfachen Hotel Souss wird etwas unruhig, bedingt durch ein mehrstimmig belegtes Katzenkonzert draußen im Treppenhaus.
31.03.2012
Bevor ich ins Ait Bou Guemez weiterreise, möchte ich mir die Wasserfälle von Ouzoud anschauen. Wenn man ein Grand Taxi nicht komplett mieten will, braucht man etwas Geduld, und die fordert heute morgen gut anderthalb Stunden Wartezeit. Es sind eben noch keine weiteren Touristen hier unterwegs, mit denen ich mich etwa hätte zusammentun können.
Ich habe gestern noch einen jungen Mann im Bus getroffen, der mir dringend empfohlen hatte, bei der Abzweigung zu den Wasserfällen mit auszusteigen, um dort zu übernachten. In meinem Misstrauen habe ich abgeschlagen und bin bei meinem Ursprungsplan geblieben. Zu unrecht, wie ich nun, beim Anblick dieses prächtigen Naturschauspiels, eingestehen muss. Tagsüber treiben sich hier jede Menge Touristen herum, im Moment sind es fast ausschließlich Einheimische, reiche Urlauber aus Fes, Rabat, oder anderen großen Städten des marokkanischen Nordens. Unterm Hauptfall stehen gar örtliche Führer bereit, die mit Booten im Xoximilco-Stil die Touristen in das eigentlich dafür viel zu enge Bassin unterhalb des mächtigen Hauptfalls rudern. Abends wird´s hier ruhig, und der Anblick der insgesamt 110 Meter hohen Kaskaden, vom hübschen Garten des Camping Imouzzer aus betrachtet, ein wahrer Augenschmaus. Eben hier, im Camping Imouzzer arbeitet der junge Mann von gestern, wir begrüssen uns wie alte Freunde. Hmm, Gaskartuschen habe ich in Azilal wiederum keine bekommen, aber wie gerne hätte ich hier, an diesem fantastischen Ort, den Sonnenuntergang erlebt und wäre schließlich, mit einem leckeren Menü im Bauch (denn das Essen in Marokko scheint mir fast überall gut :-)), zu Bette gelegen, eingeschlummert mit diesem gleichmäßigen Rauschen im Ohr - für mich jedenfalls eine verlockende Alternative zum Katzenjammer ...
Ich kehre zurück nach Azilal, mit im Grand Taxi sitzen eine australische Entwicklungshelferin, die seit vielen Jahren hier in der Region lebt, und eine junge Marokkanerin, mit bestem american-english, die jedoch nach eigener Aussage noch nie außer Landes war. Trug übrigens auch Kopftuch ...
Es folgt eine reichlich unbequeme, aber landschaftlich sehr ansprechende Fahrt von Azilal nach Agouti. Agouti ist ein bezaubernder Ort, in den sich Romantiker (-innen) sicher auf den ersten Blick verlieben werden.Wir sind hier schon im Ait Bou Guemez, also dem Tal der glücklichen Leute.Ich frage Lahoucine, den Wirt und Bergführer des Gite d´Etappe "Le Flilou", ob die Leute hier wirklich glücklich sind. Er bejaht unumwunden, und er muss es wissen, schließlich ist er hier im Tal geboren und aufgewachsen. Inzwischen mit der Schweizerin Beatrice verheiratet, haben die beiden hier in Agouti ein Gästehaus aufgezogen, welches Freunde von rustikaler Dorfromanik die Augen leuchten lässt. Man darf sich in ihrem heimeligen Gästehaus wahrlich fühlen, wie ein Berberfürst :-)! Mit Beatrice verstehe ich mich auf Anhieb, als wären wir bereits seit Jahren vertraute Freunde. Eine Gruppe von Spaniern soll im Laufe des Abends noch eintreffen, auch sie gedenken, wie ich, den Mgoun zu besteigen. Kurz vor Sonnenuntergang steige ich noch auf einen mit einer zerfallenen Lehmburg besetzten Hügel in Dorfnähe und erfreue mich an der genialen Aussicht bis weit talaufwärts. Die hohen Berge sind von der Wolkendecke abgeschnitten. Den Mgoun könnte man vom Dorf aus vermutlich ohnehin nicht sehen, da er durch einen vorgelagerten Bergzug vom Tal getrennt ist.
Manuel, Angelís, Fabio und Hector - alle haben lange Haare, bis über die Schultern hinweg, und alles eine Familie! Die Ehe eines Philosophen und einer Kindererzieherin hat zwei nun schon erwachsene Söhne hervorgebracht, der eine Biologe, der andere Forstwirtschaftsstudent. Wir sind uns rasch einig - eine bessere Truppe könnte ich mir als Begleitung zum Mgoun nicht wünschen!
01.04.2012
Das Wetter ist schlechter geworden. Die Wolkendecke hat sich herabgesenkt, und es regnet leicht. Die Spanier sind unentschlossen und möchten im Dorf nach einer Gelegenheit ausschauen, das kommende Wetter per Internet zu checken. Wir besuchen einen interessanten Artesania-Laden, der Eigentümer dort verfügt prompt auch über Internetzugang. Morgen soll sich bis zum Mittag ein Halbwegs-Schönwetterfenster öffnen, danach, und auch die kommenden Tage dann wieder schlechter. Manuel, der Papa, insistiert zum Aufbruch, schließlich willigen alle ein, ich bin erleichtert, denn ich wäre gewillt gewesen, auch alleine aufzusteigen. So, mit dieser überaus sympathischen Truppe, ist mir das allerdings viel lieber.
Schon zu Beginn der Tour geraten wir allesamt ins Schwärmen. Manuel, ein alter Atlaskenner, bringt es auf den Punkt: "Esto es Atlas-Trekking de lo mejor!" Durch die fantastische Arous-Schlucht hindurch gelangen wir auf die Viehweiden und zu den Almhütten von Azib Ikkis (Azib= Almhütte), welche auf 2234 m gelegen sind und im Übrigen auch einfache Übernachtungsmöglichkeiten für Bergtouristen anbieten. Es wird nebliger, der Regen geht in Schnee über. Wir erreichen den ersten Sattel auf 2909 m. Es gilt, von hier aus zum Tarkkedit-Pass auf 3400 m Höhe zu gelangen, um auf der anderen Seite zum gleichnamigen Plateau abzusteigen, wo sich dann auch die Tarkkedit-Hütte befinden soll. Bis zu besagtem ersten Sattel hatten wir, trotz mit der Höhe zunehmender Neuschneeauflage, einen klaren Pfad, doch jetzt wird´s schwierig, denn ab hier verdeckt eine ausgedehnte Altschneedecke den eigentlichen Pfad. Der Hüttenwirt der Tarkkedit-Hütte soll angeblich wegen unseres voraussichtlichen Eintreffens aufgestiegen sein.Was uns wundert, ist nur, dass wir überhaupt nirgends Fußspuren finden. Wir kämpfen uns hinauf bis etwa Punkt 3200 und stecken bereits knietief im Schnee. Angelís ist am Ende, weniger körperlich, als mehr psychisch. Ihr macht offensichtlich eher diese Wettersituation zu schaffen. Manuel löst sein Versprechen ein, umzukehren, wenn keine Sicht und geschlossene Schneedecke vorgefunden werden sollten. Dies war die Vorbedingung der Familie für diesen Aufstieg. Nun könnte ich ja alleine weitergehen, doch auch ich bin nicht mehr der von früher, bin auch vorsichtiger geworden. Es ist 16 Uhr, um 19 Uhr wird´s dunkel, von unserem Standpunkt aus sollen´s noch etwa 2 1/2 h bis zur Hütte sei, unter Normalbedingungen. Würde ich die Hütte nicht finden, dann würde mir ein ernstes Problem blühen, bei dem ich zwar gute Überlebenschancen hätte .... so wird unser Standpunkt schließlich zu unserem gemeinsamen Umkehrpunkt. Nach 10 1/2 Stunden, mit kaum mal Pause, und ich muss anfügen, die Spanier sind permanent ein strenges Tempo gegangen, kommen wir wieder im Flilou an, die letzten anderthalb Stunden legen wir gar im Schein de Stirnlampen zurück. Wie ihr euch sicher vorstellen könnt, hat uns das köstliche Essen an diesem Abend besonders gemundet ;-)!
02.04.2012
Um ehrlich zu sein, habe ich ja gestern an unserem Umkehrpunkt schon wieder weit vorausgedacht: wenn´s mit dem Mgoun jetzt eben nichts wird, ich dann gleich morgen die erste Etappe meiner geplanten Trekkingtour angehen würde, dann hätte ich ja nach hinten heraus noch Zeit für einen Abstecher in die Toubkal-Region. Vielleicht würde sich bis dahin das Wetter bessern, und ich könnte mir dort noch einen der hohen Berge einverleiben, zumal die Vorbedingungen dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einfacher und günstiger sein werden, als am einsamen und abgelegenen Mgoun.
Meine spanischen Freunde werden heute etappenweise ihre Heimreise eintreten. Sie sind mit dem Auto von ihrer Heimat Andalusien bis hierher gefahren. Auf ihrer Rückfahrt wollen sie wennmöglich noch einen Gipfel im Rif-Gebirge besteigen.
Für mich beginnt heute die erste Etappe meiner Trekkingtour. Um 10 Uhr breche ich auf. Das Wetter bringt zwar sonnige Abschnitte, das Hochgebirge hängt aber immer noch hinter Wolken. War wohl besser, dass wir umgekehrt sind ...
Leider sind die ersten 4 Trekkingstunden auf Asphalt zurückzulegen, wenngleich auch auf einem so gut wie unbefahrenen Sträßchen. Alternativ soll es noch einen Pfad über´s Plateau hinüber zum Dörfchen Aggersif geben, doch ohne Führer sei die Wegfindung laut Lahoucine eher problematisch. So wird´s ein schöner und gemütlicher Auftakt, mit tollen Ausblicken über prächtig blühende Flußtäler hinweg, welche von schroffen Felswänden und gerölligen Steilhängen eingerahmt sind, aus deren nahezu trostlosen Hängen struppige Büsche und windschiefe Bäumchen herausragen. Ich folge dem Lakhdar-Tal stromaufwärts, vorbei am Dorf Taghoulit, bis ich zu einer Brücke komme. Zufällig treffe ich dort zwei Herren aus Rabat wieder, die gleichsam, wie ich, Fahrgäste im Grand-Taxi Azilal-Agouti waren. Wir halten ein kleines Pläuschchen, dann setze ich meinen Weg fort, nun nicht etwa weiter der Teerstraße folgend, sondern links aufwärts gehend, auf einem malerischen Maultierpfad, der mich in ein rotes Dorf inmitten roter Erde mit frechen Kindern hinaufführt. Dann stelle ich fest, das hier war eine Fehlinterpretation. Also zurück auf das Sträßchen und diesem weiter gefolgt, bis ich tatsächlich die Ortschaft Sebt Ait Bou Willi erreiche. In einem Miniladen kaufe ich mir noch etwas Schokolade. Jetzt fängt für mich das eigentliche Trekking an, denn ab nun, bis hin zum Endpunkt Ait Alla, den ich am Ende des 4. Tages erreichen soll, werde ich nur noch auf Maultierpfaden, allenfalls mal ein paar Passagen auf ungeteerten Holperfahrwegen, zubringen. Hier in Ait Bou Willi treffen mehrere Täler aufeinander. Dem Lakhdar bislang gen Südwest gefolgt, marschiere ich nun über eine kleine Brücke hinweg, direkt nach Süden. Die Landschaft ist bezaubernd! Reich bepflanztes Kulturland tief drinnen im kargen Hochgebirge, dazu malerisch auf den Hängen klebende Dörfer, wie Tazouggart, am gegenüberliegenden Ufer oder Ait Ighoud, wo sich eine weitere Talverzweigung ergibt. Nun ist es nicht mehr weit bis zu meinem Etappenziel Rougoult (1893 m). Gleich am Dorfeingang werde ich von einem jungen Mann begrüsst. Nun weiß ich, dass Rougoult bislang noch kein Gite d´Etappe hat und man "Chez l´habitant" übernachten kann. Das heißt nichts anderes, als dass man bei einer Berberfamilie in einem authentischen Haus nächtigen wird. Ein unersetzliches Erlebnis, welches mich an meine Trekkingzeit auf dem Leftbank-Trail im verwunschenen Spiti im indischen Himalaya erinnert. Und es ist immer wieder interessant, festzustellen, wie ähnlich doch die Lebensweise ist bei so weit voneinander entfernt lebenden, sich jeweils autark entwickelnden Bergvölkern. Sehr ländlich geht´s zu: eine Ziegenherde trampelt durch den Hausgang, einige Tiere bleiben neugierig an meiner geöffneten Zimmertür stehen und gaffen mich an. Die Großmutter sitzt in der Küche am Feuer, schwenkt einen aufgehängten Balg, der mit Ziegenmilch gefüllt ist, auf diese Weise wird Käse gewonnen. Es ist schon frappierend, wie viel Ähnlichkeit die Häuser hier mit denen von Spiti oder Ladakh aufweisen. Erwähnenswert ist eine verzierte Stuckdecke in meinem Zimmer. Auf solche Stuckdecken soll ich noch mehrfach in Berberhäusern stoßen. Man sitzt und liegt hier übrigens auf Teppichen, ißt von niedrigen Tischen - auch das kenne ich doch schon von irgendwoher ;-)!Ich möchte hiermit betonen, eine Trekkingtour durch den Hohen Atlas kann zwar mit der Pracht und der Höhe der Himalaya-Berge nicht mithalten, wartet aber ansonsten mit allem auf, was das Trekkerherz begehrt und braucht sich hinter den Trekkingdestinationen etwa des Himalaya oder des Karakorum nicht zu verstecken - die Dörfer, die Täler, die Bewohner, die herzhafte Küche, und immer noch schöne Berge (die man obendrein sogar als Normalsterblicher besteigen kann!), fantastische Schluchten ...
Später kommt der Jüngste der Familie zu mir, mit einem Französisch-Schulbuch. Zufällig schlägt er eine Seite auf, mit einer Geschichte über eine Frau, die nur 3 Monate zur Schule gegangen ist. Ein sehr marokkanisches Lehrbuch ... ich stelle fest, der Junge kann das alles gar nicht lesen, er spricht aber, neben seiner Muttersprache Amazigh (Idiom der Atlasberber), arabisch und geht in Ait Bou Willi zu Schule. Im Laufe des Abends lerne ich nach und nach sämtliche Mitglieder der Familie kennen.
03.04.2012
Gemäß der Wettervorhersage soll heute der schlechteste von drei oder vier vorausgesagten Tagen sein. Ausgerechnet heute, wo ich doch über den 2860 m hohen Tizi n´Rougoult (Tizi=arab. Bergpass) rüber muss. Ein typisches Frühstück im Hohen Atlas besteht übrigens aus frisch gebackenem Brot, im heutigen Fall sogar mit frischer, gesalzener Butter, oder schon Käse? Jedenfalls fantastisch schmeckend, dazu noch Marmelade und/oder Honig, Kaffee. Den in Marokko omniexistenten, stark gezuckerten, aber stets wohltuenden Pfefferminztee trinkt man erst zu fortgeschritteneren Stunden.
Gleich hinter dem Dorf führt der Weg mich in eine enge Schlucht hinein. Die Begehung dieser Schlucht ist faszinierend, nimmt aber viel Zeit in Anspruch und man bekommt dabei zumindest im Frühjahr nasse Füsse. Für diesen Fall habe ich meine Sandalen mit, und nach wohl einem Dutzend mal hin- und herspringen zwischen den beiden Bachufern kommt dann endgültig eine Passage, wo´s mit den Bergstiefeln nicht mehr geht. Die Watstellen häufen sich derart, dass ich zwischendurch mehrfach eiskalte Füsse bekomme und diese mit den Händen wieder aufwärmen muss. Vom zugezogenen Himmel herab beginnt es nun leicht zu schneien, ich immer noch in Badelatschen. Ich ziehe erst die Stiefel wieder an, als ich ganz sicher bin, dass die Wasserführung des Baches derart abgenommen hat, dass ich mir eben nicht mehr Stiefel und Socken naß mache, denn sonst wäre die ganze Sandalenaktion für die Katz gewesen. Weit oben geht´s hinaus aus der Schlucht, der Bach ist jetzt nur noch ein Rinnsal und verliert sich in der verschneiten Bergwiese, irgendwo hier oben befindet sich seine Quelle. Das Gelände ist schon gut zugeschneit, der Schneefall ist stärker geworden und es ist stark neblig. Ab hier wird´s für mich orientierungsmäßig sehr anspruchsvoll. Den Pfad erkenne ich nur noch an den Konturen, bzw. ich vermute seinen Verlauf anhand des Geländes. Dummerweise habe ich heute morgen den Höhenmesser nicht eingestellt, weshalb ich jetzt diesbezüglich auch keine zuverlässigen Angaben habe. Der zeigt mir inzwischen fast 3000, ich müsste wohl längst oben sein. Hoffentlich bin ich hier richtig, wenn nicht - die Rückkehr durch die Schlucht würde kein Zuckerschlecken, ich müsste zum Schluss gar noch im Dunkeln nach Rougoult zurückstolpern. Man findet im Hohen Atlas für gewöhnlich keinerlei Markierungen, auch keine Steinmännchen, und wenn, dann dienen sie oft zu anderen Zwecken. Jetzt sehe ich eines, kurz danach wird das Gelände flach. Ich muss nun wohl auf der Passhöhe angelangt sein. Dort vorne ist noch ein Steinmännchen, es soll wohl die Passhöhe markieren. Jawohl, ich bin jetzt sicher, dass ich hier richtig bin! Nun gilt es, den richtigen Abstiegsweg zu finden. Auch das ist wiederum nicht einfach, denn es geht beileibe nicht einfach nur gerade runter, wie im Lonely Planet zu lesen ist. Nach einer knappen Abstiegsstunde mit äußerster Konzentration nimmt die Schneedecke ab und die Wegkonturen werden wieder klarer. Aus der Nebelwand taucht sogar für einen kurzen Augenblick der Talgrund weit unter mir auf. Jetzt weiß ich, ich hab´s geschafft!
Unter mir erblicke ich eine alte Frau und eine Ziegenherde. Endlich wieder bei der Menschheit angekommen! Ich steige weiter ab, erreiche das malerische Dorf Tasgaiwalt, wo mich sogleich wildgewordene Kinderhorden überfallen. Meine Haare sind tiefgefroren und mein Rucksack ist noch über und über mit Schnee bedeckt. ich sehe aus, wie der Weihnachtsmann, doch den kennt man hier nicht. Der Ausblick über das weit ausladende Tal ist prächtig, jetzt tauchen sogar gespenstisch hinter Nebelschwaden hohe, weiße Berge auf. Auch der Mgoun ist in seinen Konturen zu sehen, dann setzt ein erneuter, diesmal besonders starker Schneeschauer ein. Ich bin gottfroh, dass ich inzwischen schon vom Pass herunten bin. Bis nach Amezri (2250 m), meinem Etappenziel, ist es nicht mehr weit. Einen Vorgeschmack auf die Mentalität in diesem Dorf bekomme ich sogleich am Ortseingang in Erscheinung zweier rotzfrecher, unverschämter Halbwüchsiger, denen ich am liebsten die Köpfe zusammengeschlagen hätte. Im Ortskern angelangt, packt mich fast schon das Entsetzen ob der Dreistigkeit und der Unverschämtheit der dortigen Kinder. So etwas habe ich wirklich noch nirgends erlebt. Viele Erwachsene scheinen hier nicht besser, ich frage nach dem Gite d´Etappe und werde nur blöd ausgelacht. Am liebsten wäre ich weitergegangen, nur fort von hier! Schließlich finde ich selbst das Gästehaus. Es wird von einem alten Mann geführt, dessen Französisch ist äußerst rudimentär, aber der Alte hat´s drauf, was Gastfreundschaft und Verständigung per Zeichensprache anbelangt. Bei ihm fühle ich mich wiederum bestens aufgehoben. Kaum angekommen, bekomme ich, ganz nach Berberart und wie ich´s inzwischen schon kenne, heißen Pfefferminztee mit Knabbereien serviert. Aah, tut das gut, nach den heutigen Strapazen! Zu abend gibt es eine wohlschmeckende Tajine, der Alte gesellt sich zum Essen zu mir. Eigentlich wäre Amezri ein wunderschönes Dorf in pittoresker Lage, wenn nur die Meute da draußen nicht wäre ...
04.04.
Nach einem reichhaltigen Berberfrühstück begleitet mich der Alte zum Dorfausgang. Solange er an meiner Seite ist, herrscht absolute Ruhe, niemand belästigt mich, keinerlei Zurufe oder Betteleien. Nach der Verabschiedung ist er wohl noch nicht einmal eine Minute verschwunden, da stürzen schon die Horden von Kindern einher ... glücklicherweise verfolgen sie einem nie allzu weit über die Dorfgrenzen hinaus, weshalb bald schon wieder Ruhe eintritt.
Das Wetter hat sich über Nacht zum Positiven geändert und beschenkt mich jetzt mit unvergesslichen Eindrücken. Hinter mir erhebt sich schneeweiß das langgestreckte Mgoun-Massiv, auch andere hohe Berge zeigen sich im strahlend weißen Gewand, kontrastieren zum grünen, fruchtbaren Talgrund und den ockergelben, schroffen Felswänden. Die Schneefallgrenze hatte sich gestern sehr weit nach unten verlagert, das Weiß ist allerdings im Talgrund nicht liegengeblieben.
Abermals geht heute eine wunderschöne Etappe einher, die mir eine Fülle herrlicher Eindrücke vermittelt, sowohl der einer üppigen Flusstalkulturlandschaft, märchenhafter Lehmbaudörfer, nahezu senkrechter Felswände, freundlicher Berber, aber auch allenthalben wiederum recht aufdringlicher Kinderscharen. Seit gestern befinde ich mich übrigens im Flußtal des Tessaout. Dessen Quellbäche entspringen übrigens auf dem fast 3000 m hohen Tarkeddit-Plateau. Wir erinnern uns - dort wollte ich mit meinen spanischen Freunden hinauf, das Plateau wäre unser Ausgangspunkt für die Mgoun-Besteigung gewesen, wären wir dort angekommen ...
Ich muss im Laufe dieser Etappe weniger als ein halbes Dutzend mal das Flussufer wechseln. Der Tessaout ist aber durchaus ein anderes Kaliber, als der Tifra, mit welchem ich es gestern in der Schlucht zu tun hatte. Das Wasser hier ist kniehoch und reißend. Zur Sicherung benutze ich meinen Eispickel, da ich auf Sommertouren stets ohne Stöcke unterwegs bin. Dörfer, wie Ini n´Ikkis oder Ichbakhene sind einfach traumhaft. Auch interessante Wassermühlen gibt´s unterwegs zu begutachten. Ein geologisches Highlight ist die Ichbakhene-Steilwand, die sich 900 m übers Flußufer erhebt. Die meiste Zeit über marschiere ich direkt im grobkiesigen und lehmerdigen Flußbett, nahezu ständig das rotlehmig strömende Wasser an meiner Seite. Ausgedehnte Waldhaine stehen hier im Flußbett, ich kann als Nicht-Botaniker die Baumart leider nicht benennen, aber vielleicht erkennt sie jemand auf den beigefügten Bildern. Der Tessaout windet sich weiter und weiter in wilden Mäandern durch diesen imposanten Canyon hindurch.
Es ist dies heute der sonnigste Tag seit meiner Ankunft in Marokko, dennoch gehen wiederholt kleinere Schauer nieder, die, sobald sie einsetzen, von einem unangenehm kalten Wind begleitet werden. Kurz vor Ankunft in meinem Tagesziel Ait Ali n´Ito (1833 m) fährt mich schlagartig ein besonders kalter Windstoß an, und kaum sitze ich, sicher und behütet, in den gemütlichen Räumlichkeiten des örtlichen Gite d´Etappe, geht der nächste Himmelserguß prompt als Schneeschauer nieder.
Ich sitze entspannt in der Herberge und lasse Revue passieren. Mache mir Gedanken über den zurückliegenden Tag, auch über die vielen bettelnden Kinder unterwegs. "Amziou, stylo" ist wohl der Spruch, den man von ihnen hier im Atlas am häufigsten zu hören bekommt. Früher bettelten die Kinder noch nach Bonbons, heute sind es Kugelschreiber, was daher rührt, dass die Trekkingtouristen bereits seit vielen Jahren hinreichend aufgeklärt sind, den Kindern keine zähnezerstörenden Süßigkeiten mehr zu geben, sondern, um etwas Sinnvolles zu tun, eben Stylos, Kugelschreiber, zu verteilen. Das wissen inzwischen längst schon alle Kinder, darum wird kaum noch um Süßigkeiten gebettelt. Um auf einer 4-tägigen Trekkingtour alle bettelnden Kinder in gleichberechtigender Handlungsweise mit Kugelschreibern zu versorgen, müsste ich einen Extra-Rucksack, nur mit Kugelschreibern gefüllt, mit mir rumschleppen. Heute hat sich ein kleiner Junge an den Kopf gefasst und um Aspirin gebettelt, dabei noch künstlich gehustet ... ohne Aufklärung diesen Menschen Medizin zu schenken, halte ich für gefährlichen Unsinn, der Stylo dürfte inzwischen zur Währungseinheit unter tauschenden Kindern konvertiert sein ... meiner Ansicht nach ändert es gar nichts zum Positiven, wenn man den Leuten vor Ort, insbesondere den Kindern, irgendwas nur schenkt. Es fördert die Bettelmentalität und macht ohne Aufklärung keinen Sinn, oder ist sogar für die Leute gefährlich. Helfen kann man wohl am sinnvollsten, wenn man vor Ort tätige Organisationen unterstützt und mittels Übernachtungen, Essenskonsum, Führer- und Maultiertreiberengagement die örtliche Infrastruktur stärkt.
Ich nächtige wiederum in einer sehr ansprechenden, traditionell eingerichteten Herberge, mit einer Dusche, die mit einem lebensgefährlich rutschigen Kachelboden geplättelt ist.
05.04.2012
Nach dem Frühstück lasse ich zunächst mein Gepäck in der Herberge zurück und wandere, in Begleitung des Sohnes des Gästehausbetreibers und dessen Mutter, in ein schillerndes Seitental hinauf, bis ins Dorf Magdaz (1993 m). Schon der wilde Weg hier hoch lohnt die Mühe, dann dieser entzückenden Berberort, welcher mit eindrucksvollen, lehmgemauerten Wehrtürmen aufwartet. Das hier ist eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges! Auch das Dorf am gegenüberliegenden Flussufer weist eine solch traditionelle, uralte Bauweise auf. Ich statte der kleinen Krankenstation am Ortseingang einen kurzen Besuch ab. Eine junge Französin und eine junge Marokkanerin sind hier federführend. Gerade haben sie einen besonders problematischen Fall zu behandeln. Eine Frau ist von ihrem Nachbarn geschlagen und dabei verletzt worden. Die Verarztung scheint das geringere Problem. Vielmehr dreht es sich um den Umgang mit dem Fall. Die beiden jungen Frauen wollen die Polizei einschalten. Hier, in diesem abgelegenen Bergdorf kann allerdings niemand niemandem ausweichen,denke ich, das gilt sowohl für die Betroffene, als auch für die beiden Krankenschwestern. Auf meine Frage hin, ob sowas öfter vorkomme, antwortet mir die Krankenschwester, dass sie einen derartigen Fall hier noch nie gehabt habe.
Die letzte Etappe führt mich weiterhin durch die Schlucht des Tessaout hindurch, immer flussabwärts. Die Eindrücke ähneln denen von gestern, es ist aber heute nur eine einzige Flußquerung vonnöten, die ich dazu noch, meine Stiefel anbehaltend, von Stein zu Stein springend, bewältigen kann.
Der Weg erhebt sich nochmal weit über das Schluchttal hinweg, gestattet prächtige Ausblicke. Ifoulou soll die letzte Ortschaft sein, die ich durchwandern werde, bevor ich in Ait Alla die Straßenbrücke erreichen werde. Das Dorf ragt wie ein Adlernest aus dem Hang heraus, hoch überhalb einer beeindruckenden Talverzweigung. Gerade, als ich durch den Ort marschiere, erschallt der Ruf des Muezzin vom Minarettturm herab, die gegenüberstehende mächtige Felswand lässt die Koransuren im Echo wiedererschallen, auf einem Dach sehe ich jemanden beten. Ich erlebe diese Szene als einen geradezu dramatischen Schlussakkord einer großartigen und bereichernden Trekkingtour.
An der Straßenbrücke angekommen, will sich gleich ein Schwätzer an mich hängen, ich weise ihn ab, gehe ins Teehaus und bestelle mir einen Imbiss. Es wird recht schwierig, von hier wieder wegzukommen, auf der Straße verkehren kaum mal Fahrzeuge, und wenn, dann sind es nur Locals, die Personen in die umliegenden Dörfer bringen, so wird das zumindest mir gegenüber dargestellt. Schließlich und endlich muss ich wieder mal verhältnismäßig tief in den Geldsack greifen, um in einen Transporter einsteigen zu können, damit ich tatsächlich heute noch hier wegkomme.
Die über 60 km lange Fahrt nach Demnate macht mir erst so richtig bewusst, wie tief im Hohen Atlas ich mich bei meinem Trekking-Endpunkt Ait Alla eigentlich noch befunden hatte. Zur Südseite hin, also nach Skoura (von dort aus dann weiter nach Ouazazarte) wären es gar 80 km gewesen. Wir fahren bereits in der Abenddämmerung, eine nahezu unheimlich erscheinende,tiefgraue Wolkendecke hängt bedrohlich über den Bergen. Eine schwindelerregende Fahrt, oft ganz knapp über gähnenden Abgründen, aus den Lautsprecherboxen dringt wilde arabische Musik, so wild, wie die Gebirgsszenerie, die wir durchkurven, so wild, wie der Fahrstil des Fahrers, der sich obendrein, laut mitsingend, in Ekstase wirft, dann mal zwischendurch wieder mit dem Handy herumgestikuliert - ich selbst find´s mitreißend, cool bleiben, die Späße mitmachen - aber ganz sicher ist das hier nichts für Personen mit schwachen Nerven ;-).
Es ist schon eine Weile lang dunkel, als wir schlussendlich in Demnate ankommen. Die Straßen glänzen regennass im Schein des Lampenlichts. Nach Tagen berühre ich das erste mal wieder eine urbane Welt, wenngleich Demnate nur ein kleines, umtriebiges Provinzstädtchen ist. Es hat plötzlich wieder Verkehr, allerlei Leute wuseln die Hauptstraße auf und ab, in den engen,oft bis unter die Decke mit Verkaufswaren vollgestopften Ladennieschen, und in den Teehäusern leuchten fahle Glühbirnen oder aber grelle Neonlampen, vielerlei Stimmen, arabisch statt amazigh, es riecht nach Gewürzen, Rauch, Seife, Abgasen ... viele Menschen - ein krasser Gegensatz zum behäbigen Leben in den abgelegenen Atlasdörfern.Dort oben, in den Bergdörfern, arbeiten die Menschen 12 Stunden am Tag, aber sie scheinen es dabei niemals eilig zu haben. Ich steige in einem Hotel neben dem Altstadttor ab, die Übernachtung dort kostet mich 50 Dirham, also gerade mal 5 Euro, entsprechend schlicht ist die Unterkunft, direkt überhalb eines rauchgeschwängerten, düsteren Teehauses, der Besitzer scheint mir freundlich, ich bin´s zufrieden.
Im Lonely Planet ist zu lesen, Demnate sei so etwas, wie die kulinarische Hauptstadt der Region. In der Mehrzahl finde ich hier verrauchte Cafés, und als ich endlich ein Plätzchen entdecke, das mir adäquat erscheint, um dort mein Abendessen einzunehmen, befinde ich dieses wohl für sehr schmackhaft, allerdings auch nicht irgendwie besser, als in den meisten anderen Orten des Landes, in denen ich bislang gegessen habe.
06.04.2012
Es ist manchmal fast schon unglaublich, was für Raffinessen angewendet werden, um einen Touristen über´s Ohr zu hauen. Manchmal nervt´s ungemein. Natürlich erspart man sich viel Ungemach, hat man einen einheimischen Führer oder einen Accompagnateur, also Begleiter, zur Seite. Doch ich bevorzuge es, wenn möglich, autark zu reisen. Heute morgen bleibe ich der Sieger, das kostet mich allerdings eine gute Stunde Wartezeit am Grand-Taxi-Stand, wo ein halbes Dutzend junge Fahrer es waren, die sich zusammentaten, um mich reinzulegen.
In Marrakesch dann ein erneuter Kampf um einen halbwegs akzeptablen Taxipreis nach Imlil. Es geht mir dabei weniger darum, meine Reisekasse zu schonen. Ich sehe nur eines nicht ein: ich übernachte und esse bei aufrichtigen Dorfbewohnern zu einem sehr günstigen Preis und soll, in der Stadt angekommen, irgendwelche großmäulige Halsabschneider mit dem bis zu 10-fachen Preis belohnen, nur weil sie gerissen und unverschämt sind. Ich bin heute ein bisschen müde, irgendwie auch antriebslos. Der Himmel scheint nicht zu halten, was mir die Wettervorhersage gestern versprochen hatte. Ich hatte auf einem Wetterportal Oukaimeden eingegeben, den bekanntesten Skiort in Marokko, gelegen im Toubkal-Gebiet, also dort, wo ich hin möchte. Strahlender Sonnenschein für die kommenden Tage, stattdessen prangt wiederum eine kompakte Wolkendecke, die nur hin und wieder die Sonne durchdringen lässt, über dem Flachland um Marrakesch.
Ab etwa Tahannaout gewinnt die Landschaft an Attraktivität, die Straße führt durch eine Schlucht hindurch, es wird bergig. Über Moulay Brahim kommen wir nach Asif. Hier bin ich vor 12 Jahren zur Weiterfahrt auf die Pritsche eines Lastwagens geklettert und dort oben, zusammengepfercht mit heimkehrenden Dorffrauen, Arbeitern, und Trekkingtouristen auf abenteuerliche Weise über eine Holperpiste nach Imlil gelangt. Heute wechsle ich in Asni nur das Grand-Taxi, die Fahrer machen´s wieder einmal untereinander aus. Die Rüttelpiste ist inzwischen zu einer mehr oder weniger passablen Alphaltstrasse konvertiert, die Landschaft und die schönen Dörfer sind, heute, wie damals, entzückend. Ach ja, ein paar neue Luxushotels im Riadstil sind inzwischen auch hier im Tal entstanden.
Ab Asni befinden wir uns übrigens im Tal des Assif (=arab. Fluss) Mizane. Wer Lust und Zeit hat, kann von Asni aus auch in etwa 6 Stunden über einen Maultierpfad nach Imlil wandern. Als ich das letzte mal in Imlil war, erschien mir der Ort noch klein und idyllisch, immer noch mehr Dorf, als Ferienort, trotz dass man damals schon die Hauptstrasse entlang durch ein Spalier von Andenken- und Artesanialäden spazieren musste. Inzwischen scheint es umgekehrt, Hotels, Touristenunterkünfte, Andenkenläden, Büros von Trekkingagenturen prägen das Ortsbild zu einem großen Teil. Imlil hat sich so endgültig zu einem Bergtouristenort gewandelt, wenn auch immer noch in einem überblickbaren Ausmaß.
Die gestrigen Niederschläge haben für eine weitere Abkühlung gesorgt, was sich hier, auf 1740 m Höhe, empfindlich bemerkbar macht. Wirklich angenehm ist es nur in der Sonne, in der ich jetzt auch sitze, den lokalen Bergführern, Maultiertreibern, ausländischen Bergtouris, und einheimischen Fototouristen beim Flanieren und Vorbeiwuseln zusehend, ein Kännchen dampfenden Pfefferminztees steht vor mir, der Geruch des bestellten Imbisses dringt vom Grill her an meine Nase und wird mir sicher gleich serviert. Gegenüber hat ein Ladenbesitzer Steigeisen, Pickel und Bergschuhe zur Ansicht vor die Ladentür gehängt, alles Gebrauchtware, Chamonix auf marokkanisch :-). Ich bleibe dabei: Imlil ist, trotz Veränderungen, ein liebenswerter Ort mit Erholungswert geblieben, und im Gegensatz zu heute morgen fühle ich mich nun schon wieder lebendig und voller Tatendrang, zumal es ums Wetter doch nicht sooo schlecht bestellt zu sein scheint. Dazu kommt noch die Info von der Rezeption des Hotels Aksual, in dem ich bereits eingecheckt habe, dass der Weg hinauf zu den Hütten derzeit völlig unproblematisch sei und die großen Gipfel, Voraussetzung Pickel und Steigeisen, derzeit alle machbar seien und auch gemacht würden. Auch ein paar Skitourler sind noch vor Ort, sie sind hier aber bereits in der Minderheit, die meisten Gipfel werden gemäß Auskünften bereits im Fußaufstieg gemacht.
Das Aksual ist eine ziemlich kalte Herberge, das Personal scheint mir, bis auf zwei junge Männer, eher ignorant. Für eine Nacht soll´s mir hier vollauf genügen, und das Gepäckdepot bis übermorgen wird mir auch ohne Umschweife gewährt.
Drei Uhr Nachmittags. Zur Besteigung des El Hadj (3129 m) von Imlil aus, wie ich mir das gewünscht hätte, reicht die Zeit nicht mehr. Ich möchte mich trotzdem noch etwas bewegen, die Verhältnisse checken, mich im Gebiet etwas umsehen. Den Aufstiegsweg zu den Hütten bin ich vor 12 Jahren schon mal gegangen, es sollte kein Problem sein, sich morgen dort zurechtzufinden. Ich bevorzuge es, vom großen Kiesbett des Assif Mizane aus, gleich oberhalb von Aremd, auf einem Pfad gen Westen aufzusteigen. Dieser würde auf den 2930 m hohen Pass Tizi n´Tizikert hinaufgehen, einem Übergang, der in das Gebiet der Lepiney-Hütte führen würde. Es ist schon absehbar, dass mir die Zeit nicht ausreichen wird, um bis ganz auf die Passhöhe zu kommen. Die Aussicht lohnt in zweierlei Hinsicht nicht: man geht in eine schluchtartige Verengung hinein, die größere Aussichten versperrt. Außerdem hängt über mir eine zähe, graue, Wolkendecke, welche die Gipfel und Felsspitzen über mir komplett verschluckt. Ab 2400 m werde auch ich von dieser Wokendecke verschlungen, ich marschiere nun auch im Neuschnee, der sich allerdings gut treten lässt, der Pfad ist gleichfalls weiterhin gut zu erkennen. Um 17.20 h habe ich eine Höhe von 2770 m erreicht. Ich möchte Imlil noch halbwegs bei Tageslicht erreichen, also kehre ich hier um. Die Bewegung, die frische Bergluft haben mir gut getan, nach der Fahrerei fast den ganzen Tag über. Zufrieden kehre ich zur abendlichen Tajine ins Dorf zurück.
Unmittelbar neben dem Hotel befindet sich eine Moschee. Morgens gegen 4.30 h fühle ich mich dem Muezzin so nah, wie noch nie ;-).
07.04.2012
Bombenwetter in den frühen Morgenstunden, wenn auch noch recht kalt. Ich bin guter Laune und voller Optimismus. Der Mulipfad bis zu den auf 3100 m gelegenen Hütten soll durchgehend schneefrei sein, was mich doch zunächst wundert, nach der Rekognoszierung von gestern. Ich habe aber schon mitbekommen, dass die Maultiertreiber mit ihren Tieren bis zur Hütte gehen, und Maultiere gehen immer nur bis zur Schneegrenze. Entsprechend ist es nicht vonnöten, heute allzu früh aufbrechen zu müssen.
Um 8.50 h verlasse ich Imlil, ausgerüstet nur mit dem Gepäck, welches ich für einen 2-tägigen Aufenthalt mit Hüttenübernachtung und zur Besteigung eines 4000ers benötigen werde. Auch wenn es sich bei der Neltner- und bei der Moufflons-Hütte um recht gut ausgestattete Berghäuser handelt, ist die Mitnahme eines warmen Schlafsacks obligatorisch, da die beiden Hütten in ihren Schlafsälen zwar Matratzen und Betten bieten, jedoch über keine Decken verfügen.
Die Berge über Imlil glitzern schneeweiß in der Sonne, das Weiß reicht bis weit herab, und das hier sind noch lange nicht die Höchsten! So ganz sind meine Bedenken bezüglich der erfolgreichen Besteigung eines hohen Berges noch nicht zerstreut. Kurz hinter Imlil folgt, die sich eng aneinanderschmiegenden Behausungen malerisch auf die Hänge der gegenüberliegenden Talseite geklebt, Aremd, eine Ortschaft, welche übrigens auch touristische Unterkünfte bietet und noch wirklich den Eindruck eines authentischen Berber-Bergdorfes vermittelt, auch wenn die seltsamen, weiß glänzenden Pünktchen auf den Hausdächern nichts anderes als Satellitenschüsseln sind.
Der Zustieg von Imlil aus zu den beiden Refuges ist recht lang und reich an Höhenmetern, ich befinde ihn aber für genauso entzückend, wie damals, ich das erste Mal hier hinaufgestiegen bin. Nein - diesmal ist es noch viel schöner, mit all den fantastisch weißen Bergen um mich herum :-)! Ich komme nach Sidhi Chamarouch. Dieser Ort ist ein Marabout, also die Grabstätte eines Heiligen. Ein malerischer Flecken - der Mizane-Bach schäumt hier in wilden Kaskaden hindurch. Der Marabout ist ein auffallender, großer, weißer Felsen. Ringsherum befinden sich ein paar Touristenläden, und ein, zwei Orangensaftstände. Hier hatte ich einstmals eine Zeltnacht zugebracht, zusammen mit einer Gruppe junger Marokkaner.
Ich marschiere weiter aufwärts, links und rechts ist das Gelände bereits vom Neuschnee bedeckt, der Weg selbst ist weiterhin schneefrei, ganz einfach deshalb, weil er derart häufig sowohl von Menschen, als auch von Maultieren begangen wird. Ab den Hütten kann man dann tatsächlich von einer geschlossenen Schneedecke sprechen, aber ich sehe schon, das Gelände ist bereits in alle Richtungen fuß- und skigespurt.
Das neue Refuge Les Moufflons wurde erst 2008 direkt unterhalb des Refuge du Toubkal (der frühere Name Neltner-Hütte wird heutzutage oft immer noch verwendet) erbaut. Es stand anfangs im Ruf, eine kalte Lounge zu haben. Das ist Vergangenheit, denn ich betrete einen durch einen effizienten Schwedenofen auf 24 Grad geheizten, mit gemütlich gepolsterten Sofas und weichen Kissen im Orient-Stil ausgestatteten, heimeligen Gastraum, in dem mir sogleich, zusammen mit dem gleichzeitig eingetroffenen Pärchen aus Sevilla, die landesüblichen Willkommensingredientien aus Pfefferminztee und Nüssen zuteil werden. Die Herberge ist blitzsauber, hat sogar Duschen, einen kleinen Shop mit Süßigkeiten usw. und die Inneneinrichtung ist wunderschön im maurischen Stil gehalten.
Meinen Wunschberg, bzw. meine Wunschberge habe ich natürlich schon längst für mich definiert, nun aber heraus damit! Der Djebel Toubkal ist mit seinen 4167 m nicht nur der höchste Berg des Landes, sondern ganz Nordafrikas. Ihn habe ich aber damals, vor 12 Jahren schon bestiegen. Er war mein erster 4000er überhaupt. Die Timesguida (arab.: Moschee) rangiert mit 4089 m auf Platz 2, während der unmittelbar benachbarte Ras n´Ouanoukrim mit 4083 m den dritten Platz einnimmt. Normalerweise besteigt man zuerst den Ras n´Ouanoukrim, um von diesem aus in höchstens 30 zusätzlichen Minuten, in einen Verbindungssattel ab- und den Gegenhang aufsteigend, den höchsten Punkt der Timesguida zu erreichen.
Das Wetter ist für morgen noch besser angesagt, als für heute. Zahlreiche Personen kehren mit Gipfelerfolg in die Hütten zurück, oder steigen ganz ab nach Imlil, die meisten von ihnen waren auf dem Toubkal. Es soll morgen nichts schiefgehen, weshalb ich jetzt noch ohne Gepäck zu einer Vorbesichtigung aufbreche, die mich bis in den 3735 m hohen Sattel Tizi n´Ouagane hinaufführt. Ein sensationelles Panorama erwartet mich dort oben: ich blicke weit hinaus, über die wüstentrockene Südseite des Hohen Atlas hinweg, hinüber zum ockergelben Massiv des Djebel Sahru, hinter dem dann die eigentliche Sahara beginnt. Für mich sieht aber bereits alles, was ich hier auf der Südseite erblicke, nach Wüste aus.Es ist einfach genial, denn meine eigenen Füße stecken schließlich hier oben im Schnee :-)! Im Aufstieg habe ich mich mit einer Gruppe Spaniern unterhalten, die sich auf der Rückkehr von meinen beiden auserkorenen Gipfeln befanden und von sehr günstigen Verhältnissen sprachen. Überhaupt hätte ich nicht erwartet, nachmittags im Fußaufstieg ohne Probleme noch so weit hinauf zu kommen. Die Schneedecke ist nicht etwa aufgeweicht, sodass ich darin einsinken würde, sondern weist besten Trittschnee auf. Es ist einfach herrlich, vollkommen allein in dieser fantastischen Bergwelt unterwegs zu sein und dabei festzustellen, dass ich bezüglich meiner anvisierten Ziele die besten Karten habe. Hochzufrieden kehre ich ins Moufflons zurück. Die Hütte ist inzwischen voll geworden. Abgesehen von einer englischen Gruppe und zwei Ukrainern, sind nur Spanier hier. Es wird uns ein prima Abendessen serviert, reichlich und lecker.
08.04.2012
Als ich mit dem spanischen Pärchen, mit welchem ich mich übrigens gestern anregend unterhalten habe, um 5 Uhr beim Frühstück sitze, ist es draußen noch dunkel. Es kommen noch die Ukrainer hinzu, und ich gerate wieder mal ins Labern. Bis ich dann aufbreche, ist es bereits hell, 6.20 h. Wiederum gehe ich die gleiche Richtung, wie gestern, gen Süden, das Mizane-Tal bis in seinen hintersten Winkel hinein. Alles, was sonst noch schon unterwegs ist, scheint kurz hinter den Hütten in Richtung Toubkal abgebogen zu sein. Zunächst denke ich, ich sei in meiner Richtung alleine unterwegs. Doch als ich unter das steile Couloir unterhalb des Tizi n´Ouagane komme, sehe ich, dass dort schon jemand aufsteigt. Im Pass oben treffen wir uns. Alex, ein Katalane aus Barcelona. Da ich ein höheres Tempo mache, gehe ich jetzt voran. Die Tour wird interessanter, denn ich steige zuerst an einem leichten Grat empor und muss kurz danach in eine etwas ausgesetzte Querung hinaus. Spätestens dort rechtfertigen sich die Steigeisen an meinen Füssen. Später wird das Gelände wieder einfacher, aber auch monotoner. Es geht nun über Gehgelände die Gipfelflanke empor, zu einem Nebengipfel, der sich in der Höhe kaum mal vom Hauptgipfel unterscheidet. Der Nebengipfel und der Hauptgipfel sind durch einen Minisattel voneinander getrennt. In einem Zeitaufwand von nur wenigen Minuten und ein paar harmlosen 1er-Kletterzügen ist dann der höchste Punkt des Ras n´Ouanoukrim erreicht. Die Aussicht hier oben ist prachtvoll, insbesonders der Djebel Toubkal macht eine tolle Figur. Die Sonne scheint, kein Wölkchen trübt den Himmel, die Fernsicht reicht von der Ebene um Marrakesch im Norden bis im Süden Richtung Sahara. Der gesamte Westteil des Hohen Atlas, mit all seinen prächtigen, schneeweißen Gipfeln tut sich vor meinen Augen auf. Nur der Wind beeinträchtigt das Erlebnis. Dieser bläst schon kräftig seit meinem Aufbruch von der Hütte. Hier oben wütet gar ein heftiger Höhensturm, der leider nicht zu allzu langem Verweilen einlädt. Beim Fotografieren muss ich die Handschuhe abnehmen und bekomme sofort eiskalte Finger.
Drüben prangt nun der schneeweiße Gipfelrücken der Timesguida. Nach 20 weiteren Minuten stehe ich auch auf diesem Gipfel, der sich nicht nur wegen der größeren Höhe lohnt. Er offeriert auch geniale Blicke gen Westen, insbesondere zu den westlichen Ausläufern des Hohen Atlas. Das Tazaghârt-Plateau (3980 m, weist auf der von hier aus nicht sichtbaren Nordseite eisklettertaugliche Rinnen auf) sieht man, und auch der sich nach Norden fortsetzende Ouanoukrim-Kamm macht sich toll, der im Übrigen noch weitere 4000er enthält. Der Gipfel der Timesguida präsentiert sich als ein ausgedehntes Plateau, auf welchem der kaum ausgeprägte höchste Punkt mit einem Steinhaufen markiert ist. Ich kehre in den Sattel zurück, wo ich Alex wiedertreffe. Während ich nochmals den Nebengipfel des Ras übersteige, nimmt Alex nach seiner Rückkehr vom Timesguida-Gipfel die abkürzende Umgehung um den Gipfelaufbau des Ras herum, sodaß wir uns am oberen Ansatz des Grates wiedertreffen. Inzwischen begegnen wir doch noch einigem Gegenverkehr von weiteren Gipfelaspiranten. Ab nun bleiben wir, bis hinunter zu den Hütten, beieinander. Ich bin ziemlich überrascht und erschreckt, dass in einem Zeitraum von nicht einmal 3 Stunden die heftigen Windböen derart viel Triebschnee in das Couloir eingeblasen haben. Ich schließe dort die rasche Entwicklung einer eventuell gefährlichen Lawinensituation nicht mehr aus. Uns wird es jedoch nicht mehr betreffen, da dieser Schnee glücklicherweise noch nicht gebunden ist.
Ich kehre mit Alex noch auf einen Tee in der Neltner ein. Er war gestern auf dem Toubkal. Der Ras n´Ouanoukrim hat ihm aber besser gefallen -" es más alpino, más montana", so sein Urteil.
Ich begebe mich ins Moufflons und packe meine Siebensachen. Um 11.45 h breche ich auf , um 14.20 h bin ich, nach einem zügig gegangenen Abstieg, wieder in Imlil. Ich möchte heute noch nach Marrakesch, mache keine Faxen und akzeptiere 300 Dirham für die Fahrt dorthin.
Unterwegs eröffnet mir der Fahrer, dass die Straße hinter Asni gesperrt sei, ein Felssturz sei in der Schlucht auf die Straße niedergegangen. Zunächst wittere ich wieder mal eine Sauerei, doch verschiedene Indizien weisen darauf hin, dass er recht hat. Zudem werden wir uns einig, dass der Taxipreis sich nicht ändern wird, er mir aber sehr verbunden wäre, wenn ich ihm erlauben würde, dass er weitere Fahrgäste auf der Rückbank aufnähme.
Der Umweg wird zum Glücksfall, denn diese Strecke ist weitaus schöner und interessanter, als der Direktweg nach Marrakesch es gewesen wäre, den ich ja ohnehin schon kenne. Die Straße zweigt hinter Asni gen Westen ab und schraubt sich auf ein malerisches Hochplateau hinauf. Ausgedehnte, grüne Viehweiden dehnen sich hier oben aus, in welche idyllische, kleine Berberdörfer eingestreut sind. Abrupt erscheint dann die Atlaskette, erhebt sich als gewaltige, schneeweiße Barriere über dem Grün der fast mongolisch anmutenden Weidegründe. Über steile Haarnadelkurven geht´s schließlich wieder runter vom Plateau, die Aussicht hinaus auf´s Flachland und auf den blauschimmernden Stausee Barrage de Lalla Takerkoust ist berückend. Vom Plateau springen übrigens auch Gleitschirmflieger herunter.
In Marrakesch ist es inzwischen sehr warm geworden, zumindest tagsüber. Und man kann von der Stadt aus nun tatsächlich den Hohen Atlas sehen. Ich steige diesmal im Hotel de Foucauld ab, welches sich ebenfalls nahe der Djamma al Fna befindet, genauer gesagt, gegenüber des Place de Foucauld. Das Foucauld ist einen kleinen Tick preisgünstiger, als das Ali, es gefällt mir auch besser und bietet zudem im Restaurant ein für 100 Dirham recht preisgünstiges Menü vom Buffet, welches es an nichts fehlen lässt, einschließlich einer noblen Einrichtung im orientalischen Stil.
09.04.2012
Bis zur Mittagszeit treibe ich mich noch in Marrakesch herum, ausschließlich in der schillernden Medina. Dann geht´s zum Bahnhof, wo ich den Zug nach Casablanca besteige. Mit dem mir schon bekannten Umsteigen auf dem Hauptbahnhof "Casa Voyageurs" erreiche ich direkt den Flughafen. Mein Flieger nach Basel geht morgens um 6, weshalb ich beschlossen habe, die Nacht auf dem Flughafen zuzubringen. Irgendwann suche ich eine halbwegs ruhige Ecke auf, breite Isomatte und Schlafsack über 3 oder 4 Sitzplätze aus, und verbringe so die Nacht mehr schlecht als recht.
Zuhause werde ich selbst nach einer Woche noch aufwachen und für kurze Momente nicht wissen, ob ich noch in Marokko, oder schon wieder in Deutschland bin. Ein Zeichen, dass diese Reise tief in mich hineingegangen ist :-)