Das Capatîn – Gebirge und seine Nebenerscheinungen
Eigentlich hätte es diesmal eine Tour durch´s Parâng – Massiv werden sollen, wobei der Capatân – Durchquerung eher eine Nebenrolle als Einstiegstour zugekommen wäre. Doch erstens kommt es anders, zweitens als man denkt, und das muß nichts Schlechtes bedeuten...
Für die alte Siebenbürgen – Stadt Sibiu (Hermannstadt) bleibt zunächst nicht viel Zeit. In etwa fahrplangemäß trifft unser Bus dort erst gegen 17.00 Uhr ein. Im Hotel Continental, dessen Vorplatz vielen Busunternehmen als Haltestelle dient, mache ich bereits in der Eingangshalle wieder Kehrtum. Der von außen noch als alter Sozialismusbau in Erscheinung tretende Wolkenkratzer ist innen zu einem Nobelschuppen umfunktioniert worden, dessen Preise (ab 46 Euro pro Nacht im Einzelzimmer) mein persönliches Höchstlimit überschreiten. Außerdem flattern mir bereits in der Vorhalle zu viele Nachtigallen in Lackschuhen herum, zwischen denen ich mit meinem grobschlächtigen Wanderoutfit zu sehr aus der Rolle falle. Ich komme für 500 (neue) Lei im "Emigrantul" unter, welches sich etwa 15 Gehminuten vom Zentrum entfernt befindet. Ich dusche, nehme anschließend im Selbstbedienungsrestaurant einen deftigen Imbiß, dann legt sich auch schon die Abenddämmerung über die Stadt. Ich drehe noch eine kleine Altstadtrunde, auf der ich einen flüchtigen Eindruck von einem auf Anhieb überzeugenden historischen Zentrum gewinne. Der Kern der Altstadt ist zu einem großen Teil neu restauriert, und man ist emsig mit der Weiterführung der Renovierungsarbeiten beschäftigt. Diese Stadt hat meiner Ansicht nach alle Chancen, zu einer Touristenattraktion à la Prag oder Budapest (mit allen Vor- und Nachteilen!) zu werden, wenn sie erst einmal von der innovationsgierigen Reisebranche endgültig entdeckt wird.
Die Karpatenregionen von Siebenbürgen und der Slowakei sind von mir in den vergangenen Jahren sehr häufig bereist worden. Ich werde dabei immer wieder von einem eigenartigen Gefühl beschlichen. Es ist so, als würde ich heimkehren, als ob ich hier früher schon einmal gelebt hätte. So geht es mir jetzt wieder in der abendlichen Altstadt von Sibiu. Allerdings erkläre ich mir dieses Phänomen nicht als Erinnerung an ein etwaiges früheres Leben (wenn es eines oder mehrere gegeben hat, so glaube ich nicht, dass man sich daran erinnern kann! Wieso sind eigentlich die meisten von denen, welche glauben, sich zu erinnern, immer gleich Cäsar, Jesus oder Alexander der Große, aber fast nie einfache Bauern, Handwerker, Hirten oder Bettler gewesen, von denen es schließlich viel mehr als Herrscher, Könige oder Geschichtshelden gab?). Die Ursache ist wohl tiefenpsychologisch in meinem jetzigen Dasein zu suchen.
Durch einen regnerischen Morgen lasse ich mich per Taxi zum Bahnhof kutschieren. Der Zug Richtung Râmnicu Vâlcea ist bereits vor einer dreiviertel Stunde abgefahren, der nächste geht erst spät Nachmittags. Also gleich mal nebenan bei den Bussen und Maxi – Taxis vorbeigeschaut! Bereits eine Viertelstunde später setzt sich der vollbesetzte Microbus in Richtung Turnul – Rosu – Paß in Bewegung. Eigentlich handelt es sich hier um keine Paßstrasse im klassischen Sinne, sondern um eine ohne Serpentinenauffahrt nur wenige Höhenmeter überwindende Verbindungstrasse durch den engen Taleinschnitt des Flusses Olt, welcher sich hier, zwischen den Gebirgsketten von Fagaras und Cozia auf der Ost- sowie Cândrel, Lotru und Capatân auf der Westseite, einen Durchbruch geschaffen hat. Mein Blick durch´s Fenster fängt Bilder von nebelverhangenen, bewaldeten Berghängen auf, die Sicht hinüber zum Olt bleibt für mich stark eingeschränkt, da sich mein Sitzplatz auf der Hangseite befindet. Wir passieren irgendwann eine Dammstraße, wo der Olt offensichtlich gestaut wird und die Breite eines Sees erlangt. Râmnicu Vîlcea befindet sich bereits ein gutes Stück außerhalb Siebenbürgens, genauer gesagt in Oltenien, auch Kleine Walachei genannt. Dieser Landesteil wird vom Fluß Olt begrenzt und schließt den Olt - Durchbruch jenseits des Turnu – Rosu – Passes mit ein. Gleichwohl grenzt sich Oltenien durch den Karpatenbogen von Siebenbürgen ab. Dieser legt sich kranzförmig um das siebenbürgische Becken. Nach Süden hin laufen die Karpaten langsam in die Ebene der Walachei aus. Die am weitesten gen Süd vorgeschobenen Teilmassive der westlichen Südkarpaten, Capatân, Parâng, und Vîlcan lassen dort ihre Nebenkämme oft wie Krakenarme weit in das Tiefland hineingreifen, von dichten Mischwäldern bedeckte Vorberge sind das Resultat. Aus diesen südlichen Vorbergen heraus will ich diesmal zu meiner Bergtour aufbrechen, denn außer einer wundervollen Landschaft mit beeindruckenden Schluchten und lieblichen Dörfern lockt dort noch ein besonderer kultureller Höhepunkt des Landes, nämlich die orthodoxen Klöster der Vîlcea – Region, die sich romantisch zwischen den Vorbergen versteckt am Südrand des Capatân – Gebirges befinden.
Am Busbahnhof von Râmnicu Vîlcea kehre ich noch schnell im Bufet de la Gara zu einer bodenständigen Mahlzeit ein, bevor ich mit einem der draußen wartenden Taxifahrer das Fahrziel bespreche. Im Alimentara an der Ecke besorge ich mir noch rasch Brot, Wurst, Käse und Kekse, um meine Vorräte für eine Woche Gebirge aufzustocken. Vasili, so heißt mein Fahrer, ist ein sympathischer Kerl und es entspinnt sich rasch eine nette Unterhaltung über Herkunft, Familie, Berge, Klöster und vieles andere. Wir fahren zunächst in Richtung des Kurortes Baile Olanesti, um dann aber hinter dem Dorf Vladesti in einen weiteren Talast einzubiegen, wo nach dem Örtchen Cheia der Asphalt verschwindet und die Fahrt von nun an auf einer ungeteerten Forststraße weitergeht. Ich lasse mich von Vasili bis vor die Tore des Klosters Iezer bringen. Es wäre zwar noch möglich gewesen, mich noch tiefer ins Tal hineinkutschieren zu lassen, da der Fahrweg jenseits des Klosters weiterhin akzeptabel ist. Da ich mich hier aber schon mitten in einem idyllischen Waldtal befinde, ziehe ich es vor, ab nun zu Fuß weiterzugehen. Unterhalb des Klosters mache ich mich marschbereit, das bedeutet zunächst, der Witterung entsprechend, den Regenponcho über mich und über meinen Rucksack zu stülpen. Da öffnen sich oben die Klosterpforten, und ein Mann tritt heraus, der ganz und gar nicht nach Mönch aussieht. Er stellt sich mir als ein Bewohner des Dorfes Cheia vor, der hier im Kloster arbeitet. Als er merkt, daß ich nicht so gut verstehe, fängt er an, rumänisch so langsam zu sprechen, dass ich mir dabei schon wie ein Idiot vorkomme. Ich gehe nun die Forststraße hinauf, vom glucksenden und gurgelnden Wasser des Cheia – Baches begleitet. Ein Holztransporter donnert mir schwankend entgegen, ich sehe die riesigen Baumstämme, die sich hinten auf der Ladefläche bedrohlich stapeln, hoffentlich hält die Ladung!
Zahlreiche kleine Bächlein plätschern aus engen Nebentälchen herab, schlüpfen unter der Forststraße hindurch, um sogleich in das Hauptgewässer einzumünden. Weiter talaufwärts bildet der Cheia eine kleine, aber sehenswerte Wasserfallklamm. Ein mit Heiligenbildern ausgeschmückter Pavillon bietet, im Inneren mit Tisch und Bänklein versehen, einen Unterschlupf, bevor ich der beschilderten Abzweigung nach links folge. Jetzt wird die Straße schlechter und steiler. Dennoch lassen es sich einige Automobilisten nicht nehmen, die Fahrt auch über diesen Weg noch fortzusetzen. Unterwegs begegne ich wohl gut einem Dutzend PKWs, die von den Klöstern zurückkehren, oder eben dorthin fahren. Außer dem Iezer – Kloster verbergen sich nämlich noch zwei weitere kleine Abteien im Bergwald. Die erste heißt Pahomie, die zweite Patrunsa. Letztere feiert heute den Tag ihres Schutzpatrons, das weiß ich von Vasili. Daher erklärt sich auch der heute so rege Verkehr, ansonsten dürften diese beiden Nebenklöster (rumän.: Schitul) wohl eher rar besucht sein. Nach einem etwa zweieinhalbstündigen Spaziergang stehe ich schließlich unter dem Eingangsturm von Pahomie, meinem heutigen Etappenziel. Dieses kleine Kloster ist wirklich entzückend! Direkt neben dem Eingang stürzt ein Wasserfall über dunkle Felsen, oberhalb dessen eine Darstellung des Gekreuzigten mit der trauernden Mutter Maria angebracht ist. Während sich ein paar Pilger rituell mit dem herunterstürzenden Wasser waschen, lärmen zwei rücksichtslose Zeitgenossen lautstark herum, trotz des Schildes mit Bitte um Einhaltung der Ruhe. Ich betrete das Kloster durch den Eingang unter dem Turm. Unter einem mächtigen Kalkfelsen ducken sich eine kleine Kapelle, sowie ein Wohnsektor. Links oberhalb der Klosterwiese befindet sich ein weiteres Gebäude, das zu einem guten Teil aus Holz erbaut und mit mehreren Türmen geschmückt ist. Das Haus erinnert mich auf Anhieb ein wenig an Pippi Langstrumpf´s Villa Kunterbunt. Beim Nähertreten erkenne ich an den Außenwänden vielerlei Heiligenbildchen, die mich sehr schnell wieder daran erinnern, wo ich mich denn wirklich befinde. Das sakrale Zentrum aber ist sicher die Kapelle mit ihrem winzigen Vorplatz, wo sich etwa ein Dutzend Personen versammelt haben. Während die Einen betend in oder vor der Kapelle verharren, sind andere wiederum mit Fotografieren beschäftigt. Bei den Besuchern handelt es sich durchwegs um Rumänen, ich bin der einzige Ausländer. In einer Ecke des Betraumes befindet sich ein Kachelofen, an welchem soeben ein Mönch mit dem Nachlegen von Brennholz beschäftigt ist.
Die Besucher verlassen nach und nach das Kloster, ich bleibe allein in der Kapelle zurück. Der Innenraum ist mit schönen, an manchen Stellen vom Zahn der Zeit angenagten Heiligenbildern ausgestattet. Typisch für orthodoxe Kirchen ist die Abtrennung durch den mit einem Vorhang behangenen Holzrahmen vom Betraum des Priesters zu dem Raum, in welchem sich die Gläubigen versammeln. Ich konzentriere nun meine Sinne auf den Geruch, der das Kapelleninnere erfüllt, denn dieser hat etwas, was mir doch sehr bekannt ist. Ich bin erst vor wenigen Wochen von meiner zweiten Himalayafahrt zurückgekehrt. Auch diesmal, wie bereits schon auf meiner ersten Reise dorthin, bot sich wieder reichlich Gelegenheit, einige tibetisch – buddhistische Klöster zu besuchen. Hier, im Inneren des kleinen Kirchleins von Pahomie, kehrt die Erinnerung daran über den Geruch zurück. Es ist nicht exakt derselbe Duft, aber die beiden Gerüche haben die selbe Grundnote. Es ist diese eigentümliche Mischung aus feuchtem Gemäuer, Rauch, Weihrauch- und Kerzenduft, sowie altem Holz, die mir als Gesamtnote bislang eben nur hier oder in den Klöstern Ladakhs und Nepals begegnet ist, und die ich daher wohl auch für immer mit dem Erlebnis Kloster in Verbindung bringen werde.
Ich trete wieder hinaus auf den kleinen, regennassen Vorplatz. Vom Himmel dringen nun schon wieder erhellende Sonnenstrahlen zwischen den sich lichtenden Regenwolken herab. Die mächtige Felswand, die sich senkrecht direkt über der Klosteranlage emporreckt, bildet Höhlen aus und ist von Ruß schwarz gefärbt. Die Klostergründer haben sicher noch in den schlichten Höhlen gelebt, und der Rauch ihrer Koch- und Lagerfeuer hat die riesige, graue Kalkwand derart eingerußt. Es sollen auch heute noch viele Mönche in so mancher versteckter und abgelegener Höhle der Vorgebirgswälder ein karges und abgeschiedenes Einsiedlerdasein führen. Ich sehe den Mönch von vorhin aus dem Wohnhaus kommen. Ich gehe auf ihn zu, und frage ihn höflich, ob es möglich sei, die Nacht hier im Kloster zu verbringen. Er bejaht mit ruhiger Stimme, und weist mir sogleich ein Zimmer mit Bett im Wohntrakt unter dem Felsen zu. Das Bett ist eine Liege, was ja bekanntlich den Bandscheiben besser bekommen soll, als etwa durchgelegene Himmelbettmatratzen. Eine grobe Schafswolldecke dient zum Zudecken, und in der Ecke befindet sich ein kleiner Kachelofen, der zwar bereits munter vor sich hinknistert, von dem Mönch aber dennoch einen kleinen Nachschub an Holzscheiten zugeführt bekommt, damit der neue Gast auf die Nacht hin auch warm haben möge. Anschließend werde ich in den Speiseraum neben der Klosterküche geführt. Beide Räumlichkeiten befinden sich im selben Gebäude, wie meine Schlafkammer. Der Mönch bewirtet mich zunächst mit einer schmackhaften Ciorba, dann folgen Nudeln mit einer wirklich raffinierten Knoblauchsoße, dazu ein Krug Wasser und frischgebackenes Brot, eine einfache, aber wohlschmeckende Kost. Ich frage, ob er sich für die köstliche Knoblauchsoße verantwortlich zeichne. Ein herzliches Lächeln huscht über sein bärtiges Gesicht, was einer Bejahung gleichkommt. Der Mönch scheint mir recht jung, trotz des langen Bartes kann ich sehen, dass er vielleicht um die dreißig sein wird. Er scheint ein Typ von ruhigem Gemüt, und wenn ich etwas sage oder frage, dann ist immer dieses Lächeln da, das mir diesen Menschen so sympathisch macht. Eine Vereinigung von Güte, Nachsicht und Verständnis scheint darin zu liegen. Eine Kommunikation mit ihm ist nur auf rumänisch möglich, und da ich diesbezüglich immer noch etwas Ladehemmung habe, wird nur eine sehr einfache Unterhaltung möglich.
Ich begebe mich nach dem Essen noch ein wenig auf Wanderschaft in Richtung Patrunsa – Kloster. Ich will entweder dem Nachbarkloster noch einen abendlichen Kurzbesuch abstatten, oder aber den Einstieg für meine geplante Kammwanderung auf dem Buila – Vânturarita – Grat finden. Ein Stück weit auf dem Fahrweg bergauf steht hinter einer Kurve ein metallenes Gedenkkreuz vielleicht zwei bis drei Meter abseits des Weges. Dahinter finde ich eine Wandermarkierung und einen schmalen Pfad. Mal sehen, wo der hinführt! Aufgrund der stetigen Steigung schließe ich bereits nach 10 bis 15 Minuten Gehzeit aus, dass dies ein Pfad rüber zum Patrunsa – Kloster ist. Es könnt sich also um einen Zustieg zum Buila – Kamm handeln. Nach wohl einer Dreiviertel Stunde Aufstiegszeit gelange ich schließlich zu einer Stâna (rum.: Sennhütte). Die Hirtenunterkünfte in den Bergen sind um diese Jahreszeit alle schon verwaist, so dass ich auch hier niemanden antreffe. Da es bald dunkel wird, macht es keinen Sinn mehr, den Weg weiter fortzusetzen. Den Abstieg zurück zum Forstweg lege ich allerdings in einer sehr kurzen Zeit zurück. Ich beschließe daher, trotzdem noch in Richtung Patrunsa zu wandern, vielleicht brauche ich ja doch keine 1 – 2 Stunden, wie das Schild am Pahomie – Kloster angegeben hat. Wo das Tal an einem Knick von einem Bach durchschnitten wird, hört der Fahrweg auf und setzt sich als schmaler Wanderpfad fort. Direkt am Bach erkenne ich bereits auf Entfernung eine ganz in schwarz, mit einem Kopftuch bekleidete weibliche Person. Als ich näher komme, höre ich, dass sie herzzerreißend weint. Als das junge Mädchen mich bemerkt, wirkt sie etwas erschrocken und wendet sich von mir ab, denn offenbar ist es ihr peinlich, dass ich sie hier hemmungslos Weinen gesehen habe. Auch ich bin etwas peinlich berührt und gehe weiter. Kurz darauf kommen mir zwei bis über die Knie mit Schlamm eingesudelte Wanderer entgegen. Dan, so heißt der Ältere, und Miros, sein etwa 12-jähriger Sohn, kehren gerade aus Patrunsa zurück. Es sei von hier aus noch mindestens eine Stunde auf schmierigem Weg zu gehen, teilen sie mir mit. Da es bereits dämmert, kehre ich zusammen mit ihnen um. Ob sie als Wanderer oder als Pilger im Kloster gewesen seien, frage ich die Beiden. Sie hätten beide einen Fehler begangen, und seien daher im Kloster zur Abbitte gewesen, erklären sie mir. Dan spricht nur rumänisch, und wenn´s mit der Verständigung hapert, dann springt Miros mit Schulenglisch ein. Die Beiden bieten mir an, mich im Auto zurück nach Pahomie zu bringen und ich willige gerne ein. Wir nehmen auch noch das trauernde Fräulein mit, auch sie wird die Nacht in Pahomie verbringen, während Dan und Miros noch nach Bukarest weiterfahren müssen.
Bis wir im Kloster sind, ist es schon fast dunkel. Im Speiseraum ist eine Gruppe von Personen zum Essen versammelt. Wir werden gebeten, an der Tafel Platz zu nehmen, und zuzugreifen. Hier wird das letzte Abendmahl gefeiert, und zwar ziemlich authentisch! Einer der beiden anwesenden Mönche verharrt stehend am Kopfende des Tisches und liest mit Kerzenlicht aus der Bibel vor, während der Mönch, den ich bereits kennen gelernt habe, mit etwa einem halben Dutzend weiteren Gästen beim Essen sitzt. In der Mitte, zwischen den Gästen, hat der Prior des Klosters Platz genommen, genau in der Position, wie Jesus auf den bildlichen Darstellungen des Abendmahles.
Nach diesem besinnlichen Mahl treten wir alle aus dem Speisesaal heraus, und der Prior begrüßt mich nun mit einem herzlichen Handschlag. Dabei versäumt er es nicht, mich darauf hinzuweisen, dass nun in der Kapelle die Heilige Messe gefeiert würde. Der Beginn des Gottesdienstes wird in orthodoxen Klöstern mit einem wiederholten Hämmern auf ein Holzbrett (rumänisch: toaca) angekündigt. Dabei benutzt der ausführende Mönch zwei kleine Hämmer, die er zuerst langsam, dann im dynamisch schneller werdenden Rhythmus auf´s Brett schlägt. Dieser Vorgang wird mehrfach wiederholt. Der Betraum ist nur von Kerzen beleuchtet, die Liturgie ist dann ausschließlich Sache der beiden anwesenden Mönche und des Priors. Die Gläubigen stehen entweder, oder kauern kniend auf dem Boden, gelegentlich auch das Haupt bis ganz zum Boden herab gesenkt. Immer wieder werden Kreuzzeichen geschlagen, ansonsten bleibt die "Gemeinde" passiv. Es existieren offenbar zwei verschiedene Ausführungen des Kreuzzeichens. Das uns bekannte über Kopf, Rumpf und die beiden Schultern, und eines, bei dem man die Hand zu den Füßen hinabführt. Mit Weihrauch wird nicht gespart, dieser riecht aber anders – im Übrigen sehr angenehm -, als der, den ich aus meiner katholischen Kinder- und Jugendzeit kenne.
Nach der Messe, die vielleicht eine Dreiviertel Stunde in Anspruch nahm, begleitet mich der zweite Mönch, dessen blonder Bart länger scheint, als die Haartracht. Normalerweise seien fünf Mönche in diesem Kloster, während meines Aufenthaltes sind aber nur drei anwesend. Der Mönch erklärt mir, dass um 2 Uhr morgens eine weitere Messe stattfindet. Wenn ich allerdings zu müde wäre, bräuchte ich nicht extra dafür aufzustehen. Die Morgenmesse sei dann um Acht. Wenn schon Kloster, dann richtig Kloster, lautet meine Devise, und bereits zehn Minuten vor 2 mache ich mich bereit. Da ich mich schon gegen 21 Uhr hingelegt habe, und nach der Nachtmesse abermals das warme Bett auf mich wartet, habe ich damit keine Probleme. Der Mönch, welcher mich am Nachmittag empfangen hatte, steht kurz vor 2 oben auf dem Turm und beginnt mit den obligatorischen Klopfzeichen, während das Licht seiner kleinen Stirnlampe schwach durch die neblige Regennacht schimmert . Außer mir sind noch vier weitere Personen aufgestanden, unter ihnen auch das trauernde Mädchen. Die Atmosphäre dieser Nachtmesse ist beeindruckend. Die gesamte Zeremonie wird mit schummrigem Kerzenlicht beleuchtet. Der Prior, der sich die meiste Zeit über im abgetrennten, hinteren Raum befindet, und von dem wir dann nur seinen festen Baß und seine klar akzentuierte Sprechweise hören, erscheint gelegentlich mit dem Weihrauchkessel, den er gleichmäßig vor unsere Nasen und über unsere Köpfe schwenkt. Die Liturgie scheint mir recht umfangreich und kompliziert, wobei sich der Prior und die beiden Mönche genau eingespielt im Rezitieren ablösen. Die Vorgänge interessieren mich, auch wenn ich fast nichts dabei verstehe. Allerdings hat die Nachmesse eine Länge, die sich gewaschen hat. Nach zweieinhalb Stunden ist der Gottesdienst vorüber, um halb Fünf Uhr morgens schleiche ich mich zurück ins Schlafgemach. Aller guten Dinge sind drei, und so finde ich mich um 8 Uhr morgens erneut zur Frühmesse ein, die mit einer Dauer von einer knappen Dreiviertel Stunde in einem kurzweiligen Zeitrahmen bleibt. Den Gebetsraum nun im frischen Morgenlicht zu erleben, belohnt allein schon meine Beharrlichkeit.
Die Wanderung hinüber nach Patrunsa ist in ihrem zweiten Teil, der über einen schmalen Pfad führt, recht rutschig, aber wunderschön. Bevor ich das Kloster erreiche, kündigt, wie zuvor schon vor dem Pahomie – Kloster, ein mit Heiligenbildern bemalter Pavillon, bei dem sich auch eine kleine Trinkwasserquelle befindet, die Nähe der heiligen Stätte. Hier in Patrunsa herrscht schon mehr Umtrieb, als in Pahomie. Ich durchquere zunächst die Klosteranlage, um auf einem Wiesenstück oberhalb der neu erbauten Kirche (2005 fertiggestellt!) zu rasten und den Weiterweg zu studieren. Nach kurzer Zeit gesellt sich ein junger Mönch zu mir. Er fragt mich nach meinen Absichten und es scheint so, dass ich gerade an den Richtigen geraten bin. Der fromme Bruder ist nämlich begeisterter Bergwanderer und kennt sich offenbar bestens aus in der Gegend hier. Ein zweiter Mönch kommt hinzu. Beide verfügen übrigens über Fremdsprachenkenntnisse, die auch mir entgegenkommen. So spricht der Erste französisch, während der Andere englisch kann. Die Konversation aus rumänisch, französisch und englisch ist dann auch recht flüssig und ergiebig. Der bergbegeisterte Mönch erklärt mir, dass mein Vorhaben, über das Buila – Vânturarita – Massiv zum Capatâni – Hauptkamm zu gelangen, kein einfaches Unterfangen sei. Ein großes Manko sei schon mal, ohne Karte, mit nur einer Skizze der Kammverläufe, unterwegs zu sein. Er fertigt mir daher eine recht detaillierte Handzeichnung des Buila – Vânturarita – Massivs und dessen unmittelbarer Umgebung mitsamt aller markierten Wege an. Hinzu steht er mir noch hilfreich mit Erklärungen zur Seite. Bislang kann ich noch nicht ahnen, was für eine Bedeutung die Skizze des Mönchs noch für mich haben soll, und auch die Aussage, dass ich mich dort oben in schwieriges Gelände begeben würde, halte ich immer noch für die Übertreibung eines Nur - Wanderers. Schließlich passiert es einem ständig in den Bergen, dass man Leuten begegnet, die einen über angeblich schwieriges oder gefährliches Gelände aufklären wollen. Der zweite Mönch ist inzwischen zum Kloster zurückgeeilt und kehrt nun mit einer Ausgabe von "Muntii nostri" zurück, in der das Buila – Vânturarita – Massiv eingehend auf rumänisch beschrieben ist. Die beiden geben mir dieses schöne Büchlein als Geschenk mit auf den Weg. Zudem werde ich noch zum Mittagessen in die Klosterküche eingeladen. In der Küche wird eifrig gearbeitet. Mehrere Mönche sind dort, die Küchenschürzen umgebunden, mit der Essenszubereitung und den sonst noch anfallenden Küchenarbeiten beschäftigt. Mir wird köstlich auf rustikale Art aufgetischt: auf eine Ciorba folgen Sarmale mit Kartoffelbrei, dazu gibt es frischen Yoghurt. Zum Abschied möchte ich eigentlich formlos eine kleine Spende hinterlassen. Dazu müsse ich beim Prior vorsprechen, heißt es, und somit werde ich nun auch dem Klostervorsteher bekannt gemacht. Eigentlich habe ich einen alten Mann mit weißem Bart erwartet, doch der, der vor mir steht, dürfte die 40 nicht weit überschritten haben. Eigentlich wollte ich meine bescheidenen Gabe nicht gleich wieder in Naturalien aufgewogen wissen, doch noch ehe ich meine Spende an den Mann bringen kann, werde ich schon mit Geschenken überhäuft. Die Flasche Wein kann ich noch zurückweisen, Kreuz und Armband werden mir angelegt und den Sack voll Zitronen stecke ich halt in meinen ohnehin schon gewichtigen Rucksack. Zwischendurch krame ich eben mal einen Geldschein mehr hervor, als ursprünglich vorgesehen. Nach einem kleinen Plausch und nachdem ich zwecks Fürbitten eine Liste aller mir nahestehenden Personen, links die Lebenden, rechts die Toten, niedergeschrieben habe, mache ich mich endgültig auf den Weg ins Gebirge. Der gute Geist des Klosters ist übrigens ein nicht – klerikaler Alter mit einem ellenlangen, weißen Bart, der in einem kleinen Häuschen unweit des Klosters wohnt. Der sieht aus wie Leonardo da Vinci, war mein erster Gedanke. Als ich nun Patrunsa hinter mir lasse, ruft er mir zum Abschied "arrivederci!" hinterher. Ich wusste es doch!
Wie die Mönche mir beschrieben haben, begebe ich mich zunächst zu einem weißen Gedenkkreuz, welches sich auf der selben Höhe, wie Patrunsa, jenseits eines kleinen Waldstücks befindet. Das Kreuz ist vom Kloster aus sichtbar. Hier mühe ich mich zunächst steil den Hang hinauf. Wunderschöner Mischwald wird später von Tannenbeständen abgelöst, kleine Bergbäche plätschern mir entgegen. Immer noch steil, durchquere ich eine Bergwiese, die Markierung rotes Kreuz kommt mir dabei abhanden, doch ich bin mir sicher über die Lage meines Zwischenziels, dem Sattel Curmatura Builei. Im Sattel befindet sich die gleichnamige Stâna, wo ich bei einer kurzen Rast die Pracht der sich hier entfaltenden Berglandschaft in mich aufnehme. Bereits von den Klöstern aus konnte man oberhalb der Baumwipfel mächtige Kalkfelsen aufragen sehen, und hier oben, nun endlich auf der Kammhöhe der Buila – Vânturarita angekommen, bin ich freudig überrascht über die vielen attraktiven und schroffen Kalksteinformationen. Die Umgebung lässt sich sehr gut mit den Bucegi – Tälern, wie der Valea Cerbului (Hirschtal) oder der Valea Gaura, vergleichen. Auf einem schönen Bergpfad folgt die Markierung roter Punkt dem Kammverlauf. Der anfänglich herrlich sonnige Herbsttag hat sich inzwischen – das immer dichter werdende Gewölk hat es mir im Aufstieg schon angekündigt – zu einem kalten Nebelbad gewandelt. Ein solcher Zustand mag mir in den Karpaten schon fast normal erscheinen. In keinem anderen Gebirge bin ich so oft durch Nebelwände geirrt, und dennoch hat auch eine scheinbar so unerfreuliche Wetterlage für gar manche spannende, unvergessliche, und auch schöne Bergtour gesorgt. Denn niemals sonst entfacht der Anblick einer Bergspitze eine vergleichbare Erregung, wie wenn sie sich ihrem Betrachter hinter weichenden Nebelschleiern, zunächst in Fragmenten, und dann mit Glück in ihrer vollen Darstellungskraft, präsentiert.
Da ich inzwischen wieder mal ohne Wegzeichen im Hang quere, verpasse ich den Buila – Gipfel (1849 m). Ich nehm´s mit Gelassenheit, Aussicht hätte es ohnehin keine gegeben. Weniger gelassen entnehme ich dann einem Schild, dass mir bis zur Curmatura din Oale (1655 m) noch dreieinhalb Wegstunden bevorstehen. Anbetrachts der bereits fortgeschrittenen Tageszeit würde dies bedeuten, dass ich dort erst in der Dunkelheit eintreffen würde. Doch sogleich verdrängt mein Optimismus die bösen Geister in meinem Kopf. Ich will mir einfach nicht vorstellen können, dass dieses kurze Kammstück dreieinhalb Stunden beansprucht. Bestimmt ein Fehler, denke ich, das soll ja gelegentlich hier vorkommen. Ja selbst in den Alpen trifft man hin und wieder auf Wegweiser mit falschen Gehzeiten. Ich setze somit die Wanderung auf der inzwischen wieder gefundenen Markierung fort. Die wilde Wegführung überrascht mich allerdings. Den Vioreanu – Gipfel (1866 m) erreiche ich noch problemlos, doch dieser scheint schon nahezu senkrecht nach Norden hin abzubrechen (leider endet der Tiefblick in einem Nebelloch). Beim Wiederabstieg versteige ich mich im Nebel, in unmittelbarer Nähe zu mir kreischt wild ein Adler auf, doch ich sehe den Vogel nicht. Endlich finde ich zumindest vorübergehend wieder auf die Route zurück. Diese setzt sich nun überwiegend als Wegspur oder schlecht ausgetretener, oft mit Pflanzenbewuchs überwucherter Pfad fort, der in einem wilden Labyrinth mal diesseits, mal jenseits von ungewöhnlich schroffen und teils ausgesetzten Graten, Türmen und felsig-grasigen Schrofen, oder direkt über diese hinwegführt. Bei schönem Wetter ist das sicher eine atemberaubende Unternehmung, doch in der jetzigen Situation wird´s langsam brenzlig. Durch den Nebel der Sicht beraubt, verwirrt mich die Wegführung, erscheint mir unlogisch, und manchmal habe ich den Eindruck, ich würde in die Gegenrichtung zurückgeführt. Noch dazu verliere ich ständig die Wegzeichen. Ausgerechnet in diesem durchaus absturzgefährlichen Gelände wäre es mir recht, den richtigen Pfad nicht zu verlieren, andererseits kann ich es mir aufgrund der mir nun tatsächlich davonrinnenden Zeit auch nicht leisten, diese ständig mit der Suche nach Wegzeichen zu verplempern. Bei Dunkelheit mit der Stirnlampe hier weiterzumachen, erscheint mir auch keine verlockende Aussicht, und das Wort "Notbiwak" beginnt sich schon in mein Hirn zu fressen. In diesem Gelände könnte ich mich jedoch bestenfalls in eines der vielen Dolinenlöcher hineinkauern und die Nacht dann wirklich mehr recht als schlecht im Sitzen zwischen Felsen zubringen. Nach spektakulärer Kletterei durch das von Sprühregen und feinen Schneeschauern genässte Terrain, bei der mir der schwere Rucksack äußerst hilfreich war (die Zitronen habe ich übrigens als Spende für Gevatter Bär zwischen den Felsen zurückgelassen!), erreiche ich endlich eine Waldlichtung – sollte dies die ersehnte Curmatura din Oale sein? In dieser müsste sich auch eine Stâna befinden, doch ich sehe keine. Doch meine Hoffnung keimt wieder auf, dass ich hier irgendwo auf eine solche Nächtigungsmöglichkeit stoßen könnte. Da kein Pfad mehr vorhanden ist, steige ich unangenehm steil durch Hochwald und über Bergwiesen abwärts, ohne auf menschliche Hinterlassenschaften zu stoßen. Von oben herab kann ich im gelichteten Nebel einen markanten Baum entdecken. Bis zu diesem will ich hinuntersteigen, und sollte sich mir dann immer noch kein Unterschlupf für die Nacht bieten, dann will ich mir ´s eventuell unterhalb des Baumes, wo sich scheinbar ein halbwegs flaches Geländestück anbietet, für die Nacht bequem machen. Der vom Blitz erschlagene, große Laubbaum bietet mir tatsächlich ein akzeptables Nest unterhalb seiner mächtigen, aber toten Krone. Ich liege nun allerdings direkt an einer Geländekante, sollte mich also heute Nacht nicht allzu wild umherwälzen. Als Schutz vor eventuellen Niederschlägen packe ich meinen Schlafsack in den eigentlich wenig tauglichen Biwaksack. Anschließend wickle ich mich noch in meinen Regenponcho.
Ich schlafe den Umständen entsprechend recht gut, und in meinen Schlafsack eingemummt, erlebe ich sogar ein herrliches Sonntagmorgenerwachen. Jetzt erst kann ich mich an der Großartigkeit meines gestern so unwillkürlich gewählten Nächtigungsplatzes erfreuen. Während ein tiefes Morgenrot durch die Wolkenbänder dringt, kann ich über die farbenfrohen Waldberge der Vorkarpaten blicken. Im Taleinschnitt unter mir hatten vergangene Nacht die Lichter eines kleinen Dorfes geleuchtet. Manchmal können entfernte Zeichen von Zivilisation irgendwie beruhigend wirken, auch wenn sie die gegenwärtige Situation in keiner Weise beeinträchtigen.
Während meines Wiederaufstiegs schickt die Sonne ein durch Wolken aus Nord abgeschnittenes Strahlenbündel über die Vorberge, ein wahrhaft göttlicher Anblick! Zurück auf dem Kamm, setzt sich die Tour weiterhin als wilder Gratweg fort, bis ich schließlich einen Sattel erreiche. Dort findet sich auch ein Schild, welches aber leider halb verrostet und von Schusslöchern durchsiebt ist. "Curmatura din Cheile" entnehme ich da noch, die Höhenangabe ist schon unleserlich. Ich folge nun einer dort eintreffenden Markierung gelber Punkt durch Wald abwärts. Meine Absicht ist es, heute endgültig den Capatân – Hauptkamm zu erreichen. Prompt stoße ich wenig später auf eine Blauband – Markierung. Die Hoffnung steigt, denn eine Markierung blaues Band soll laut Zeichnung des Mönches als Verbindungsweg ins Capatân hinüberführen. Allerdings führt dieser Weg nun stetig abwärts und ich ahne schon, dass ich wohl anstatt auf dem Hauptkamm, vielleicht am Forsthaus Cheila den Tag beenden werde. Dieser Tatsache sehe ich jedoch ohne Sorge entgegen, denn wenn dies der Fall sein sollte, dann habe ich diesen Ort eben auch noch kennengelernt und müsste dann in Gottes Namen eben meine weiteren Pläne eventuell abändern.
Nach einem recht langen Abstieg erreiche ich tatsächlich das Forsthaus (rumänisch: Canton) Cheila, das inzwischen auch den Namen "Cabana Cheila" trägt, denn der Förster versteht sich auch als Cabanier, also Hüttenwirt für tatendurstige Bergfreunde. Leider empfängt mich hier unten nicht etwa ein freundlicher Wirt, sondern zwei äußerst mies gelaunte Hirtenhunde. Da trotz des nun einsetzenden Spektakels vor der Hütte niemand vor die Tür tritt, gehe ich davon aus, dass der Förster wohl momentan außer Haus ist. Mit den beiden Strolchen jedenfalls ist hier nicht gut Kirschen essen, und ich ziehe es somit vor, vorerst mal weiterzuziehen. Die Lage des Forsthauses indes ist genial! Es steht mitten in einer fantastischen Schlucht, lotrechte Kalkwände türmen sich ringsherum auf. Der Cheila – Bach fließt hier durch einen engen Durchbruch. Ich quere die Brücke zu deren gegenüberliegenden Ufer, wo ich einen mit rotem Band frisch markierten Pfad finde. Mal sehen, wo der wohl hinführt! Vielleicht komme ich doch noch zu einem Übergang hinüber zum Hauptkamm. Der Pfad führt zunächst in Serpentinen aus der Schlucht heraus, dann stehe ich vor einem Tunnel, an dem drei Autos mit Bukarester Nummern geparkt sind. Hinter dem Tunnel führt ein Fahrweg abwärts. Wenn ich diesem weiter folgen würde, dann wäre der Hauptkamm wohl verloren, denn allen Anschein nach würde er mich in eines der Dörfer auf der Capatân - Südseite hinabbringen. Hinterher soll ich in Erfahrung bringen, dass dieser Weg nach Baile Olaneste geführt hätte. Ich kehre also zurück zum Forsthaus. Kurz vor der Brücke begegne ich dann einer großen Bukarester Gruppe, die sich, ihre großen Trekkingrucksäcke geschultert, auf den Rückweg nach Hause machen. Ihnen gehören die oben geparkten Autos. Die jungen Leute sind allesamt gut drauf und schwärmen mir von einem prächtigen Bergwochenende vor. Der Hüttenwirt sei übrigens anwesend. Trotzdem treten mir zunächst wieder die garstigen Hofwächter entgegen, doch diesmal erscheint gleich der Förster in der Tür, ein schnautzbärtiger Typ mittleren Alters, in Militärdrillich gekleidet. Ich passe einen Moment nicht auf, denke im Angesicht ihres Meisters werden die Hunde wohl nicht mehr ernsthaft angreifen, da beißt auch schon der kleinere und wildere von den beiden zu. Ich verpasse ihm fluchend einen Tritt, der Förster verbrät ihm einen Stein auf den Pelz. Doch noch während ich in Begleitung des Cabanier Richtung Tür laufe, beißt der kleine Giftzwerg ein zweites mal – diesmal von hinten kommend – zu.
Ich bin nun der einzig verbliebene Gast im Forsthaus, welches über zwei Räume mit Stockbetten für Nächtigungsgäste verfügt. Er könne mir leider nur noch ein paar Eier, Käse und Brot als Mahlzeit anbieten, beteuert der Förster. Morgen würde er durch seinen Kollegen abgelöst, und daher seien die Lebensmittel nun fast aufgebraucht. Ich bin darüber hochzufrieden, denn gerade die einfachen Speisen sind nach einem anstrengenden Tag in den Bergen besonders schmackhaft. Vom Schlafraum aus habe ich Direktansicht auf die prächtige Felswand, die an der gegenüberliegenden Talseite senkrecht aufsteilt. Der Wandfuß wird von herbstfarbenen Bäumen gesäumt, darunter fließt der Cheila – Bach.
Über Nacht hat es bis hier herunter geschneit und es ist steckenkalt geworden. Dafür erfreut mich aber ein klarer, sonniger Morgen. Um 8.40 Uhr verlasse ich den Förster und seine beiden wilden Gesellen. Der Förster begleitet mich noch, bis ich über den kleinen Bach am Waldrand weg bin, um eventuellen erneuten Hundeattacken vorzubeugen. Ich tat übrigens gut daran, nachts nicht zur Toilette zu gehen und mir dieses bis zum frühen Morgen zu verkneifen. Als ich im Geleitschutz des Försters zum Toilettenhäuschen hinter der Hütte gehe, liegt ausgerechnet direkt vor dessen Eingang mein bisswütiger Freund.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als die ganzen gestern totgemachten Höhenmeter wieder aufwärts zu steigen. Frisch gestärkt und wohl ausgeruht fällt mir dies aber leicht. Ich verfüge leider über keine Höhenangaben bezüglich der Lage des Forsthauses, schätze diese aber auf vielleicht 500 Meter. Der ohnehin wenig ausgeprägte Pfad ist in der Laubwaldzone völlig mit Laub und jetzt zusätzlich noch mit zartem Schnee überdeckt. Die Suche nach Pfadspuren und Markierungen macht mir heute – ohne Zeitdruck – richtig Spaß. Die Pfadsuche ist meiner Meinung nach immer wieder eine gute Übung für das Auge und für die Ausprägung des Instinkts. Ich erreiche die Stelle, von der aus ich gestern abwärts gegangen war und benötige tatsächlich ein paar Suchminuten, um jetzt den richtigen Weg zu finden. Fast schon empört stelle ich nun fest, dass ich mich gestern bereits nur wenige Gehminuten unterhalb des von mir gesuchten Sattels Curmatura Comarnice befunden habe. Andererseits bin ich im Nachhinein betrachtet froh darüber, diesen schönen Abstecher in die Cheila – Schlucht genommen zu haben. Der Comarnice – Sattel präsentiert sich mir als kleine Waldlichtung ohne jegliche Beschilderung. Um das Zeichen Blauband zu finden, muß ich zunächst einmal in alle Richtungen ausschwärmen. Die Suche nach der Markierung bleibt vorerst erfolglos. Auf Anhieb stoße ich allerdings auf die Markierung rotes Dreieck, die den Buila – Vânturarita – Kamm in seiner gesamten Länge zurückverfolgt, allerdings unterhalb des Grates verlaufend. Was bin ich froh über die Zeichnung und die wörtlichen Erläuterungen des Mönches! Denn somit bin ich mir ziemlich sicher, dass nur der nach Nordwesten hin abzweigende Pfad der richtige sein kann. Nachdem ich dieser Route ein Weilchen gefolgt bin, taucht nun tatsächlich das eine oder andere verwitterte Wegezeichen blaues Band auf. Die Markierung bleibt miserabel, der Pfad indes verläuft schnurstracks durch den Bergwald in Richtung Norden. Eine Abzweigung verführt dazu, nach links zu gehen, ich stelle aber schnell fest, dass dieser Weg den erneuten Abstieg bedeuten würde. Um 13 Uhr betrete ich die erste verschneite Hochfläche. Inzwischen hat sich das Wolkenaufkommen verdichtet und ich ahne schon, dass es wohl vorerst wieder vorbei ist mit der Schönwetterlage.
Die ersten paar Gipfelkuppen gehören immer noch zu dem Kamm, welcher den Buila Vânturarita mit dem Capatân – Hauptkamm verbindet. Der Pfad "blaues Band" bedeutet nichts anderes, als die Längsüberschreitung dieses Verbindungskammes. Ich blicke zurück. Die Kare des Buila – Vânturarita sind durch den frischen Schneefall angezuckert. Jetzt erst wird mir die frappierende Ähnlichkeit dieses prächtigen Kammes mit dem Königstein (Piatra Craiului) – Massiv bewusst! Im Süden verschmilzt die Ebene der Walachei mit dem Horizont. Zwischen weißen Bergkämmen ragt einer besonders in die Höhe. Es kann sich wohl nur um den Fagarasch handeln. Weit näher ist der scharfe Taleinschnitt des Cheila – Baches, den meine Blicke nun in seiner gesamten Länge verfolgen. Doch das Panorama soll nicht mehr lange anhalten. Bald umhüllen dichte Wolken die höheren Gipfelkuppen, und kurz danach marschiere ich schon selbst in der Nebelsuppe. Es beginnt zu schneien, und der kalte Wind legt an Schärfe zu. Ich stoße auf einen kammnahen Fahrweg, den ich, nachdem er mir als Aufstiegshilfe dienlich war, zwecks Überschreitung von zwei oder drei Gipfelkuppen verlasse. Die Schneedecke hat zwar nur vielleicht 10 Zentimeter, sie ist aber geschlossen. Trotzdem lässt es sich in diesem trockenen Pulver gut gehen, allerdings nun völlig pfad- und markierungslos. Der Wind nimmt immer mehr an Stärke zu, zumindest vom Wetter her herrschen nun schon harte Winterbedingungen. Was mir nun wirklich Sorgen bereitet, ist die schlechte Sicht, und daraus resultierend, das Problem, eine zur Übernachtung geeignete Stâna auszuspähen.
Das Capatân – Gebirge hat den Ruf, dass es hier sehr viele dieser Sennhütten gibt. Dies war mit ein Grund, dieses mal auf die Mitnahme meines 4 – Kilo – Zeltes zu verzichten. Man kann davon ausgehen, dass diese Unterkünfte bereits ab Ende September zumindest in den höheren Lagen verlassen sind. Es ist in Rumänien durchaus üblich, dass solche Hütten dann von Wanderern als Nächtigungsmöglichkeit weiter benutzt werden. Eine Stâna ist dann auch niemals verschlossen. Allerdings sollte man sich bezüglich des Komforts keine allzu großen Illusionen machen. Diese Hütten sind stets sehr zugig (klaffende Ritzen, nur mit Plastiksäcken verhängte, oder meist ganz offene Fenster, offene Rauchfänge im Dach), wer es abends warm haben will, sollte bereits in der Waldzone mit dem Holzsammeln beginnen, und wenn es, wie jetzt, durch den Rauchfang auf die Feuerstelle herabgeschneit hat und kein trockenes Holz zu finden ist, rettet ohnehin nur noch der hoffentlich wärmende Schlafsack. Dennoch kann gerade in einer Situation, wie heute, so eine Stâna zu einer Stätte der Heimeligkeit und Geborgenheit werden. Unter keinen Umständen will ich heute noch einmal notbiwakieren müssen, denn bei den nun herrschenden Bedingungen wäre dies wirklich verheerend. Ich starre wie besessen in die dichte Nebelwand, ständig in der Erwartung einer kurzen Nebellichtung, um dann vielleicht eine Stâna oder sonst ein Hüttchen, oder wenigstens einen Anhaltspunkt für die Wegfortsetzung zu erhaschen. Ich kehre zurück auf den Fahrweg, da mir diese Variante momentan am vernünftigsten erscheint. Prompt stoße ich an einer Wegkreuzung auf ein Schild. Es zeigt mir "Spre Vf. Valean – Spre Bistrita 5-6 ore – spre Vf. Ursu 3 ore". Na, wer sagt´s denn, mit diesen Angaben weiß ich nun doch schon etwas anzufangen. Sollte ich nämlich in absehbarer Zeit keine Stâna finden, so würde ich eben den Fahrweg hinunter Richtung Bistrita nehmen, denn dort würde ich am Ende einer Schlucht das Kloster Bistrita erreichen, von dem ich weiß, dass es auch Gäste aufnimmt. Das Bistrita – Kloster ist übrigens größer und viel bekannter, als Pahomie und Patrunsa. Allerdings müsste ich aufgrund der Entfernung dort wohl nachts an die Pforten klopfen.
Ich folge aber zunächst weiterhin dem Fahrweg gen Westen, der nun durch die oberen Bergwaldhöhen zieht. Ich finde frische Spuren im Schnee, die eines Menschen und die eines Hundes. Da es weiterhin schneit, ein erbarmungsloser Wind pfeift, die Spuren jedoch weder verweht noch zugeschneit sind, schätze ich, dass die Beiden höchstens 20 Gehminuten vor mir sind. Der Nebel neigt jetzt glücklicherweise dazu, sich hin und wieder zu lichten, und plötzlich entdecke ich auf einer Wiese, kurz vor dem Waldrand zwei Vierbeiner. Zuerst denke ich, es seien Wölfe, was einer Sensation gleichkäme, da diese tagsüber vom Menschen so gut wie nie gesehen werden. Doch als die Zwei mich entdecken, ergeht eine wilde Bellerei. Doch anders, als ich das sonst von den Hirtenhunden der rumänischen Karpaten gewohnt bin, treten sie mir nicht entgegen, sondern verziehen sich über einen weiter unten einmündenden Fahrweg. Kurz hinter dieser Einmündung sehe ich dann endlich eine Stâna und ein Stein fällt mir vom Herzen. Die Spur von Hund und Mensch zieht überhalb der Stâna vorbei und geht weiter. Wir begegnen und somit nicht. Um 17 Uhr stehe ich endlich vor der Sennhütte. Wie zuvor bereits beschrieben, sollte man an eine Stâna keine allzu großen Erwartungen stellen. Ich betrete diese durch ein kleines Gartentürchen und befinde mich nun in einem Hof, der von zwei Gebäuden umstellt ist. Der Vorteil bei Schnee ist, dass man die wetterdichten Stellen im Gebäude rasch erkennt, nämlich da, wo kein Schnee liegt. Als Schlafplätze dienen den Hirten einfache Liegen aus Holzbrettern. Als Tisch fungiert oft nur ein zwei Holzpflöcke verbindendes Brett, als Sitzgelegenheiten genügen ein paar Baumstümpfe. Allerlei Firlefanz fährt in so einer Stâna herum: alte Pullover und vor Schmutz starrende Hosen hängen an den Wänden, feuchte (jetzt gefrorene) Wolldecken liegen herum, Konservenbüchsen, alte Zeitungen usw. Ich jedenfalls bin überglücklich, mich endlich von vier halbwegs wetterfesten Wänden umgeben zu sehen, auch wenn darinnen gut und gerne minus 10 Grad knacken. Mein Trinkwasser ist somit eingefroren, wodurch ich zum Kochen und Trinken erst mal tüchtig Schnee schmelzen muß. In dieser zwar extremen, aber trockenen Kälte bewärt sich mein Sommerschlafsack glücklicherweise besser, als ich ihm zugetraut hätte. Nachts um 11 werde ich durch das Motorengeräusch eines Traktors geweckt. Verflucht noch eins, wer fährt mitten in der Nacht, noch dazu bei so einer Wetterlage, durch´s Capatân – Gebirge? Es gibt nur eine Antwort: Waldarbeiter, wahrscheinlich die einzigen Menschen, die um diese Jahreszeit noch in den höheren Lagen der Karpaten unterwegs sind, allerdings nur bis zur Baumgrenze. So dürfte auch die menschliche Spur samt vierbeinigem Begleiter ein dieser Berufsgilde Zugehöriger gewesen sein.
Das romantisch glühende Morgenrot verheißt erneut nichts Gutes, doch vorläufig kann ich mich noch an einem schönen Morgen erfreuen und wandere auf dem Fahrweg in den Sattel Curmatura Rodeanu. Unter mir befindet sich am Waldrand ein dreistöckiges Haus, welches von hier aus besehen wie ein gemütliches Berghotel aussieht. Wie gut dieses in Schuß ist, bzw. ob es denn auch bewirtschaftet wird, darüber kann ich leider keine Aussage treffen. Direkt neben diesem Gebäude befindet sich eine Stâna. Bald verlasse ich den Fahrweg und strebe dem ersten Gipfel des Tages entgegen. Der Vf. Ursul ist mit seinen 2124 Metern Höhe der erste Gipfel im Capatân – Hauptkamm, der die 2000 – Meter – Marke überragt. Alles, was östlich von ihm in die Höhe ragt, bleibt darunter. Bei immer noch guter Sicht, aber zunehmend starkem und eiskaltem Wind, überschreite ich den Vf. Cosana (2041 m), danach folgt der Capatâna – Gipfel, welcher mit 2094 Metern zwar nicht der Höchste im Massiv ist, aber zu dessen auffallendsten Gestalten gehört. Der Wind hat zwischenzeitlich derart an Stärke gewonnen, dass ich Schwierigkeiten habe, durch die steile Rinne mit festem Schotter, die normalerweise völlig problemlos ist, wieder hinunter zu kommen, denn die eisigen Böen drücken mich fast zu Boden. Unten im Sattel ist es nicht besser und so ziehe ich es vor, anstatt die nächste Gipfelüberschreitung anzugehen, mich zunächst einmal in die Windschattenseite zu begeben, um mich ein wenig von diesen durch Mark und Bein dringenden Sturmböen zu erholen. Hier reduzieren sich die Windstärken dann tatsächlich auch auf ein erträgliches Maß. Allerdings nebeln nun die Kuppen der Gipfel zu, das Wetter wird sich also voraussichtlich weiter verschlechtern, weshalb ich beschließe, jetzt schon nach einer Stâna Ausschau zu halten.
Ich befinde mich nun wieder auf Fahrweg, welcher den Vf. Beleoaia (2039 m) südlich umgeht. Weiter vorn zieht ein Nebenkamm nach Süden. Als erstes finde ich eine zu meiner Überraschung noch immer Wasser pumpende Viehtränke. Das aus dem Trog ausfließende Wasser hat indes eine schöne Eisskulptur geschaffen. Wenn sich hier eine Viehtränke befindet, dann muß es auch eine Stâna geben! Ich marschiere also weit auf den Nebenkamm hinaus. Dieser teilt sich schließlich, ich folge dem linken Ast und stehe tatsächlich bald schon vor einer Stâna. Jetzt kann ich in der Ferne erkennen, dass sich auf dem anderen Kamm gleichfalls eine Sennhütte befindet, allerdings noch ein Stück weiter weg vom Hauptkamm. Als ich an der Stâna ankomme, ist es gerade mal 13.45 Uhr, ich war somit nur etwa vier Stunden unterwegs. Da ich die Fortsetzung meiner Wanderung über´s Parâng - Gebirge bereits abgeschrieben habe, stehe ich nicht unter Zeitdruck und kann mir so auch mal eine kürzere Etappe leisten. Die Sennhütten haben manchmal was von einem Indianerlager, bei dieser sind sogar wehende Stofffetzen an hölzernen Fahnenmasten angebracht. Man fühlt sich hier gleich als Hausherr, wenn man allein dort eintrifft und ich verbringe den Rest des Nachmittags mit Kochen, Schneeschmelzen, und mit der Erkundung der näheren Umgebung. Herrliche Aussichten sind schließlich auch hier gegeben, wenn auch nicht gar so großartig, wie von den Gipfeln des Hauptkammes. Dieser gebärdet sich wild im Hintergrund, Wolkenmassen schleifen über die Gipfelkuppen, darunter prangt das blanke Weiß einer geschlossenen Schneedecke. Eigentlich ein typisches Winterbild und nur der Blick zur anderen Seite, über die Vorberge hinweg zur Ebene der Walachei, zeigt durch buntgefärbte Herbstwälder und grüne Flächen, dass wir uns eigentlich immer noch im Herbst befinden. In der fernen Ebene glänzt ein silbernes Band, es ist der Olt, der hier Oltenien oder die Kleine Walachei von der Großen Walachei abgrenzt.
Zunächst erscheint mir der dunkle Vorraum der Hütte als Schlafgemach am günstigsten, doch schließlich stelle ich fest, dass die Pritsche direkt neben dem offenen Fenster gar nicht so zugig ist, wie man meinen sollte. Da ich besonders im Gebirge Schlafplätze neben dem Fenster wegen der morgendlichen Bergsicht bevorzuge, entscheide ich mich für diesen Platz. Eine notdürftige Reparatur mit einem herumliegenden Stück Plastikplane erweist sich als sinnlos, und so bleibt das Fenster halt offen. Und so werde ich des Morgens auch mit einem herrlichen Blick direkt aus dem Schlafsack in einen dämmernden Morgenhimmel belohnt, der diesmal nicht das fatale Morgenrot anzeigt, gleichwohl aber schon ein paar Wolkenbänder trägt, und auch die Gipfel des Hauptkammes bleiben bislang noch unter Wolken verborgen. Somit kann ich um 8.45 Uhr guter Dinge in einen sonnig – kalten Morgen aufbrechen. Um 10 Uhr stehe ich auf dem ersten Gipfel, auf dem es zwar nicht mehr gar so garstig bläst wie gestern, aber dennoch ganz schön zugig ist. Als ich um 10.40 Uhr den zweiten Gipfel des Tages erreiche, hat der Wind schon nachgelassen und ich genieße eine Prachtaussicht zu den drei gestern überschrittenen Gipfeln, zudem erblicke ich jenseits der nun gut einsehbaren Curmatura Oltetului die schneeweiße Kette des östlichen Parâng. An der Curmatura Oltetului endet die Capatân – Überschreitung, dort fängt das Parâng – Hauptmassiv an. Wenn man allerdings von der Parâng – Gruppe spricht, dann schließt dies selbstverständlich das Parâng – Massiv selbst ein, bezieht sich aber auch auf die Massive Capatân, Cândrel, Lotru und Sureanu. Die letzten vier Genannten strahlen sternförmig vom in etwa halbrund verlaufenden Hauptmassiv ab, das dazwischen liegende Latorita – Massiv wird hingegen nicht zu dieser Gruppe gezählt. Das Capatân – Massiv ist das am südlichsten Vorgelagerte und mit einer Kammlänge von 50 Kilometern das Längste. Bezüglich der Fläche von 900 Quadratkilometern kann das Cândrel mit gleicher Ausdehnung mithalten.
Um 10.55 Uhr ist der höchste Gipfel des Capatân, die Nedeia mit 2130 Metern, erklommen. Nun kann ich den Târnovo – Grat voll einsehen. Dieser zieht als der nordwestlichste Wurmfortsatz vom Capatân - Hauptkamm weg und stellt gemeinsam mit dem Buila – Vânturarita – Massiv eine Ausnahme unter den Capatân – Nebenkämmen. Wie sein südwestliches Pendant, so besteht auch er aus Kalk und wartet somit mit wildem Felsengelände auf. Die Nedeia hat übrigens zwei Gipfel und somit ziehe ich auch noch zur weiter nach Norden versetzten Kuppe. Schließlich ist um 11.20 Uhr der vierte Gipfel erreicht, der mir die Ansicht der beiden Nedei – Gipfel erlaubt. Im Süden kann ich einen mit einem (vermutlich!) Fernsehturm gekrönten, schneefreien Gipfel erkennen. Ich erwähne ihn, weil er dort als markanter Geländepunkt hervorsticht. Inzwischen habe ich auch eine Stâna auserkoren, die auf einer Lichtung, welche sich bereits auf dem Târnovo – Grat befindet, steht. Somit verwerfe ich mein ursprüngliches Vorhaben, mitsamt Gepäck bis zum Sattel Curmatura Oltetului vorzuziehen und beschließe den Abstieg zu dieser nahen Stâna, da mir dies für meine morgen vorgesehene Begehung des Târnovo – Grates viel praktischer erscheint. Die Stâna kann schon mit dem bescheidenen Standard eines der in den rumänischen Karpaten verbreiteten Refugii mithalten. Der Innenraum ist zwar düster, da der Anbau den Lichteinfall durch´s Fenster verhindert. Der Raum verfügt aber über einen mit Kerzen besetzten Tisch und zwei dazugehörige Sitzbänke, ja sogar ein einer Kette aufgehängter Schwenkgrill ist vorhanden. Außer in der Feuerstelle ist kein Schnee im Innenraum, ein Hinweis, dass diese Hütte wetterdicht ist.
Ich will mich aber jetzt noch nicht zur Ruhe setzen, denn draußen brilliert ein eisbonbonblauer Himmel und somit werde ich noch gepäcklos bis zur Curmatura Oltetului vorwandern. Ich lasse also den Rucksack in der Stâna zurück und kehre abermals – nur mit einem Müsli – Riegel verproviantiert – zurück zum Hauptkamm. Die Stirnlampe habe ich mir jedoch für alle Fälle mit in die Jackentasche gesteckt. Als ich von der Stâna aufbreche, ist es 12.45Uhr, und um 14.00 Uhr stehe ich auf dem 5. Gipfel des Tages. Bei herrlichstem Sonnenwetter wird es nun zunehmend wärmer. Über mir spannt sich ein königsblauer Baldachin, im Süden stehen ein paar Schäfchenwolken, und im Norden schwebt ein tiefliegendes, gleichwohl harmloses Wolkenband über der Olt – Ebene und dem schneeweiß glänzenden Fagaras.
Die Sonne leistet ganze Arbeit, denn das Weiß der Südhänge zeigt bereits die ersten Altersflecken. Ich verlasse den Negovanu (2064 m). Der Vf. Bou ist nun der 6. und letzte Gipfel und erreicht nur noch 1908 Meter. Von dort aus bis hinunter zur Curmatura Oltetului säumen ein paar zivilisatorische Ruinen den Weg (Wetterstation? Militärische Abhöranlage?). Jedenfalls erscheint mir der Sattel Curmatura Oltetului als ein seltsam verlassener Ort. Eine Passstrasse zieht als geschotterter Fahrweg hier herüber, ansonsten finden sich noch teils gekappte Strommasten, eine vor sich hinrostende Antenne und auf den oberen Südhängen mehrere verlassene Sennhütten. Genau hier in der Curmatura Oltetului endet das Capatân – Gebirge, die auf der gegenüberliegenden Seite des Sattels aufsteigenden Berge gehören zum Hauptkamm des Parâng. Fast schon verlockt es mich, zumindest dem ersten Gipfel im Parâng einen kurzen Besuch abzustatten, doch dazu ist es bereits zu spät, zumal sich dieser nicht so schnell ergeben wird, wie die anderen 6 heute bereits von mir überschrittenen Gipfel. Der Oltet – Sattel liegt nämlich 1615 Meter tief, während der erste Parâng – Gipfel, die Micaia, wiederum mit 2170 Metern aufwartet. Daß es diesmal noch nichts wird mit der Parâng – Begehung, sehe ich gelassen. Aufgeschoben ist schließlich nicht aufgehoben. Im Norden erkenne ich den Steflesti – Sattel, welcher das Cândrel- mit dem Lotru – Massiv verbindet. Man könnte ein mehrtägiges Bergunternehmen auf den Höhen der Erholungs- und Skistation Paltinis (Hohe Rinne) nahe Sibiu beginnen lassen. Die Fortsetzung wäre dann der westliche Parâng, welcher aufgrund der dort sich befindlichen höchsten Gipfel und den zahlreichen faszinierenden Karseen als das Kernstück des Gebirges zu betrachten ist. Nachteilhaft wäre dann allerdings, dass sich die Begehung des östlichen Parâng praktisch nicht in diese Variante einfügen lässt.
Für meine Rückkehr nehme ich zunächst den Fahrweg direkt links, ergo nördlich der Bergkuppe, welche ich auf dem Hinweg hinuntergestiegen bin. Plötzlich entdecke ich an einem Felsen eine Markierung rotes Band. Eigentlich habe ich den Capatân – Hauptkamm bereits für unmarkiert gehalten. Auf alle Fälle ist der Gang querfeldein über die Gipfelkuppen - mit oder ohne Schnee - sicher schöner, als der Marsch auf dem kammnahen Fahrweg. Allerdings möchte ich hiermit nicht voreilig behaupten, daß die Hauptkamm – Markierung tatsächlich ausschließlich dem Fahrweg folgt. Zurück an meiner Stâna genieße ich mein heißgekochtes Nudelgericht, auf einem Baumstamm vor der Hütte sitzend, den Blick auf mein morgiges Ziel, den rassigen Felsgrat des Târnova, gerichtet. Das mir jetzt gegenübergestellte Massiv ist das Latorita. Dieses Gebirge löst hier im Westen als parallel zum Capatân verlaufendes Massiv den Lotru ab.
Die Morgensonne wirft beim Frühstück goldene Strahlen in die düstere Hütte. Das gestern neu geschöpfte Wasser ist über Nacht nicht eingefroren, das bereits gefrorene in der anderen Flasche hingegen nicht wieder aufgetaut, weshalb ich auf eine Temperatur etwa im Null – Grad – Bereich tippe. Petflaschen erweisen sich übrigens bei Gefriertemperaturen als ungeeignet, da man das Wasser in ihnen nicht mehr aufschmelzen kann, und sich das Eis auch nicht mehr durch den engen Flaschenhals herausbugsieren lässt, selbst dann nicht, wenn man den Inhalt wie ein Wilder in Stücke schlägt. Um 8.30 Uhr verlasse ich meine Stâna. Ich folge zunächst ein Stück weit dem altbekannten Fahrweg hinauf, welcher mir als Verbindung zwischen Târnovu – und Hauptkamm gedient hatte. Gestern bereits habe ich den abzweigenden Pfad ausgemacht, der linker Hand in einer Kurve den Fahrweg verlässt und zunächst durch Latschenbewuchs abwärts in den Tannenwald hineinführt. Dort bringt mich eine Kehre zu einer weiteren Stâna. Diese toppt aufgrund der Lage und der Einrichtung alle bislang besichtigten. Ich hatte bereits bei der Hütte, in welcher ich die vergangene Nacht zugebracht habe, den Eindruck, dass man durchaus weiß, dass hier öfters auch Wanderer Quartier nehmen. Hier jedenfalls finde ich eine sehr saubere und neue Hütte vor, mit einer Wasserquelle direkt hinter dem Gebäude und bestechender Aussicht auf die Kalkburg des Târnovu sowie hinüber zum Fagaras. Ich halte mich von der Hütte aus hart links in Richtung des Kammes. Abermals wandle ich auf einem schönen Waldpfad, bis an einem Baumstamm sämtliche hier vorhandenen Wandermarkierungen zusammenzutreffen scheinen. Zur Gratbegehung benötige ich den roten Punkt. In nur wenigen Metern Entfernung weist nun ein Schild mit der Aufschrift "Spre Ciunget prin Piatra Târnovului 4 ½ h". Das läuft ja wie am Schnürchen, denke ich, doch ich soll bald enttäuscht werden. Ich kann das Gelände absuchen, wie ich will, ich finde nicht einmal eine Pfadspur, geschweige denn weitere Markierungen. Schließlich treffe ich die Entscheidung, das Pferd praktisch von hinten aufzuzäumen. Die Markierung blauer Punkt, der ich bislang gefolgt war, zieht weiterhin durch den Wald, leicht absteigend, unterhalb des Grates. Irgendwo muß nun Rotpunkt vom Tal aus eintreffen, und ich würde diesem dann eben folgen und die Gratwanderung dann oben bei der Stâna abschließen. Ich würde abschließend die Nacht in der gemütlichen Stâna mit Wasserversorgung verbringen und somit morgen ins Tal hinuntersteigen.
So weit, so gut, Blaupunkt führt mich jedenfalls zunächst auf eine Schafswiese, auf welcher sich drei weitere Sennhütten verteilen. Wenn ich nun zum Târnovo – Kamm emporblicke, kann ich feststellen, dass die felsige Partie, auf welche ich es schließlich abgesehen habe, schon ihren Abschluß gefunden hat und bereits in Wiesengelände übergegangen ist. Das bringt mich auf die glorreiche Idee, nicht etwa weiter abzusteigen, sondern querfeldein aufwärts die Kammhöhe zu erreichen, wo ich den Gratweg über die Târnovu wähne. Unangenehm steil und mühsam schnaufe ich nun den Wiesenhang hinauf. Im Aufstieg sehe ich unten im Tal einen Stausee blinken. Es ist dies der Lacul Malaia, welcher sich im Tal des Lotru befindet. Dieses Tal schneidet nördlich vom Capatân zwischen diesem und dem Lotru – Gebirge ein. Als ich die Kammhöhe erreiche, finde ich dort zu meiner Enttäuschung weder Pfad noch Markierung. Vor mir türmen sich aber die ersten Felsen des Grates auf. Also entscheide ich, mich weglos bis zu Selbigen vorzuarbeiten, in der Erwartung, dass hier der Gratweg beginnen muß. Was nun folgt, ist eine der schon so oft von mir praktizierten Durchschlageübungen. In keinem anderen Gebirge bin ich so häufig querfeldein durch Bergwald gekraxelt und geirrt, wie in den Karpaten, und das nicht nur in Rumänien, sondern auch in der Slowakei.
Die Fortsetzung meiner Odyssee lässt jedenfalls jede Menge Spannung aufkommen. Zunächst muß ich mich durch unwegsames Waldgelände vorkämpfen. Dickicht, rutschige, verschneite Äste und Baumstämme laden zum Stolpern, Ausrutschen und Einbrechen ein, bis ich schließlich vor den ersten Felsen stehe. Wie ich so zwischen bemoosten und begrünten Felsen, von Büschen und Tannenästen belästigt, nach oben steige, kommt mir der Gedanke, dass hier wohl noch nie jemand vor mir gestiegen ist. Die wegen Schnee, eingefrorener Hände, dem lästigen Rucksack und brüchigem Fels durchaus absturzgefährliche Kletterei führt zu keinem Resultat, denn ich erreiche so zwar die Spitze eines Felsturmes, finde dort oben allerdings nirgendwo den geringsten Anhaltspunkt für einen Pfad, Gratweg oder eine Kletterroute. Wesentlich leichter hätte ich mich hier sicher ohne Gepäck getan, doch da ich mir über den Ausgang des Tages nicht hundert Prozent im Klaren war, und ich mich nur ungern von meiner Ausrüstung, die ja schließlich auch mein Überlebensreservoir darstellt, trenne, wird die Kletterei im obendrein noch brüchigen Fels haarig. Mehrere Gründe halten mich nun davon ab, eine seilfreie Kammbegehung ohne Markierung zu wagen: wenn hier eine Markierung vorhanden wäre, dann wüsste ich, dass ein gewisser Schwierigkeitsgrad nicht überstiegen wird, so aber weiß ich nicht, was mich im Weiteren für Gelände erwartet – nehmen die klettertechnischen Schwierigkeiten zu, oder wird es leichter? Wie viele Türme muß ich überklettern, um zum Gipfel zu gelangen? Dann noch, wie gesagt, der sperrige und schwere Rucksack, keinerlei Möglichkeit, mich zu sichern und zudem völlig allein, d.h. wenn ich mich so verletzen sollte, dass ich aus eigener Kraft nicht mehr weiter komme, dann gute Nacht! Schweren Herzens, aber der Vernunft folgend, beschließe ich, die Sache umgehend abzubrechen. Doch erst mal wieder heil hier herunter kommen! Mir scheint der Abstieg auf die gegenüberliegende Seite am geeignetsten, allerdings zeigt sich auch hier der Fels äußerst brüchig. Kaum gedacht, da löst sich auch schon ein 60 – 70 – Kilo Felsbrocken in dem Moment, als ich mit meinem Fuß belasten will, poltert den Geröllhang hinunter und schlägt unten im Waldbereich wie eine Weltkriegsbombe ein. Gott sei Lob und Dank, dass hier unten tatsächlich niemand zugegen war, dieser Brocken hätte glatt einen Ochsen erschlagen! Schließlich bin ich gottfroh, als ich mit heilen Knochen und ohne weitere Bergstürze auszulösen, das Geröllfeld erreiche. Über die Wiese begebe ich mich zur am obersten gelegenen der drei Hirtenbauden. Die Zeit würde mir wohl zwar reichen, heute noch ins Tal abzusteigen und nach Sibiu weiterzureisen, doch ich beschließe, eine weitere Nacht im Gebirge zuzubringen. Ich will diesen herrlichen Spätnachmittag hier vor der Stâna verweilen, umgeben von einer üppigen, wilden Natur. Die Schneedecke des Capatân hat unter der warmen Herbstsonne schon sichtlich gelitten, dennoch ist immer noch auf seinen hohen Kämmen reichlich Weiß vorhanden, in wunderbarer Weise mit dunkelgrünem Tannenwald und der herbstlichen Farbenpracht des tiefer gelegenen Mischwaldes und dem zwischen den Schneeflecken wieder zutage tretenden satten Grün der Schafswiesen kontrastierend. Nur das schmale Tal des Repedea – Baches trennen mich vom zentralen Hauptkamm. Im Südwesten glitzert die Nedeia in der Sonne. Die Stâna links unter mir besteht aus zwei schönen, schindelbedeckten Hütten, mit den typischen herabgezogenen Walmdächern, die nebenan weist sogar sechs Hütten auf. Meine Hütte sind eigentlich nur zwei Schlafräume. Mit freiem Oberkörper liege ich im Gras vor der Stâna, lasse mich von der molligen Nachmittagssonne wärmen und erinnere mich, wie ich gestern noch bei Minusgraden geschlottert habe. Je länger ich hier verweile, desto bezaubernder erscheint mir dieser Ort. Immer wieder wandert mein Blick mit einem gewissen Bedauern hinüber zum Târnovu. Ich sehe den Felsturm, den ich bestiegen habe, es handelt sich jediglich um einen Vorfelsen, dem ein weiterer folgt, danach ein längerer Felsgrat, gefolgt von einem ausgedehnten Stück Tannenwald, zu dem das eigentliche Kernstück des Grates aufschließt. In der Ferne fällt mir ein Massiv auf, das offensichtlich von einem Fernsehturm gekrönt zu sein scheint. Es befindet sich in der Fluchtline des Lotru – Tales und jenseits des Olt, weshalb ich auf das Cozia – Massiv tippe. Mit dem Versinken der Sonne hinter den eleganten Felszacken des Târnovu kriecht die Kälte wieder an mir hoch, allerdings nicht mehr so frostig, wie in den vergangenen Nächten.
Ein traumhafter Sonnenaufgang mit unglaublichen orange – rot – Tönen wird mir noch zum Abschluß zuteil, Raureif überzieht die Wiesen wie ein durchsichtiger Seidenschleier, zarte Nebelbänder haben sich über die Täler gespannt und das Lotru – Tal scheint unter einer dicken Wolkendecke immer noch zu schlafen. Das entfernte Cozia zeigt den gezackten Rücken eines Urreptils.
Mein Abstieg erfolgt auf Fahrweg, wobei mir die Wandermarkierungen verloren gehen und somit deren Beginn für mich ein Rätsel bleiben soll. Obwohl es mir vergangene Nacht nicht mehr gar so kalt erschien, entdecke ich unterwegs immer noch Eisscherben von kaputtgefahrenen Wasserlachen. Der Fahrer des riesigen Forstfahrzeugs, welches mir schon in den frühen Morgenstunden wie ein brüllendes Ungetüm entgegengekommen war, ist der erste Mensch, der mir wieder begegnet, seit ich mich vor vier Tagen vom Cabanier der Cheia – Hütte verabschiedet habe. Weiter unten nimmt die Zahl der in den Repedea einmündenden Seitenbäche zu. Nun endgültig im Mischwald angelangt, wandle ich gemütlich durch eine prächtige Farbenpalette. Nach etwa 2 ½ Stunden erreiche ich die Häusergruppe von Ciungetu und schließlich die Straße. Dieser soll ich nun laut Auskunft eines Mannes, der mir auf der Latorita – Brücke begegnet war, etwa drei Kilometer folgen, um schließlich Verkehrsanschluß nach Sibiu zu erhalten. Vom Beginn bei den Klöstern bis zum Schluß habe ich ein sehr sauberes Gebirge vorgefunden. Erst jetzt, entlang der Straße, sind die schönen Bachauen total vermüllt. Wie so oft, werde ich unterwegs wieder mal vom einen oder anderen Hund bedroht, aber nichts Ernstes, da diese keine Hirtenhunde sind. Schließlich trifft das Sträßchen auf die Petrosani mit Sibiu durch das Lotru – Tal verbindende Verkehrsader. Hier mündet auch der Latorita in den Lotru. Letzterer ist wiederum ein Zufluß des Olt. Es geht nicht lange, da werde ich auch schon mitgenommen. Mit dem Fahrer, einem Pensionsbesitzer mit Moto – Cross – Ambitionen, komme ich bis nach Brezoi, von wo aus ich mit einem Gemeinschaftstaxi nach Sibiu gelange. Ich strebe sogleich wieder das Hotel "Emigrantul" an, in welchem ich ja bereits in der Ankunftsnacht einquartiert war und genieße an meinem letzten Abend in Rumänien die Errungenschaften der Zivilisation, wie heiße Dusche und ausgiebiges Essen, was man nach solch einer Tour doch immer wieder auf besondere Weise zu schätzen weiß.
Nachträgliche Anmerkung: laut Information Karpatenwilli handelt es sich bei dem großen Gebäude in der Curmatura Rodeanu um eine Unterkunft der Gebirgsjäger.
Sonntag, 17. Dezember 2006
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