Montag, 23. Mai 2011

Schneesturm auf dem Ararat



























































Drei Berge in Ostanatolien und eine Beinahe-Katastrophe

Diese Reise habe ich mir selbst zum Geschenk gemacht, anlässlich meines 25-jährigen Betriebsjubiläums. Eigentlich sollte es zum Elbrus gehen, doch als sich die politische Lage in Karbadino-Balkarien kurzfristig derart zuspitzte, dass Rußland sich sogar veranlasst sah, das Elbrus-Gebiet zu sperren und die dort anwesenden Touristen zu evakuieren, war erneutes Nachdenken gefragt. Ich wollte unbedingt an einer Frühjahrstour festhalten, also ein Skitourenberg, wenn auch als Begehung mit Schneeschuhen, sollte es sein. Möglichst ein hoher, ein prominenter, ein 5000er. Der Kasbek fiel mir zunächst ein. Mit von der Partie würde Valerij sein, der bislang noch nie auf Schneeschuhen gestanden war und wir aufgrund der Kurzfristigkeit auch keine Zeit zum Üben in steilem Gelände hatten. Der Kasbek gilt jedoch als anspruchvoller Skitourenberg, das heißt Steilhänge und möglicherweise alpinistische Ansprüche, denen Valerij aufgrund seiner bislang nicht zu großen Erfahrung und Ausbildung möglicherweise nicht gewachsen sein könnte. Schließlich kam mir die Idee einer Ararat-Bestiegung. Der Ararat gilt auch im Frühjahr als nicht allzu schwierig. Die Hangsteilheiten beschränken sich auf höchstens 35 Grad und es sind normalerweise keine außergewöhnlichen alpintechnischen Anforderungen zu erwarten. Auch meine Wunschkriterien erfüllte der Ararat: er ist ein prominenter Berg, mit seinen 5137 m Höhe der mit Abstand Höchste der Türkei und über hunderte von Kilometern Luftlinie in seiner Größe ungeschlagen. Ein solitärer und formschöner Berg, und ein Berg mit Mythos: im Alten Testament der Bibel wird berichtet, dass nach dem Rückgang der Sintflut die Arche Noahs auf den "Bergen von Ararat" gestrandet sei.

Allerdings sprachen auch zwei Kriterien gegen den Ararat: der Berg steht mitten im unruhigen Kurdengebiet, die politische Lage kann auch hier ganz schnell mal kippen. Zudem werden den Gipfelaspiranten einige umständliche und kostspielige bürokratische Hürden zugemutet. Obwohl sich für diesen Berg mehrere attraktive Aufstiegsrouten anbieten, ist definitiv nur der Südanstieg zugelassen. Dies wiederum hat sowohl mit den schlechten Beziehungen der Türkei zu seinem unmittelbaren Nachbarn Armenien, sowie mit den Auseinandersetzungen im Kurdenkrieg zu tun. Für die Armenier ist der Ararat Nationalsymbol, er prangt gar auf der Landesflagge und bildet von der Hauptstadt Tiflis aus eine unwiderstehliche Hintergrundkulisse. Die prekäre Geschichte zwischen der Türkei und Armenien dürfte ohnehin auch bei uns bekannt sein. In Zeiten bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen der kurdischen PKK und dem türkischen Militär wurde das weitläufige, unter anderem auch mit Höhlen gespickte Gelände des Ararat immer wieder von den Separatisten als Rückzugsgebiet genutzt.

Insbesondere der Südanstieg wäre eigentlich für erfahrene und gut konditionierte Bergsteiger unter günstigen Bedingungen problemlos. Es existieren aber aus besagten, politisch motivierten Gründen jedoch keine Karten für das Araratgebiet. Die türkische Regierung ist nicht gewillt, Bergsteiger dort auf eigene Faust agieren zu lassen und beharrt auf Führerpflicht. Somit kamen wir nicht umhin, dieses Mal auf ein Pauschalangebot zurückzugreifen. Noch eine bürokratische Hürde: neben der Besteigungserlaubnis, welche durch den Veranstalter bestellt wird, müssen Ararat-Bergsteiger ein sogenanntes Sportvisum beantragen. Dieses Sportvisum kostet 60 Euro und ist persönlich vom Antragsteller auf der nächstgelegenen türkischen Botschaft abzuholen. Was man bei einem Gang zu einer türkischen Behörde in Kombination mit An- und Abreise per Deutscher Bahn so alles mitmacht, würde wiederum eine Geschichte für sich ergeben ;-)! Nun gut, ich hab´s hinter mich gebracht und durfte dabei auch etwas Positives erleben: die geradezu rührende Hilfsbereitschaft der Türken (nicht der Beamten!) gegenüber Personen, die sich für sie und ihr Land interessieren wurde mir bereits auf der Botschaft in Stuttgart zuteil :-).




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06.05.2011

Pegasus-Airlines landet auf dem Sabiha-Gökcen-Airport, welcher sich auf der asiatischen Seite von Istanbul befindet. Mit den Tavas-Bussen, die gleich vor dem Flughafengebäude warten, kann man aber für preisgünstige 14 TL (ca. 7€) ins Zentrum am Tacsim-Platz gelangen, allerdings ist dabei mindestens eine Stunde Fahrzeit zu veranschlagen. Doch diese Stunde wird genüsslich, ein nettes Gespräch mit einem in Köln lebenden Istanbuler, Sonnenuntergangsstimmung an der Galata-Brücke. Schließlich wird es Nacht, und die Stadt beginnt zu leuchten! Im Grandsavur-Hotel angekommen, bin ich zunächst allein. Niemand Weiteres scheint bislang eingetroffen zu sein von unserer Gruppe, die sich ja hier im Hotel bereits treffen sollte. Ich gehe im Restaurant gegenüber zu Abend essen. Valerij ist in einem anderen Hotel untergebracht, er hat einen zweiwöchigen Badeurlaub an der türkischen Riviera hinter sich und ist anschließend gleich nach Istanbul weitergeflogen. Als ich ins Hotel zurückkomme, trifft gerade ein Teil der Gruppe ein. Vier Leute aus der Salzburger Gegend sind es. Wir halten noch einen kleinen Plausch im Foyer bis nachts um 1, zwischendurch meldet sich Valerij telefonisch. Wir werden uns dann morgen früh auf dem Flughafen treffen.


07.05.2011


Frühstück morgens um 5, die anderen sind schon weg, da sie noch früher fliegen, als wir. Um 6 kommt Valerij, wie abgemacht, mit dem Taxi vorbei.


Wir landen in Van. Schon vom Flughafen aus sind ringsum schneebedeckte, kuppenartige Berge auszumachen. Ein Taxi bringt uns zu unserem Hotel. Auf der Fahrt ertönt ein wildes kurdisches Kampflied aus den Lautsprecherboxen. Mir läuft ein Schauer über den Rücken - willkommen in Kurdistan!

Das Programm unseres Veranstalters hat für heute eine Besichtigung der armenischen Heiligkreuzkirche
auf der Insel Akdamar mit anschließendem Ausflug zur Burg Van oberhalb der Stadt vorgesehen. Die Gruppe hat allerdings nicht auf uns gewartet. Da wir uns zumindest die Akdamar-Insel nicht entgehen lassen wollen, kümmern wir uns slebst um ein Taxi, welches uns an die Bootsanlegestelle hinausfährt und dort auch auf uns wartet. Wir sind die einzigen Ausländer, ansonsten sind auf den Booten und auf der Insel nur türkische Ausflügler zugegen. Bereits kurz nach dem Ablegen, nachdem sich das Boot schon ein Stück weit vom Ufer entfernt hat, schält sich im Hintergrund ein eindrucksvoller Berg hervor. Es ist der Artos (3537 m). Morgen soll unsere erste Tour auf ihn hinaufführen. Der imposante Eindruck, den wir vom See aus von diesem Berg gewinnen, steigert die Vorfreude auf das Unternehmen.

Nach Besichtigung der sehenswerten Kirche (Akdamar Kilisei) aus dem 9. Jahrhundert steigen wir noch zum höchsten Punkt der Insel empor. Dort stürzen die Klippen senkrecht zum See hinunter. Wahrhaft erquicklich ist es, dort oben die Seeluft zu schnuppern, den Artos zu beäugen und die hinaufgleitenden und herabstürzenden Möven zu beobachten. Der Vansee ist übrigens der größte See der Türkei, unser Bodensee würde flächenmäßig siebenmal in ihn hineinpassen. In einer Höhe von etwa 1750 Metern gelegen, mag er zwar nur bedingt als Badesee taugen, zumal sein Gewässer aufgrund der vulkanischen Entstehung diverse chemische Zutaten enthält, die früher den Waschweibern am Seeufer gar den Einsatz von Seife ersetzten. Als Urlaubsregion wäre dieses ringsum von hohen Bergen umgebene landschafliche Idyll geradezu prädestiniert, und befände sich der Vansee andernorts, so wäre dies mit Sicherheit lange schon geschehen. Doch hier im vergessenen und leider immer noch nicht befriedeten Kurdistan hat man augenscheinlich bislang jegliche größere Investition in diese Richtung gescheut. Außer ein paar leider Gottes recht verunreinigten Picknickplätzen rund um den See und einer bescheiden gestreuten Hotelerie liegen die Gestade dieses pittoresken Sees fremdenverkehrstechnisch immer noch brach. Wohlan, wir selbst wollen diesen Zustand der Unverbrauchtheit noch genießen, und wünschen uns trotzdem, dass eines Tages im Sinne von Frieden, Arbeitsplätzen und einer gesunden Infrastruktur für die hier lebende Bevölkerung ein sanfter Tourismus Einzug halten möge.

Nach unserer Rückkehr im Hotel treffen wir dort auf den inzwischen komplett gewordenen Rest der Gruppe einschließlich unseres Guides und Reiseleiters Robert. Unser erstes gemeinsames Abendessen findet in einem landestypischen Restaurant statt. Diese Gaumenfreuden bringen mir Reminiszenzen an meinen ersten Türkeiaufenthalt vor mehr als 20 Jahren zurück, anlässlich dessen wir zwei Wochen lang die türkische Riviera abklapperten. Man war dort gerade im Begriff, diesen Küstenabschnitt zur neuen Badetouristenattraktion zu erschließen, als Alternative zur damals bereits vollständig erschlossenen Ägäisküste. Von All-Inclusive-Erscheinungen und übermäßigen Verbauungen war noch nichts oder zumindest nicht viel zu spüren und zu sehen.

Auch wenn wir uns sozusagen im wilden Kurdistan befinden, die Stadt Van zeigt sich uns modern und gut entwickelt. Laut Martina, einer unserer Mitreisenden, war das vor gut 20 Jahren, als sie das letzte mal hier war, noch völlig anders. Ein Kaff soll das damals noch gewesen sein. Heute ragen neue und gut instandgehaltene Mietblocks in den Himmel. Die türkische Regierung scheint einiges an finanziellen Mitteln in diese abgelegene und augenscheinlich immer noch kaum industrialisierte Region investiert zu haben. Wenn dies ein Versuch der Befriedung ist, sie ist höchstwahrscheinlich der bessere Weg, als der Einsatz von Waffen. Indes, das Militär zeigt in Kurdistan allenthalben mächtige Präsenz, und durch die Städte rollen vollgepanzerte Polizeiwagen.

08.05.2011


Um 6 Uhr früh ist Abfahrt. Das Wetter zeigt sich von Beginn an wolkig, ganz so, wie wir es gestern schon erlebt haben. Die Gestade des Vansees verlassend, bringt uns unser Fahrer zunächst ins kleine Städtchen Gevas. Von dort aus steigt das Fahrzeug schwankend über eine Piste höher und höher, die Aussicht auf den unter uns ruhenden Vansee wird berückend. Auf 1960 Metern Höhe angekommen beginnen wir schließlich mit dem Fußaufstieg.

Die Aussicht ist recht diesig, wären wir hier in den Alpen und würde morgens schon eine solche Wetterlage herrschen, dann würde ich es mir gut überlegen, an so einem Tag einen hohen Gipfel erklimmen zu wollen. Aber hier in Ostanatolien scheinen Wetter und Verhältnisse anders zu sein. In diesem Falle vertraue ich Robert, unserem Führer, der die aktuellen Wetterverhältnisse für diese Jahreszeit als recht gut bezeichnet. Er meint, dass aus langjähriger Erfahrung in diesem Gebiet insbesondere die Apriltermine wetterproblematisch seien. Und das, obwohl die Skitourenzeit hier in Ostanatolien ohnehin nur auf den Zeitraum von etwa Mitte April bis Mitte Mai, also gerade mal 4 Wochen, beschränkt ist.
Allerdings soll ich hinterher noch von meinem Freund Haydar, der ebenfalls aus Ostanatolien stammt, erfahren, dass seine Mutter, die immer noch in der Gegend östlich von Erzurum lebt, über ein heuer überaus wetterlaunisches Frühjahr geklagt hatte.

Die Winter hier sind grausig kalt, minus 30 Grad auch in den Talorten keine Seltenheit, mit hohen Schneemengen. Diese sollen sich dann im stetig wärmer werdenden Frühjahr aber zusehends rasch reduzieren. So müssen auch heute die Ski zuerst eine gute Stunde lang getragen werden, wohingegen unsere Vorgänger vor etwa 10 Tagen noch komplett bis zum Ausgangspunkt abgefahren sind. Robert berichtet uns noch von den schrecklichen Gewittern, die von Zeit zu Zeit hereinbrechen, eine der wettertechnischen Hauptgefahren in den hiesigen Bergen.


Auf Schnee steigen wir dann ein steiles Couloir empor, welches sich nach kurzer Zeit gabelt. Wir nehmen für unseren weiteren Aufstieg das orographisch rechte Couloir, welches uns zunächst auf eine Hochfläche hinaufführt, die im Sommer als Weideland (türk.:Yayla) dient. Stellenweise ist das Gelände hier schon ausgeapert und das Grün von Bergwiesen und Büschen spriest zwischen dem immer noch dominierenden Weiß der Schneedecke hervor, Krokosse und andere bunte Frühjahrsblumen recken bereits ihre Köpfe empor und werden wohl in wenigen Wochen schon das schmackhafte Futter für grasende Schafe sein. Indes, von einer strahlend weißen Schneedecke kann derzeit nicht mehr ganz die Rede sein. Vor Kurzem muß ein heftiger Sandsturm über die Berge um den Vansee hinweggezogen sein, der das blühende Weiß der schneetragenden Gipfel teilweise mit einer schmutzigbraunen Patina überzogen hat.

Nach einer Pause gehen wir nun den sich vor uns aufsteilenden Hang an. Mit diesem sind wir est einmal eine Weile beschäftigt, da der optische Eindruck darüber hinwegtäuscht, dass hier gut 300 Höhenmeter in durchschnittlich 35 Grad Neigung zu bewältigen sind, ehe wir auf einem langgestreckten Kamm hinauskommen, über welchen wir schlußendlich den Gipfel erreichen. Auch wenn die Aussicht etwas eingeschränkt ist, schon allein die unstetig umherziehenden, mitunter gigantisch großen Wolkenbäusche um uns herum sorgen für ein Naturschauspiel von schauerlicher Wildheit. Tief unter uns schimmert in gedämpftem Türkis ein Ausschitt des Vansees, dessen wahre Ausmaße sich in den Wolken und der diesigen Luft verlieren.


Im Abstieg will ich ein paar skeptischen Skifahrern demonstrieren, wie schnell man mit Schneeschuhen absteigen kann. Ich bin etwa 10 Minuten vor den ersten Skifahrern wieder unten, doch zu welchem Preis! Ausgerechnet auf dem letzten Lawinenkegel, ehe die Landschaft wieder endgültig grün wird, blockieren meine Expeditionsstiefel die Bindung, die im vollen Lauf dann herausgerissen wird. Aus, Ende, Totalschaden! Ich bin fassungslos, tobe vor Wut und Enttäuschung! Soll es das schon gewesen sein? Hier im hintersten Ostanatolien werde ich wohl niemals Ersatzschneeschuhe bekommen.Als Robert eintrifft, beruhigt er mich. Wir werden heute noch nach Adilcevaz weiterfahren und dort in einem selbsternannten Sporthotel übernachten. Die Leute dort würden eine Lösung für mich finden, so Robert.

Es folgt eine landschaftlich atemberaubende Fahrt von unserem Standort auf der Südseite hinüber zum Nordufer des Vansees. Wegen einer Baustelle wählt unser Fahrer die längere, aber landschaftlich beeindruckendere Route. Wir sind schließlich gute drei Stunden lang unterwegs durch eine abwechslungsreiche Bilderbuchszenerie, die uns auch an beschaulichen, urchigen Dörfern vorbeiführt. Die findigen Besitzer des Sporthotels in Adilcevaz haben eine derzeit in Ostanatolien noch klaffende Marktlücke entdeckt und kommen mit einem Angebot an geführten Touren, sowie dem Verleih von Tourenskis und Mountainbikes den Bedürfnissen der hier in steigender Anzahl sich blicken lassenden Klientel der Outdoor- und Naturenthusiasten entgegen. Nur Schneeschuhe haben sie keine, wie sich gleich nach unserer Ankunft dort herausstellt. Und beim Anblick des Schadens sehe ich nur bedauernde Minen und schüttelnde Köpfe der sonst hier immer noch handwerklich sehr findigen Leute. Mein Optimismus ist dennoch zurückgekehrt, ich beschließe, den Süphan und den Ararat per Fußaufstieg bewältigen zu wollen und bespreche das mit Robert. Er bestärkt mich darin, dass das möglich sein sollte. Insbesondere am Süphan könne ich sehr gut die abgeblasenen Bergrücken als Aufstiegsmöglichkeit nutzen und am Ararat dürfte aufgrund der großen Höhe und unseres frühen Aufbruchs der Schnee ohnehin hart sein, d.h. dort werde ich wohl von Beginn an mit meinen Steigeisen unterwegs sein. Somit beruhige ich mich wieder, und genieße zusammen mit den anderen einen weiteren geselligen Abend in einem Restaurant bei reichlich und köstlich Speis und Trank.

09.05.2011

Morgens um 6.10 h verlassen wir unser Sporthotel, es regnet leicht. Eine abenteuerliche Schotterpiste führt von der Hauptstraße weg und bringt uns hinauf auf 2400 m. Nach einer guten Stunde Fahrzeit steigen wir nur wenige hundert Meter vom zwar für den oft romantisch verklärten Blick eines Bergtouristen augenscheinlich idyllischen, aber eben auch recht ärmlichen Dorf Kiskili aus dem Fahrzeug. Wiederum führt uns die erste Marschstunde über das ausgedehnte Grün einer Yayla. Dort, wo der Schnee beginnt, trennt sich nun meine Route von jener der Gruppe. Der abgeblasene Rücken zieht sich bis weit nach oben hin, die Verhältnisse sehen für mich sehr günstig aus. So gehe ich heute meinen eigenen Weg, mehrheitlich aber in Sichtweite zu den anderen, die selbstverständlich über das Weiß eines heute exzellenten Firns in weiten Kehren aufwärts gleiten. Ich bin schnell, nur einer noch ist schneller: auf der Bergschulter bei ca. 3800 m angekommen, sehe ich ihn bereits den Gipfelhang spuren. Jetzt komme auch ich nicht mehr umhin, mich ebenfalls vollends in den Schnee zu begeben. Ich das Glück bleibt mir weiterhin hold: auf einer bestens tragenden Altschneedecke befindet sich aufgelockerter, fast noch pulvriger Neuschnee. Ich sinke bis etwa Knöchelhöhe ein, das ist guter Trittschnee und das Gehen macht unter diesen Bedingungen nur wenig mehr Mühe, als wenn ich mit den Schneeschuhen untwerwegs gewesen wäre. Hinter uns folgt eine andere Gruppe. Wir werden diesen später noch am Ararat begegnen. Im Gegensatz zur Sommersaison hat man es hier im Frühjahr noch angenehm ruhig, denn unsere beiden Gruppen sollen hier am Süphan und später auch am Ararat die einzigen aktuell aktiven Expeditionen bleiben. Am Artos waren wir gar allein unterwegs.

Das Wetter gebärdet sich heute wiederum ähnlich wechselhaft, wie bereits gestern am Artos. Ständig ziehen Wolken- und Nebelfetzen um uns herum, die Aussicht ist mal gut, mal schlecht, mal gar nicht vorhanden. Heute gesellen sich noch ein paar unergiebige Graupelschauer hinzu. Der Süphan ist ein typischer Vulkan. Er hängt nicht mit anderen Bergen zusammen, sondern steht solitär und breitmassig in der Landschaft. Typisch vulkanisch präsentiert escheint dann auch das Gipfelplateau des Berges: dessen Begrenzung wird durch einen enormen Kraterrand erkennbar. Sowohl Kraterrand, als auch das Innere des Kraters weisen zahlreiche Erhebungen auf, die sich in der Höhe optisch teilweise kaum voneinander unterscheiden lassen. Walter und ich sind uns aber sicher, dass wir hier den höchsten Punkt des Süphan mit 4058 Metern erreicht haben. Ein zweiter Gipfel, wir vermuten den uns gegenüberstehenden, ist übrigens ganze 5 Meter niedriger. Da es hier oben unangenehm windig ist, beschließen Walter und ich nach kurzem Aufenthalt den Wiederabstieg. Bereits wieder unten auf der Schulter angekommen, wundern wir uns noch über die von Robert angeführte Aufstiegsspur, die orographisch viel weiter rechts verläuft, als die unsrige.

Der Abstieg lässt sich rasch und problemlos bewerkstelligen. Die ganze Zeit über bin ich hierbei allein unterwegs und genieße dies auch, sauge dabei diese großartige, für einen Alpenbergsteiger sicher auch fremdartig und ungewöhnlich erscheinende Landschaft um mich herum in mir auf. Erst im letzten Hang, bevor der Schnee wieder aufhört, werde ich von der Gruppe der "Konkurrenz" überholt. Deren Teilnehmer sind übrigens in der Mehrheit Mitglieder des DAV Sektion Lörrach. Da ich in der Folge noch öfter auf diese Gruppe zu sprechen kommen werde, möchte ich diese der Einfachheit halber "die Lörracher" nennen.

Nach und nach kommen auch unsere Leute herabgefahren. Zum Schluß fehlen nur noch Valerij und das türkische Pärchen, welches zum Hotel in Adilcevaz gehört und die sozusagen als Gäste mit uns mitgekommen waren. Es vergehen Ewigkeiten, aber niemand kommt. Was, zu Kuckuck, ist dort oben los? Robert ahnt es bereits: Valerij sei wohl eigenwillig zum Gipfel weitergegangen, obwohl ihm Robert gesagt hatte, er könne noch schnell bis zur Kraterrand aufsteigen, also bis dorthin, wo sonst alle anderen von Robert Geführten als höchsten Punkt gelangt sind, und solle dann eben zügig nachrücken. Die Zeit vergeht und vergeht. Robert lässt die Gruppe schon mal zum Fahrzeug zurückkehren. Nur er, ich und die beiden tschechischen Teilnehmer Antonin und Jiri verbleiben noch, jetzt langsam zusehends darüber besorgt, ob da oben wohl etwas passiert sei. Zu unserer Erleichterung sehen wir schließlich nach einer uns unendlich erscheinenden Phase des Wartens drei sich bewegende Punkte weit oben in der Bergflanke. Nach einer weiteren Weile des Beobachtens sind wir uns schließlich sicher, sie sind es!

Ich muß sagen, ich bin schon sauer mit Valerij. Aber das Schlimme ist, ich werde nicht der Einzige sein, denn schließlich und endlich musste die gesamte Gruppe nun mehr als 2 Stunden auf ihn warten. So erhält dieser ansonsten so perfekte Tag leider eine kleine Trübung, obwohl zum Schluß hin sogar noch das Wetter am Süphan aufgemacht hatte, was für die später oben Eintreffenden ein Segen war, denn ich selbst war zu schnell und konnte das schöne Wetter erst weiter unten während des Abstiegs erleben. Bis Valerij und das türkische Pärchen, die übrigens oben tapfer auf ihn gewartet haben, wieder am Bergfuß angekommen sind, zieht das Wetter allerdings um den Berg herum erneut zu.

Wir verbringen eine weitere Nacht im Hotel in Adilcevaz mit Abendessen im selben netten Restaurant, wie gestern. Dem Jungen im Hotel ist es übrigens gelungen, meinen Schneeschuh zu reparieren. Allerdings sehe ich den Schaden so arg, dass ich vermute, dass dieses Provisorium früher oder später wieder nachgeben wird. Somit bleibe ich bei meinem Entschluß, den Ararat im Fußaufstieg zu bewältigen. Insbesondere der heutige Tag hat mich in dieser Entscheidung nochmals bestärkt.

10.05.2011

Es ist soweit, wir wollen uns dem Hauptziel Ararat nähern. Der Tag beginnt mit einer wunderschönen Fahrt, zunächst entlang des Vansees. Wir halten Einkehr zu einer längeren Pause am eindrucksvollen Muradye-Wasserfall. Es handelt sich hier um ein Ausflugsziel, an dem sich auch mehrere kleine Restaurants befinden. Einfach toll, so auf dem Aussichtsbalkon zu verweilen, einen kräftigen türkischen Mokka zu schlürfen und dem ungestümen Tosen der Wassermassen zuzusehen bzw. zuzulauschen. Für dieses beeindruckende Naturschauspiel haben wir mit dem Frühjahr die wasserreichste Jahreszeit erwischt.

Unser Süphan tritt während der Fahrt gleich mehrfach in Erscheinung: zu Beginn zeigt er uns seine Südseite und die Südostflanke, durch die wir gestern zu ihm aufgestiegen sind. Später, wir haben uns inzwischen ein gutes Stück weit vom Vansee in nördliche Richtung wegbewegt, können wir den Berg von seiner Nordseite besehen. Eines ist ihm immer gleich: sein solitäres Dasein als mächtiger Einzelberg, der aus einer an die Mongolei erinnernden Ebene als breitmassiger Vulkan hinaufsteigt. Vieles an ihm erinnert mich an den Volcán San José, den ich ja mit Valerij vergangenen Dezember in Chile bestiegen habe.

Unser Fahrzeug windet sich eine Passhöhe hinauf, vorbei an archaisch anmutenden Dörfern, die einen Gegensatz zu den doch sehr modern gewordenen Städten in Kurdistan darstellen. Der Pass dürfte bereits eine Höhe von 2600 Metern haben, er fußt an einem weiteren, recht ungewöhnlich erscheinenden Berg: Der Tendürek (3533 m) ist ebenfalls ein Vulkan, meines Wissens nach sogar der einzig noch als aktiv geltende in der Türkei. Besonders elegant mag dieser Berg wohl nicht erscheinen, vielmehr eigenartig: er ist auch augenscheinlich deutlich niedriger, als der Süphan, aber in seiner Gestalt deutlich breiter, langgezogener, als dieser. Die Überschreitung des Kraterrandes dürfte wohl mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Der Tendürek soll aber laut Robert mehr für Wissenschaftler, als für Bergsteiger von Interesse sein. Faszinierend sind die riesigen, dunklen Lavafelder , die vom Kraterrand her bis zur Straße hinabreichen. Wir fahren schlußendlich hinab in den weitgeöffneten Talkessel von Dogubayazit. Der Ararat versteckt sich noch hinter dichtem Gewölk.

Wir beziehen ein Hotel außerhalb der Stadt, welches direkt an der Verbindungsstraße Richtung Iran gelegen ist. Die Grenze ist hier gerade mal 30 km entfernt, die gut ausgebaute Autotrasse entspricht übrigens dem Verlauf der alten Seidenstrasse. Robert verspricht uns ein geniales Araratpanorama in den Morgenstunden von der Hotelterrasse aus.

Für den verbliebenen Nachmittag ist die Besichtigung des Ishak-Pasha-Palasts vorgesehen. Dieser prächtige Palast ist ein Muß und ein absolutes Highlight für Besucher dieser Gegend. Abegesehen vom imposanten baulich-künstlerischen Aspekt dieses Monuments, das aus den Erzählungen von 1001er Nacht entsprungen sein könnte, ist dessen Positionierung auf einer Anhöhe mit genialen Blicken über die Ebene von Dogubayazit und hinüber zu schneebedeckten Bergen geradezu fesselnd. Nur den Ararat kann man von hier aus definitiv nicht sehen, auch wenn viele hier sich im Umlauf befindliche Fotomontagen dies dem unbedarften Betrachter suggerieren mögen. Beide Erscheinungen sind für sich allerdings so beeidruckend, dass es mir gar nicht nötig erscheint, sie unbedingt gemeinsam ins Bild treten lassen zu müssen.

Das Abendessen findet heute in einem etwas unterkühlten Nebensaal des Hotels statt. Ein guter Teil unserer Mitreisenden verschafft diesem Umstand durch erhöhten Raki- un Efes-Bier -Konsum Abhilfe. Am Ararat werden uns nun drei Führer begleiten: Robert, Yildirim und Mustafa. Mustafa wird dabei sozusagen die Rolle des Hauptführers übernehmen. Wir lernen ihn jetzt beim Abendessen kurz kennen.

In Dogubayazit ist uns übrigens aufgefallen, dass alle unsere Fahrer nicht zu öffentlichen Tankstellen gehen, sondern ihre Fahrzeuge stets in Hinterhöfen mit iranischem Schmuggelbenzin auftanken. Mein alter Boxtrainer Günter "Goldi" Gruber hat mir oft aus seiner Trucker-Zeit erzählt, auch die Story vom iranischen Schmuggelbenzin. Er ist insbesondere in den 80er-Jahren häufig die Strecke durch Kurdistan in den Iran hinein gefahren. Die Tankgewohnheiten haben sich somit in Kurdistan bis heute nicht geändert.

11.05.2011

Nach dem gestrigen Ruhetag soll auch heute von uns noch nicht allzu großer physischer Einsatz abverlangt werden. Der Bezug des Basislagers ist vorgesehen. Dazu werden wir etwa 800 Höhenmeter auf aperem Gelände zurücklegen, ausgestattet nur mit leichtem Gepäck, denn die Träger werden uns alles Schwerwiegende bereits abnehmen.

Doch bei Anbruch des Tages möchte ich Roberts Prophezeihungen nachgehen und begebe mich morgens um halb sechs bereits auf die Hotelterrasse. Frisches Brot für´s reichhaltige Frühstücksbüffet trifft zwar erst später ein, aber mit einem guten Schluck Kaffee und eine Schale Yoghurt lässt sich der jetzt tatsächlich atemberaubende Anblick des Ararat im frühen Morgenlicht vorzüglich genießen.

Auch der Ararat ist, wie der Süphan, ein erkalteter Vulkan. Und auch er steht, benachbart mit seinem kleinen Bruder, dem Kleine Ararat, wiederum völlig freistehend und exponiert in der Weite der Landschaft. Die das Tal von Dogubayazit umrahmenden anderen Berge können im Vergleich zu diesem allmächtigen Imperator nur noch als untergeordnete Statisten dienen. Mehr als 1000 Meter höher, deutlich abgehobener, in seiner Gesamterscheinung ein Exemplar vollendeter Eleganz, lässt er im Vergleich auch den sonst doch eindrucksvollen Süphan geradezu erblassen. Jetzt im Frühjahr zeigt sich der Ararat bis fast nach unten hin schneeweiß.

Um 7 Uhr ist Abfahrt. Zunächst geht´s in Dogubayazit zum örtlichen Polizeiposten. Die Pässe werden von Robert eingesammelt, wir müssen nicht persönlich im Gebäude erscheinen. Auch der Rapport beim Militär heißt für uns nichts anderes, als Chai-Pause im neben der Kaserne gelegenen Kiosk, inclusive Araratblick. Dort empfielt sich aber ausnahmsweise, die Kamera aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft mit militärischen Objekten brav in der Tasche stecken zu lassen. Von der Hauptstraße abzweigend erreichen wir über eine Holperpiste, ein kleines Dorf mit einer Horde bedrohlich bellender Hunden passierend, auf etwa 2000 Metern das Anwesen eines wichtigen Mannes hier am Ararat. Der "Agri Daginim Sahibi" wird uns Ausländern als "Owner of Mount Ararat" vorgestellt. Ohne diesen kurdischen Patron geht hier nichts am Berg. Auch die Träger sind bereits vor Ort. Zum Teil sind das recht wild ausschauende Burschen, einer sitzt hoch zu Roß und hat gar sein Gewehr geschultert, obwohl die Möglichkeit, unterwegs auf einen der hier noch ganz selten vorkommenden Bären zu treffen, wohl einem Sechser im Lotto gleichkäme. Unsere Ausrüstung, einschließlich der von der Agentur gestellten Schlafzelte und des Messezelts werden durch die Pferde transportiert, da der Weg zum auf derzeit etwa 2900 m gelegenen Basislager durchgehend schneefrei ist. Auch ein Koch und ein Hilfskoch werden uns zur Seite gestellt, deren Künste wir noch zu loben und zu schätzen lernen werden.

Da ich unten meine Stöcke vergessen habe und ich sicher sein will, dass sie dort nicht verbleiben, kehre ich unterwegs um und nehme anschließend den Aufstieg allein unter die Sohlen. Herrlich ist es hier, die Aussicht hinab in die weite Talebene von Dogubayazit, hinüber zu den Bergen ringsum, die fast alle noch Schnee tragen, der bizarre Tendürük schließt weit hinten den Horizont ab. Dort oben befindet sich auch die Passhöhe, über welche wir gestern Dogubayazit erreicht haben. Ich wandere vorbei an saftig-grünen, aber auch mit Dornbüschen und riesigen Lavabrocken gespickten Weiden, auf denen friedlich Pferde gasen, die sich in ihrer Ruhe nicht weiter stören lassen und allenfalls kurz mal neugierig ihre Köpfe recken, wenn ein Fremder vorbeikommt. Geckos huschen umher, große und kleine, in verschiedenen Größen und Farben, ein klangvolles Vogelkonzert erfreut meine Ohren, ja sogar den Kuckuck höre ich rufen, obwohl sich im Gebiet weit und breit kein Baum befindet. Dominierend überragt wird diese Idylle vom wuchtigen Vulkankegel des Ararat, einem schneeweißen Riesen, der sich, dem Betrachter den Atem raubend, aus dem frühjährlichen Grün krokosübersäter Almwiesen emporhebt und auf den ich nun geradewegs zumarschiere. Was für ein Anblick, was für eine Euphorie, und doch gleichzeitig die bangenden Fragen des Bergsteigers: werden wir den Gipfel dieses großartigen Berges erreichen? Und noch wichtiger: wird alles gut gehen?

An einem lauschigen Rastplatz hole ich die Gruppe wieder ein. Wir lassen nun zuerst die Köche und die Träger an uns vorbeiziehen, damit diese alles für unsere Ankunft im Lager vorbereiten können. Das nenne ich Service und ich genieße auch mal so eine Art von Bergsteigen, da ich die andere Variante des autarken Alpinstils nur zu gut kenne ;-)!

Ankunft im Basislager. Wir bauen unsere Schlafzelte auf, das Messezelt steht bereits und unsere beiden Köche sind dort schon fleißig am Zubereiten. In einigen hundert Metern Entfernung hat die Gruppe mit den Lörrachern ihr Basecamp bereits errichtet. Wir sind die beiden einzigen Gruppen, die derzeit am Berg zugegen sind. Nach einer gemütlichen und gütlichen Teepause beschließen Gerhard, ich Valerij und Frank, einen kleinen Akklimatisationsaufstieg zu tätigen. Auch wenn sich das Basislager auf "nur" 2900 Metern befindet und das morgige Hochlager auf recht niedrigen 3600, so ist eine entspannte Wanderung in die Höhe der Höhenanpassung keinesfalls abträglich, zumal sich etwa 150 Höhenmeter oberhalb des Lagers eine "Sehenswürdigkeit" befindet: zwei Caterpillars und ein Geländewagen, die alle völlig ausgebrannt und derzeit noch halbwegs unter Schnee begraben sind. Die PKK soll diese Gerätschaften vor ein paar Jahren bei einem nächtlichen Anschlag in die Luft gejagt haben. Menschen sollen dabei nicht zu Schaden gekommen sein. Hier in die Südflanke des Ararat wurde tatsächlich eine Straße, oder besser gesagt eine Erdtrasse bis auf über 3000 m hinaufgezogen. Ob für militärische oder für zivile Zwecke, bleibt mir unbekannt. Tatsache ist, dass der Ararat mit der Weitläufigkeit seines Geländes, den versteckten Schluchten und seinen mit unzähligen Höhlen gespicktenBergflanken schon lange von den kurdischen Separatisten als Rückzugsgebiet genutzt wurde. Wir gehen noch weiter, bis hinauf zum Punkt 3160, wo auch die Trasse vermutlich ihr Ende haben dürfte.

Wir kehren ins Lager zurück. Kurz darauf wird uns ein schmackhaftes und reichhaltiges Abendessen im Messezelt serviert. Dass einige Gruppenmitglieder sich auch Raki und palettenweise Efes-Bier hier heraufschleppen ließen, halte ich aus Gründen der Akklimatisation für keine so gute Idee, aber das sollte jeder schließlich selbst für sich entscheiden. Hier am Ararat könnte so was gerade noch funktionieren, an einem strammen 6000er oder gar an einem 7000er würde man sich auf diese Weise die Akklimatisation richtiggehend kaputtsaufen, auch bei nicht sooo großen Mengen.

Nachts unterhalte ich mich noch mit Valerij draußen vor dem Zelt. Der Blick hinab über das strahlende Lichtermeer der Stadt Dogubayazit zieht uns mächtig in den Bann. Weiter drüben, dem Verlauf der Seidenstraße folgend, erkennen wir weiße Lichter. Dort soll sich der Grenzübergang zum Iran befinden. Und die orange leuchtenden Lichter jenseits davon strahlen bereits aus iranischen Dörfern zu uns herauf. Die Temperaturen sind derzeit recht mild, selbst nachts. Ich habe zumindest in den Nächten um diese Jahreszeit mit klirrender Kälte gerechnet. Aber die Nächte hier sind, wie auch die Tage, nicht klar, das heißt, es findet keine Abstrahlung statt. Für mich und auch für Valerij also mal ein Basislager mit Komfort, indem man eben nicht in der Daunenjacke im Messezelt hockt, und sich die klammen Hände am warmen Teebecher aufzuheizen versucht, oder eben gleich, der Kälte entfliehend, sich unmittelbar nach Sonnenuntergang in den kuscheligen Schlafsack verzieht.

12.05.2011

Es scheint wieder vorbei zu sein mit der prächtigen Sicht von gestern. Stattdessen wiederum die uns nun schon vertraut gewordene Diesigkeit, gepaart mit ständig Volumen und Erscheinungsform änderndem Gewölk. Da nun die Schneegrenze beginnt, kommen die Pferde für den Hochlagertransport nicht mehr zum Einsatz, das heißt, die Männer unserer Begleitmannschaft müssen nun selbst tragen. Bis zum Hochlager sind es etwa 700 Höhenmeter, es soll also auf etwa 3600 Metern eingerichtet werden. Die Skifahrer steigen über die Hänge auf, ich hingegen folge den Trägern durch den Grund einer gut festgetretenen Mulde. Ich bin sehr früh dort oben, auch unsere Mannschaft ist noch nicht fertig mit ihren Vorbereitungen. Glücklicherweise ist es nicht kalt und nur leicht windig. Wiederum werden die Schlafzelte errichtet und anschließend zum Tee "gestanden", da uns hier oben nur ein kleines Kochzelt zur Verfügung steht, das große Messezelt ist unten geblieben.

Zur Akklimatisierung steige ich auf bis knapp 4200 Meter. Der Firn ist an der Oberfläche weich, ich sinke bis etwa Knöcheltiefe ein. Es geht recht gut so, und mein Optimismus steigt, da die Schneedecke über Nacht sicher noch durchgefrieren wird. Valerij folgt mir, Antonin und Jiri sind voraus, ebenfalls Gerhard, Martina und Frank. Alle gehen bis in etwa auf die gleiche Höhe, nur die Umkehrpunkte sind verschieden.

Vom Hochlager aus ist der Blick ins Tal, weil höher, noch abgehobener und umfangreicher, als vom Basislager aus. Faszinierend ist es auch, den Blick die steile Schneeflanke hinabgleiten zu lassen und zu sehen, wie sie unten im satten Grün der Yaylas endet. Überall verteilen sich dort braune Lavabrocken, das Gelände ist gewellt und man kann den einstigen Fluß der überquellenden Lavamasse klar erkennen.

13.05.2011

Gipfeltag. Um 2 Uhr nachts wird geweckt, der geplante Abmarsch um 3 Uhr verspätet sich auf 3.30h. Dieser Tag soll ein fast verhängnisvoller werden, weshalb ich zu den Gegebenheiten doch ein paar Dinge hinzuerwähnen sollte, insbesondere was meinen Alleingang und die vorherigen Abmachungen diesbezüglich betrifft:

Noch bevor wir am Artos starteten, hatte Robert verlauten lassen, es würde ihm nichts ausmachen, wenn jemand aus der Gruppe schneller wäre und deshalb vorausgehen würde. Dies Person müsste halt eben schlußendlich doch spätestens unten wieder auf die Gruppe warten. Desweiteren war ausgemacht, dass ich aufgrund der besonderen Situation (weder Schneeschuhe noch Ski) meine eigene, für mich günstige Route gehen würde, auch am Ararat. Außerdem hatte Valerij seit der Süphan-Geschichte bei Robert und auch bei anderen Gruppenmitgliedern schlechte Karten, auch allein deshalb, weil er eben in allen Situationen der Letzte war. Da wir sozusagen eine Gruppe innerhalb der Gruppe waren, so wie etwa die "Salzburger Gruppe" um Gerhard Hacker, Walter und Angelika, Gerold und Wolfgang oder Antonin und Juri, wurden wir meinem Eindruck nach wohl von Robert auch als "eine Meute" betrachtet. So erkläre ich mir jedenfalls die flapsige Äußerung Roberts in den frühen Morgenstunden auf den Hinweis einer Person, dass da unten zwei nicht nachkämen "die werden schon kommen!". Das war eindeutig auf uns Beide bezogen und erst, als Robert merkte, dass es sich bei den Zurückgefallenen nicht um mich und Valerij, sondern um Wolfgang und Gerold handelte, änderte er den Ton und wartete. Vielleicht war das mit der Startschuß, warum ich mich dann sehr früh als Vorausgehender an die Spitze absetzte. Wie gesagt, die Abmachungen sprachen ohnehin nicht dagegen und wurden auch von Mustafa nicht abgeändert oder anders eingefordert. Vielmehr fand am Vortag zwischen Führern und Gruppe keine offizielle oder gar detaillierte Besprechung darüber statt, wie denn morgen nun am Berg vorgegangen werden sollte.

Die Lörracher Gruppe war in etwa zeitgleich unterwegs und sowohl bei ihnen, als auch bei uns, zog sich die Gruppe auseinander und es bildeten sich rasch zwei Spitzengruppen, wobei ich immer ein Stück weit in einer gut erkennbaren alten Skispur vorausging. Das Wetter zeigte sich von Beginn an von keiner guten Seite. Es war neblig und windig. Dennoch: wir hatten, seit wir hier sind, diesbezüglich ständig eine extreme Wechselhaftigkeit erlebt und die Hoffnung auf Wetterbesserung war durchaus berechtigt.

Während des Aufstiegs hatte ich über Stunden hinweg weitestgehend Sicht- und Rufkontakt zu den hinter mir Gehenden. Als wir die Bergschulter auf etwa 4800 oder 4900 Metern erreichen, macht die hinter mir gehende Gruppe Pause, während ich weitergehe. Allerdings nun deutlich langsamer, da die Skispur hier oben nicht mehr so klar ist. Dafür finden sich jetzt immer häufiger Orientierungsstöcke im Gelände, die aber bei dem herrschenden Nebel kaum eine Hilfe darstellen. Der Wind legt mit zunehmender Höhe an Stärke zu, was ja normal ist. Die Spitzengruppe taucht bald schon wieder hinter mir auf. Ab und an erhalte ich Weisungen vom vorangehenden Führer, mehr rechts oder mehr links zu gehen. Ich kann nicht erkennen, wer er ist, im Nachhinein stellt sich heraus, es war Yildirim. Zu keinem Zeitpunkt wurde ich allerdings darauf angesprochen, zu warten, oder mich in die Gruppe einzufügen. Wäre dies geschehen, so hätte ich absolut kein Problem damit gehabt und wäre den Anweisungen nachgekommen. In der aktuellen Situation sehe ich die Sache eher sportlich, aber keinesfalls auf Biegen und Brechen. Ich vermute, dass wir dem Gipfel schon sehr nah sind, der Aufstieg wird jetzt äußerst anstrengend und das Tempo verlangsamt sich aufgrund der Höhe. Zwischendurch liebäugle ich mit der Idee, mich tatsächlich einzureihen, das Tempo herauszunehmen, und mich sozusagen die letzten Meter zum Gipfel hinaufführen zu lassen. Doch dann denke ich mir, jetzt bist du den ganzen Tag über schon vorangegangen, dann schau auch, dass du jetzt als Erster zum Gipfel kommst.

Nach geraumer Zeit erkenne ich vor mir eine steile Rampe, die sich nach hinten hin verjüngt, so daß ich dort hinaufsteigen kann. Ich bin jetzt sicher, mich auf dem Gipfelplateau zu befinden. Jetzt sehe ich niemanden mehr hinter mir, höre aber eine rufende Stimme. Ich deute das als Freuderufe auf den bevorstehenden Gipfelsieg. Auf dem Plateau schlägt die Situation allerdings in Minutenschnelle um: schon beim Betreten herrschen dort oben deutlich strengere Windstärken, als unterhalb. Erst wird das Gehen schwierig, und schließlich habe ich Probleme, mich auf den Füssen zu halten, und nicht umgeblasen zu werden. Die Sicht ist nun so schlecht, dass ich keine zwei Meter das Gelände vor mir beurteilen kann. Ich fürchte, eventuell auf eine Wechte zu treten, oder zu nah an eine Abbruchkante zu gelangen. So oder so, egal, wie weit oder wie nah der Gipfel nun ist, ich kann es mir nicht mehr leisten, auch nur wenige Meter weiterzugehen. Die Situation wird jetzt unheimlich und auch lebensgefährlich, und ich muss mich für einen raschen Rückzug entschließen. Aufgrund der Windstärken muss ich rückwärts und teilweise auf allen Vieren zurück. Nach eine kurzen Weile taucht im Nebel und im Getöse, inzwischen hat sich auch noch Schneefall hinzugesellt, die hinter mir gegangene Vierergruppe wieder auf. Ich bin, ehrlich gesagt, erleichtert, denn die Lage hat sich nun innerhalb von Minuten zu einem gefährlichen Schneesturm entwickelt, auch unterhalb des Plateaus sind jetzt die Windstärken so stark, wie vorhin oben. So steigen Yildirim, Walter, Jiri, Antonin und ich gemeinsam ab. Yildirim setzt dabei sein GPS ein und wir sind strengstens darauf bedacht, dass nun keiner von uns verloren geht, d.h. jeder merkt sich seinen Hintermann und passt auf, dass dieser auch nachkommt. Etwas weiter unten treffen wir auf die Spitzengruppe der Lörracher und so vergrößert sich unsere Abstiegsgruppe auf etwa 10 Personen. Noch weiter unten gabeln wir schließlich Valerij auf, der sozusagen allein zwischen den Fronten unterwegs ist. Da die Skifahrer bei diesen Bedingungen selbst nicht schnell abfahren können, ist es für mich kein Problem, zu Fuß nachzukommen. Valerij hingegen fehlt die Übung und es dauert länger bei ihm. Dennoch kommt niemand auf die Idee, einfach abzufahren und ihn seinem Schicksal zu überlassen. An ihm war Mustafa zuvor vorbeigekommen mit dem hektischen Zuruf "Down, down!" Mustafa hatte aber nicht etwa auf Valerij gewartet oder geachtet, dass dieser nachkommt, sondern war einfach weiter abfahrend im Nebel verschwunden.

Ich denke, es war dann auf etwa 4600 m Höhe, als ich das Gefühl bekomme, wir sind aus dem Ärgsten draußen und wir werden allesamt auch unten heil ankommen. Als wir 4200 erreichen, ist der Sturm zwar immer noch präsent, aber doch deutlich abgeschwächt, und ab dort bin ich mir nun ganz sicher, das Hochlager problemlos allein zu finden. Ich sage nun Walter und den anderen, dass sie jetzt zügig abfahren können, Valerij und ich werden nachrücken. Gesagt, getan, die Gruppe fährt ab und wir kommen etwas später ins bereits schon abgebaute Hochlager. Nur noch ein zwei, drei Zelte und ein paar Personen der Lörracher Gruppe ist dort noch anwesend.

So steigen wir denn ganz hinunter bis ins Basecamp, in der Überzeugung, dass wir die Letzten aus unserer Gruppe seien. Dann trifft uns der Schlag, als wir dort ankommen: drei unserer Leute seien noch dort oben, Gerold, Wolfgang und Angelika sind offenbar in den Turbulenzen des Rückzugs schlicht und einfach vergessen oder übersehen worden.

Wir sind allesamt entsetzt. Was können wir tun? Unsere Führer scheinen jedenfalls mit der Organisation einer Rettungsaktion vollkommen überfordert. Wir sind jetzt auf 2900 Metern, die Vermissten sind aber auf 4950 Metern zum letzten Mal gesehen worden! Es wird unmöglich sein, ihnen per erneutem Fußaufstieg dort oben zur Hilfe eilen zu können! Die einzige Hoffnung besteht im Organisieren eines Helikopters vom Militär. Nur ist dort niemand erreichbar. Zudem besteht wenig Hoffnung, ob dieser bei den aktuellen Wetterverhältnissen auch fliegen wird. Yüksel, der Veranstalter, ist verständigt, es wird telefoniert und telefoniert, an allen möglichen Stellen wird um Hilfe ersucht. Besonders Antonin zeigt sich dabei sehr engagiert. Es war mir während der Reise schon wiederholt aufgefallen, dass er nicht nur ein guter Bergsteiger, sondern auch sonst ein Klasse Typ ist, auf den man sich verlassen kann, wenn´s brenzlig wird.

Es vergehen zwei Stunden, fast schon drei, ich stiere und stiere auf die Bergflanke. Der Ararat ist ab einer Höhe von 4300 Metern fast kontinuierlich zugenebelt, nur ab und zu lichtet sich kurz das Wolkenchaos. Der Sturm tobt noch immer, selbst hier unten im Basislager. Jeder schwarze Punkt, den wir entdecken, wird analysiert. Bewegt er sich, oder bleibt er unbeweglich, also doch wiederum nur ein Fels?

Nach knapp drei Stunden klingelt Walters Handy. Angelika ist dran. Sie leben, befinden sich aktuell auf etwa 4300 Metern Höhe und sind somit offensichtlich bereits außerhalb der lebensbedrohlichen Zone, doch sie wissen nicht, wo sie sind. Allesamt fallen uns Tonnen von Steinen vom Herzen! Wir wissen, unsere Bergkameraden leben noch, sind offenbar sogar alle unverletzt, wir müssen sie jetzt nur noch finden. Dies soll durch Handyortung geschehen, ein paar Helfer haben sogar irgendwo am Bergfuß bereits ein Feuer entzündet, welches den Verirrten zur Orientierung dienen soll.

Irgendwann ist klar, unsere Freunde befinden sich irgendwo im Ausstieg aus der Westflanke. Man sei schon unterwegs per Fahrzeug um den Berg herum, um sie abzuholen, wird uns gesagt. Somit können wir vorläufig beruhigt absteigen und uns in unser Hotel nach Dogubayazit bringen lassen. Dort bekommen wir auch die Nachricht über die endgültige Rettung der Drei übermittelt. Bis wir sie allerdings zu sehen bekommen, dürfte noch etwas Zeit vergehen, denn sie werden auf jeden Fall zu einer Routineuntersuchung ins Krankenhaus von Dogubayazit verbracht.

Mitten in der Nacht wache ich auf, glaube Wolfgangs und Gerolds Stimmen im Gang gehört zu haben.

14.05.2011

Früh wie immer begebe ich mich zu Frühstück. Angelika ist schon da, die beiden anderen schlafen noch. Sie haben gestern angeblich noch alkoholisch ihren "Zweiten Geburtstag" gefeiert. Wohlgemerkt, nicht aus Freude! Außer ein paar mehr oder weniger großen Frostbeulen ist den Dreien an körperlichen Blessuren glücklicherweise nichts geblieben. Aber sie sind alle Drei merklich traumatisiert und als sie uns später erzählen, was sie während ihres dramatischen Abstiegs in der Westflanke alles erlebt und mitgemacht haben, soll es uns Zuhörenden eiskalt den Buckel hinunterlaufen. Man kann getrost sagen, sie haben dort oben nur knapp überlebt.

Als Mustafa und Yildirim erscheinen, eskaliert die Situation und es kommt zu einem heftigen Streit. Die beiden wollen sich auf die Schnelle verabschieden und das Hotel verlassen. Doch Angelika will sie zurückhalten, fordert unter Tränen eine Entschuldigung und verlangt, dass sie gefälligst warten sollten, bis Wolfgang und Gerold da sind. Während sich Yildirim zurückhält, beginnt Mustafa mit Beschuldigungen der Gruppe, auch explizit gegen mich, da ich, und auch andere, angeblich eigenmächtig vorausgegangen wären. Zum Schluß bezeichnet er uns als "bad customers", und beide verlassen das Hotel, noch bevor Gerold und Wolfgang hinzukommen. In keinster Weise zeigte Mustafa sich somit irgendwie taktvoll oder rücksichtsvoll gegenüber Angelika und den beiden anderen Betroffenen.

Robert hat heute für uns noch einen Ausflug organisiert. Zur Ausgrabungsstätte der Arche Noah soll es gehen. Ich halte diese "Ausgrabungsstätte" für einen pseudowissenschaftlichen Schmuh, dennoch gefällt mir der Ausflug. Vom Museum nahe der "Fundstelle" aus erhält man einen prächtigen Blick auf den Kleinen Ararat. Erst hier wird mir bewußt, was für ein eleganter Vulkankegel der kleinere Nachbar des Ararat ist. Leider ist der Kleine Ararat für Bergsteiger nicht zugänglich, da es sich um militärisches Sperrgebiet handelt. Ganz besonders gefällt mir die Rückfahrt, weil unser Fahrer einen Pistenweg einschlägt, der uns durch abgelegene kurdische Dörfer führt. In diesen Dörfern regiert sicherlich noch die alte Tradition - und ganz offensichtlich auch die Armut. Was für ein Unterschied zu den modernen Städten wie Dogubayazit oder Van! Dies hier ist jedenfalls eine ganz andere Welt. Auf vielen Flachdächern sind blaue Abdeckplanen zu sehen, die mir auch andernorts bereits aufgefallen sind. Robert erklärt, dass diese Planen als Winterabdeckung dienen und jetzt im Frühjahr noch nicht von allen Dächern entfernt wurden. Auffallend aggressiv sind hier übrigens die Hunde. Sie springen furchtlos unters fahrende Auto, wir hören, wie es unter dem Boden des Fahrzeugs poltert und ein Hund wie wild zwischen den Rädern herumspringt. Angesichts derart unerschrockener Attacken möchte man hier lieber nicht aussteigen. Schließlich kommen wir oberhalb des Isak-Pasha-Palastes wieder heraus. Den Nachmittag verbringen wir mit Bummeln in Dogubayazit.

Die gestrigen Vorfälle führen dazu, dass die Stimmung für die verbleibenden beiden Tage eher gedrückt bleibt und verständlicherweise stets neue Diskussionen über das Wieso und Weshalb entfacht werden. Mir geht es jetzt so, dass ich schlußendlich froh bin, von hier weg zu kommen. Sicher nicht, weil mir Kurdistan nicht gefallen hätte, sondern dieses nun doch sehr ungemütliche Klima, und ganz sicher auch der Schock über das Vorgefallene, die Gedanken darüber, wie leicht das alles hätte ganz schlimm ausgehen können.

15.05.2011

Hektik am Morgen. Es fehlt ein Taxi für den Gepäcktransport. Den anderen brennt es unter den Nägeln, denn ihr Flug geht bereits um 10 und wir werden schließlich noch gute 2 Stunden für die Strecke von Dogubayazit bis nach Van benötigen. Schließlich und endlich ist dann doch noch alles organisiert, wir starten mit zwei Großtaxis, eines für die Personen und das andere fürs Gepäck. Irgendwann erinnert sich Frank, dass er sein gesamtes Gepäck im Hotel vergessen hat. Wir finden eine Lösung: da mein Flug erst zweieinhalb Stunden später geht, werde ich derjenige sein, der Franks Gepäck in Empfang nimmt und mit diesem zurückfliegt, während er mit meinem Gepäck eincheckt. Da Frank auf der Schwäbischen Alp zuhause ist, und somit nicht allzu weit entfernt von mir, werden wir den Gepäcktausch eben in Deutschland vornehmen.

Ich bin schließlich froh, daß das Gepäck dann nicht etwa von Mustafa, sondern von zwei mir bislang unbekannten jungen Männern nachgeliefert wird, die mich sofort erkennen, und die mich schließlich auch herzlich nach kurdischer Art verabschieden. Mir ist schon klar, und eigentlich brauche ich das ja nicht extra zu betonen: Mustafas gibt es überall auf der Welt, und auch in Kurdistan gibt es sicher mehrheitlich äußerst liebenswerte und gastfreundliche Menschen. So hat mir das Land und auch die Reise sehr gut gefallen, wenn nur eben dieser unschöne Schluß nicht gewesen wäre, wobei wir allesamt gottfroh darüber sein können, dass es eben doch verhältnismäßig glimpflich ausgegangen ist.

Während die anderen Gruppenmitglieder noch am selben Sonntag von Istanbul aus in ihre Heimat zurückkehren, verbleibe ich noch bis zum nächsten Morgen in dieser prächtigen Stadt. Ein wenig Bummeln im Taksim-Viertel, ein traumhafter Sonnenuntergang und schließlich im Dunkel, schon fast klischeehaft, prangt eine helle Mondsichel am klaren Firmament über der Kuppel der Sultan-Ahmed-Moschee ... die Stadt gibt mir ein wenig Ruhe und Gelassenheit zurück, bevor auch ich wieder in die Heimat zurückkehre.

Die Vorgänge am Ararat vom 13.05.2011 haben inzwischen auch in den Medien reichlich Wogen geschlagen. Der folgende Link führt zu sämlichen verfügbaren Publikationen:

http://www.horrortrip-ararat.com