Über die höchsten Gipfel Rumäniens (21.06. – 01.07.00)
Als wir morgens gegen 8.30 Uhr die ungarisch – rumänische Grenze überschreiten und sich unser Bus auf die erste größere Stadt in Rumänien zubewegt, setzt bei mir die Müdigkeit ein , die ich mir auf unserer nächtlichen Fahrt durch Österreich und Ungarn sehnlichst erwünscht hätte. Jetzt, wo ich als Rumänien – Neuling „Terra incognita“ betrete, nicke ich immer wieder ein.
Arad wirkt irgendwie chaotisch, die sozialistischen Wohnsilos erscheinen mir desolater, als ich es von meinen bisherigen Reisen in den ehemaligen Ostblock kenne, die Atmosphäre hat jedoch meridionale Züge, oder liegt das vielleicht mehr am schönen Wetter? Andere größere Städte auf unserem Weg, wie Deva und Sebes, hinterlassen einen ähnlichen Eindruck. Auf den Busbahnhöfen immer das selbe Schauspiel: Hütchenspieler und Geldwechsler suchen einen Dummen, auch eine Dame aus unserem Bus beißt in den Köder, gewinnt zunächst beim Hütchenspiel, verliert anschließend, ein verbaler Streit beginnt, die Frau fühlt sich betrogen, der Bus muß weiter...
Gegen 11 Uhr dann Ankunft in Sibiu, mehr als 3 Stunden vor Fahrplan. Ich werde mit einer kleinen Seniorengruppe Siebenbürger Sachsen an einer lärmenden Hauptstraße herausgelassen. Von ihnen weiß leider niemand, wo der Bahnhof ist, sie sind seit ihrem Exodus nach Deutschland vor zig Jahren zum erstenmal wieder in ihrer ehemaligen Heimat. Sie empfehlen mir, ein Taxi zu nehmen, der Fahrer fragt mich nach meinem eigentlichen Ziel. „Sebesu de Sus“, antworte ich ihm, möglichst bemüht, meine Ortsunkenntnis und die Tatsache zum erstenmal in Rumänien zu sein, zu kaschieren. Wir beginnen mit den Fahrpreisverhandlungen, eine direkte Fahrt mit dem Taxi ohne eventuelle Wartezeiten am Bahnhof in Kauf nehmen zu müssen, wäre mir eigentlich recht Nachdem wir einen gemeinsamen Nenner gefunden haben, geht´s dann raus aus der Stadt, auf die Karpaten zu.
Ja, die Karpaten! Als ich als Jugendlicher den „Nosferatu“ mit Klaus Kinski in der Rolle des blutdürstenden Grafen gesehen habe, war ich fasziniert von der dort gezeigten Landschaft. Obwohl dieser Film zwar nicht in den rumänischen Karpaten (wohl aber in den slowakischen!) gedreht wurde, blieb bei mir diese Assoziation mit fantastischer Natur und dem Geheimnisvollen. Als ich dann Trekking und Bergsteigen immer mehr zu einer meiner Lebensmaximen erhob, war für mich klar, eines Tages auch die rumänischen Karpaten...
In dem schönen Dörfchen Sebesu de Sus, das wir mittlerweile über eine Schotterpiste erreicht haben, lässt mich dann der Taxifahrer ´raus, und los geht´s, am Dorfkircherl vobei, die Straße hinauf, schon eröffnet sich der Blick auf´s Gebirge, das hier seine alpinen Ausmaße jedoch noch nicht erreicht. Immer schön dem roten Dreieck nach, durchs Moasei – Tal, am Bach entlang, wunderschöne Zeltmöglichkeiten am Wegrand, wäre ich später angekommen. Da ich jedoch sehr gut in der Zeit liege, will ich noch die Cabana Suru auf 1450 m erreichen und meine erste Nacht in Rumänien in einer der von Landeskennern gerühmten, rustikal – einfachen, aber urgemütlichen Berghütten verbringen. Der Steig wird gelegentlich etwas undeutlich, hinter einem rauschenden Wasserfall sind dann Pfad und Wegzeichen verschwunden. Hervorragend, ich habe zwar ein Buch mit einer Wegskizze im Gepäck, jedoch keine Wanderkarte, die in Deutschland auch nicht aufzutreiben war, und von einer solchen ich mir erhoffte, in einer der Berghütten am Weg ein Exemplar käuflich erwerben zu können. Aufgrund meiner begrenzten Zeit und meinem ehrgeizigen Vorhaben, innerhalb der mir zur Verfügung stehenden 8 ½ Tagesetappen den gesamten Fagarasch – Hauptkamm längs zu traversieren, über die gewaltige Kalkwand des Piatra Craiului zu steigen und , nach Passieren der romantisch – schönen Bergdörfer auf dem Bran – Paß, abermals auf die Höhen des von rumänischen Bergfreunden viel gepriesenen Bucegi – Gebirges hinaufzuschwitzen, um dann vielleicht, nach all den Strapazen, bequem mit der Seilbahn, von denen es in den Karpaten, Gott sei´s gelobt, nicht allzu viele gibt, ins grandiose Prahova – Tal hinabzuschweben.
Mittels Kompaß und Orientierungssinn beschließe ich, solange pfadlos weiterzumarschieren, bis entweder Selbiger wieder auftaucht, oder aber die Cabana Suru erreicht , bzw. bei deren Verfehlen die Baumgrenze überschritten und der Hauptkamm erreicht ist. Als ich schließlich auf den Hauptkamm gelange, nachdem weder Weg noch Hütte gefunden wurden, habe ich Schwerstarbeit hinter mir, die in diesem Maße für den ersten Tag nicht geplant war.
Ich baue mein Zelt hinter dem Felsen auf einem nicht allzu hoch aus der Landschaft ragenden Gipfel auf. Hier bin ich einigermaßen windgeschützt, da dieser einem hier oben kräftig um die Ohren weht .
Ein junger Schäfer mitsamt Herde und den Hunden, deren Agressivität mir im Laufe der kommenden Tage noch des öfteren zu schaffen machen werden, nähert sich. Der junge Bursche wirkt auf mich, wie so vieles in Rumänien, wie aus einer Zeit, die unsereins nur noch aus den Schilderungen der Vorkriegsgeneration kennt . Er riecht nach Erde und nach Tier, derselbe Duft, den ich von den Ureinwohnern Raramuri aus der Sierra de Tarahumara in Mexiko kenne. Das ist für mich kein Stinken, wie ich das bei abgestandenem Schweiß oder ungewaschenen Füßen empfinde, das ist der Geruch des Menschen, der in der Natur lebt.
Die Konversation geht etwas schleppend vor sich, man darf von diesen einfachen Leuten keine Fremdsprachenkenntnisse erwarten. Meine Vorkenntnisse in zwei anderen romanischen Sprachen, zu deren Verwandtschaftskreis auch das Rumänische zählt, bringen im praktischen Gespräch nur wenige Vorteile, was sich in den kommenden Tagen noch des Öfteren bestätigen wird. So sitzen wir also zusammen, teilen uns ein paar Wurstbüchsen und Müsliriegel aus der „Bordküche“ meines Rucksacks, später gesellen sich noch zwei ältere Arbeitskollegen des jungen Mannes zu uns. Freundlich sind sie, urig irgendwie und obwohl der Großteil Rumäniens geografisch nicht dem Balkan zuzuordnen ist, dieser beginnt eigentlich, nach offizieller Lesart, erst südlich der Donau , so treffen diese wild aussehenden Kerle doch meine Vorstellung von Balkanbewohnern. Die Sonne geht langsam unter und taucht das tief unter uns liegende Olt – Tal in herrliche Pastelltöne. Die Schäfer drängt es zum Aufbruch, sie geben mir zu verstehen , daß ich die Nacht mit ihnen in der Stana (rumänische Schäferkate) verbringen könne. Ein reizvoller Gedanke, trotzdem werde ich freundlich ablehnen, da ich nach diesem harten Kampf bis hierher die gewonnenen Höhenmeter nun nicht mehr hergeben will.
Nach einer gut durchschlafenen Nacht erwache ich dann frühmorgens in einer typischen Fagarasch – Atmosphäre: Das Pfeifen es Schäfers, das Blöken der Schafe, das Bellen der Hunde. Ich krieche aus dem Zelt und erblicke meinen jungen Freund von gestern, wie er in einige Entfernung am gegenüberligenden Hang seine Herde hochtreibt. Wir begrüßen uns mit durch Winken mit der weit hochgehaltenen Hand, wie ich es in den folgenden Tagen noch öfters tun werde, wenn ich einem Schäfer begegne, auch in der Hoffnung, daß dieser dann seine treuen Hilfssheriffs im Zaum hält.
Auf geht´s dann zu ersten Etappe auf dem Fagarasch – Hauptkamm! Wie ich dann bei späterem Kartenstudium herausfinde, befand sich mein Nachtlager vermutlich auf dem Varful Tatarul, in der Nähe des Sattels La Apa Cumpanita, meine angestrebte Cabana Suru ist nach Aussage der Schäfer abgebrannt und durch eine einfache Biwakschachtel ersetzt worden. Diese Angaben werden mir später auch von anderen Wanderern bestätigt.
Am Beginn meines heutigen Weges ist die Markierung noch etwas undeutlich und, wenn man eine findet, stellt sich diese nur durch zwei halb verwitterte weiße Balken dar, dem gut sichtbaren rot dazwischen, wie ich es dann im weiteren Verlauf auf der gesamten Fagarasch – Durchquerung bis hinters Refugiu Berevoescu vorfinde, haben Wind und Wetter den Garaus gemacht. Nach Überschreiten und Tangieren mehrerer harmlosen Grasgipfel zeigt der Fagarasch dann mit dem Erreichen des Varful Budislavu (2343m) sein hochalpines Gesicht. Schließlich folgt der Abstieg zum ersten Bergsee, dem Lacul Avrig. Prächtig leuchtet mir sein Himmelblau in der Morgensonne entgegen, während ich gemächlich hinabsteige, um an seinem Ufer für ein zweites Frühstück zu verweilen. Hier am Avrig – See entdecke ich etwas, was ich auf meiner Wanderung auch noch an anderen Stellen vorfinden soll und mit dem Ausdruck „disziplinierte Umweltverschmutzung“ belegen will: große, aus Steinen gebildete Kreise, in denen sich hunderte von vor sich hinrostenden Konservendosen befinden. Na ja, wenigstens alles auf einem Haufen und nicht wild in der Gegend verstreut! Auf dem weiteren Weg bewegt man sich in einer herrlichen Hochgebirgslandschaft. Ich passiere die kleine Notunterkunft „Refugiu Scara“, der Weg bis zum Negoiu – Gipfel übers Custura Sacatii (Kirchendach) ist spannend und abwechslungsreich, immer wieder mit klettersteiähnlichen Passagen gewürzt. An einer Stelle, nicht allzu weit vom Gipfelaufstieg , bin ich sogar gezwungen, meinen sperrigen Rucksack abzuschnallen und vorsichtig am Fels herunterzulassen, da sonst ein Weiterkommen nicht möglich ist.
Auf dem Gipfel treffe ich schließlich auf eine Gruppe Jugendlicher aus Bukarest, die von der Negoiu – Baude heraufgekommen sind und deren Etappenziel , ebenso wie meines, das Refugiu Caltun sein soll. Als Abstiegsmöglichkeit dorthin haben wir die Wahl zwischen der einfacheren Strunga Doamnei (Frauenkamin) und dem schwierigeren Klettersteig , der Strunga Dracului (Teufelskamin). Da ich zum Hochgebirgswandern gekommen bin und gern ein bißchen kraxle, wähle ich gleich letztere, die Gruppe aus Bukarest will den anderen Weg vorziehen, entscheidet sich jedoch angesichts eines Schneefeldes am Eingang des Steiges ebenfalls für das Teufelskamin. Die jungen Leute erscheinen mir nicht allzu bergerfahren, besonders fällt mir ein junger Mann in der Gruppe auf, dem anscheinend auch die nötige Trittsicherheit fehlt. Beim Abstieg durch die Rinne löst er dann in seiner Nervosität immer wieder kleinere Steinschläge aus.
Am Ausgang des Kamins angekommen , nimmt dann das Unglück seinen Lauf in Form eines extrem steilen Schneefeldes, das den weiteren Weg versperrt. Weiter unten ist bereits die gelb leuchtende Biwakschachtel „Refugiu Caltun“ zu sehen; die einzige Möglichkeit, dorthin zu gelangen, ist jedoch, das Schneefeld zu überwinden, eine Umkehr schließt die fortgeschrittene Stunde aus. Auch ich selbst habe mir vorzuwerfen, den alpinen Charakter dieses Gebirges etwas unterschätzt zu haben. Ich werde auf meiner Route noch manch andere, ähnlich kribblige Passagen vorfinden, ein Eispickel im Gepäck wäre das Mindeste gewesen, besser sogar noch Steigeisen. Die im Vergleich zu den Alpen weit nach Süden vorgeschobene Lage dieses Teils der Karpaten ändert nichts an der Tatsache, daß hier selbst im Juni noch mit erheblichen Schneeresten zu rechnen ist!
Da mir der Abstieg über das Schneefeld zu gefährlich erscheint, ziehe ich ein Umklettern durch die Felsen vor, wo mir meine Vorkenntnisse im Felsklettern behilflich sind. Trotzdem wird es mir zwischendurch mit meinem 20 – Kilo – Rucksack zu riskant, das Ding muß über Bord! Angesichts der Gewalt, mit dem der Rucksack das Schneefeld runterrast und anschließend mit unzähligen Überschlägen durchs Geröllfeld scheppert, grenzt es an ein Wunder, bzw. zeugt von hoher Verarbeitungsqualität, daß weder Sack noch Inhalt Schaden davontragen . Einer aus der Bukarester Gruppe folgt mir, er versucht es barfuß und kommt schließlich ebenfalls heil durch. Die anderen Gruppenmitglieder gehen alle über´s Firnfeld und einer nach dem anderen rutscht aus und landet unten im Geröllfeld. Zum Glück, wie es scheint, kommen alle nur mit Schrammen und leichten Prellungen davon, der Junge, der beim vorigen Abstieg so unsicher wirkte, sieht totenbleich aus. Meine Frage, ob er in Ordnung sei, bejaht er, sagt aber, er brauche erst mal eine Pause. Da ich nun endgültig im Refugiu ankommen will, verabschiede ich mich mit einem „see you later“ und setze meinen Weg fort.
In der Unterkunft angekommen, treffe ich einen Ungar – Rumänen, der nach eigenem Bekunden bereits die Woche zuvor von der Ostseite des Gebirges aus aufgebrochen ist und die Durchquerung somit in umgekehrter Richtung macht. Er erzählt mir, wie er letzte Woche in einen Schneesturm mit einem Temparatursturz auf minus 10 Grad geraten ist, in dem ihm seine drei mitgeführten Pullover plus Jacke noch zu wenig waren. Wir setzen uns beide zum Abendbrot und ich schildere ihm natürlich auch die Vorfälle oben am Schneefeld. Zwischenzeitlich ist schon beinahe eine weitere Stunde vergangen, es wird nicht mehr lange dauern , bis die Nacht hereinbricht und von der Gruppe ist immer noch nichts zu sehen. Wir beschließen, hinaufzugehen. Als wir Sichtweite erreichen, stellen wir fest, daß die jungen Leute immer noch am Schneefeld festsitzen, einer ist jedoch schon vorausgelaufen und teilt uns mit, daß sein Kamerad doch etwas mehr abgekriegt hat, als es zunächst schien, er sei jedenfalls nicht mehr in der Lage, seinen Rucksack zu tragen. Wir bedeuten ihnen, sich jetzt in Marsch zu setzen, mein ungarischer Freund zieht mit den Worten „Ich bin besser ausgeruht als du“ los, um den liegengebliebenen Rucksack zu holen. Schließlich gelangen wir doch noch allesamt einigermaßen wohlbehalten zur Biwakunterkunft Die Bukarester Gruppe beschließt, am nächsten Tag zur Balea – Lac – Baude abzusteigen und die Wanderung abzubrechen. Dieser Abstieg ist von hier aus der nächstmögliche und wird nochmals eine halbe Tagesetappe erfordern, d. h. für den Verletzten kann es nochmals ein unangenehmer Tag werden. Der Tatsache, daß es in den rumänischen Karpaten kaum Seilbahnen, einen aktionswilligen, jedoch schlecht ausgerüsteten und aufgrund der hiesigen Gebietsgrößen personell überforderten Salvamont (Bergrettungsdienst) und keine Rettungshubschrauber für „Handy – Bergsteiger“ gibt, sollte man sich bei der Begehung dieser Gebirgswelt unbedingt bewußt sein und entsprechende Umsicht walten lassen. Am anderen Morgen bin ich der Erste, der aufbruchbereit ist. Bei meinem erneuten Aufstieg fällt mein Blick immer wieder zurück zum Negoi – Gipfel und dem malerisch im Felskessel gelegenen Caltun – See mit seinem gleichnamigen Refugium, welches ich getrost wegen seiner einmalig schönen Lage auf 2135 m als einer der schönsten Nächtigungsplätze im Fagarasch anpreisen kann. Bis zum Balea – See, wo die Transfagarasch – Straße , diese umstrittene Schöpfung aus der Ceausescu – Ära, das Gebirge von Nord nach Süd überschreitet und somit Transsilvanien mit der Walachei verbindet, ist es alsdann nicht mehr allzu weit.
Da es in meiner Absicht liegt , heute die Podragu – Hütte zu erreichen, traversiere ich See und Hütte und belasse es bei einem Ausblick auf dieses wohl bekannteste Fagarasch – Panorama. Da die alte Cabana Balea Lac ein Raub der Flammen wurde, ist man zur Zeit eifrig mit dem Bau einer neuen beschäftigt. Sie wird ebenfalls auf diesem schönen Halbinselchen im See liegen und hoffentlich eines Tages genauso viel Schönheit und Gemütlichkeit ausstrahlen, wie ihre Vorgängerin.
Über den Sattel Saua Caprei wird dann der Lacul Caprei (Gemsen – See) erreicht, der herrlich blau schimmernd auf 2230 m Seehöhe liegt. In der Ferne sehe ich bereits die Biwakunterkunft Refugiu Fereastra Zmeilor mit seinem roten Anstrich leuchten, da bestätigt sich auch schon meine Befürchtung angesichts der immer dichter aufziehenden Wolken. Bereits nach dem ersten Donnergrollen beschließe ich, sofort zum Gemsen – See zurückzukehren und zur Cabana Paraul Caprei an der Transfagarasch – Paßstraße abzusteigen. Der Weitermarsch zur Schutzhütte Fereastra Zmeilor wäre zwar die nähere Möglichkeit , sicheren Unterschlupf zu finden, die Begehung eines ausgesetzten Kammes während eines Gewitters soll man jedoch tunlichst unterlassen. Während ich zur Cabana hinuntereile, kracht und blitzt es auch schon über meinem Kopf, doch schon bald ist die sichere Hütte erreicht und ich schlüpfe zunächst mit zwei Rumänen unter´s Vordach, die sich mit einer Pulle Schnaps „geistig“ auf das WM – Halbfinalspiel Rumänien – Italien einstimmen. In diesem gastfreundlichen Land ist es manchmal gar nicht so einfach, als strikter Nichttrinker um eine Kostprobe „Feuerwasser“ herumzukommen, ohne die Leute zu beleidigen. Als ich drinnen um Quartier bitte, muß mich der Hüttenwirt enttäuschen, da alle Zimmer bereits belegt sind. Hier zu übernachten, ist für rumänische Verhältnisse relativ teuer (umgerechnet ca. 35 DM), es handelt sich hier mehr um ein Berghotel als um eine Hütte. Neben dem Hotel befindet sich ein kleiner Zeltplatz, auf dem auch meine beiden Fußballfans und ein buntgemischtes Ensemble aus jungen und alten Wochenendausflüglern die Nacht im Zelt verbringen werden.
Schnell ist auch mein Zelt aufgebaut und ich begebe mich ins Restaurant, um meine erste warme Mahlzeit seit meiner Ankunft in Rumänien zu genießen. Als ich zurückkehre, sind meine beiden neuen Bekannten am Speckscheiben rösten, dieses mal lehne ich nicht ab, eine Scheibe Speck mit Brot hat immer noch obendrauf Platz. Es entwickelt sich ein amüsantes Hand – und Fußgespräch, ein Schäfer zieht vorbei mit seiner Herde und den Hunden, welche ich bei meinem Marsch durchs Gebirge nie so lammfromm erlebt habe. Auch dem Schäfer wird sogleich die Flasche gereicht, ein bißchen Konversation, der obligatorische Schluck und nach einem anerkennenden Lob für den edlen Tropfen, das mir aus der Gestik des Schäfers verständlich wird, schließlich das „La revedere!“,.der Schäfer zieht von dannen.
Auf dem Campingplatz herrscht Partystimmung, das Spiel beginnt gleich, und ich werde aufgefordert, mit ins Restaurant zu kommen, wo bereits der Fernseher flimmert. Ich ziehe mich jedoch mit dem Hinweis, morgen wieder früh aufzustehen und gut ausschlafen zu wollen, in mein Zelt zurück, denn es würde bei diesem Anlaß vermutlich schwer werden, trotzdem „trocken“ zu bleiben. Aus der Ruhe nach dem Spiel schließe ich, daß die rumänische Mannschaft verloren hat.
Die Cabana Paraul Caprei befindet sich , obwohl direkt an der Straße gelegen, in wunderschöner Umgebung. Es tosen mehrere romantische Wasserfälle in ihrer Nähe. Hier auf 1520 m ist auch schon die Baumgrenze wieder unterschritten, würzig duftender Bergwald breitet sich in der Umgebung aus.
Bei meinem morgendlichen Aufstieg geht es zunächst ein gutes Stück die Straße hinauf. Verrostete Dacia – Wracks unten im Bachbett und durchbrochene Leitplanken sind stumme Zeugen schrecklicher Unfälle.Bald leitet mich ein Pfad von der Straße weg , es geht wieder Richtung Hauptkamm. Die Schäferhunde sind auch frühmorgens schon aktiv, zu deren Verteidigung ich jedoch anführen muß, daß ich, trotz äußerst aggressiver Gebärden, im Verlauf meiner Wanderung nicht ein einziges Mal gebissen werde. Da ich jetzt beim Aufstieg einen anderen Weg wähle als den gestrigen, schneide ich sozusagen ein kleines Stückchen aus der Fagarasch – Hochroute heraus, ziehe am Refugiu Fereastra Zmeilor vorbei und befinde mich kurz darauf wieder auf dem Hauptkamm. Dieser ungeplante Zwischenabstieg hatte zwar den Nachteil, daß ich schon wieder um eine Übernachtung in einer rumänischen Berghütte gekommen bin, er gab mir andererseits aber auch die Möglichkeit, das Gebirge wieder mal von „unten“ zu sehen. Da Wasser die physikalische Eigenschaft hat, nach unten zu fließen, gibt es auf dem Hauptkamm weder Wasserfälle noch Wildbäche, und zudem ist die Sicht von unten auf die Felswände und Bergspitzen wahrlich beeindruckend.
Oben geht´s dann weiter auf der „Haute route“: La trei pasi de moarte („drei Schritte vom Tod“) läßt zwar dem Namen nach erschaudern, ist aber im Vergleich zu Kirchdach und Teufelskamin eher harmlos.
Immer wieder schöne Ausblicke, so auch auf den Lacul Buda, in dessen Mitte noch eine riesige Eisscholle schwimmt, später dann ein enormes Firnfeld in Form eines Trichters, in dessen Mitte sich ein blau schimmerndes Seelein gebildet hat. Ich vermute, daß hier im Winter mehrere Lawinenabgänge zusammengelaufen sind. Der Weg fällt alsbald ab zu diesem Schneefeld, quert es, und beim Erreichen der nächsten Anhöhe fällt auch schon der Blick auf die Podragu – Baude , die dort unten in traumhafter Lage, umgeben von mehreren Bergseen auf 2136 Metern , liegt und somit die höchstgelegene bewirtschaftete Hütte des Fagarasch ist. Die Stunde erscheint mir jedoch noch zu früh, um jetzt schon Quartier zu beziehen. Mein heutiges Etappenziel soll das kleine Refugium Portita Vistei sein , von dem ich jetzt noch durch einen weiteren Höhepunkt auf meiner Wanderung getrennt bin , dem Varful Vistea Mare mit stolzen 2527 m Seehöhe. An dessen Seite schmiegt sich ein anderer hoher Berg, den sich wohl kaum ein Fagarasch – Wanderer entgehen läßt, der Varful Moldoveanu, der mit 2544 Metern den höchsten Punkt Rumäniens darstellt.
Während ich mich den beiden Bergen nähere, entzünden ein paar Gipfelstürmer auf dem Moldoveanu – Gipfel ein Feuerwerk.
Beim Aufstieg zur Vistea Mare ziehen Wolken auf, mir wird schon etwas mulmig zumute, und ich forciere mein Tempo, stets bereit, beim ersten Anzeichen für ein drohendes Gewitter sofort wieder abzusteigen und in einer Schäferkate, die ich weiter unten entdeckt habe, Schutz zu suche. Ich habe Glück, die Wolken verziehen sich , und sogleich stehe ich auf dem Gipfel. Jetzt gilt es nur noch , dem Gratweg zu folgen, um zum Moldoveanu zu gelangen. Die Feuerwerker, die vor mir auf dem Gipfel waren, haben die ganze Sauerei einfach dort oben liegen lassen und sind bereits Richtung Victoria – Stadt abgestiegen.
Nachdem ich das wundervolle Panorama dort oben genügend ausgekostet habe, folge ich dem Grat zurück und steige dann auf der anderen Seite der Vistea Mare hinunter zu der im Sattel gelegenen Unterkunft. Schon während des Abstiegs zieht der eigentlich immer gegenwärtige Wind kräftig an. Als ich bereits in der Hütte sitze, hat er schon Sturmstärke erreicht. Durch das Hüttenkamin scheppert es beängstigend , ich habe jedoch Vertrauen in den soliden Backsteinbau des Refugiums, das wohl schon manchem Fagarasch – Unwetter standgehalten hat. Jetzt bin ich ganz froh, nicht mehr auf dem Gipfel zu stehen, ich muß an meine Tour im vergangenen Jahr denken, als auf der polnischen Seite der Hohen Tatra bei strahlendem Sonnenschein der Fön in Orkanböen über den Grat blies und mich dazu zwang, mich mit meinem Rucksack auf alle Viere zu begeben und von Deckung zu Deckung zu robben, um nicht mitsamt Gepäckstück vom Wind weggerissen zu werden.
Als die Nacht schon hereingebrochen ist und ich bereits, in meinen Schlafsack gehüllt, mit der Stirnlampe einige Buchseiten lese, öffnet sich nochmals die Hüttentür. Zwei Bergfreunde aus Timisoara sind´s, die sich noch trotz des Sturmes hierhergekämpft haben. Wir unterhalten uns noch ein bißchen. Sie gehören zu jener Bergsteigerzunft, die sich nicht scheut, auch im Hochwinter in diese Gebirgswelt einzudringen und die selbst zur weißen Jahreszeit gern mal eine Nacht im Freien in Kauf nimmt. Auch sie treibt es über den Fagarasch zum Königstein, sie planen jedoch, von der Cabana Plaiul Foii aus ins Dorf Zarnesti zu gelangen, sich dort mit frischen Lebensmitteln zu versorgen, um dann die gesamte Gratlänge des Königstein zu „nehmen“. Als Frühaufsteher mache ich mich schon auf dem Weg, noch bevor meine neuen Bekannten aufgewacht sind . Der Sturm hat anderes Wetter herangetragen, es bietet sich eine bezaubernde Aussicht auf eine geschlossene Wolkendecke, die nun das ganze Tal bedeckt und nur noch die exponierten Berggipfel über sich herausragen läßt. Binnen weniger Minuten jedoch zieht der Nebelvorhang bis zu mir herauf und alsbald bin ich in eine dicke Suppe gehüllt. An dieser Situation wird sich den ganzen lieben langen Tag nichts mehr ändern, nur noch sporadisch hebt sich der Vorhang für wenige Minuten oder gar nur Sekunden und ich kann einen kurzen Blick auf eine Felswand oder eine Bergwiese erhaschen. Ich höre das Mähen der Schafe und das Bellen der Hunde, das feine Gebimmel der Glöcklein klingt zu mir herüber, aber zu sehen ist nichts. Unweigerlich denke ich an eine Zeile des Dichters Hermann Hesse: „ Seltsam, im Nebel zu wandern...“. Ich muß jetzt aufpassen, die Wegzeichen nicht zu verlieren und , wenn es dann doch geschieht, zum letzten zurückkehren und erneut mit der Suche beginnen.
Leider bleiben mir bei dieser Etappe auch die Ausblicke aus dem Fereastra Mare (großes Fenster) und dem Fereastra Mica (kleines Fenster) verwehrt. Im weiteren Verlauf des Weges verliert die Landschaft ihren Hochgebirgscharakter, es geht immer mehr über ausgedehnte Bergwiesen Das Refugiu Curmatura Zarnei, ein Plastikgebilde in Form eines großen Fußballs, befindet sich in einem völlig desolaten Zustand, ich beschließe somit, bis zum Refugiu Berevoescu Mare weiterzuziehen. Die laut Karte nicht allzu weit erscheinende Wegstrecke täuscht über die wahre Distanz hinweg, und ich wähne mich schon über dem Zielpunkt hinaus, als sich für einen kurzen Moment der dichte Nebel lichtet. Mein Blick erhascht auf einer ausgedehnten Bergwiese einen Schäfer mitsamt Herde und da, weiter hinten, hab´ ich richtig gesehen? Ich folge der Richtung und stehe alsbald vor der Unterkunft, die eigentlich nur eine Blechbaracke vorstellt. Im Innern befinden sich mehrere Schlaflager. Die „Matratze“ , eine Strohmatte, ist nur noch bei einem Lager unversehrt, bei allen anderen ist sie durchgebrochen, so daß nur noch der Metallrahmen übrig ist. Für den Bergwanderer, der mit Schlafsack und Isomatte ausgestattet ist, ist es dennoch möglich, wind – und witterungsgeschützt auf dem Boden zu nächtigen. Es ist vielleicht für einen „Nicht – Bergler“ wenig verständlich, daß solch eine Stätte für den Wanderer eine Zuflucht in die Gemütlichkeit sein kann, wenn der Wind an den Barackenwänden rüttelt, und ein wahres Getöse veranstaltet, wie es jetzt wieder der Fall ist, und doch fühle ich mich hier drinnen fast schon etwas „heimelig“. Das Fenster an der Rückwand ist beschädigt, und ich behelfe mir mit meinem original Schweizer – Armee - Regenponcho, der normalerweise mich mitsamt meinem großen Tornister vor der Nässe schützt.
Nach einer Weile öffnet sich dann quietschend die Metalltüre der Hütte und meine Schlafgenossen aus dem Portita – Vistei – Refugium treten, triefend naß im Ölzeug, ein. Für die Beiden, die gänzlich ohne Zelt unterwegs sind, ist das Erreichen einer festen Unterkunft fast zwingend, um nicht eine Nacht in völliger Ungemütlichkeit verbringen zu müssen, wie es wohl heute, bei dieser naßkalt – windigen Witterung der Fall gewesen wäre. Ich habe mich bereits wieder in den wärmenden Schlafsack vergraben, die geschätzte Temperatur liegt jetzt nur noch wenige Grad über dem Gefrierpunkt.
Wie meine beiden Freunde mir erzählen, hat sich das Wunder der Nebellichtung bei ihnen wiederholt, sie sind übrigens überrascht, mich hier vorzufinden. Sie waren mit dem Schäfer zusammengetroffen und dieser hatte ihnen berichtet, daß er vorhin einen Wanderer gesehen habe, der dann wohl aber weitergezogen sei. Mit der Rückkehr der Nebelwand war ihm entgangen, daß ich die Unterkunft sehr wohl erspäht und mich dann auch in deren Richtung begeben habe. Wir unterhalten uns noch eine gute Weile über Gott, Politik, Rumänien und die Berge, dann ist Schlafenszeit
Am nächsten Morgen erwache ich wieder durch meine innere Uhr im Biorhythmus des Frühaufstehers. Während die andern beiden noch in ihren Träumen schwelgen, mache ich mich bereits wieder auf den Weg. Immer noch ist es neblig und es wird Frühmittag , bis sich die letzten Schwaden endlich verzogen haben. Ich habe bereits wieder die Waldzone erreicht und es folgt ein ewig scheinender Abschnitt durch zum Teil sehr dichten Wald. Die Markierung verliert hier ihre Deutlichkeit und auf jeder erreichten Lichtung beginnt ein erneutes Suchen nach den Wegzeichen. Auch ist der Pfad hier als solcher manchmal kaum noch zu erkennen, irgendwann komme ich dann völlig vom Weg ab. Gott sei dank, ich stoße auf eine Schäferkate und frage nach dem Weg. Zwei junge Schäfer begleiten mich. Da ich leider keine Zigaretten aus westlicher Produktion mit mir führe, vergelte ich es mit einem kleinen Trinkgeld und sie verabschieden sich lachend, das Wort „Urs“ für Bär habe ich verstanden, und ich kann mir gut vorstellen, daß die Gefahr, auf ein Prachtexemplar dieser Tiergattung zu treffen, hier, in den dichten Wäldern, weitaus größer ist, als weiter oben in der Hochgebirgszone. Eine derartige Zusammenkunft bleibt mir jedoch zum Glück erspart.
Diese Waldetappe wird nur selten mit Panoramaausblicken belohnt, von denen dennoch zwei zu erwähnen sind: zum Einen der Blick auf den großen Stausee Lacul Pecineagu und zum Anderen die Aussicht auf die riesige, quer zum Fagarasch – Gebirge liegende Kalkwand des Piatra – Craiului- (Königstein)- Massivs.
Ich habe zwischenzeitlich zum x –ten Mal das zermürbende Spiel „such´ das Wegzeichen “ hinter mir, als ich dann endlich auf die gelbe Markierung stoße, die zur Forststraße hinunterführt, an der die Wanderherberge Plaiu Foii liegt. Leider habe ich auch mit der gelben Markierung kein Glück, und als diese dann auch verloren geht, beschließe ich, es nun querfeldein mit einem Abstieg durch den Bergwald zu versuchen.
Man muß bei solcherlei Abstiegen, wenn sie denn mal nötig sind, immer vorsichtig sein, denn gerade in unbekanntem Gelände weiß man nie , ob der Abstieg nicht, abrupt unterbrochen durch eine schroff abstürzende Felswand, in den gähnenden Abgrund führt.
Endlich erreiche ich wohlbehalten, aber mit schmerzenden Füßen, ein Tribut vor allen Dingen an die heutige Wegetappe, die mir doch etwas zugesetzt hat, die Forststraße. Ich treffe am Wegesrand auf einige Waldarbeiter, bei denen ich mich nochmals um die korrekte Richtung zur Cabana versichere, und schon bald ist Plaiul Foii erreicht, das zwischenzeitlich schon zu einer kleinen Siedlung mit einigen schmucken Feriendatschen herangewachsen ist. Leider bleibt mir auch hier der Genuß verwehrt, endlich mal eine Nacht in einer bewirtschafteten Hütte zuzubringen, das Wanderheim wird gerade renoviert. Ein kurzes Gespräch mit den Bauarbeitern ergibt, daß hier auch leider keine andere Nächtigungsmöglichkeit besteht, also ziehe ich weiter, in Richtung morgige Etappe, dem Weg zum Königstein, wo ich es mehreren rumänischen Familien gleichtue, die hier wild campen und schlage mein Zelt an einer Bachaue auf, einem wunderschönen Plätzchen zum Verweilen, mit Ausblick zu den wilden Kalksäulen des Königsteinmassives, das majestätisch über den Wipfeln des Tannenwaldes thront. Was von der Ferne wie eine einzige, überdimensionale Felswand erschien, zeigt sich jetzt aus der Nähe als aus zig oder gar hunderten einzelner Felssäulen , - nadeln, - und - wänden zusammengefügt, gewiß der Traum eines jeden Freikletterers. Völlig erschöpft falle ich in den Schlaf, in der Gewißheit, mich morgen in aller Frühe zum Einstieg des Drumul lui Deubel (Deubelweg) zu begeben, der mich hoch auf den schmalen Grat des Piatra Craiului führen wird.
Als ich mich dann mit der aufgehenden Sonne auf den Weg mache, schmerzen meine Füße immer noch höllisch, aber meine Ambitionen und meine Neugier halten mich davon ab, die Wanderung vorzeitig abzubrechen. Ich passiere das kleine Refugium Spirla, wo gerade zwei frisch erwachte Jugendliche ihre Nasen in die Morgenluft strecken, der Rest der Mannschaft liegt noch in den Kojen. Buna dimineata, dann kurze Konversation in englisch, auch sie wollen in den Königstein.
Kurz darauf stehe ich am Wandfuß, es geht aufwärts über diesen wunderschönen und abwechlungsreichen Klettersteig Drumul lui Deubel, der für trittsichere und schwindelfreie Wanderer ungefährlich ist. Man ist noch nicht allzuweit gekraxelt, da gibt es auch schon den ersten Höhepunkt zu bewundern: riesige, von der Erosion geschaffene Felsarkaden, durch die man wie durch enorme Fenster zurück in die Tiefe blicken kann. Ich bin eigentlich ganz froh darüber, heute zumindest einen Teil meiner Etappe in leichter Kletterei zu absolvieren, da dies meinen geschundenen Füßen wesentlich besser bekommt, als das normale Gehen. Schließlich , nach einem genußvollen Aufstieg durchs Kalkgestein, erreiche ich die Kammhöhe, auf der dann in wechselndem Auf und Ab über verschiedene Felstürme gestiegen wird, gleich zu Anfang auf den Varful la Om, der mit 2238 Metern die höchste Erhebung im Königstein darstellt. Immer wieder beeindrucken Ausblicke nach Osten über das Törzburger Land oder auch Bran – Paß genannt, zum Bucegi – Massiv, sowie gen Westen über die Fagarasch – Ausläufer und zum Iezer – Gebirge. Auch lohnt immer wieder ein Blick in die Tiefe, über die schroffen Felsabstürze unter mir, die einem Nicht – Höhengewohnten möglicherweise kalte Schauer den Rücken hinabjagen. Nach einer unterhaltsamen Turnerei über einen guten Teil der weiß leuchtenden Felsen des insgesamt 25 Kilometer langen Bergkammes erreiche ich nun das Refugiu Ascutit, eine Konstruktion ähnlich dem Biwak Curmatura Zarnei im Fagarasch, aus Kunststoffverkleidung mit einem seltsam futuristischen Aussehen, das dort oben auf dem Kamm thront.
Sehr zu meiner Freude erkenne ich in den beiden Wanderern, die sich vor der Notunterkunft in der Sonne ausruhen, meine beiden Freunde aus den vergangenen Nächten wieder. Sie hatten, wie angekündigt, einen Abstecher hinunter nach Zarnesti gemacht, hatten dann nach einem erneuten Aufstieg in der Cabana Curmatura genächtigt und wollen nun die gesamte Kammlänge des Piatra Craiului in Gegenrichtung begehen. Einer von ihnen geht heute in Sandalen, auch er klagt über Blasen und Schmerzen an den Füßen .Sie haben noch einige Tage Zeit und wollen ihre Tour auf jeden Fall noch ausweiten, auf die genaue Richtung wollen sie sich jedoch noch nicht festlegen. Der jetzige Abschied soll endgültig sein, es ist unsere letzte Begegnung.
Ich wende mich nun wieder abwärts, ziehe beim Abstieg jedoch an der Curmatura – Baude vorbei, da es mich noch weiter treibt, zur Cheile Pisicii (Katzenklamm), die Nacht will ich dann in der in meiner Wegskizze eingezeichneten Casa Folea, die ein Stück weit hinter der Klamm zu erreichen ist, verbringen.
Der Grund für mein Weitergehen liegt darin, daß ich meinen Plan, die Überquerung des Bran – Passes und einen erneuten Aufstieg in die Höhen der Muntii Bucegi, immer noch nicht aufgegeben habe und einen Teil der morgigen langen Etappe schon vorausmarschieren will. Leider habe ich für das Gebiet Törzburger Land /Königstein keine richtige Landkarte, sondern jediglich die Skizze aus meinem Handbuch zur Verfügung. Der freundliche Ungar – Rumäne vom Caltun - Biwak hatte mir übrigens eine für den Fagarasch überlassen, jetzt aber kommt, was kommen mußte, ich habe mich erneut verlaufen, der Eingang zur Katzenklamm ist unauffindbar, ich irre querfeldein über eine Schafswiese und finde schließlich einen Fahrweg, der mich zu den ersten Gehöften der kleinen Gemeinde Pestera bringt .
Als ich im Hof eines Hauses eine Frau antreffe, frage ich sie nun gezielt nach der Casa Folea. Sie bedeutet mir, ja , Casa Folea, das sei hier und bittet mich sogleich herein. Es ist mir bis heute noch nicht gelungen, festzustellen ob es sich nun um die Casa Folea in der Kartenskizze gehandelt hat, oder ob dies einfach nur ein rumänischer Ausduck für Pension oder Herberge ist. Jedenfalls bin ich erstmal gottfroh, nach den Entbehrungen der letzten Tage endlich wieder mal in einem gemütlichen Bett schlafen zu können und noch dazu ländliche Wohnatmosphäre auf rumänische Art kennenzulernen. Die Verständigung ist schwierig, aber meine Zimmerwirtin zeigt sich äußerst freundlich und zuvorkommend. Nach einem heißen Bad, das ich nun in vollen Zügen genieße, und das mir endlich wieder eine zivilisierte Duftnote zurückverleiht, sitze ich in meinem Zimmer und bin gerade im Begriff, mich mit ein paar Wurstbüchsen und etwas abgepacktem Pumpernickel – Brot aus meinem Wanderproviant zu verköstigen, als es klopft. Ich öffne, und die Zimmerwirtin reicht mir mit freundlicher Gestik ein Tablett mit frischem Brot, Käse, Wurst, Butter und einem großen Glas warmer Milch Ich nehme den Imbiß dankend mit Freude an und genieße dieses einfach – rustikale Abendbrot, als sei es ein Menü aus der Haute – Cuisine des berühmten Meisterkochs Bocuse. Einzig der Haushund scheint mit mir als neuem Mitbewohner nicht ganz einverstanden zu sein. Sein empörtes Gebell hindert mich noch einige Zeit am Einschlafen.
Als ich anderntags weiterziehe, steht es mit dem Zustand meiner Füße leider immer noch nicht zum Besten. Nach dem Örtchen Pestera gelange ich schließlich nach Magura, wo ich dann einsehen muß , daß ein Weitermarsch bis ins Bucegi nur noch einer Quälerei gleichkäme und ich beschließe, nach Zarnesti hinunterzugehen und einen Tag früher nach Brasov (Kronstadt), der Stadt, wo ich wieder in den Bus zurück nach Deutschland steigen werde, zu fahren.
Nicht unerwähnt lassen will ich jedoch die zauberhaft – liebliche Hügellandschaft des Törzburger Landes, mit seinen romantischen Dörfchen in ursprünglicher Landatmosphäre. Sehr gut könnte ich mir hier auch einen winterlichen Familienurlaub vorstellen.
Da der Bahnhof von Zarnesti am anderen Ende des Großdorfes liegt, als dort, von wo ich die Ortschaft betrete, komme ich noch in den Genuß einer Besichtigung dieses sehenswerten Ortes. Als ich im Zug Richtung Brasov sitze, werde ich Augenzeuge einer tristen Wirklichkeit, Relikte aus der Ceausescu – Zeit in Form trostloser, heruntergekommener Wohnsilos, die wohl schon seit der Zeit ihrer Erbauung von jediglichen Neuerungsarbeiten verschont geblieben zu sein scheinen. Dieser Urbanismus steht im krassen Gegensatz zu jener Idylle, die ich eben verlassen habe.
In Brasov angekommen, will ich mich zu Fuß Richtung Altstadt aufmachen und mir dort eine einfache Pension suchen. Durch meine Ortsunkenntnis unterschätze ich jedoch das Ausmaß des „sozialistischen Rings“, der das historische Zentrum umgibt. Nach einer guten Weile Fußmarsches durch die Neustadt werde ich schließlich von einem Herrn mittleren Alters auf deutsch angesprochen: Ob ich Deutscher sei, er könne mir eine Unterkunft nur wenige Gehminuten vom Zentrum anbieten. Er müsse jedoch zuerst seine Schwester und deren Ehemann aus den USA hinaus zu einem nahegelegenen Dorf fahren. Ein Blick hinüber zu seinem Auto, in dem ein nett lächelndes Ehepaar , ebenfalls mittleren Alters, sitzt, läßt mein gesundes Mißtrauen weichen, zudem zeigt er mir ein schönes Gästebuch mit Fotos seiner Pension und unzähligen Eintragungen und Dankesschreiben ehemaliger Klienten verschiedenster Nationen.
Wir fahren also zunächst nochmals aus der Stadt raus in eine nahe Ortschaft, wo das Ehepaar aussteigt, um dort eine ehemalige Jugendfreundin der Frau zu besuchen. Während ihr Mann ein waschechter Yankee ist, verrät bei ihr das Zungen – „R“ im ansonsten perfekten Englisch ihre rumänischen Wurzeln, sie ist übrigens schon vor Jahrzehnten emigriert und jetzt wieder zum ersten Mal seit damals im Land.
Als ich mich schließlich in der Pension unter der Dusche erfrischt habe und in die noch echten Waschmittelgeruch ausströmenden „Rückfahrtklamotten“ gestiegen bin, freue ich mich jetzt auf einen kleinen Stadtbummel. Während ich mich in einem Restaurant in der Altstadt bekellnern lasse, regnet es draußen ergiebig. Ich wäre somit bei einer Fortsetzung der Wanderung zum Bucegi auch noch kräftig von oben gesegnet worden, wobei sich so ein Wetter in der Höhe weitaus unangenehmer bemerkbar macht, oft von Windböen und Temperaturgefällen begleitet ist , ja die Niederschläge sogar in Schneefall übergehen können
Sehr gut gefällt mir diese alte Stadt, besonders hervorzuheben ist natürlich die Schwarze Kirche mit ihrer gigantischen Orgel und der kostbaren Sammlung antiker Orientteppiche. Die wunderschönen, alten Wohnhäuser sind zum Teil noch in renovierungsbedürftigem Zustand, aber gerade diese Tatsache vermittelt mir eine besondere Atmosphäre.
Tags darauf werde ich dann noch Opfer dreister Trickdiebe, als ich auf der Suche nach etwas rumänischer Folklore einen kleinen CD – und Kassettenladen betrete. Ein halbes Dutzend junge Männer folgt mir, es wird plötzlich eng, ich werde „versehentlich“ angerempelt, und als ich den Laden wieder verlassse, scheint mir das alles zwar ein bißchen verdächtig , doch ich bin mir sicher, es ist nichts passiert. Als ich dann wenig später in einer der vielen, leckeren Konditorei – Cafes meine verzehrten Creme – und Sahneschnitten bezahlen will, stelle ich fest, daß die Geldscheine, die ich in der zugeknöpften Seitentasche meiner Allzweckhose deponiert hatte, verschwunden sind. Das ärgert mich jedoch nicht weiter, da der Betrag geringfügig war. Ich komme mir nur ein bißchen blöd vor und bewundere fast ein wenig die Geschicklichkeit , mit der ich hier „seziert“ worden bin, ohne das Geringste zu bemerken.
Eine Fahrt mit der Seilbahn hoch zum Hausberg Timpa (Hohe Zinne) enttäuscht mich eher. Eigentlich bin ich mit der Absicht heraufgefahren, dort oben im Restaurant mit Blick über die Stadt zu speisen, doch leider hat dieses geschlossen und ansonsten finde ich hier oben nichts Sehenswertes, wie es mir mein Zimmerwirt eigentlich schon prophezeit hat.
Da der Bus zurück nach Deutschland morgen bereits um 3.45 Uhr vom Bahnhof losfährt, bitte ich meinen Vermieter, er möge mir doch ein Taxi vorbestellen, da ich die Befürchtung habe, zur nachtschlafenen Zeit nicht sofort ein solches auf der Straße zu finden und somit fatalerweise mit einem anderen Verkehrsmittel als dem bereits reservierten Bus zurückreisen zu müssen. Er lehnt sofort ab, mit dem Hinweis, mich persönlich zum Bahnhof zu bringen.
Leider dunkelt es auf der Rückfahrt noch eine gute Zeit lang, trotzdem sehe ich noch einige schöne Siebenbürger Dörfer im Morgenlicht erstrahlen und genieße abermals die Fahrt durch´s Banat, das auf der Hinfahrt mehr im Halbschlaf an mir vorübergezogen war. Obwohl ich mich jetzt auf die Heimkehr und das Wiedersehen mit meiner Familie freue, kreisen bereits die Gedanken um eine Rückkehr in dieses schöne und interessante Land. So vieles gibt es hier noch für den Bergfreund zu entdecken. Eine Bergfahrt in den Retezat, die geheimnisvolle Karstlandschaft der Muntii Bihor, oder vielleicht eine Durchquerung des Rodna – Gebirges in den Ostkarpaten...
Aber auch der Nicht – Alpinist wird in Rumänien auf seine Kosten kommen: Das einmalige Naturwunder des Donau – Deltas, die Ursprünglichkeit der Maramures und deren Bewohner, oder auch Strandurlaub am Schwarzen Meer wären ein paar der vielen Möglichkeiten, einfach mal etwas neues zu entdecken.
Nachdem uns der ungarische Zoll noch einen etwas längeren Aufenthalt beschert hat, geht’s dann zügig des Nachts durch Österreich und am frühen Morgen befinden wir uns bereits wieder auf Bayerns Straßen. Als wir in Singen ankommen, liegen wir wieder unter Fahrplanzeit, als kleines „Andenken“ mache ich meiner derzeit schwangeren Schwägerin Konkurrenz, durch die Überstrapazierung und die anschließende lange Fahrt habe ich jetzt Wasser in den Füßen. Die obligatorischen Blasen sind bald verschwunden, aber das Fußbett braucht noch eine Weile bis zur vollständigen Genesung.
Sonntag, 17. Dezember 2006
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