Bergsteigen in Chile mit Finale auf dem höchsten aktiven Vulkan der Erde
06.-09.12.2010
Ich habe das Gefühl, wir heben nicht richtig ab. Wie ein Flugzeug, das sich von der Piste löst, um gleich schon wieder auf dem Asphalt aufzuspringen. Eigentlich hatte ich den Cerro Plomo als Akklimatisierungsberg vorgesehen, aber es war mir über´s Internet nicht möglich, im Skigebiet Farellones während des chilenischen Sommers eine Unterkunft für uns ausfindig zu machen. Hätte das geklappt, so wäre uns eine kontinuierliche Übernachtungshöhe von 3000 Metern garantiert gewesen. Als Alternative zu Farellones habe ich uns den Cajón de Maipó ausgewählt. Ebenso wie Farellones, ist auch der Cajón de Maipó von der Hauptstadt Santiago aus schnell erreichbar, nämlich in 2 1/2 h Fahrzeit. Inmitten der Hochanden befindet man sich hier, ein landschaftlich atemberaubendes Gebiet. Aus den urbanen Zonen von Santiago heraus gelangt man in kürzester Zeit in ein farbenfroh blühendes Bergtal. Entlang der Asphaltstraße bis San Gabriel passiert man ein paar nette Dörfer, danach hat der Belag ein Ende und weicht einer holprigen, aber dennoch ohne Allrad befahrbaren Piste, über welche man nach gut 20 weiteren, nun sehr staubigen Kilometern die Abzweigung zum Badekurörtchen Banos Morales erreicht. Etwas weiter vorn weist ein Schild zum Refugio Lo Valdes. Dessen alter Name lautete Refugio Alemán, darin steckt der Hinweis darauf, dass diese rustikale Bergunterkunft einst von Deutschen Immigranten in den 30er-Jahren erbaut wurde. So entstand die erste Berghütte in den gesamten Anden, welche zum Zwecke der Besteigung und Erforschung der Andenwelt diente.
06.-09.12.2010
Ich habe das Gefühl, wir heben nicht richtig ab. Wie ein Flugzeug, das sich von der Piste löst, um gleich schon wieder auf dem Asphalt aufzuspringen. Eigentlich hatte ich den Cerro Plomo als Akklimatisierungsberg vorgesehen, aber es war mir über´s Internet nicht möglich, im Skigebiet Farellones während des chilenischen Sommers eine Unterkunft für uns ausfindig zu machen. Hätte das geklappt, so wäre uns eine kontinuierliche Übernachtungshöhe von 3000 Metern garantiert gewesen. Als Alternative zu Farellones habe ich uns den Cajón de Maipó ausgewählt. Ebenso wie Farellones, ist auch der Cajón de Maipó von der Hauptstadt Santiago aus schnell erreichbar, nämlich in 2 1/2 h Fahrzeit. Inmitten der Hochanden befindet man sich hier, ein landschaftlich atemberaubendes Gebiet. Aus den urbanen Zonen von Santiago heraus gelangt man in kürzester Zeit in ein farbenfroh blühendes Bergtal. Entlang der Asphaltstraße bis San Gabriel passiert man ein paar nette Dörfer, danach hat der Belag ein Ende und weicht einer holprigen, aber dennoch ohne Allrad befahrbaren Piste, über welche man nach gut 20 weiteren, nun sehr staubigen Kilometern die Abzweigung zum Badekurörtchen Banos Morales erreicht. Etwas weiter vorn weist ein Schild zum Refugio Lo Valdes. Dessen alter Name lautete Refugio Alemán, darin steckt der Hinweis darauf, dass diese rustikale Bergunterkunft einst von Deutschen Immigranten in den 30er-Jahren erbaut wurde. So entstand die erste Berghütte in den gesamten Anden, welche zum Zwecke der Besteigung und Erforschung der Andenwelt diente.
Aktuell wird das Lo Valdes, welches im Übrigen die Architektur einer typischen Alpenvereinshütte aufweist, von dem Engländer Andy und dessen chilenischer Frau geführt, allerdings nur noch bis nach Weihnachten, dann geht die Familie nach England. Man mag hoffen, dass Andys Nachfolger ebenso gastfreundlich und hilfsbereit sein werden, wie wir es bei ihm und seinem Team erleben durften. Somit haben wir also eine gemütliche Unterkunft, herrliche Berge um uns herum, zahlreiche Wandermöglichkeiten und Höhen, welche bis über die 6000er-Grenze hinausreichen. Nur, das Lo Valdes selbst liegt mit bescheidenen 1845 m Seehöhe viel zu tief, um sich für die Besteigung eines Giganten vorzuakklimatisieren, wie den von uns Auserkorenen, nämlich des höchsten aktiven Vulkans der Erde, Ojos del Salado (6893 m). Wir verbringen drei Tage mit Tageshikes, bei denen wir jeweils über die 3000er-Linie hinausbrechen, dank unserer guten Marschkondition. Auf unserer ersten Tour hinauf in den Cajón lo Valdes werden wir von Andys beiden berggängigen Hunden bis zum Punkt 3678 (in Wirklichkeit wohl etwa 3500) auf der Landeskarte begleitet. Der zweite Tag führt uns ein Stück weit hinauf ins Naturschutzgebiet El Morado. Anstatt den verwunschenen Eissee am Ende des Tales zu besuchen, haben wir nichts besseres im Sinn, als eine sacksteile Schotterflanke hinaufzukraxeln, wobei wir eine Höhe von knapp 3200 m erreichen, äußerst mühsam und zum Schluß obendrein noch steinschlaggefährdet, ohne dabei einen Gipfel zu erreichen, da wir aus Zeitgründen (wir müssen uns um 18 Uhr wieder am Parkeingang beim Guardaparques melden) umkehren müssen. Alles in allem war dieser Tag kein sonderlich attraktiver, noch dazu in illegaler Mission, denn der Guardaparques hatte uns eingehend darauf hingewiesen, dass das Verlassen des Hauptweges verboten sei. Just an diesem Tag ist in Chile Feiertag, das Tal füllt sich mit Tagesausflüglern, und wir dort oben wie auf dem Präsentierteller ...
Lohnend, und das absolute Highlight dieser drei Wandertage ist dafür die lange Tour, die wir am folgenden Tag unternehmen, die uns das Valle Morado hinaufführt zum Hängegletscher des Cerro Morado, besser gesagt ans Ufer der eisgefüllten Lagune, in deren milchiges Gewässer von Zeit zu Zeit größere und kleinere Eisbrocken krachend vom Gletscher herabstürzen. Dieser Eissee befindet sich auf 3165 Metern Höhe. Umgeben von einer derart großartigen, urwilden Szenerie, ist es dann kaum zu glauben, dass solch eine hochandine Landschaft theoretisch im Rahmen eines (allerdings sehr strengem und langem!) Tagesausfluges von Santiago aus machbar wäre. Das Valle Morado ist übrigens das Paralleltal zum gestern begangenen Tal. Beide Täler führen hinauf zu den Säumen der beiden imponierenden und elegant geformten Morado-Gipfel.
Unser Problem ist indes immer noch nicht gelöst, da schreitet Andy ein. Schon von Beginn an hat er uns die Besteigung des Volcán San José vorgeschlagen. Dieser gewaltige Berg, fast schon ein Massiv, füllt mit seiner breitschultrigen, wuchtigen Erscheinung den gesamten Talabschluss des Cajón de Maipó aus. Der Anblick dieses mächtigen Vulkans mit seinen stolzen 5848 m Höhe ist beeindruckend. Insbesondere Valerij fühlt sich von diesem unwiderstehlich in dessen Bann gezogen ;-)! Zunächst ohne eine halbwegs vernünftige Karte, vermag ich mir noch kein wirklich klares Bild darüber zu verschaffen, wo sich nun der Hauptgipfel dieses wo weitläufigen Berges befinden soll. Selbst hier, auf der Nordseite (Anmerkung: wir befinden uns auf der Südhalbkugel, wo sich die Verhältnisse bezüglich der schattigen und der sonnenbeschienenen Expositionen umkehren!), weisen seine Flanken beträchtliche Vergletscherungen auf, noch dazu ist er von ausgedehnten Firnfeldern durchzogen. Alles in Allem erscheint dieser Koloss nicht so, als könne man ihm auf einfache Weise zu Leibe rücken. Nichtdestotrotz lässt er sich tatsächlich über eine technisch problemlose und obendrein noch gletscherfreie Route besteigen. Sowohl der San José, als auch sein etwas höherer Nachbar, der Cerro Marmolejos, welcher sich übrigens mit dem Titel "südlichster 6000er der Erde" rühmt, sind mir von meiner letzten Reise her, die mich zum Aconcagua führte, zu festen Begriffen geworden. Selbstverständlich habe ich mir im Vorfeld bereits darüber Gedanken gemacht, ob wir uns an einem der beiden Berge versuchen sollten. Als Akklimatisierungsberge schienen mir jedoch beide zu hoch. Schon allein der San José reicht schon knapp an den Kilimandjaro heran, der Marmolejos würde überdies eine Gletscherquerung nötig machen, was das Gehen am Seil mit mindestens 3 Personen bedingen würde. Zudem erfordert der Marmolejos einen zu hohen zeitlichen Aufwand. Der San José wäre allerdings in 5 bis 6 Tagen zu machen, was durchaus noch in unserem Rahmen läge.
Wir haben ein weiteres Problem: wir haben uns nach unserer mit 24 Stunden verspäteten Ankunft in Santiago direkt vom Flughafen aus zum Lo Valdes fahren lassen. Jetzt fehlen uns Lebensmittel und Propangas zur Durchführung einer mehrtägigen Besteigung. Dazu müssten wir zurück nach Santiago, hinunter auf 520 m, inclusive eines weiteren Tages, der uns zeit- und akklimatisierungsmäßig verloren gehen würde. Andy ist unsere Rettung, indem er sich bereit erklärt, mit einem von uns geschriebenen Einkaufszettel nach Santiago zu fahren, während wir unsere Akklimatisierungswanderungen fortsetzen können.
10.12.2010
Es ist soweit. Endlich wollen wir mal richtig abheben. Im Lo Valdes residiert gerade eine Crew der Air France. Diese Leute sind so nett, uns bis zum Punkt 2285 nahe der Puente de Colina hinauszufahren, wodurch uns ein zeitraubender Hatscher auf der Piste erspart bleibt. Mit uns bricht auch der Flugkapitän auf, der sich das Refugio Plantat, welches sich auf 3130 m im Anstieg zum San José befindet, zum Tagesziel gesetzt hat. Wir sind mit unseren schweren Rucksäcken doch sehr träge unterwegs, wohingegen der Kapitän flott mit seinem leichten Tagesgepäck vorausmarschiert und bald schon aus unserer Sichtweite gerückt ist. Die Besteigung des San José werden wir im Alpinstil angehen, d.h. wir sind mit Ausrüstung, Zelt und Nahrungsmittel für 5 Tage bepackt.
Kurz nach unserem Aufbruch gelangen wir zu einer riesigen, von mehreren Bächen durchflossenen Weide, auf welcher zahlreiche Pferde grasen. Wie eine Prärie, wild und einsam erscheint uns die weit ausgedehnte Ebene, die ringsum von Bergen umschlossen ist. Ein steiler Geländeriegel des sich unmittelbar vor unseren Augen aufschwingenden San José scheint uns zunächst kein Durchkommen zu ermöglichen. Wir marschieren direkt auf das Hindernis zu, exakt nach Osten. Die unzähligen Pfadspuren, und auch die Steinmännchen kann man dabei ignorieren. Aus weiter Ferne erkennt man einen den Steilhang hinunterströmenden Bach, welcher in ein auffällig grünes Band eingebettet ist. Dort führt ein guter Pfad in steilen Serpentinen empor, auch wenn man dies zunächst kaum zu glauben vermag. Nach Überwindung des Geländeriegels flacht der Weg ab, führt zunächst noch durch begrüntes Gelände, welches von klarem Bachwasser durchflossen wird. Man sollte diesen Anblick nochmal in sich aufnehmen, denn in der Folge wird man tagelang kein Grün mehr zu Gesicht bekommen.
Unablässig pfeift uns ein ein gehöriger Wind um die Ohren, der hier oben an Stärke noch zugelegt hat. Das macht mir Sorgen. Unter solchen Bedingungen wäre ein Gipfelgang undenkbar, wir können uns hier schon manchmal kaum noch auf den Beinen halten. Das zerzauste Wolkenbild über uns sagt alles ...
Wir erreichen das Refugio, machen dort Pause. Es handelt sich beim Plantat um eine verhältnismässig gut eingerichtete Selbstversorgerunterkunft. Am liebsten hätte ich hier die Nacht verbracht, aber wir sind aus Zeitgründen gezwungen, unseren Aufstieg fortzusetzen. Das letzte Grün lassen wir an der Hütte hinter uns, ebenso die letzte Okasion für fließendes Wasser. Ab jetzt folgt nur noch steiler Schotter und zunehmend ausgedehnte Firnfelder, die glücklicherweise eine Konsistenz aufweisen, welche sie gut begehbar machen, d.h. sie sind nicht aufgeweicht, so dass wir etwa einsinken würden, aber auch nicht gefroren, sodaß wir unseren Aufstieg ohne den Einsatz der Steigeisen fortsetzen können. Auf 3525 Metern Höhe errichten wir unser erstes Lager. Trinkwasser gewinnen wir aus einem zugefrorenen Tümpel in der Nähe, wo wir die Eisfläche aufhacken und das Wasser zunächst abkochen, bevor wir es konsumieren. Abends werden wir Augenzeugen eines gewaltigen Wolken- Lichtinfernos - überhaupt sind wir hier oben schon gewaltig abgehoben. In den Augenblicken, während das Wolkendampfbad sich für kurze Zeit lichtet, erspähen wir tief unter uns wie zusammengeschrumpft, aber gut überblickbar, den Cajón de Maipó und die prärieartige Vega.
11.12.2010
Wir setzen unseren Aufstieg fort, jetzt hauptsächlich über ausgedehnte Firnfelder, auf deren Oberflächen sich oft kleine Penitentes gebildet haben. In dieser Größe sind die Penitentes nicht etwa hinderlich, sondern bieten sogar einen gewissen Halt. Wir begegnen einer 14-köpfigen chilenischen Gruppe mit Bergführer, welche sich im Abstieg befindet. Ebenso, wie der Kanadier, welchen wir gestern bereits getroffen haben, sind sie wegen der starken Winde am Gipfel gescheitert. Die momentanen Bedingungen sind tatsächlich als äußerst hart zu bezeichnen, der starke Wind sorgt für einen durch die Knochen gehenden Chilleffekt und nagt an der Moral. Die kurzen Momente, in denen der Wind aussetzt und die Sonne durch´s Gewölk durchblinzelt, sind hingegen eine Wonne und lassen erahnen, wie schön und leicht alles sein könnte, hätten wir nur andere Wetterbedingungen! Auch die Wassergewinnung ist sehr mühsam. Von unserem neuen Lagerplatz auf 4200 m aus müssen wir ein Stück weit absteigen, wo wir wiederum durch Aufhacken des Eises auf ein Minibächlein stoßen, welches uns mit dem nötigen Nass versorgt. An das Reinigen des Essgeschirrs ist unter den jetzigen Umständen nicht zu denken, so dass der Tee eben nach Raviolisosse, das Nudelgericht nach Kaffee schmeckt, im Kaffee dann noch die Haferflocken vom Frühstück, sowie Nudeln und Gemüsereste als weitere Beigaben schwimmen. Ob man sich vor so was ekelt? Wäre ich im Tal herunten, würde ich mich mit Sicherheit zieren, aber hier oben sind wir froh, dass wir überhaupt Wasser und was Warmes zu Essen haben.
Nachmittags schlägt das Wetter endgültig um, Schneefall setzt ein, gerät in Kombination mit dem Wind zum Schneesturm. Zwei chilenische Bergsteigerinnen gesellen sich zu unserem Lagerplatz, bauen ihr Zelt neben dem unsrigen auf. Bei den jetzigen Bedingungen ist eine längere Kommunikation jedoch nicht möglich. Im warmen Schlafsack eingemummt, durch das kurz geöffnete Zelt frage ich sie, den Windstärken entgegenbrüllend, nur schnell nach dem wie und was. Sie waren oben im letzten Lager auf 4700 m Höhe, von wo aus sie ohne Gipfelversuch wegen des miserablen Wetters wieder abgestiegen sind. Acht weitere Kameradinnen befänden sich noch dort oben, wären heute vor Sonnenaufgang sogar noch in Richtung Gipfel aufgebrochen. Heilige Maria, ich würde heute unter keinen Umständen einen Gifpelversuch wagen wollen! Was sind denn das für wilde Gebirgsamazonen, da oben?
12.12.2010
Es schneit und schneit die ganze Nacht, der Wind drückt mir zeitweise die Zeltwand bis auf die Nase herunter. Das Zelt ist hier unsere Schutzburg, nicht auszudenken, wenn es kaputt gehen würde und wir hier frei biwakieren müssten! Wir sind dazu gezwungen, im Zeltinneren zu kochen. Ich mache das normalerweise nicht gerne, aber momentan wäre es nicht einmal mehr möglich, unter den Absiden zu kochen. Aufpassen, sag´ich noch zu Valerij, doch der passt auf, im Gegensatz zu mir. Nachdem unser Gericht heiß brodelt, schnappe ich den Kocher, möchte ihn hinaus unter die Absiden schmeißen und gerate dabei mit den fast noch glühenden Rosten an meinen Schlafsack, wo sich prompt ein Riesenloch einbrennt. Meine Flüche wollen kein Ende nehmen, bin ohnehin schon demoralisiert, und jetzt auch das noch! Für mich ist klar, wir müssen morgen, sobald es halbwegs möglich ist, wieder absteigen. Inzwischen fürchte ich sogar schon Lawinengefahr. Den ganzen Morgen verbringen wir, in unsere wärmenden Schlafsäcke vergraben, im schützenden Zelt. Irgendwann lässt der Wind tatsächlich nach, auch der Schneefall hat sich inzwischen eingestellt. Ich trete vor´s Zelt, hinaus in eine klirrende Eiseskälte, und berate mich mit den beiden Chileninnen. Deren Zeit ist abgelaufen, sie müssen runter. "Geht ihr doch weiter, ihr habt doch noch Zeit". Die Bergwelt um uns sieht aus, als befänden wir uns im Hochwinter. Doch das Weiß täuscht über das Ausmaß der tatsächlich gefallenen Schneemengen hinweg. Hinzu kommt noch, dass der Büßerschnee eine gewisse Stabilität an der Oberfläche der Altschneedecke garantiert. Eine Lawinengefahr kann somit derzeit ausgeschlossen werden. Ich blicke zum Himmel, der jetzt sogar in einem prächtigen Blau erstrahlt. Die Würfel sind gefallen, wir blasen zum Aufbruch, und zwar bergwärts!
Der Anstieg zu unserem nächsten Lager auf 4600 m durch den frischen Pulver gestaltet sich äußerst mühseelig. Unterwegs treffen wir die anderen chilenischen Bergsteigerinnen. Sie haben zwar den Gipfel nicht geschafft, sind aber bis zum Krater vorgedrungen. Unglaublich bei den Bedingungen, wie sie heute morgen noch geherrscht haben. Sie sind allesamt Mitglieder im Deutschen Andenverein, dessen Sektionshütte übrigens das Refugio Lo Valdes ist. Wir werden zur Vereinssitzung am kommenden Donnerstag eingeladen. Gerne hätten wir die Invitation angenommen, hätten wir nur die Zeit dazu. Ein paar schnelle Tips für unseren Gipfelversuch morgen früh nehmen wir noch dankend entgegen, dann trennen sich unsere Wege. Ab jetzt sind ich und Valerij vollkommen allein am Berg, keine weitere Gruppe ist mehr oben.
Wie nach jedem Lageraufbau, steigen wir auch heute wiederum einige zusätzliche Höhenmeter ohne Gepäck auf, gemäß der zur Prävention der Höhenkrankheit (die wird in Chile übrigens Puna genannt) essentiellen Formel "Hoch gehen, tief schlafen". Wir touchieren dabei die 5000er-Grenze.
13.12.2010
Gipfelversuch. Morgens um drei beginnen wir, uns Kaffee und Haferflockenbrei zu kochen, um 4 soll Abmarsch sein. Doch ein grausamer Wind biegt die Zeltstangen durch, dass es uns angst und bange dabei wird. Was sollen wir tun? Trotzdem aufbrechen? Warten, ob´s besser wird? Oder die ganze Sache doch noch abbrechen? Gestern nachmittag hatten wir die besten Bedingungen, ich selbst war in Hochstimmung, und davon überzeugt, dass wir es nun doch noch schaffen könnten, nach all dem Zweifeln. Doch jetzt liegt die Moral wiederum am Boden zerstört, der Glaube an den Gipfelerfolg ist buchstäblich hinweggeblasen. Für den San José gibt es übrigens eine grobe Formel, die sich auf eine häufig dort herrschende Wetterlage bezieht, und wie sie auch typisch ist für den Aconcagua, oder für unser diesmaliges Hauptziel, dem Volcán Ojos del Salado: frühmorgens bzw. bereits nachts aufbrechen, solange es windstill ist, denn die gefürchteten Stürme setzen normalerweise an den Nachmittagen ein. Das ist eine grobe Formel, und natürlich entwickeln sich an diesen Bergen oft auch andere Wetterlagen. So wie jetzt, dass es nachts bereits stürmt. Wir pokern, wollen warten, was bei Sonnenaufgang geschieht - und haben promt auf die richtige Farbe gesetzt! Kaum erwärmen die ersten Sonnenstrahlen die Atmosphäre, lässt der Wind schon merklich nach. Unverzüglich machen wir uns zum Aufbruch bereit.
Über einen unangenehm steilen und losen Schutthang klettern wir vom Lagerplatz aus zu einer gen Osten ausgerichteten Flanke empor, in welcher wir parallel zu einem Gletscher an Höhe gewinnen. Es finden sich an der Geländekante zahlreiche Lagerplätze, vermutlich richten viele Gruppen erst hier oben das letzte Lager ein. Den Gletscher queren wir schließlich an seiner obersten Begrenzung, wo er zwar keinerlei Spalten aufweist, aber doch einen kurzen Einsatz von Steigeisen nötig macht. Das Blankeis dort ist morgens hart wie Wasserfalleis, worüber ich mit meinen völlig abgestumpften Eisen besonders entzückt bin. Glücklicherweise ist es hier nicht steil. Der vermeintliche Gipfel entpuppt sich als Vorgipfel, der nächste dahinter ebenso. Es scheint Ewigkeiten zu dauern, bis wir dann tatsächlich den Rand eines mächtigen Kraters erreichen. Ein nicht zu überriechender Schwefelgeruch hatte schon die vergangenen Tage stets in der Luft gelegen. Hier ist er nun richtiggehend penetrant, desweiteren ließ der Berg die letzten Tage immer wieder mal ein beängstigend dröhnendes Raunen vernehmen. Im Aufstieg haben wir die Fumarole noch rauchen sehen, wie wir sie ebenfalls an den Tagen zuvor immer wieder beobachten konnten. Im Augenblick unserer Ankunft ist der Krater ruhig, kein Rauch steigt auf und auch keine rumorenden Geräusche erschrecken uns. Einerseits ist das doch beruhigend, andererseits wäre es wohl auch interessant gewesen, diese qualmende Fumarole mal aus nächster Nähe zu erleben. Körperlich sind wir so ziemlich ausgebrannt, aber es ist uns noch kein Ende der Plagen vergönnt, denn der Hauptgipfel befindet sich just auf der anderen Kraterseite. Das heißt, wir müssen den Krater umrunden, um dort hinüber zu gelangen. Diese Erhebung wird auch der argentinische Gipfel genannt, über sie verläuft die Grenze zum Nachbarland. Ich vermute mal, dass hier am Kraterrand für einen guten Teil derjenigen, die es überhaupt bis hierher geschafft haben, Schluß ist. Auch uns kostet das Weitergehen nun einiges an Selbstüberwindung.
Beim Umrunden passieren wir den chilenischen Gipfel, welcher nur unwesentlich niedriger ist, als der argentinische. Direkt unter dem chilenischen befindet sich ein zweiter, kleinerer Krater. Genau hier scheint die größte vulkanische Aktivität an diesem Berg stattzufinden. Ich spüre eine deutliche Wärmeabstrahlung im Vorbeigehen, der Schwefelgestank ist hier sehr intensiv. Irgendwie habe ich jetzt schon Respekt, ich beeile mich ein bißchen, auch wenn mir das Schnellergehen schwer fällt. Ich bin sicher, dass sich hier der Ursprung der Fumarole befindet, welche während unseres mehrtägigen Aufstiegs immer wieder unsere gebannten Blicke erheischt hat. Die Umrundung des großen Kraters ist eine sehr eindrucksvolle Angelegenheit, da man dabei ständig direkt ins Kraterinnere hineinschauen kann. Die Felsen ringsherum sind grün und gelb gefärbt von den Schwefelgasaustritten. Ein großer Gletscher wälzt sich vom Kraterrand aus in den Abgrund des Kraters hinein. Eis und Feuer so nahe beieinander! Unser Gipfel ist eine an und für sich unspektakuläre Erhebung, auf die man steigt, weil man eben unbedingt den definitiv höchsten Punkt des Berges erreichen will. Ansonsten ist der Krater hier das eigentliche Highlight, und natürlich die Aussicht, die sich einem auf dem weitläufigen Plateau der Kraterumgebung bietet. Zur mächtig vergletscherten Südseite des Marmolejos etwa, oder hinüber zu den roten, kargen Bergen auf der argentinischen Seite. Auf der Gegenseite schneidet sich tief unter uns der Cajón de Maipó zwischen Bergzügen ein, die allesamt deutlich niedriger sind, als der San José. Bis kurz vor dem Gipfel konnten wir noch das Dach des Refugio Lo Valdes als winziges, rotes Pünktchen inmitten des grünen Zypressenhains ausmachen. Direkt vom Gipfel aus ist es jedoch nicht zu sehen. Es ist windstill und fast schon warm. Aus diesem Grunde verharren wir einige Zeit auf dem Gipfel, erschöpft, aber glücklich. Über acht Stunden hinweg haben wir uns hier heraufgequält. Ich denke an meine anfänglichen Zweifel und auch daran, dass ich diesen Berg ursprünglich zwecks Akklimatisierung für zu hoch gehalten habe und bin um so glückseeliger darüber, dass wir es schließlich doch geschafft haben.
Es ist 14.30 h, als wir den Gipfel erreichen, um 15 Uhr beginnen wir mit dem Wiederabstieg, um 17.30 h sind wir wieder unten im Lager. Glücklicherweise gestaltet sich das Hinab an solchen Bergen unvergleichlich einfacher, als das Hinauf. Da wir nun jedoch so ziemlich am Ende unserer Kräfte sind, beschließen wir, anstatt das Zelt abzubrechen und mit vollem Gepäck heute noch weiter runterzusteigen, eine zweite Nacht auf 4600 zu verbringen, was auch unserer Akklimatisierung entgegenkommt. Sehr zu meiner Freude entdecke ich bei der Wiederankunft am Zelt, dass durch die Erwärmung der Sonne dort Wasser fließt. Wir sind gottfroh, heute keine Eisklumpen mehr schmelzen zu müssen, die zudem noch die unangenehme Begleiterscheinung von Einschlüssen kleinerer Lavapartikel hatten, sodaß man beim Essen stets auf der Hut sein musste, sich nicht etwa aus Versehen eine Plombe auszubeißen. Dass der eine oder andere Lavakrümel dabei auch seinen Weg in unsere Mägen fand, war ohnehin unvermeidlich. Im Abstieg konnten wir übrigens beobachten, dass sich oben die Fumarole wieder aktiviert hat. Ein wenig unheimlich ist das schon, an einem derart aktiven Vulkan unterwegs zu sein ...
14.12.2010
Gut ausgeschlafen und erholt von den gestrigen Strapazen erwachen wir in einen sonnigen und windstillen Tag. Um 10.25 h verlassen wir das Lager, um 13 Uhr kommen wir am Refugio Plantat an. Pause. Der Abstieg ging wunderbar einfach und bequem von sich. Es war ein Segen, fast auschließlich über Firnfelder hinuntersteigen zu können, welche an der Oberfläche leicht angetaut waren, ideale Begehungsbedingungen eben, die einen raschen Rückzug zuließen. Mir kommt der Gedanke, dass der San José eigentlich auch ein ausgezeichneter Skitourenberg sein müsste.
Ab etwa 3200 m setzt wieder Wind ein, ein Glücksfall, denn mit dem Abstieg in tiefere Regionen und dem Fortschreiten der Tageszeit weicht die Kälte immer mehr der Wärme und mir war es ein Graus, an den langen Wüstenhatscher entlang der Piste unten im Cajón nur zu denken. Wir durchqueren wiederum die Vega. An deren Ende saufe ich noch bis zu den Knien im Sumpf ab, kann mich aber selbständig wieder herausretten. Für die Rückkehr zum Lo Valdes wählen wir die alte, nicht mehr befahrbare Straße am orographisch rechten Ufer des Río Maipó. Auf der neuen Straße, am gegenüberliegenden Flussufer, verkehren die Lastwagen der Gipsfabrik, welche ihre Abbauhalde nahe den Banos Colinas hat. Abgesehen von der permanenten Lärmbelästigung würden wir dort drüben im Staub der vorbeidonnernden Laster ersticken. In Chile ist es allgemein kein Problem, per Anhalter mitgenommen zu werden, insbesondere in abgelegeneren Gebieten. Die LKW-Fahrer des Gipswerkes fühlen sich jedoch von ihrem Chef überwacht und sind von diesem angehalten, keine Tramper mitzunehmen.
Schließlich erreichen wir das schattige Badeörtchen Banos Morales. Jetzt müssen wir nur noch die Brücke über den Maipó nehmen, danach ein kurzer Gegenanstieg und bald schon treffen wir, erschöpft, aber glücklich und froh, im duftenden Paradiesgarten des Refugio Lo Valdes ein. Ohne Frage, dass wir uns am heutigen Abend im Refugio einer Fressorgie hingeben, dass sich das Tischlein zu biegen beginnt :-))!
15.12.2010
Uns verbleibt noch etwas Zeit nach dem Frühstück. Andy hat sich bereit erklärt, uns nach Santiago mitzunehmen. Ich verweile ein wenig in der lauschigen Morgensonne vor dem Refugio, schaue dem Hausmeister (so haben wir den liebenswerten älteren chilenischen Mitarbeiter getauft, der für alles Mögliche und Unmögliche in und ums Haus zuständig ist) zu, wie er mittels einer Glasscherbe einen Tisch abschleift. Das Refugio inmitten seiner erholsamen Umgebung ist eine wahres Idyll. Ich blicke über die Baumwipfel hinweg hinüber zum Talabschluss des Valle Morado, einem Tal, welches vom chilenischen Staat zum Nationalparkstatus erhoben wurde: mit bulliger Breite posiert dort oben der Cerro San Francisco (4340 m), rechts davon erhebt sich der westseitig fast senkrecht aufsteilende Gipfelaufbau des Morado. Das Refugio selbst fügt sich malerisch mitten in einen kleinen Zypressenhain, in dem auch zahlreiche andere Pflanzen und Bäume gedeihen. Einem Garten Eden gleich, plätschert sogar ein künstlicher Wasserfall im Hof der Hütte in ein kleines Bassin herab. Einziger unschöne Fleck in dieser Umgebung ist die nahe Umladestelle des Gipswerkes. Eine schlechte Nachricht ereilt uns: Vor wenigen Tagen ist ein 20-jähriger chilenischer Kletterer an der nahen Placa Roja von einer herabstürzenden Felsplatte tödlich getroffen worden.
Der Busbahnhof San Borja in Santiago befindet sich inmitten eines riesigen Einkaufskomplexes. Ein komplettes Stockwerk ist nur mit Esslokalen belegt. Leider - und wie wir auch in der Folge noch feststellen werden - ist Chile bezüglich Kullinarischem sehr fastfoodlastig. Auch wenn man häufig Fastfood chilenischer Art, vor allem die leckeren Churrascos erhält, wird das alles auf die Dauer recht eintönig. Um Lokale mit ursprünglicher, typischer Landesküche ausfindig zu machen, scheint man sich geradezu bemühen zu müssen, oder man lässt sich von Chilenen nach Hause einladen ... ;-)
16.12.2010
Wir fahren über Nacht. Als es hell wird, schiebe ich den Vorhang des Busfensters zurück. Die Szenerie hat sich geändert. In der Gegend von Santiago schien es für mitteleuropäische Verhältnisse sicher auch schon recht trocken und etwas karg, dennoch boten die Hügel und Täler dort unterschiedlich starken Pflanzen- und Baumbewuchs. Auch Weinreben sahen wir, und auf der Strecke zwischen Santiago und dem Cajón de Maipó bietet sich dem Auge sogar eine großartige Üppigkeit an subtropischer Botanik. Hier ist es nun anders. Steppe oder Halbwüste, zwischen ockerfarbenem Sand und Steinen subsistieren nur noch struppige und dornige Büsche.
Copiapó ist das Bergbauzentrum der südlichen Atacama. Die 100.000-Einwohner-Stadt wäre wohl vom Rest der Welt weiterhin unbemerkt geblieben, wären da nicht im August diesen Jahres 33 Minenarbeiter mehr als 60 Tage lang zunächst verschüttet geblieben und anschließend in einer spektakulären Rettungsaktion ans Licht der Oberwelt zurückgeholt worden. In jener Zeit herrschte Trubel in der Stadt, Fernsehteams aus aller Herren Länder besetzten sämtliche Hotels der Stadt und ließen die Preise ins Astronomische hinaufschnellen. Damit ist es zur Zeit unserer Ankunft glücklicherweise vorbei und wir sollen Copiapó als eine ganz normale, typisch chilenische Stadt kennenlernen. Der Großteil der Touristen, die sich hierher verirren, sind vom Genre her Bergsteiger, die meisten von ihnen zieht es zum Landeshöchsten Ojos del Salado. Dem nicht genug, ist der Ojos ein mehrfacher Rekordhalter: höchster aktiver Vulkan der Erde, und alles Weitere an zweiter Stelle nach dem Aconcagua, also Zweithöchster des amerikanischen Doppelkontinents, Zweithöchster der westlichen Hemisphäre und der Südhalbkugel, Zweithöchster außerhalb Asiens, Zweithöchster der Anden.
Eine aus dem "Footprint Chile" herausgepickte Unterkunft ist leider belegt, weshalb wir auf Empfehlung in das Residencial Rodriguez ausweichen. Dieses ist ein für diese Preisklasse typischer, einstöckiger Kolonialbau mit Patio, also Innenhof. Dort ist ein Weihnachtsbaum aufgestellt, der uns im chilenischen Sommer an das bevorstehende Fest erinnert. Wäre eigentlich ganz nett, wenn´s hier nur ein bißchen sauberer wäre ... Doch wir bleiben nicht lange. Nach dem Frühstück an der Plaza Mayor suchen wir unverzüglich das Büro von Aventurismo in der Calle Atacama auf. Mit dessen Inhaber Maximiliano Martinez hatte ich bereits von Deutschland aus regen E-Mailverkehr. Es ist vorgesehen, dass wir uns von Aventurismo den Transport zur Laguna Verde, bzw. weiter zum Refugio Atacama, bewerkstelligen lassen. Maximiliano hatte allerdings auf eine Überweisung der Kosten von 1000 US-Dollar bestanden, sobald wir in Chile seien. Dies haben wir nicht gemacht und haben somit auch keine Reservierung. Zuerst erschreckt man uns im Aventurismo-Büro. Vor Dienstag, also in 5 Tagen, sei kein Transport möglich. Das ist für uns unannehmbar, denn bis dahin wäre unsere Akklimatisierung wieder beim Teufel, und wir geräten zudem noch in Zeitnot für unsere Unternehmung. Doch Maximilianos sehr nette und kommunikative Ehefrau hat eine Lösung parat. Sie ruft einen Bekannten an. Carlos trifft nach etwa einer halben Stunde im Büro ein, gibt ebenfalls Terminprobleme vor. Wenn wir nicht bis Samstag warten wollten, dann müssten wir heute frühnachmittags noch fahren. Kein Problem für uns, im Gegenteil, und als Carlos zur vereinbarten Zeit seinen schweren Allradchevi vor unserer Pension parkt, werfen wir die gepackten Rucksäcke hinten rein und ab geht´s zum Jumbo-Supermarkt am Rande der Stadt, wo wir uns für 12 Tage mit Lebensmitteln und sonstigen Dingen eindecken, die wir in der abgelegenen Wildnis der Atacama-Wüste benötigen werden. Dazu gehören auch 120 Liter Mineralwasser, denn es gibt dort draußen kein trinkbares Wasser. Die Atacama gilt als die tockenste Wüste der Erde. Hier an ihrem Südrand ist sie es allerdings noch nicht. Immerhin existieren hier mehrere Lagunen, so die Santa Rosa, oder etwa die Laguna Verde, an der wir sozusagen unser Basislager beziehen werden. Selbst aus den Gletschern des Ojos del Salado fließen Bergbäche herab. Jedoch: das Wasser der Lagunen ist komplett versalzen, und das der Bäche ist sandig und soll obendrein noch arsenhaltig sein, was allerdings nicht mit menschlicher Umweltverschmutzung, sondern vermutlich mit dem Vulkanismus zu tun hat.
Das Permit zur Besteigung des Ojos del Salado kostet aktuell 160 US-Dollar pro Nase. Aventurismo hat vom Staat die Lizenz zur Ausstellung des Permits und zum Einzug dieser Gebühr erworben, und man zahlt das Geld somit an die Agentur. 12 Tage hat das Papier Gültigkeit, und dies ist der Grund, warum wir unsere Vorräte für diesen Zeitraum angelegt haben. Sollten wir früher schon am Berg erfolgreich sein, dann wollen wir die übriggebliebenen Sachen einfach verschenken. Ist sozusagen Teil der Kalkulation ;-). Der Karren ist schließlich gut beladen, wir haben uns beim Einkauf nicht lumpen lassen, und Carlos konnte jede Menge Rabattpunkte auf seine Einkaufskarte verbuchen :-)). Sogar frisches Obst ist mit an Bord. So gesehen wird es uns dort oben am Ojos nicht schlechter gehen, als mir vergangenen Januar am Aconcagua, als ich mich in die Verpflegung von Aymara eingekauft hatte und von denen bestens bewirtet wurde.
Nach einer dreieinhalbstündigen Wüstenralley quer durch die Atacama - unser Carlos ist gefahren, wie eine verrücktgewordene Wildsau - erreichen wir das Idyll der Laguna Verde auf 4350 Metern Meereshöhe. Während der Fahrt wird einem eigentlich nicht wirklich bewußt, dass man derart immense Höhenunterschiede überwindet und wir können es somit kaum glauben (wohl aber wissen wir es ;-)), dass wir uns seit unserem Start auf vielleicht 600 Metern in Copiapó so weit hinaufkatapultiert haben.
Vom ersten Augenblick an sind wir entzückt von diesem zauberhaften Ort. In atemberaubendem türkisgrün schimmert dieser prächtige See inmitten einer kargen, grenzenlos erscheinenden Bergwüste. Die Strände sind schneeweiß vom dort abgelagerten Salz, an den Ufersäumen dampfen heiße Thermalbecken, welche den erschöpften Bergsteiger für ein abendliches Entspannungsbad in Badewannentemperatur erwarten. Die den See umgebende Wüste ist aber auch schon eine Besondere. Die Zutaten können wir folgt beschrieben werden: Lavagestein, Vulkanasche, Salz, Eis. Es ist verrückt, mitten in der Wüste sogenannte Penitentes, also Eisfelder mit einer speziell geformten Oberfläche, wie man sie übrigens nur hier auf der Südhalbkugel antrifft, auszumachen. Vollkommen kahle, dennoch oft auf ihren Südseiten vergletscherte Bergriesen tragen das ihre bei zur Erschaffung eines bizarren Landschaftsbildes, das Seinesgleichen auf Gottes Erden sucht. Allesamt sind sie entweder bereits erstarrte oder aber auch noch aktive Vulkane. Sogar Minivulkane in Form fabrikschlotartiger Hügel erheben sich an vielen Stellen aus dem gräulich- ockerfarbenen Wüstenboden und vervollständigen den Eindruck einer Mondlandschaft.
Carlos parkt sein Fahrzeug vor dem kleinen Refugio am Ufer der Laguna Verde, wo sich auch verschiedene durch Steinmäuerchen vor dem scharfen Wind geschützte Zeltplätze, sowie zwei Doms, also Großzelte von Aventurismo, befinden. Wir werden herzlich von Mario, dem Kappo vor Ort im Namen von Aventurismo, empfangen. Mario ist zur Hauptsaison zwischen November und März kontinuierlich anwesend, meist begleitet von einem bis drei Mitarbeitern. Sie sind für die Administration an der Laguna Verde und den Hütten Murray, Atacama und Tejos zuständig. Mario ist mir vom ersten Augenblick an äußerst sympatisch, seine und die Hilfsbereitschaft seines Teams kann ich im Nachhinein nicht weit genug in den Himmel hineinloben :-)! Da Mario derzeit keine Gruppen fürAventurismo zu betreuen hat und nur wenige andere Bergsteiger vor Ort sind, dürfen wir uns in einem der beiden Dome einrichten. Unsere Nachbarn sind zwei argentinische Bergführer, die ein amerikanisches Pärchen auf den Gipfel führen wollen. Trifft sich gut, dass die beiden aus Mendoza kommen, so kann ich gleich einen Gruss dorthin schicken, zu meinem Freund Gordo, ebenfalls mendozinischer Bergführer. Unter anderem habe ich es auch einem guten Ratschlag von ihm zu verdanken, dass ich im Januar am Aconcagua erfolgreich war.
Abends wollte ich nur mal schnell ins Refugio, Mario was fragen. Wir werden sogleich zu Tisch geladen. Auch eine Gruppe von drei Mexikanern ist anwesend, mit denen wir uns auf Anhieb glänzend verstehen. Die Nächte hier sind wüstentypisch: steinkalt, überwölbt von einem Sternenhimmel, als hätte der Herrgott die Saat des Universums frisch ausgeworfen :-))! Dazu noch spiegelt sich das fahle Hell des Mondlichts in der wie ein dunkler Spiegel sich unterm Himmelszelt ausbreitenden Lagune.
17.12.2010
Da das Dom ein paar unangenehm luftdurchlässige Öffnungen hat, haben wir einfach unser Zelt im Zelt aufgestellt und auf diese Weise eine warme und windgeschützte Nacht verbracht. Der Mulas Muertas ist ein Berg mit 5897 Metern Höhe und unmittelbar von der Laguna Verde aus besteigbar. Er bietet somit nochmals ideale Akklimatisationsmöglichkeiten. Wir wollen es heute nur bei einer Vorbegehung, wennmöglich bis zum Punkt 5305 der Alpenvereinskarte belassen. 11 Uhr morgens ist eine späte Aufbruchszeit, starker Wind dann so gut wie garantiert. Der setzt uns denn auch gleich von Beginn an zu. Unterwegs kommen uns die Mexikaner, mit Sturmhauben und Mützen völlig vermummt, entgegen. Sie wurden von Romina, der jungen, bildhübschen Gehilfin von Mario begleitet. Aber der eigentliche Kopf der Truppe ist Salvador, genannt Chava. José, genannt Pepe und seine Ehefrau Nancy haben ihn als eigenen Bergführer aus Mexiko mitgebracht. Die Gruppe hat nach dem Ojos auch noch einen Versuch am Aconcagua im Sinn. Wenn man bedenkt, dass Pepe bereits den 60er auf dem Buckel hat, und Nancy und Chava vermutlich nicht mehr allzu weit davon entfernt sein dürften - Hut, äh, Sombrero ab!
Es gelingt uns tatsächlich, den garstigen Winden zu trotzen und auf diese Weise den Punkt 5305, praktisch den ersten von zahlreichen weiteren Vorgipfeln des Berges, zu erreichen. Ergreifend ist der Ausblick auf die türkisgrüne Laguna Verde tief unter uns, welche ihrem Namen wahrlich gerecht wird. Indes, die Lagune wechselt im Laufe des Tages ihre Farbe. Am frühen Morgen erstrahlte sie noch in tiefstem Azurblau. Den Ojos kann man von hier aus noch nicht sehen, dafür aber weitere Grenzberge mit Argentinien, wie etwa den eleganten Incahuasi (6623 m), oder den Cerro San Francisco (6018 m). Neben diesem führt der Paso San Francisco (4747 m) nach Argentinien hinüber. Es ist dies die Fortsetzung der Straße, auf welcher wir an die Laguna Verde gelangt sind. Eine neue Straße ist derzeit parallel zur alten in Bau, die schlußendlich auch eine Asphaltdecke erhalten soll. Drüben in Argentinien soll die Straße bereits geteert sein. Dann wird die Anfahrt hierher sicher schneller und bequemer, verliert dann aber wohl auch etwas von ihrem abenteuerlichen Charme. Im Gesamtwerk soll jedenfalls eine Straßenverbindung vom Pazifik zum Atlantik entstehen.
18.12.2010
Um 5.10 verlassen wir unser Lager an der Laguna Verde. Diesmal wollen wir zum Hauptgipfel des Mulas Muertas vordringen. In der Dunkelheit ist es noch beißend kalt, doch wir kommen zügig voran, die Orientierung an diesem Berg ist vergleichsweise einfach, selbst ohne Vorbegehung hätte ich kaum Zweifel an der Aufstiegsrichtung. Um 11 Uhr sind wir wieder am Punkt, den wir gestern schon erreicht hatten. Das Erreichen des Hauptgipfels gestaltet sich mühevoller, als gedacht. Es sind wohl ein halbes Dutzend Vorgipfel zu überschreiten, bis man endlich auf dem höchsten Punkt des Berges steht. Bei meiner Ankunft dort erspähe ich eine Erhebung in der Nachbarschaft, wobei mich Zweifel befallen, ob der dort drüben nicht doch noch etwas höher sein könnte. Um sicher zu gehen, reisse ich mich nochmals zusammen und marschiere hinüber. Mein Höhenmesser gibt mir haargenau die gleiche Höhe, wie auf dem vorhergehenden Gipfel. Weiter entfernt erheben sich weitere Gipfel, doch diese sind alle niedriger, dessen bin ich mir sicher. Ich gehe zurück zum vorherigen Punkt, wo kurz danach auch Valerij eintrifft. Von hier aus bietet sich uns eine exzellente Aussicht hinüber zum Ojos. Anwandlungen des Respekts überkommen uns beim Anblick dieses mächtigen, massigen Kolosses, der mit seiner imponierenden Erscheinung alle umliegenden Berge zu Vassallen degradiert. Dennoch ist für mich schon einsehbar, dass er technisch keine Probleme aufwerfen wird (man weiß das selbstverständlich auch schon vorher ;-)). Mir erscheint dieser Berg seltsam, einzigartig. Seine graue Grundierung ist mit einem schmutzigen Weiß überzogen - Vulkanasche, vermischt mit Sand.
Mit dem Mulas Muertas haben wir ebenfalls einen Vulkan bestiegen, allerdings einen unaktiven, einen sogenannten kalten. Doch seine vulkanischen Wurzeln kann uns auch dieser Berg nicht verhehlen. Das Gewirr von verschiedenen Erhebungen in seinem Gipfelbereich weist auf einen Kraterrand, bzw. auf erkaltete Schlote hin. Unter uns schimmert eine Minilagune, deren Ufer mit einem kleinen Penitenteseisfeld gesäumt ist. Auch deren Entstehung führe ich auf vulkanische Tätigkeit zurück. Hinter Felsen vor Wind geschützt halten wir es relativ lange auf dem Gipfel aus, züchten hier oben sozusagen rote Blutkörperchen :-))! Nachdem ich um 12 Uhr den Gipfel erreicht habe (Valerij vielleicht ein halbe Stunde später), beginnen wir um 13 Uhr mit dem Abstieg. Gegen 14.15 h legt dann der Wind los, brüllt uns richtiggehend an. Glücklicherweise geht der Abstieg über die ausladenden Schotterfelder rasch und unschwierig von sich.
An der Laguna Verde angekommen, nehme ich ein Bad in einem der Thermalbecken am Seeufer. Was für eine Wonne! Den Körper entspannt in auf Badewannenniveau temperiertem Wasser eingetaucht, liege ich auf Algen gebettet, der Wind pfeift mir über den Kopf hinweg und hinter mir rauschen die von den Böen aufgebauschten Wellen wie Meereswogen ans Ufer. Als ich an der Lagune ankam, war ich so ziemlich platt und am Ende meiner Kräfte. Aus dem Thermalbad steige ich dann wie ausgewechselt heraus. Wir lassen uns bei Mario noch den Sauerstoffsättigungsgehalt unseres Blutes messen. Beide haben wir 85. Das ist hervorragend, und somit steht einem Wechsel morgen aufs 5200 Meter hoch gelegene Refugio Atacama nichts mehr im Wege!
19.12.2010
Um 10 Uhr ist Marios Auto beladen und wir rollen an zur Fahrt hinauf ins Refugio Atacama. Für diese Strecke ist dann tatsächlich ein Allradfahrzeug unabdingbar, denn wir werden unterwegs von riesigen Schlaglöchern durchgerüttelt und der 4x4 wühlt sich durch tief eingewehte Sandpisten. Die Mexikaner sind schon vor Ort, sind gestern bereits eingetroffen. Das Lager befindet sich direkt am Fuß des Ojos. In unmittelbarer Nachbarschaft erhebt sich noch der gleichfalls eindrucksvolle El Muerto (6488 m). Hier am Südrand des Altiplano finden sich 14 Gipfel, welche die 6000er-Marke übertreffen. Nirgendwo sonst in der gesamten Andenkette findet man so viele hohe Berge auf einen Haufen. Allerdings gehören diese Gipfel bergsteigerisch betrachtet allesamt zu den sogenannten "Leichteren". Wenngleich auch vergletschert, lassen sich die Dimensionen der Vergletscherungen in keiner Weise mit denen etwa in der peruanischen Cordillera Blanca, der bolivianischen Cordillera Real, oder etwa anderen Gebieten im Süden Chiles und Argentiniens vergleichen. Das Land Chile kann auf 38 Gipfel über 6000 Metern Höhe verweisen, die meisten davon teilt man sich mit den argentinischen Nachbarn, da es sich um Grenzberge handelt.
Eigentlich war vorgesehen, dass wir unsere Übernachtungshöhe noch zwei- allenfalls dreihundert Meter übersteigen werden, doch es läuft so gut, dass wir uns schließlich und endlich vor der schweren Eisentür des Refugio Tejos auf 5825 Metern Höhe wiederfinden. Wir inspizieren somit schon mal unsere spätere Unterkunft, welche wir aber erst am Tag vor unserem Gipfelversuch beziehen wollen, und worin wir dann auch nicht mehr als nur eine kurze Nacht zu verbringen gedenken.
Die Biwakhütten Refugio Atacama (richtiger Name: Refugio Universidad de Atacama) und Tejos sind im Übrigen nicht zwecks Besteigung des Ojos del Salado errichtet worden. Einst ist überhalb vom Tejos ein Hubschrauber abgestürzt. Um das teuere Fluggerät wieder bergen zu können, wurden die beiden Hütten errichtet. Cesar Tejos lautet der Name des damals tödlich verunglückten Piloten. Das Murray, welches sich neben der Piste auf dem Weg zwischen der Laguna Verde und dem Refugio Atacama befindet, ist indes eine ehemalige Polizeistation, gleichwohl auch das Refugio an der Laguna Verde.
20.12.2010
Ich habe die Nacht im Messezelt zugebracht, während Valerij mit den Mexikanern im benachbarten Dom geschlafen hat. Fakt war, dass es mir zwar im Schlafsack schön warm war, ich aber irgendwie spürte, dass es rings um mich herum sackkalt war. Dann noch die zahlreichen Toilettengänge ... Man ist in diesen Höhen gezwungen, weitaus mehr zu trinken, als unter normalen Umständen. Ein vermehrter Harndrang ist zudem noch ein natürlicher Vorgang im Körper in großen Höhen. Das Ganze ist also in gewisser Hinsicht ein Teufelskreis.
Sämtliche Wasserflaschen sind am folgenden Morgen eingefroren, kein Wunder bei minus 15 Grad! Aber wir sind ja schlau, haben am Vorabend kochendes Wasser in unsere Thermoskannen gefüllt, und zusätzlich noch das Kochgeschirr mit Wasser gefüllt, sodaß man dieses nur noch auf den Kocher zum Auftauen stellen muss. Somit sind der Frühstückskaffee und ein warmes Müsli gesichert :-).
Durch eine Fehlmessung am frühen Morgen werden bei Valerij schlechte Sauerstoffsättigungswerte festgestellt. Das lag daran, dass seine Finger noch zu kalt waren. Ich selbst fühle mich etwas unwohl und schlage meinem Freund einen Ruhetag vor. Gesagt, getan, und somit lungern wir den lieben, langen Tag im Lager herum, Essen, Trinken, Ruhen, Schlafen, Lesen, Plaudern ....
Ein südafrikanisches Pärchen ist heute eingetroffen, sie sind mit den Fahrrädern von Argentinien her gekommen, haben zwischendurch mal im Murray übernachtet. Ojos by fair meanings, auch eine Idee, die mir gefallen hätte ;-)!
21.12.2010
Es ist an der Zeit, wir werden heute zum Tejos aufsteigen und morgen in Allerherrgottsfrühe den Gipfel versuchen. Mit von der Partie ist der chilenische Bergführer Rodney, welcher wiederum den australischen Pfarrer Morgan Batt betreut. Morgan ist ein besonderer Pfarrer. Von Rodney wird er liebevoll "cura loco", also "verrückter Pfarrer", genannt. Morgan verfolgt ein besonderes Projekt: in jedem Land der Erde möchte er den höchsten Punkt oder Berg besuchen, um dort eine Heilige Messe zu zelebrieren. Er hat sogar einen Sponsoren. Ich persönlich finde den Gedanken außerordentlich erquicklich, auf dem Gipfel des Ojos del Salado gemeinsam mit einem verrückten katholischen Bergsteigerpriester und einem noch verrückteren chilenischen Bergführer eine heilige Messe feiern zu können :-)!
Den Aufstieg zum Tejos zögern wir bis in den späten Nachmittag hinaus. Wir möchten uns so kurz als möglich in jener Höhe aufhalten. Auf 5800 Metern bestehen für uns kaum noch Chancen auf Erholung, diese ist uns aber zumindest in gewissem Maße noch auf 5200 vergönnt. Um 15.30 h brechen wir auf. Wir gehen sehr langsam, unser Gepäck ist recht schwer, und wir möchten auf alle Fälle vermeiden, dass es uns den Puls unnötig in die Höhe treibt. Nach 3 Stunden Gehzeit erreichen wir das Refugio. Ich fühle mich wohl im Tejos, genieße unseren gemeinsamen Aufenthalt mit Morgan und Rodney dort oben. Zu viert sitzen wir abends beieinander am kerzenbeleuchteten Tisch, kochen, essen, erzählen, machen Witze. Nur die Nacht dort oben bekommt mir nicht, fast schon erwartungsgemäß. Es ist nicht so, dass sie schlaflos wird, vielmehr abgehackt, ich wache ständig auf, und wenn ich schlafe, dann suchen mich seltsame, unangenehme Träume heim.
22.12.2010
Um drei Uhr morgens wird es ernst. Wir stehen auf, um das Frühstück zuzubereiten. Morgan hat sich gestern abend schon nicht wohl gefühlt, und so kommt, was ich befürchtet habe: unsere beiden Freunde können uns nicht begleiten, wir werden heute allein am Berg unterwegs sein. Ich wundere mich noch, warum denn Rodney nicht schon längst wieder seine Stirnlampe gelöscht und sich in den warmen Schlafsack gekuschelt hat. Stattdessen scheint er auf etwas zu warten. "Wir werden gleich abhauen, dann hast du wieder deine Ruhe" raune ich ihm noch wohlwollend zu, doch er winkt ab. Als wir dann kurz nach 4 die Hütte verlassen wollen, bittet er uns, noch einen kleinen Augenblick zu warten. Er tritt gemeinsam mit uns vor die Hüttentür und eröffnet uns, dass wir vor unserem Aufbruch gemeinsam die aus den Mythen der Incas stammende Muttergöttin der Erde, Pachamama, und den Berg Ojos del Salado um unsere wohlbehaltene Rückkehr bitten werden. Dazu geben wir der Erde ein Opfer, indem Rodney ein Loch gräbt, und eine Opfergabe hineinschüttet, während er sich mit bittenden Worten an Pachamama und an den Ojos wendet. Ich finde diese Zermonie wunderschön und danke Rodney von Herzen dafür. Dann wird es Zeit für uns, in die unwirtliche Kälte der Nacht zu entschwinden, dem Gipfel des Volcán Ojos del Salado entgegen! Im Nachhinein sollen wir erfahren, dass auch Morgan, der seine Messe dann nur wenige Stunden später hier am Tejos hielt, diese für uns zelebrierte, indem auch er Gott um unsere sichere Rückkehr bat. Bei so viel göttlichem Segen sollte dann eigentlich nichts mehr schiefgehen ;-)!
Unablässig pfeift uns ein ein gehöriger Wind um die Ohren, der hier oben an Stärke noch zugelegt hat. Das macht mir Sorgen. Unter solchen Bedingungen wäre ein Gipfelgang undenkbar, wir können uns hier schon manchmal kaum noch auf den Beinen halten. Das zerzauste Wolkenbild über uns sagt alles ...
Wir erreichen das Refugio, machen dort Pause. Es handelt sich beim Plantat um eine verhältnismässig gut eingerichtete Selbstversorgerunterkunft. Am liebsten hätte ich hier die Nacht verbracht, aber wir sind aus Zeitgründen gezwungen, unseren Aufstieg fortzusetzen. Das letzte Grün lassen wir an der Hütte hinter uns, ebenso die letzte Okasion für fließendes Wasser. Ab jetzt folgt nur noch steiler Schotter und zunehmend ausgedehnte Firnfelder, die glücklicherweise eine Konsistenz aufweisen, welche sie gut begehbar machen, d.h. sie sind nicht aufgeweicht, so dass wir etwa einsinken würden, aber auch nicht gefroren, sodaß wir unseren Aufstieg ohne den Einsatz der Steigeisen fortsetzen können. Auf 3525 Metern Höhe errichten wir unser erstes Lager. Trinkwasser gewinnen wir aus einem zugefrorenen Tümpel in der Nähe, wo wir die Eisfläche aufhacken und das Wasser zunächst abkochen, bevor wir es konsumieren. Abends werden wir Augenzeugen eines gewaltigen Wolken- Lichtinfernos - überhaupt sind wir hier oben schon gewaltig abgehoben. In den Augenblicken, während das Wolkendampfbad sich für kurze Zeit lichtet, erspähen wir tief unter uns wie zusammengeschrumpft, aber gut überblickbar, den Cajón de Maipó und die prärieartige Vega.
11.12.2010
Wir setzen unseren Aufstieg fort, jetzt hauptsächlich über ausgedehnte Firnfelder, auf deren Oberflächen sich oft kleine Penitentes gebildet haben. In dieser Größe sind die Penitentes nicht etwa hinderlich, sondern bieten sogar einen gewissen Halt. Wir begegnen einer 14-köpfigen chilenischen Gruppe mit Bergführer, welche sich im Abstieg befindet. Ebenso, wie der Kanadier, welchen wir gestern bereits getroffen haben, sind sie wegen der starken Winde am Gipfel gescheitert. Die momentanen Bedingungen sind tatsächlich als äußerst hart zu bezeichnen, der starke Wind sorgt für einen durch die Knochen gehenden Chilleffekt und nagt an der Moral. Die kurzen Momente, in denen der Wind aussetzt und die Sonne durch´s Gewölk durchblinzelt, sind hingegen eine Wonne und lassen erahnen, wie schön und leicht alles sein könnte, hätten wir nur andere Wetterbedingungen! Auch die Wassergewinnung ist sehr mühsam. Von unserem neuen Lagerplatz auf 4200 m aus müssen wir ein Stück weit absteigen, wo wir wiederum durch Aufhacken des Eises auf ein Minibächlein stoßen, welches uns mit dem nötigen Nass versorgt. An das Reinigen des Essgeschirrs ist unter den jetzigen Umständen nicht zu denken, so dass der Tee eben nach Raviolisosse, das Nudelgericht nach Kaffee schmeckt, im Kaffee dann noch die Haferflocken vom Frühstück, sowie Nudeln und Gemüsereste als weitere Beigaben schwimmen. Ob man sich vor so was ekelt? Wäre ich im Tal herunten, würde ich mich mit Sicherheit zieren, aber hier oben sind wir froh, dass wir überhaupt Wasser und was Warmes zu Essen haben.
Nachmittags schlägt das Wetter endgültig um, Schneefall setzt ein, gerät in Kombination mit dem Wind zum Schneesturm. Zwei chilenische Bergsteigerinnen gesellen sich zu unserem Lagerplatz, bauen ihr Zelt neben dem unsrigen auf. Bei den jetzigen Bedingungen ist eine längere Kommunikation jedoch nicht möglich. Im warmen Schlafsack eingemummt, durch das kurz geöffnete Zelt frage ich sie, den Windstärken entgegenbrüllend, nur schnell nach dem wie und was. Sie waren oben im letzten Lager auf 4700 m Höhe, von wo aus sie ohne Gipfelversuch wegen des miserablen Wetters wieder abgestiegen sind. Acht weitere Kameradinnen befänden sich noch dort oben, wären heute vor Sonnenaufgang sogar noch in Richtung Gipfel aufgebrochen. Heilige Maria, ich würde heute unter keinen Umständen einen Gifpelversuch wagen wollen! Was sind denn das für wilde Gebirgsamazonen, da oben?
12.12.2010
Es schneit und schneit die ganze Nacht, der Wind drückt mir zeitweise die Zeltwand bis auf die Nase herunter. Das Zelt ist hier unsere Schutzburg, nicht auszudenken, wenn es kaputt gehen würde und wir hier frei biwakieren müssten! Wir sind dazu gezwungen, im Zeltinneren zu kochen. Ich mache das normalerweise nicht gerne, aber momentan wäre es nicht einmal mehr möglich, unter den Absiden zu kochen. Aufpassen, sag´ich noch zu Valerij, doch der passt auf, im Gegensatz zu mir. Nachdem unser Gericht heiß brodelt, schnappe ich den Kocher, möchte ihn hinaus unter die Absiden schmeißen und gerate dabei mit den fast noch glühenden Rosten an meinen Schlafsack, wo sich prompt ein Riesenloch einbrennt. Meine Flüche wollen kein Ende nehmen, bin ohnehin schon demoralisiert, und jetzt auch das noch! Für mich ist klar, wir müssen morgen, sobald es halbwegs möglich ist, wieder absteigen. Inzwischen fürchte ich sogar schon Lawinengefahr. Den ganzen Morgen verbringen wir, in unsere wärmenden Schlafsäcke vergraben, im schützenden Zelt. Irgendwann lässt der Wind tatsächlich nach, auch der Schneefall hat sich inzwischen eingestellt. Ich trete vor´s Zelt, hinaus in eine klirrende Eiseskälte, und berate mich mit den beiden Chileninnen. Deren Zeit ist abgelaufen, sie müssen runter. "Geht ihr doch weiter, ihr habt doch noch Zeit". Die Bergwelt um uns sieht aus, als befänden wir uns im Hochwinter. Doch das Weiß täuscht über das Ausmaß der tatsächlich gefallenen Schneemengen hinweg. Hinzu kommt noch, dass der Büßerschnee eine gewisse Stabilität an der Oberfläche der Altschneedecke garantiert. Eine Lawinengefahr kann somit derzeit ausgeschlossen werden. Ich blicke zum Himmel, der jetzt sogar in einem prächtigen Blau erstrahlt. Die Würfel sind gefallen, wir blasen zum Aufbruch, und zwar bergwärts!
Der Anstieg zu unserem nächsten Lager auf 4600 m durch den frischen Pulver gestaltet sich äußerst mühseelig. Unterwegs treffen wir die anderen chilenischen Bergsteigerinnen. Sie haben zwar den Gipfel nicht geschafft, sind aber bis zum Krater vorgedrungen. Unglaublich bei den Bedingungen, wie sie heute morgen noch geherrscht haben. Sie sind allesamt Mitglieder im Deutschen Andenverein, dessen Sektionshütte übrigens das Refugio Lo Valdes ist. Wir werden zur Vereinssitzung am kommenden Donnerstag eingeladen. Gerne hätten wir die Invitation angenommen, hätten wir nur die Zeit dazu. Ein paar schnelle Tips für unseren Gipfelversuch morgen früh nehmen wir noch dankend entgegen, dann trennen sich unsere Wege. Ab jetzt sind ich und Valerij vollkommen allein am Berg, keine weitere Gruppe ist mehr oben.
Wie nach jedem Lageraufbau, steigen wir auch heute wiederum einige zusätzliche Höhenmeter ohne Gepäck auf, gemäß der zur Prävention der Höhenkrankheit (die wird in Chile übrigens Puna genannt) essentiellen Formel "Hoch gehen, tief schlafen". Wir touchieren dabei die 5000er-Grenze.
13.12.2010
Gipfelversuch. Morgens um drei beginnen wir, uns Kaffee und Haferflockenbrei zu kochen, um 4 soll Abmarsch sein. Doch ein grausamer Wind biegt die Zeltstangen durch, dass es uns angst und bange dabei wird. Was sollen wir tun? Trotzdem aufbrechen? Warten, ob´s besser wird? Oder die ganze Sache doch noch abbrechen? Gestern nachmittag hatten wir die besten Bedingungen, ich selbst war in Hochstimmung, und davon überzeugt, dass wir es nun doch noch schaffen könnten, nach all dem Zweifeln. Doch jetzt liegt die Moral wiederum am Boden zerstört, der Glaube an den Gipfelerfolg ist buchstäblich hinweggeblasen. Für den San José gibt es übrigens eine grobe Formel, die sich auf eine häufig dort herrschende Wetterlage bezieht, und wie sie auch typisch ist für den Aconcagua, oder für unser diesmaliges Hauptziel, dem Volcán Ojos del Salado: frühmorgens bzw. bereits nachts aufbrechen, solange es windstill ist, denn die gefürchteten Stürme setzen normalerweise an den Nachmittagen ein. Das ist eine grobe Formel, und natürlich entwickeln sich an diesen Bergen oft auch andere Wetterlagen. So wie jetzt, dass es nachts bereits stürmt. Wir pokern, wollen warten, was bei Sonnenaufgang geschieht - und haben promt auf die richtige Farbe gesetzt! Kaum erwärmen die ersten Sonnenstrahlen die Atmosphäre, lässt der Wind schon merklich nach. Unverzüglich machen wir uns zum Aufbruch bereit.
Über einen unangenehm steilen und losen Schutthang klettern wir vom Lagerplatz aus zu einer gen Osten ausgerichteten Flanke empor, in welcher wir parallel zu einem Gletscher an Höhe gewinnen. Es finden sich an der Geländekante zahlreiche Lagerplätze, vermutlich richten viele Gruppen erst hier oben das letzte Lager ein. Den Gletscher queren wir schließlich an seiner obersten Begrenzung, wo er zwar keinerlei Spalten aufweist, aber doch einen kurzen Einsatz von Steigeisen nötig macht. Das Blankeis dort ist morgens hart wie Wasserfalleis, worüber ich mit meinen völlig abgestumpften Eisen besonders entzückt bin. Glücklicherweise ist es hier nicht steil. Der vermeintliche Gipfel entpuppt sich als Vorgipfel, der nächste dahinter ebenso. Es scheint Ewigkeiten zu dauern, bis wir dann tatsächlich den Rand eines mächtigen Kraters erreichen. Ein nicht zu überriechender Schwefelgeruch hatte schon die vergangenen Tage stets in der Luft gelegen. Hier ist er nun richtiggehend penetrant, desweiteren ließ der Berg die letzten Tage immer wieder mal ein beängstigend dröhnendes Raunen vernehmen. Im Aufstieg haben wir die Fumarole noch rauchen sehen, wie wir sie ebenfalls an den Tagen zuvor immer wieder beobachten konnten. Im Augenblick unserer Ankunft ist der Krater ruhig, kein Rauch steigt auf und auch keine rumorenden Geräusche erschrecken uns. Einerseits ist das doch beruhigend, andererseits wäre es wohl auch interessant gewesen, diese qualmende Fumarole mal aus nächster Nähe zu erleben. Körperlich sind wir so ziemlich ausgebrannt, aber es ist uns noch kein Ende der Plagen vergönnt, denn der Hauptgipfel befindet sich just auf der anderen Kraterseite. Das heißt, wir müssen den Krater umrunden, um dort hinüber zu gelangen. Diese Erhebung wird auch der argentinische Gipfel genannt, über sie verläuft die Grenze zum Nachbarland. Ich vermute mal, dass hier am Kraterrand für einen guten Teil derjenigen, die es überhaupt bis hierher geschafft haben, Schluß ist. Auch uns kostet das Weitergehen nun einiges an Selbstüberwindung.
Beim Umrunden passieren wir den chilenischen Gipfel, welcher nur unwesentlich niedriger ist, als der argentinische. Direkt unter dem chilenischen befindet sich ein zweiter, kleinerer Krater. Genau hier scheint die größte vulkanische Aktivität an diesem Berg stattzufinden. Ich spüre eine deutliche Wärmeabstrahlung im Vorbeigehen, der Schwefelgestank ist hier sehr intensiv. Irgendwie habe ich jetzt schon Respekt, ich beeile mich ein bißchen, auch wenn mir das Schnellergehen schwer fällt. Ich bin sicher, dass sich hier der Ursprung der Fumarole befindet, welche während unseres mehrtägigen Aufstiegs immer wieder unsere gebannten Blicke erheischt hat. Die Umrundung des großen Kraters ist eine sehr eindrucksvolle Angelegenheit, da man dabei ständig direkt ins Kraterinnere hineinschauen kann. Die Felsen ringsherum sind grün und gelb gefärbt von den Schwefelgasaustritten. Ein großer Gletscher wälzt sich vom Kraterrand aus in den Abgrund des Kraters hinein. Eis und Feuer so nahe beieinander! Unser Gipfel ist eine an und für sich unspektakuläre Erhebung, auf die man steigt, weil man eben unbedingt den definitiv höchsten Punkt des Berges erreichen will. Ansonsten ist der Krater hier das eigentliche Highlight, und natürlich die Aussicht, die sich einem auf dem weitläufigen Plateau der Kraterumgebung bietet. Zur mächtig vergletscherten Südseite des Marmolejos etwa, oder hinüber zu den roten, kargen Bergen auf der argentinischen Seite. Auf der Gegenseite schneidet sich tief unter uns der Cajón de Maipó zwischen Bergzügen ein, die allesamt deutlich niedriger sind, als der San José. Bis kurz vor dem Gipfel konnten wir noch das Dach des Refugio Lo Valdes als winziges, rotes Pünktchen inmitten des grünen Zypressenhains ausmachen. Direkt vom Gipfel aus ist es jedoch nicht zu sehen. Es ist windstill und fast schon warm. Aus diesem Grunde verharren wir einige Zeit auf dem Gipfel, erschöpft, aber glücklich. Über acht Stunden hinweg haben wir uns hier heraufgequält. Ich denke an meine anfänglichen Zweifel und auch daran, dass ich diesen Berg ursprünglich zwecks Akklimatisierung für zu hoch gehalten habe und bin um so glückseeliger darüber, dass wir es schließlich doch geschafft haben.
Es ist 14.30 h, als wir den Gipfel erreichen, um 15 Uhr beginnen wir mit dem Wiederabstieg, um 17.30 h sind wir wieder unten im Lager. Glücklicherweise gestaltet sich das Hinab an solchen Bergen unvergleichlich einfacher, als das Hinauf. Da wir nun jedoch so ziemlich am Ende unserer Kräfte sind, beschließen wir, anstatt das Zelt abzubrechen und mit vollem Gepäck heute noch weiter runterzusteigen, eine zweite Nacht auf 4600 zu verbringen, was auch unserer Akklimatisierung entgegenkommt. Sehr zu meiner Freude entdecke ich bei der Wiederankunft am Zelt, dass durch die Erwärmung der Sonne dort Wasser fließt. Wir sind gottfroh, heute keine Eisklumpen mehr schmelzen zu müssen, die zudem noch die unangenehme Begleiterscheinung von Einschlüssen kleinerer Lavapartikel hatten, sodaß man beim Essen stets auf der Hut sein musste, sich nicht etwa aus Versehen eine Plombe auszubeißen. Dass der eine oder andere Lavakrümel dabei auch seinen Weg in unsere Mägen fand, war ohnehin unvermeidlich. Im Abstieg konnten wir übrigens beobachten, dass sich oben die Fumarole wieder aktiviert hat. Ein wenig unheimlich ist das schon, an einem derart aktiven Vulkan unterwegs zu sein ...
14.12.2010
Gut ausgeschlafen und erholt von den gestrigen Strapazen erwachen wir in einen sonnigen und windstillen Tag. Um 10.25 h verlassen wir das Lager, um 13 Uhr kommen wir am Refugio Plantat an. Pause. Der Abstieg ging wunderbar einfach und bequem von sich. Es war ein Segen, fast auschließlich über Firnfelder hinuntersteigen zu können, welche an der Oberfläche leicht angetaut waren, ideale Begehungsbedingungen eben, die einen raschen Rückzug zuließen. Mir kommt der Gedanke, dass der San José eigentlich auch ein ausgezeichneter Skitourenberg sein müsste.
Ab etwa 3200 m setzt wieder Wind ein, ein Glücksfall, denn mit dem Abstieg in tiefere Regionen und dem Fortschreiten der Tageszeit weicht die Kälte immer mehr der Wärme und mir war es ein Graus, an den langen Wüstenhatscher entlang der Piste unten im Cajón nur zu denken. Wir durchqueren wiederum die Vega. An deren Ende saufe ich noch bis zu den Knien im Sumpf ab, kann mich aber selbständig wieder herausretten. Für die Rückkehr zum Lo Valdes wählen wir die alte, nicht mehr befahrbare Straße am orographisch rechten Ufer des Río Maipó. Auf der neuen Straße, am gegenüberliegenden Flussufer, verkehren die Lastwagen der Gipsfabrik, welche ihre Abbauhalde nahe den Banos Colinas hat. Abgesehen von der permanenten Lärmbelästigung würden wir dort drüben im Staub der vorbeidonnernden Laster ersticken. In Chile ist es allgemein kein Problem, per Anhalter mitgenommen zu werden, insbesondere in abgelegeneren Gebieten. Die LKW-Fahrer des Gipswerkes fühlen sich jedoch von ihrem Chef überwacht und sind von diesem angehalten, keine Tramper mitzunehmen.
Schließlich erreichen wir das schattige Badeörtchen Banos Morales. Jetzt müssen wir nur noch die Brücke über den Maipó nehmen, danach ein kurzer Gegenanstieg und bald schon treffen wir, erschöpft, aber glücklich und froh, im duftenden Paradiesgarten des Refugio Lo Valdes ein. Ohne Frage, dass wir uns am heutigen Abend im Refugio einer Fressorgie hingeben, dass sich das Tischlein zu biegen beginnt :-))!
15.12.2010
Uns verbleibt noch etwas Zeit nach dem Frühstück. Andy hat sich bereit erklärt, uns nach Santiago mitzunehmen. Ich verweile ein wenig in der lauschigen Morgensonne vor dem Refugio, schaue dem Hausmeister (so haben wir den liebenswerten älteren chilenischen Mitarbeiter getauft, der für alles Mögliche und Unmögliche in und ums Haus zuständig ist) zu, wie er mittels einer Glasscherbe einen Tisch abschleift. Das Refugio inmitten seiner erholsamen Umgebung ist eine wahres Idyll. Ich blicke über die Baumwipfel hinweg hinüber zum Talabschluss des Valle Morado, einem Tal, welches vom chilenischen Staat zum Nationalparkstatus erhoben wurde: mit bulliger Breite posiert dort oben der Cerro San Francisco (4340 m), rechts davon erhebt sich der westseitig fast senkrecht aufsteilende Gipfelaufbau des Morado. Das Refugio selbst fügt sich malerisch mitten in einen kleinen Zypressenhain, in dem auch zahlreiche andere Pflanzen und Bäume gedeihen. Einem Garten Eden gleich, plätschert sogar ein künstlicher Wasserfall im Hof der Hütte in ein kleines Bassin herab. Einziger unschöne Fleck in dieser Umgebung ist die nahe Umladestelle des Gipswerkes. Eine schlechte Nachricht ereilt uns: Vor wenigen Tagen ist ein 20-jähriger chilenischer Kletterer an der nahen Placa Roja von einer herabstürzenden Felsplatte tödlich getroffen worden.
Der Busbahnhof San Borja in Santiago befindet sich inmitten eines riesigen Einkaufskomplexes. Ein komplettes Stockwerk ist nur mit Esslokalen belegt. Leider - und wie wir auch in der Folge noch feststellen werden - ist Chile bezüglich Kullinarischem sehr fastfoodlastig. Auch wenn man häufig Fastfood chilenischer Art, vor allem die leckeren Churrascos erhält, wird das alles auf die Dauer recht eintönig. Um Lokale mit ursprünglicher, typischer Landesküche ausfindig zu machen, scheint man sich geradezu bemühen zu müssen, oder man lässt sich von Chilenen nach Hause einladen ... ;-)
16.12.2010
Wir fahren über Nacht. Als es hell wird, schiebe ich den Vorhang des Busfensters zurück. Die Szenerie hat sich geändert. In der Gegend von Santiago schien es für mitteleuropäische Verhältnisse sicher auch schon recht trocken und etwas karg, dennoch boten die Hügel und Täler dort unterschiedlich starken Pflanzen- und Baumbewuchs. Auch Weinreben sahen wir, und auf der Strecke zwischen Santiago und dem Cajón de Maipó bietet sich dem Auge sogar eine großartige Üppigkeit an subtropischer Botanik. Hier ist es nun anders. Steppe oder Halbwüste, zwischen ockerfarbenem Sand und Steinen subsistieren nur noch struppige und dornige Büsche.
Copiapó ist das Bergbauzentrum der südlichen Atacama. Die 100.000-Einwohner-Stadt wäre wohl vom Rest der Welt weiterhin unbemerkt geblieben, wären da nicht im August diesen Jahres 33 Minenarbeiter mehr als 60 Tage lang zunächst verschüttet geblieben und anschließend in einer spektakulären Rettungsaktion ans Licht der Oberwelt zurückgeholt worden. In jener Zeit herrschte Trubel in der Stadt, Fernsehteams aus aller Herren Länder besetzten sämtliche Hotels der Stadt und ließen die Preise ins Astronomische hinaufschnellen. Damit ist es zur Zeit unserer Ankunft glücklicherweise vorbei und wir sollen Copiapó als eine ganz normale, typisch chilenische Stadt kennenlernen. Der Großteil der Touristen, die sich hierher verirren, sind vom Genre her Bergsteiger, die meisten von ihnen zieht es zum Landeshöchsten Ojos del Salado. Dem nicht genug, ist der Ojos ein mehrfacher Rekordhalter: höchster aktiver Vulkan der Erde, und alles Weitere an zweiter Stelle nach dem Aconcagua, also Zweithöchster des amerikanischen Doppelkontinents, Zweithöchster der westlichen Hemisphäre und der Südhalbkugel, Zweithöchster außerhalb Asiens, Zweithöchster der Anden.
Eine aus dem "Footprint Chile" herausgepickte Unterkunft ist leider belegt, weshalb wir auf Empfehlung in das Residencial Rodriguez ausweichen. Dieses ist ein für diese Preisklasse typischer, einstöckiger Kolonialbau mit Patio, also Innenhof. Dort ist ein Weihnachtsbaum aufgestellt, der uns im chilenischen Sommer an das bevorstehende Fest erinnert. Wäre eigentlich ganz nett, wenn´s hier nur ein bißchen sauberer wäre ... Doch wir bleiben nicht lange. Nach dem Frühstück an der Plaza Mayor suchen wir unverzüglich das Büro von Aventurismo in der Calle Atacama auf. Mit dessen Inhaber Maximiliano Martinez hatte ich bereits von Deutschland aus regen E-Mailverkehr. Es ist vorgesehen, dass wir uns von Aventurismo den Transport zur Laguna Verde, bzw. weiter zum Refugio Atacama, bewerkstelligen lassen. Maximiliano hatte allerdings auf eine Überweisung der Kosten von 1000 US-Dollar bestanden, sobald wir in Chile seien. Dies haben wir nicht gemacht und haben somit auch keine Reservierung. Zuerst erschreckt man uns im Aventurismo-Büro. Vor Dienstag, also in 5 Tagen, sei kein Transport möglich. Das ist für uns unannehmbar, denn bis dahin wäre unsere Akklimatisierung wieder beim Teufel, und wir geräten zudem noch in Zeitnot für unsere Unternehmung. Doch Maximilianos sehr nette und kommunikative Ehefrau hat eine Lösung parat. Sie ruft einen Bekannten an. Carlos trifft nach etwa einer halben Stunde im Büro ein, gibt ebenfalls Terminprobleme vor. Wenn wir nicht bis Samstag warten wollten, dann müssten wir heute frühnachmittags noch fahren. Kein Problem für uns, im Gegenteil, und als Carlos zur vereinbarten Zeit seinen schweren Allradchevi vor unserer Pension parkt, werfen wir die gepackten Rucksäcke hinten rein und ab geht´s zum Jumbo-Supermarkt am Rande der Stadt, wo wir uns für 12 Tage mit Lebensmitteln und sonstigen Dingen eindecken, die wir in der abgelegenen Wildnis der Atacama-Wüste benötigen werden. Dazu gehören auch 120 Liter Mineralwasser, denn es gibt dort draußen kein trinkbares Wasser. Die Atacama gilt als die tockenste Wüste der Erde. Hier an ihrem Südrand ist sie es allerdings noch nicht. Immerhin existieren hier mehrere Lagunen, so die Santa Rosa, oder etwa die Laguna Verde, an der wir sozusagen unser Basislager beziehen werden. Selbst aus den Gletschern des Ojos del Salado fließen Bergbäche herab. Jedoch: das Wasser der Lagunen ist komplett versalzen, und das der Bäche ist sandig und soll obendrein noch arsenhaltig sein, was allerdings nicht mit menschlicher Umweltverschmutzung, sondern vermutlich mit dem Vulkanismus zu tun hat.
Das Permit zur Besteigung des Ojos del Salado kostet aktuell 160 US-Dollar pro Nase. Aventurismo hat vom Staat die Lizenz zur Ausstellung des Permits und zum Einzug dieser Gebühr erworben, und man zahlt das Geld somit an die Agentur. 12 Tage hat das Papier Gültigkeit, und dies ist der Grund, warum wir unsere Vorräte für diesen Zeitraum angelegt haben. Sollten wir früher schon am Berg erfolgreich sein, dann wollen wir die übriggebliebenen Sachen einfach verschenken. Ist sozusagen Teil der Kalkulation ;-). Der Karren ist schließlich gut beladen, wir haben uns beim Einkauf nicht lumpen lassen, und Carlos konnte jede Menge Rabattpunkte auf seine Einkaufskarte verbuchen :-)). Sogar frisches Obst ist mit an Bord. So gesehen wird es uns dort oben am Ojos nicht schlechter gehen, als mir vergangenen Januar am Aconcagua, als ich mich in die Verpflegung von Aymara eingekauft hatte und von denen bestens bewirtet wurde.
Nach einer dreieinhalbstündigen Wüstenralley quer durch die Atacama - unser Carlos ist gefahren, wie eine verrücktgewordene Wildsau - erreichen wir das Idyll der Laguna Verde auf 4350 Metern Meereshöhe. Während der Fahrt wird einem eigentlich nicht wirklich bewußt, dass man derart immense Höhenunterschiede überwindet und wir können es somit kaum glauben (wohl aber wissen wir es ;-)), dass wir uns seit unserem Start auf vielleicht 600 Metern in Copiapó so weit hinaufkatapultiert haben.
Vom ersten Augenblick an sind wir entzückt von diesem zauberhaften Ort. In atemberaubendem türkisgrün schimmert dieser prächtige See inmitten einer kargen, grenzenlos erscheinenden Bergwüste. Die Strände sind schneeweiß vom dort abgelagerten Salz, an den Ufersäumen dampfen heiße Thermalbecken, welche den erschöpften Bergsteiger für ein abendliches Entspannungsbad in Badewannentemperatur erwarten. Die den See umgebende Wüste ist aber auch schon eine Besondere. Die Zutaten können wir folgt beschrieben werden: Lavagestein, Vulkanasche, Salz, Eis. Es ist verrückt, mitten in der Wüste sogenannte Penitentes, also Eisfelder mit einer speziell geformten Oberfläche, wie man sie übrigens nur hier auf der Südhalbkugel antrifft, auszumachen. Vollkommen kahle, dennoch oft auf ihren Südseiten vergletscherte Bergriesen tragen das ihre bei zur Erschaffung eines bizarren Landschaftsbildes, das Seinesgleichen auf Gottes Erden sucht. Allesamt sind sie entweder bereits erstarrte oder aber auch noch aktive Vulkane. Sogar Minivulkane in Form fabrikschlotartiger Hügel erheben sich an vielen Stellen aus dem gräulich- ockerfarbenen Wüstenboden und vervollständigen den Eindruck einer Mondlandschaft.
Carlos parkt sein Fahrzeug vor dem kleinen Refugio am Ufer der Laguna Verde, wo sich auch verschiedene durch Steinmäuerchen vor dem scharfen Wind geschützte Zeltplätze, sowie zwei Doms, also Großzelte von Aventurismo, befinden. Wir werden herzlich von Mario, dem Kappo vor Ort im Namen von Aventurismo, empfangen. Mario ist zur Hauptsaison zwischen November und März kontinuierlich anwesend, meist begleitet von einem bis drei Mitarbeitern. Sie sind für die Administration an der Laguna Verde und den Hütten Murray, Atacama und Tejos zuständig. Mario ist mir vom ersten Augenblick an äußerst sympatisch, seine und die Hilfsbereitschaft seines Teams kann ich im Nachhinein nicht weit genug in den Himmel hineinloben :-)! Da Mario derzeit keine Gruppen fürAventurismo zu betreuen hat und nur wenige andere Bergsteiger vor Ort sind, dürfen wir uns in einem der beiden Dome einrichten. Unsere Nachbarn sind zwei argentinische Bergführer, die ein amerikanisches Pärchen auf den Gipfel führen wollen. Trifft sich gut, dass die beiden aus Mendoza kommen, so kann ich gleich einen Gruss dorthin schicken, zu meinem Freund Gordo, ebenfalls mendozinischer Bergführer. Unter anderem habe ich es auch einem guten Ratschlag von ihm zu verdanken, dass ich im Januar am Aconcagua erfolgreich war.
Abends wollte ich nur mal schnell ins Refugio, Mario was fragen. Wir werden sogleich zu Tisch geladen. Auch eine Gruppe von drei Mexikanern ist anwesend, mit denen wir uns auf Anhieb glänzend verstehen. Die Nächte hier sind wüstentypisch: steinkalt, überwölbt von einem Sternenhimmel, als hätte der Herrgott die Saat des Universums frisch ausgeworfen :-))! Dazu noch spiegelt sich das fahle Hell des Mondlichts in der wie ein dunkler Spiegel sich unterm Himmelszelt ausbreitenden Lagune.
17.12.2010
Da das Dom ein paar unangenehm luftdurchlässige Öffnungen hat, haben wir einfach unser Zelt im Zelt aufgestellt und auf diese Weise eine warme und windgeschützte Nacht verbracht. Der Mulas Muertas ist ein Berg mit 5897 Metern Höhe und unmittelbar von der Laguna Verde aus besteigbar. Er bietet somit nochmals ideale Akklimatisationsmöglichkeiten. Wir wollen es heute nur bei einer Vorbegehung, wennmöglich bis zum Punkt 5305 der Alpenvereinskarte belassen. 11 Uhr morgens ist eine späte Aufbruchszeit, starker Wind dann so gut wie garantiert. Der setzt uns denn auch gleich von Beginn an zu. Unterwegs kommen uns die Mexikaner, mit Sturmhauben und Mützen völlig vermummt, entgegen. Sie wurden von Romina, der jungen, bildhübschen Gehilfin von Mario begleitet. Aber der eigentliche Kopf der Truppe ist Salvador, genannt Chava. José, genannt Pepe und seine Ehefrau Nancy haben ihn als eigenen Bergführer aus Mexiko mitgebracht. Die Gruppe hat nach dem Ojos auch noch einen Versuch am Aconcagua im Sinn. Wenn man bedenkt, dass Pepe bereits den 60er auf dem Buckel hat, und Nancy und Chava vermutlich nicht mehr allzu weit davon entfernt sein dürften - Hut, äh, Sombrero ab!
Es gelingt uns tatsächlich, den garstigen Winden zu trotzen und auf diese Weise den Punkt 5305, praktisch den ersten von zahlreichen weiteren Vorgipfeln des Berges, zu erreichen. Ergreifend ist der Ausblick auf die türkisgrüne Laguna Verde tief unter uns, welche ihrem Namen wahrlich gerecht wird. Indes, die Lagune wechselt im Laufe des Tages ihre Farbe. Am frühen Morgen erstrahlte sie noch in tiefstem Azurblau. Den Ojos kann man von hier aus noch nicht sehen, dafür aber weitere Grenzberge mit Argentinien, wie etwa den eleganten Incahuasi (6623 m), oder den Cerro San Francisco (6018 m). Neben diesem führt der Paso San Francisco (4747 m) nach Argentinien hinüber. Es ist dies die Fortsetzung der Straße, auf welcher wir an die Laguna Verde gelangt sind. Eine neue Straße ist derzeit parallel zur alten in Bau, die schlußendlich auch eine Asphaltdecke erhalten soll. Drüben in Argentinien soll die Straße bereits geteert sein. Dann wird die Anfahrt hierher sicher schneller und bequemer, verliert dann aber wohl auch etwas von ihrem abenteuerlichen Charme. Im Gesamtwerk soll jedenfalls eine Straßenverbindung vom Pazifik zum Atlantik entstehen.
18.12.2010
Um 5.10 verlassen wir unser Lager an der Laguna Verde. Diesmal wollen wir zum Hauptgipfel des Mulas Muertas vordringen. In der Dunkelheit ist es noch beißend kalt, doch wir kommen zügig voran, die Orientierung an diesem Berg ist vergleichsweise einfach, selbst ohne Vorbegehung hätte ich kaum Zweifel an der Aufstiegsrichtung. Um 11 Uhr sind wir wieder am Punkt, den wir gestern schon erreicht hatten. Das Erreichen des Hauptgipfels gestaltet sich mühevoller, als gedacht. Es sind wohl ein halbes Dutzend Vorgipfel zu überschreiten, bis man endlich auf dem höchsten Punkt des Berges steht. Bei meiner Ankunft dort erspähe ich eine Erhebung in der Nachbarschaft, wobei mich Zweifel befallen, ob der dort drüben nicht doch noch etwas höher sein könnte. Um sicher zu gehen, reisse ich mich nochmals zusammen und marschiere hinüber. Mein Höhenmesser gibt mir haargenau die gleiche Höhe, wie auf dem vorhergehenden Gipfel. Weiter entfernt erheben sich weitere Gipfel, doch diese sind alle niedriger, dessen bin ich mir sicher. Ich gehe zurück zum vorherigen Punkt, wo kurz danach auch Valerij eintrifft. Von hier aus bietet sich uns eine exzellente Aussicht hinüber zum Ojos. Anwandlungen des Respekts überkommen uns beim Anblick dieses mächtigen, massigen Kolosses, der mit seiner imponierenden Erscheinung alle umliegenden Berge zu Vassallen degradiert. Dennoch ist für mich schon einsehbar, dass er technisch keine Probleme aufwerfen wird (man weiß das selbstverständlich auch schon vorher ;-)). Mir erscheint dieser Berg seltsam, einzigartig. Seine graue Grundierung ist mit einem schmutzigen Weiß überzogen - Vulkanasche, vermischt mit Sand.
Mit dem Mulas Muertas haben wir ebenfalls einen Vulkan bestiegen, allerdings einen unaktiven, einen sogenannten kalten. Doch seine vulkanischen Wurzeln kann uns auch dieser Berg nicht verhehlen. Das Gewirr von verschiedenen Erhebungen in seinem Gipfelbereich weist auf einen Kraterrand, bzw. auf erkaltete Schlote hin. Unter uns schimmert eine Minilagune, deren Ufer mit einem kleinen Penitenteseisfeld gesäumt ist. Auch deren Entstehung führe ich auf vulkanische Tätigkeit zurück. Hinter Felsen vor Wind geschützt halten wir es relativ lange auf dem Gipfel aus, züchten hier oben sozusagen rote Blutkörperchen :-))! Nachdem ich um 12 Uhr den Gipfel erreicht habe (Valerij vielleicht ein halbe Stunde später), beginnen wir um 13 Uhr mit dem Abstieg. Gegen 14.15 h legt dann der Wind los, brüllt uns richtiggehend an. Glücklicherweise geht der Abstieg über die ausladenden Schotterfelder rasch und unschwierig von sich.
An der Laguna Verde angekommen, nehme ich ein Bad in einem der Thermalbecken am Seeufer. Was für eine Wonne! Den Körper entspannt in auf Badewannenniveau temperiertem Wasser eingetaucht, liege ich auf Algen gebettet, der Wind pfeift mir über den Kopf hinweg und hinter mir rauschen die von den Böen aufgebauschten Wellen wie Meereswogen ans Ufer. Als ich an der Lagune ankam, war ich so ziemlich platt und am Ende meiner Kräfte. Aus dem Thermalbad steige ich dann wie ausgewechselt heraus. Wir lassen uns bei Mario noch den Sauerstoffsättigungsgehalt unseres Blutes messen. Beide haben wir 85. Das ist hervorragend, und somit steht einem Wechsel morgen aufs 5200 Meter hoch gelegene Refugio Atacama nichts mehr im Wege!
19.12.2010
Um 10 Uhr ist Marios Auto beladen und wir rollen an zur Fahrt hinauf ins Refugio Atacama. Für diese Strecke ist dann tatsächlich ein Allradfahrzeug unabdingbar, denn wir werden unterwegs von riesigen Schlaglöchern durchgerüttelt und der 4x4 wühlt sich durch tief eingewehte Sandpisten. Die Mexikaner sind schon vor Ort, sind gestern bereits eingetroffen. Das Lager befindet sich direkt am Fuß des Ojos. In unmittelbarer Nachbarschaft erhebt sich noch der gleichfalls eindrucksvolle El Muerto (6488 m). Hier am Südrand des Altiplano finden sich 14 Gipfel, welche die 6000er-Marke übertreffen. Nirgendwo sonst in der gesamten Andenkette findet man so viele hohe Berge auf einen Haufen. Allerdings gehören diese Gipfel bergsteigerisch betrachtet allesamt zu den sogenannten "Leichteren". Wenngleich auch vergletschert, lassen sich die Dimensionen der Vergletscherungen in keiner Weise mit denen etwa in der peruanischen Cordillera Blanca, der bolivianischen Cordillera Real, oder etwa anderen Gebieten im Süden Chiles und Argentiniens vergleichen. Das Land Chile kann auf 38 Gipfel über 6000 Metern Höhe verweisen, die meisten davon teilt man sich mit den argentinischen Nachbarn, da es sich um Grenzberge handelt.
Eigentlich war vorgesehen, dass wir unsere Übernachtungshöhe noch zwei- allenfalls dreihundert Meter übersteigen werden, doch es läuft so gut, dass wir uns schließlich und endlich vor der schweren Eisentür des Refugio Tejos auf 5825 Metern Höhe wiederfinden. Wir inspizieren somit schon mal unsere spätere Unterkunft, welche wir aber erst am Tag vor unserem Gipfelversuch beziehen wollen, und worin wir dann auch nicht mehr als nur eine kurze Nacht zu verbringen gedenken.
Die Biwakhütten Refugio Atacama (richtiger Name: Refugio Universidad de Atacama) und Tejos sind im Übrigen nicht zwecks Besteigung des Ojos del Salado errichtet worden. Einst ist überhalb vom Tejos ein Hubschrauber abgestürzt. Um das teuere Fluggerät wieder bergen zu können, wurden die beiden Hütten errichtet. Cesar Tejos lautet der Name des damals tödlich verunglückten Piloten. Das Murray, welches sich neben der Piste auf dem Weg zwischen der Laguna Verde und dem Refugio Atacama befindet, ist indes eine ehemalige Polizeistation, gleichwohl auch das Refugio an der Laguna Verde.
20.12.2010
Ich habe die Nacht im Messezelt zugebracht, während Valerij mit den Mexikanern im benachbarten Dom geschlafen hat. Fakt war, dass es mir zwar im Schlafsack schön warm war, ich aber irgendwie spürte, dass es rings um mich herum sackkalt war. Dann noch die zahlreichen Toilettengänge ... Man ist in diesen Höhen gezwungen, weitaus mehr zu trinken, als unter normalen Umständen. Ein vermehrter Harndrang ist zudem noch ein natürlicher Vorgang im Körper in großen Höhen. Das Ganze ist also in gewisser Hinsicht ein Teufelskreis.
Sämtliche Wasserflaschen sind am folgenden Morgen eingefroren, kein Wunder bei minus 15 Grad! Aber wir sind ja schlau, haben am Vorabend kochendes Wasser in unsere Thermoskannen gefüllt, und zusätzlich noch das Kochgeschirr mit Wasser gefüllt, sodaß man dieses nur noch auf den Kocher zum Auftauen stellen muss. Somit sind der Frühstückskaffee und ein warmes Müsli gesichert :-).
Durch eine Fehlmessung am frühen Morgen werden bei Valerij schlechte Sauerstoffsättigungswerte festgestellt. Das lag daran, dass seine Finger noch zu kalt waren. Ich selbst fühle mich etwas unwohl und schlage meinem Freund einen Ruhetag vor. Gesagt, getan, und somit lungern wir den lieben, langen Tag im Lager herum, Essen, Trinken, Ruhen, Schlafen, Lesen, Plaudern ....
Ein südafrikanisches Pärchen ist heute eingetroffen, sie sind mit den Fahrrädern von Argentinien her gekommen, haben zwischendurch mal im Murray übernachtet. Ojos by fair meanings, auch eine Idee, die mir gefallen hätte ;-)!
21.12.2010
Es ist an der Zeit, wir werden heute zum Tejos aufsteigen und morgen in Allerherrgottsfrühe den Gipfel versuchen. Mit von der Partie ist der chilenische Bergführer Rodney, welcher wiederum den australischen Pfarrer Morgan Batt betreut. Morgan ist ein besonderer Pfarrer. Von Rodney wird er liebevoll "cura loco", also "verrückter Pfarrer", genannt. Morgan verfolgt ein besonderes Projekt: in jedem Land der Erde möchte er den höchsten Punkt oder Berg besuchen, um dort eine Heilige Messe zu zelebrieren. Er hat sogar einen Sponsoren. Ich persönlich finde den Gedanken außerordentlich erquicklich, auf dem Gipfel des Ojos del Salado gemeinsam mit einem verrückten katholischen Bergsteigerpriester und einem noch verrückteren chilenischen Bergführer eine heilige Messe feiern zu können :-)!
Den Aufstieg zum Tejos zögern wir bis in den späten Nachmittag hinaus. Wir möchten uns so kurz als möglich in jener Höhe aufhalten. Auf 5800 Metern bestehen für uns kaum noch Chancen auf Erholung, diese ist uns aber zumindest in gewissem Maße noch auf 5200 vergönnt. Um 15.30 h brechen wir auf. Wir gehen sehr langsam, unser Gepäck ist recht schwer, und wir möchten auf alle Fälle vermeiden, dass es uns den Puls unnötig in die Höhe treibt. Nach 3 Stunden Gehzeit erreichen wir das Refugio. Ich fühle mich wohl im Tejos, genieße unseren gemeinsamen Aufenthalt mit Morgan und Rodney dort oben. Zu viert sitzen wir abends beieinander am kerzenbeleuchteten Tisch, kochen, essen, erzählen, machen Witze. Nur die Nacht dort oben bekommt mir nicht, fast schon erwartungsgemäß. Es ist nicht so, dass sie schlaflos wird, vielmehr abgehackt, ich wache ständig auf, und wenn ich schlafe, dann suchen mich seltsame, unangenehme Träume heim.
22.12.2010
Um drei Uhr morgens wird es ernst. Wir stehen auf, um das Frühstück zuzubereiten. Morgan hat sich gestern abend schon nicht wohl gefühlt, und so kommt, was ich befürchtet habe: unsere beiden Freunde können uns nicht begleiten, wir werden heute allein am Berg unterwegs sein. Ich wundere mich noch, warum denn Rodney nicht schon längst wieder seine Stirnlampe gelöscht und sich in den warmen Schlafsack gekuschelt hat. Stattdessen scheint er auf etwas zu warten. "Wir werden gleich abhauen, dann hast du wieder deine Ruhe" raune ich ihm noch wohlwollend zu, doch er winkt ab. Als wir dann kurz nach 4 die Hütte verlassen wollen, bittet er uns, noch einen kleinen Augenblick zu warten. Er tritt gemeinsam mit uns vor die Hüttentür und eröffnet uns, dass wir vor unserem Aufbruch gemeinsam die aus den Mythen der Incas stammende Muttergöttin der Erde, Pachamama, und den Berg Ojos del Salado um unsere wohlbehaltene Rückkehr bitten werden. Dazu geben wir der Erde ein Opfer, indem Rodney ein Loch gräbt, und eine Opfergabe hineinschüttet, während er sich mit bittenden Worten an Pachamama und an den Ojos wendet. Ich finde diese Zermonie wunderschön und danke Rodney von Herzen dafür. Dann wird es Zeit für uns, in die unwirtliche Kälte der Nacht zu entschwinden, dem Gipfel des Volcán Ojos del Salado entgegen! Im Nachhinein sollen wir erfahren, dass auch Morgan, der seine Messe dann nur wenige Stunden später hier am Tejos hielt, diese für uns zelebrierte, indem auch er Gott um unsere sichere Rückkehr bat. Bei so viel göttlichem Segen sollte dann eigentlich nichts mehr schiefgehen ;-)!
Von Beginn an fühle ich mich unwohl. Völlig übermüdet, apatisch. Ich spüre sogleich, dies wird ein harter Tag werden, ganz sicher vergleichbar mit dem damals am Aconcagua. Der Vollmond und ein sternenklarer Himmel erübrigen das dauerhafte Einschalten der Stirnlampen. Es ist schweinekalt, und ich sehne mir die Sonne herbei. Vielmehr noch aber ersehne ich den Abend dieses voraussichtlich langen und qualvollen Tages. Doch das ist Bergsteigen, nicht immer geht es lustig zu, und will man ehrgeizige Pläne tatsächlich umsetzen, dann muss man sich allzu oft gehörig dafür reinhängen. Es wäre ein Leichtes, jetzt einfach umzukehren und in den warmen Schlafsack zurückzuschlüpfen und somit dem ganzen Graus aus dem Weg zu gehen. Leicht sind auch irgendwelche Vorwände gefunden, mit denen man ein solches Verhalten vor sich und vor anderen rechtfertigen kann. Im Moment würde dabei sicher erst nur ein Gefühl der Erleichterung über einen solchen Entschluss dominieren. Doch was käme danach? Ich würde über Jahre hinweg darüber sinnieren, warum ich so schwach war, am Ojos ohne driftige Not zu versagen. Es gibt Momente im Leben, wo man gezwungen ist, das große Ziel über die eigenen momentanen Gefühle zu stellen. In jenen Momenten ist es einem ob der präsenten Plagen kaum oder gar nicht möglich, die objektive Nötigkeit des Handelns einzusehen, diese Nötigkeit scheint vorübergehend nicht existent. Aber man kennt sich selbst und handelt dann instinkiv in seinem Sinne. Wer das nicht kann, wird Träume von hohen Bergen nie verwirklichen können.
Die Sonne geht auf, und mit ihr setzt der Wind ein. Und zwar gehörig. Es ist das, was mir am Aconcagua erspart geblieben ist. Aber auch das, was Aconcagua und Ojos in ihrem Ruf als besonders harte Berge ausmachen. Nur im Moment will ich davon nichts wissen, wünsche mir die bequemere Variante ohne Wind herbei. Die Freude und das Gloria darüber erleuchten bekanntlich erst im Nachhinein, wenn alles ausgestanden ist. Wir sind schließlich gezwungen, uns unsere Sturmhauben überzuziehen. Die Lungen bekommen ohnehin in diesen Höhen zu wenig Sauerstoff, und unter der Sturmhaube verstärkt sich das Gefühl von Atemnot. Aber ich bin gewarnt. Habe mir vor wenigen Jahren an der Weißkugel die Nase angefroren, ohne dass ich es zunächst gemerkt habe. Ganz zu schweigen von dem Drama, als ich mir damals im Oberhalbstein sämtliche Zehen erfroren hatte. Nur mit viel Glück, und dank der Hilfe meiner Freunde blieb ich von Amputationen verschont.
In steilem Schutt arbeiten wir uns parallel zu einem Penitentesgletscher empor, den wir zum Schluß obenherum umgehen und somit eine Diagonale zu einer Bergschulter unterhalb der Kraterfelsen ziehen. Ist diese Bergschulter erreicht, so lässt es sich problemlos ins Innere des Kraters eintreten. Der Pfad führt nun im Halbkreis unter der Felsbegrenzung hindurch. Anders als beim San José ist dieser Krater wie mit einem Deckel von einem Eisfeld bedeckt. Auch hier liegt Schwefelgeruch in der Luft, allerdings bei Weitem nicht so intensiv, wie am San José. Ein schuttiges, steiles Couloir zieht hinauf zu mit Fixseilen versehenen Felsen. Das Couloir scheint mir persönlich die grausigste Passage in der gesamten Ojos-Besteigung zu sein. Man setzt seinen Fuß auf einen Felsblock und es kann passieren, dass sich prompt der halbe Hang unter einem löst. Hier muss man wirklich auf seine Mitstreiter unter sich aufpassen. Ich sehe Valerij glücklicherweise auf der anderen Seite emporklettern, noch dazu in gebührendem Abstand zu mir. Hier im Couloir scheinen mir die Qualen unendlich. So nah ist das Fixseil, und dennoch so fern! Mir geht es jetzt schon so, wie damals im Filo del Guanaco am Aconcagua, ich meine, ich muss gleich umfallen vor Anstrengung und Erschöpfung! Fast völlig entkräftet am Fixseil angelangt, erwartet einem dort eine 2er-Kletterei. Gemeinhin wird dieser Kletterpart als die Schlüsselstelle am Ojos angesehen, aber das ist individuelle Empfindungssache. Für meinen Geschmack ist diese letzte Kletterpassage unterm Gipfel das Sahnehäubchen am Berg. Sie ist für geübte Kletterer unschwer zu bewerkstelligen, sogar noch in gutem, festem Fels, garniert mit einer kurzen, aber ziemlich ausgesetzten Stelle. Das Schuttcouloir finde ich persönlich schlimmer.
Leider ist mir gerade mal überhaupt nicht nach Genuß zumute, ich will nur hoch, endgültig den Gipfel erreichen. Dort, wo der Fels wiederum brüchig wird, reduzieren sich die Schwierigkeiten schließlich auf 1. Nur noch wenige Meter, dann stehe ich auf dem Gipfel des Ojos del Salado.
Diesmal bleibt der Wahnsinnsbrüller à la Aconcagua aus, reduziert sich auf einen kurzen, halblebigen Juchezer, der eher Erleichterung, als Euphorie signalisiert. Die Aussicht ist gewaltig, emotionslos und fast schon automatisiert schieße ich ein Bild nach dem anderen in die Runde, in der Vorahnung, dass dies im Nachhinein Bedeutung haben könnte. Auf der anderen Seite des Schuttcouloirs befindet sich übrigens der argentinische Gipfel, der ein paar Meter niedriger sein soll, als der chilenische. Wenn überhaupt, groß scheint mir der Unterschied nicht zu sein. Unter einem Felsbrocken finde ich einen Metallkoffer mit dem Schriftzug "Banco de Chile". Einen solchen Koffer mit gleicher Aufschrift findet man laut Rodney auf jedem 6000er Chiles. Ich öffne den Koffer und trage unsere beiden Namen ein, in der vertrauenden Gewissheit, dass auch Valerij es bis auf den Gipfel schaffen wird. Eine Weile labe ich mich noch an der umfassenden Aussicht, dann klettere ich ein kleine Stück zurück, um zu sehen, was Valerij macht. Auch er meistert die Zweier-Stelle und steigt an mir vorbei auf den Gipfel, während ich am Ausstieg der 2er-Passage verharre und dort auf ihn warte. Ich bin fix und fertig. Im Ruhezustand verfalle ich laufend unmittelbar und unkontrolliert in Sekundenschlaf, mit der Konsequenz von starken Hypoxieanfällen, die mich blitzschnell wieder aus dem Dämmerzustand herausreißen und mich dann wie ein Erstickender nach Luft schnappen lassen. Diese Sache ist äußerst unangenehm, die Ruhepausen sind somit keine Ruhepausen mehr. Ich bin gottfroh, als Valerij endlich wieder zurückkommt und wir absteigen können. Ein wenig nervös bin ich noch, sehe die Sache erst in trockenen Tüchern, wenn wir die Kletterpassage wieder durchstiegen haben und auch das steinschlagträchtige Couloir hinter uns liegt. Vorher will ich noch keinen Funkspruch an Mario abgeben.
Wir finden uns schließlich wohlbehalten am Kraterrand wieder. Valerij benötigt dringend eine Pause, auch er ist schwer gezeichnet von den Strapazen. Ich halte diese Pausen hier oben nicht mehr aus, die Hypoxieanfälle treiben mich zum Wahnsinn, weshalb ich Valerij bedeute, dass ich so schnell als möglich runter muss. Ich gebe noch kurz die Nachricht unserer heilen Rückkehr vom Gipfel an Mario durch und beginne mit dem Abstieg. Dieser scheint zwar ums hundertfache leichter, als der Aufstieg, aber der enorme Erschöpfungsgrad lässt auch die Rückkehr nochmal zu einem Kampf werden. Etwa drei Stunden nach Beginn unseres Rückzugs vom Gipfel erreiche ich Tejos. Valerij ist nun zwar weit zurückgefallen, aber ich kann ihn sehen und schließe eine Gefahr für ihn aus.
Im Tejos sind einige Personen versammelt. Das südafrikanische Pärchen ist zwecks Depotanlegung hier, die beiden argentinischen Bergführer wollen morgen mit ihrem Amerikaner (dessen Frau ist wegen Höhenproblemen bereits abgereist) den Gipfelversuch starten, und dann ist da noch ein belgisches Pärchen, die zunächst einmal zur Akklimatisation heraufgekommen sind. Sie alle haben viele Fragen an mich. Ich kann kaum noch Antwort geben, meine Stimme ist so heiser, dass ich krächze, wie ein Rabe, der Kopf dröhnt immer noch, obwohl ich hier im Tejos schon wieder deutlich tiefer bin. Ich entschuldige mich bei den Leuten, möchte mich erst einmal für ein Weilchen aufs Ohr legen. Nach einer halben Stunde, während der ich zwar nicht richtig schlafen, aber wenigstens ruhen konnte, und während der ich von stärkeren Hipoxieanfällen verschont blieb, kehre ich in den Aufenthaltsraum zurück. Kurz danach trifft Valerij ein. Wir pausieren noch ein wenig und packen schließlich unsere Rucksäcke auf, um gen Refugio Atacama abzusteigen. Während dieses Abstiegs fühle ich mich schon deutlich wohler, kann mich jetzt sogar an der herrlichen Frühabendstimmung über der sich unter uns weit ausbreitenden Atacama-Wüste erfreuen.
Unten im Atacama erwartet uns ein herzlicher Empfang. Mario, die hübsche Romina und eine Gruppe neueingetroffener Brasilianer, die uns so aufgeschlossen und offen gegenübertreten, als wären wir schon längst die besten Freunde, überhäufen uns mit Umarmungen und Glückwünschen. Mario suggeriert, uns in Kürze hinunter zur Laguna Verde fahren zu können. Wir nehmen dankbar an, freuen uns auf erholsame Stunden am Ufer einer der wundervollsten Lagunen auf Gottes Erden :-). Auch unsere Freunde Morgan und Rodney werden dort sein.
Wir werden diesmal direkt im Refugio übernachten. Von Mario und Romina, die heute übrigens ihren 28. Geburtstag feiert, müssen wir Abschied nehmen, sie werden jetzt noch nach Copiapó fahren. Es sind dann außer uns Vieren keine weiteren Gäste mehr an der Lagune anwesend. Wir benützen das Thermalbecken, welches sich im Inneren des Refugios befindet. Aah, eine Wohltat, und anschließend ein gepflegtes und gemütliches Dinner mit unseren Freunden! Kaum zu glauben, wir haben immer noch den 22.12., den Tag unserer Besteigung und fühlen uns nun plötzlich wieder putzmunter. Und jetzt ergreift sie uns mehr und mehr, die Euphorie anlässlich unserer geglückten Besteigung!
23.12.2011
Frühmorgens bleibe ich nach dem Toilettengang gebannt am Seeufer stehen ob des eindrucksvollen Bildes, welches sich vor meinen Augen entrollt: der Himmel beginnt dezent, seine azurblaue Farbe anzunehmen, am Firmament schimmert als zurückgebliebenes Relikt einer klaren und kalten Nacht immer noch die silbern glänzende Scheibe des Mondes, und unterm erwachenden Himmelsbaldachin ruht die Lagune noch still als blauer Spiegel, denn momentan regt sich noch kein Lüftchen, welches diese stoische Ruhe aufwirbeln könnte.
Um 10 Uhr, nach herzhaftem Frühstück und sorgfältigem Beladen und Verschnüren der Camioneta starten wir zur Rückkehr nach Copiapó. Am Steuer sitzt Roney, der zwar, gleichwohl wie Carlos, einen sehr rassigen Fahrstil zutage legt, sich und uns dabei aber auch Zeit lässt, anlässlich diverser Sehenswürdigkeiten am Weg für den einen oder anderen Fotostop anzuhalten, so etwa zum Heranpirschen an eine Guanakoherde, oder zur Besichtigung über 600 Jahre alter Adobe-Ruinen der Coya-Indianer. Dieser Rodney ist ein sehr ungewöhnlicher und interessanter Typ. Er weiß viel, und gleichzeitig ist er auch wissbegierig. Dazu noch verfügt er über eine gehörige Portion spontanem Humor. Wir lernen in den wenigen Tagen, während denen wir mit ihm zusammen sind, ungemein viel über Chile und die Gegend des Ojos del Salado.
Wir passieren wiederum jene seltsam versalzenen Wiesen, welche uns auf der Hinfahrt bereits aufgefallen sind, samt der darauf grasenden Esel. Rodney hat die Erklärung dafür: es handelt sich bei diesen Tieren um die verwilderten Nachkommen jener Esel, die in den Pionierzeiten des hiesigen Bergbaus als Transporttiere dienten. In dieser Gegend taucht sogar hin und wieder mal das eine oder andere, in dieser Wüstenei wie verloren und fast fehlplaziert scheinende Gehöft auf. Ich habe mich letztens schon gefragt, von was diese Leute hier draußen wohl leben. Abermals Rodney: es sind Indianer, die dort Ziegen züchten. Sicher sind sie bettelarm, aber im Gegensatz zu den Bewohnern der großstädtischen Armenviertel leben sie ohne die alltägliche Bedrohung durch Kriminalität und Drogen, inmitten einer kargen und harten, aber weitgehend unversehrten Natur, besitzen Land und bescheidenes Hofgut, und diese Einöde wird ihnen kaum jemand mal streitig machen wollen. Höchstens für einen Grund, und der heißt Bodenschätze. Allerdings sind auch hier in Chile die Zeiten der Konquistadoren und somit auch der Encomienda vorbei, die Regierung im Land ist nicht gar so korrupt und selbstgefällig, wie in anderen lateinamerikanischen Ländern, und es bestünden durchaus realistische Chancen, dass in diesem Falle die Leute hier einen angemessenen Kaufpreis für ihre Grundstücke erhalten könnten. Mit unserem schweren Allradgefährt die Staubwolke einer Viehstompede hinter uns herziehend, brausen wir strikt nach Westen, vorbei an zahlreichen Goldminen - weird scenes inside the goldmine, ride the higway west ... ;-).
Im Aventurismo-Büro in Copiapó lernen wir dann doch noch Maximiliano persönlich kennen. Ein älterer Herr, der ein für südamerikanische Verhältnisse exzellentes Englisch spricht, mit sympatischer und kompetenter Ausstrahlung. Direkt neben dem Aventurismo-Büro erhalten wir Unterkunft im "Residencial Torres" - alles sozusagen aus einer Hand, wie Valerij es treffend ausdrückt ;-). Schlicht, preisgünstig und, landestypisch für dieses Hotelgenre, in einem alten Kolonialbau mit Patio. Im Gegensatz zum "Rodriguez" ist es hier aber blitzesauber, der Besitzer wohl etwas schrullig (23.30 h ist Nachtruhe), aber freundlich.
Wir verabreden uns mit Rodney und Morgan zum gemeinsamen Abendessen in einem netten Lokal im Stadtzentrum. Unmittelbar nach dem Dinner begleiten wir Rodney zum Busbahnhof, er wird über Nacht nach Santiago fahren, Weihnachten steht vor der Tür, und die Freundin wartet dort. Morgan wird noch ein paar Tage hier in Copiapó verweilen, bevor er über Punta Arenas in die Antarktis weiterreisen wird, wo ihn sein nächstes Projekt, unter anderem Besteigung inclusive Gipfelmesse auf dem Mount Vinson, erwartet.
24.-29.12.2010
Santiago ist an den Feiertagen wie ausgestorben. Eigentlich war die eine oder andere Besteigung als Tagestour von der Stadt aus noch vorgesehen, so etwa die des Cerro Provincia oder der beiden Parva-Gipfel im Plomo-Gebiet. Doch soweit soll´s nicht mehr kommen. Nicht so schlimm, denn unser Plan ist sozusagen übererfüllt, die Besteigung des Ojos geglückt, dazu noch zwei weitere, sehr hohe Vulkanberge, einer davon sogar außerplanmäßig. Mit der Lebhaftigkeit von Buenos Aires und den Möglichkeiten, welche die argentinische Kapitale für Städteenthusiasten bietet, lässt sich Santiago sicher nicht vergleichen. Dafür ist die Vielfalt der Möglichkeiten, dem Großstadtrummel rasch mal für auch nur einen Tag zu entfliehen, sowohl hinab zur Pazifikküste, als auch mitten hinein in die gletscherstrotzende Welt der Hochanden, unvergleichlich. In Tagesausflügen besuchen wir zunächst die als UNESCO-Kulturerbe deklarierte Küstenstadt Valparaiso, Hort auch zahlreicher nationaler Schriftsteller und Künstler, und tags darauf noch Vina del Mar, dem wohl populärsten Badeort Chiles. Unsere körperlichen Aktivitäten reduzieren sich während dieser verbliebenen 5 Tage hier in Chile schwerpunktmäßig auf´s Kullinarische. Erfahrungsgemäß verliert man auf Touren, wie den jüngst zurückliegenden, locker mal 3 bis 4 Kilos, und zwar trotz der diesmal sehr guten Verpflegung, weshalb dieser Exzess uns nun eher guttut, als schadet.
Im Flugzeug verbringe ich die Nacht mit wenig Schlaf und viel Musik hören. Soeben läuft "Arde el Cielo" von Maná. Irgendjemand öffnet die Fensterluke schräg gegenüber. Tatsächlich, der Himmel glüht! Unsere Vulkane hingegen haben allenfalls tief in ihrem Inneren geglüht, denke ich noch, und das war sicher gut so :-))!
In steilem Schutt arbeiten wir uns parallel zu einem Penitentesgletscher empor, den wir zum Schluß obenherum umgehen und somit eine Diagonale zu einer Bergschulter unterhalb der Kraterfelsen ziehen. Ist diese Bergschulter erreicht, so lässt es sich problemlos ins Innere des Kraters eintreten. Der Pfad führt nun im Halbkreis unter der Felsbegrenzung hindurch. Anders als beim San José ist dieser Krater wie mit einem Deckel von einem Eisfeld bedeckt. Auch hier liegt Schwefelgeruch in der Luft, allerdings bei Weitem nicht so intensiv, wie am San José. Ein schuttiges, steiles Couloir zieht hinauf zu mit Fixseilen versehenen Felsen. Das Couloir scheint mir persönlich die grausigste Passage in der gesamten Ojos-Besteigung zu sein. Man setzt seinen Fuß auf einen Felsblock und es kann passieren, dass sich prompt der halbe Hang unter einem löst. Hier muss man wirklich auf seine Mitstreiter unter sich aufpassen. Ich sehe Valerij glücklicherweise auf der anderen Seite emporklettern, noch dazu in gebührendem Abstand zu mir. Hier im Couloir scheinen mir die Qualen unendlich. So nah ist das Fixseil, und dennoch so fern! Mir geht es jetzt schon so, wie damals im Filo del Guanaco am Aconcagua, ich meine, ich muss gleich umfallen vor Anstrengung und Erschöpfung! Fast völlig entkräftet am Fixseil angelangt, erwartet einem dort eine 2er-Kletterei. Gemeinhin wird dieser Kletterpart als die Schlüsselstelle am Ojos angesehen, aber das ist individuelle Empfindungssache. Für meinen Geschmack ist diese letzte Kletterpassage unterm Gipfel das Sahnehäubchen am Berg. Sie ist für geübte Kletterer unschwer zu bewerkstelligen, sogar noch in gutem, festem Fels, garniert mit einer kurzen, aber ziemlich ausgesetzten Stelle. Das Schuttcouloir finde ich persönlich schlimmer.
Leider ist mir gerade mal überhaupt nicht nach Genuß zumute, ich will nur hoch, endgültig den Gipfel erreichen. Dort, wo der Fels wiederum brüchig wird, reduzieren sich die Schwierigkeiten schließlich auf 1. Nur noch wenige Meter, dann stehe ich auf dem Gipfel des Ojos del Salado.
Diesmal bleibt der Wahnsinnsbrüller à la Aconcagua aus, reduziert sich auf einen kurzen, halblebigen Juchezer, der eher Erleichterung, als Euphorie signalisiert. Die Aussicht ist gewaltig, emotionslos und fast schon automatisiert schieße ich ein Bild nach dem anderen in die Runde, in der Vorahnung, dass dies im Nachhinein Bedeutung haben könnte. Auf der anderen Seite des Schuttcouloirs befindet sich übrigens der argentinische Gipfel, der ein paar Meter niedriger sein soll, als der chilenische. Wenn überhaupt, groß scheint mir der Unterschied nicht zu sein. Unter einem Felsbrocken finde ich einen Metallkoffer mit dem Schriftzug "Banco de Chile". Einen solchen Koffer mit gleicher Aufschrift findet man laut Rodney auf jedem 6000er Chiles. Ich öffne den Koffer und trage unsere beiden Namen ein, in der vertrauenden Gewissheit, dass auch Valerij es bis auf den Gipfel schaffen wird. Eine Weile labe ich mich noch an der umfassenden Aussicht, dann klettere ich ein kleine Stück zurück, um zu sehen, was Valerij macht. Auch er meistert die Zweier-Stelle und steigt an mir vorbei auf den Gipfel, während ich am Ausstieg der 2er-Passage verharre und dort auf ihn warte. Ich bin fix und fertig. Im Ruhezustand verfalle ich laufend unmittelbar und unkontrolliert in Sekundenschlaf, mit der Konsequenz von starken Hypoxieanfällen, die mich blitzschnell wieder aus dem Dämmerzustand herausreißen und mich dann wie ein Erstickender nach Luft schnappen lassen. Diese Sache ist äußerst unangenehm, die Ruhepausen sind somit keine Ruhepausen mehr. Ich bin gottfroh, als Valerij endlich wieder zurückkommt und wir absteigen können. Ein wenig nervös bin ich noch, sehe die Sache erst in trockenen Tüchern, wenn wir die Kletterpassage wieder durchstiegen haben und auch das steinschlagträchtige Couloir hinter uns liegt. Vorher will ich noch keinen Funkspruch an Mario abgeben.
Wir finden uns schließlich wohlbehalten am Kraterrand wieder. Valerij benötigt dringend eine Pause, auch er ist schwer gezeichnet von den Strapazen. Ich halte diese Pausen hier oben nicht mehr aus, die Hypoxieanfälle treiben mich zum Wahnsinn, weshalb ich Valerij bedeute, dass ich so schnell als möglich runter muss. Ich gebe noch kurz die Nachricht unserer heilen Rückkehr vom Gipfel an Mario durch und beginne mit dem Abstieg. Dieser scheint zwar ums hundertfache leichter, als der Aufstieg, aber der enorme Erschöpfungsgrad lässt auch die Rückkehr nochmal zu einem Kampf werden. Etwa drei Stunden nach Beginn unseres Rückzugs vom Gipfel erreiche ich Tejos. Valerij ist nun zwar weit zurückgefallen, aber ich kann ihn sehen und schließe eine Gefahr für ihn aus.
Im Tejos sind einige Personen versammelt. Das südafrikanische Pärchen ist zwecks Depotanlegung hier, die beiden argentinischen Bergführer wollen morgen mit ihrem Amerikaner (dessen Frau ist wegen Höhenproblemen bereits abgereist) den Gipfelversuch starten, und dann ist da noch ein belgisches Pärchen, die zunächst einmal zur Akklimatisation heraufgekommen sind. Sie alle haben viele Fragen an mich. Ich kann kaum noch Antwort geben, meine Stimme ist so heiser, dass ich krächze, wie ein Rabe, der Kopf dröhnt immer noch, obwohl ich hier im Tejos schon wieder deutlich tiefer bin. Ich entschuldige mich bei den Leuten, möchte mich erst einmal für ein Weilchen aufs Ohr legen. Nach einer halben Stunde, während der ich zwar nicht richtig schlafen, aber wenigstens ruhen konnte, und während der ich von stärkeren Hipoxieanfällen verschont blieb, kehre ich in den Aufenthaltsraum zurück. Kurz danach trifft Valerij ein. Wir pausieren noch ein wenig und packen schließlich unsere Rucksäcke auf, um gen Refugio Atacama abzusteigen. Während dieses Abstiegs fühle ich mich schon deutlich wohler, kann mich jetzt sogar an der herrlichen Frühabendstimmung über der sich unter uns weit ausbreitenden Atacama-Wüste erfreuen.
Unten im Atacama erwartet uns ein herzlicher Empfang. Mario, die hübsche Romina und eine Gruppe neueingetroffener Brasilianer, die uns so aufgeschlossen und offen gegenübertreten, als wären wir schon längst die besten Freunde, überhäufen uns mit Umarmungen und Glückwünschen. Mario suggeriert, uns in Kürze hinunter zur Laguna Verde fahren zu können. Wir nehmen dankbar an, freuen uns auf erholsame Stunden am Ufer einer der wundervollsten Lagunen auf Gottes Erden :-). Auch unsere Freunde Morgan und Rodney werden dort sein.
Wir werden diesmal direkt im Refugio übernachten. Von Mario und Romina, die heute übrigens ihren 28. Geburtstag feiert, müssen wir Abschied nehmen, sie werden jetzt noch nach Copiapó fahren. Es sind dann außer uns Vieren keine weiteren Gäste mehr an der Lagune anwesend. Wir benützen das Thermalbecken, welches sich im Inneren des Refugios befindet. Aah, eine Wohltat, und anschließend ein gepflegtes und gemütliches Dinner mit unseren Freunden! Kaum zu glauben, wir haben immer noch den 22.12., den Tag unserer Besteigung und fühlen uns nun plötzlich wieder putzmunter. Und jetzt ergreift sie uns mehr und mehr, die Euphorie anlässlich unserer geglückten Besteigung!
23.12.2011
Frühmorgens bleibe ich nach dem Toilettengang gebannt am Seeufer stehen ob des eindrucksvollen Bildes, welches sich vor meinen Augen entrollt: der Himmel beginnt dezent, seine azurblaue Farbe anzunehmen, am Firmament schimmert als zurückgebliebenes Relikt einer klaren und kalten Nacht immer noch die silbern glänzende Scheibe des Mondes, und unterm erwachenden Himmelsbaldachin ruht die Lagune noch still als blauer Spiegel, denn momentan regt sich noch kein Lüftchen, welches diese stoische Ruhe aufwirbeln könnte.
Um 10 Uhr, nach herzhaftem Frühstück und sorgfältigem Beladen und Verschnüren der Camioneta starten wir zur Rückkehr nach Copiapó. Am Steuer sitzt Roney, der zwar, gleichwohl wie Carlos, einen sehr rassigen Fahrstil zutage legt, sich und uns dabei aber auch Zeit lässt, anlässlich diverser Sehenswürdigkeiten am Weg für den einen oder anderen Fotostop anzuhalten, so etwa zum Heranpirschen an eine Guanakoherde, oder zur Besichtigung über 600 Jahre alter Adobe-Ruinen der Coya-Indianer. Dieser Rodney ist ein sehr ungewöhnlicher und interessanter Typ. Er weiß viel, und gleichzeitig ist er auch wissbegierig. Dazu noch verfügt er über eine gehörige Portion spontanem Humor. Wir lernen in den wenigen Tagen, während denen wir mit ihm zusammen sind, ungemein viel über Chile und die Gegend des Ojos del Salado.
Wir passieren wiederum jene seltsam versalzenen Wiesen, welche uns auf der Hinfahrt bereits aufgefallen sind, samt der darauf grasenden Esel. Rodney hat die Erklärung dafür: es handelt sich bei diesen Tieren um die verwilderten Nachkommen jener Esel, die in den Pionierzeiten des hiesigen Bergbaus als Transporttiere dienten. In dieser Gegend taucht sogar hin und wieder mal das eine oder andere, in dieser Wüstenei wie verloren und fast fehlplaziert scheinende Gehöft auf. Ich habe mich letztens schon gefragt, von was diese Leute hier draußen wohl leben. Abermals Rodney: es sind Indianer, die dort Ziegen züchten. Sicher sind sie bettelarm, aber im Gegensatz zu den Bewohnern der großstädtischen Armenviertel leben sie ohne die alltägliche Bedrohung durch Kriminalität und Drogen, inmitten einer kargen und harten, aber weitgehend unversehrten Natur, besitzen Land und bescheidenes Hofgut, und diese Einöde wird ihnen kaum jemand mal streitig machen wollen. Höchstens für einen Grund, und der heißt Bodenschätze. Allerdings sind auch hier in Chile die Zeiten der Konquistadoren und somit auch der Encomienda vorbei, die Regierung im Land ist nicht gar so korrupt und selbstgefällig, wie in anderen lateinamerikanischen Ländern, und es bestünden durchaus realistische Chancen, dass in diesem Falle die Leute hier einen angemessenen Kaufpreis für ihre Grundstücke erhalten könnten. Mit unserem schweren Allradgefährt die Staubwolke einer Viehstompede hinter uns herziehend, brausen wir strikt nach Westen, vorbei an zahlreichen Goldminen - weird scenes inside the goldmine, ride the higway west ... ;-).
Im Aventurismo-Büro in Copiapó lernen wir dann doch noch Maximiliano persönlich kennen. Ein älterer Herr, der ein für südamerikanische Verhältnisse exzellentes Englisch spricht, mit sympatischer und kompetenter Ausstrahlung. Direkt neben dem Aventurismo-Büro erhalten wir Unterkunft im "Residencial Torres" - alles sozusagen aus einer Hand, wie Valerij es treffend ausdrückt ;-). Schlicht, preisgünstig und, landestypisch für dieses Hotelgenre, in einem alten Kolonialbau mit Patio. Im Gegensatz zum "Rodriguez" ist es hier aber blitzesauber, der Besitzer wohl etwas schrullig (23.30 h ist Nachtruhe), aber freundlich.
Wir verabreden uns mit Rodney und Morgan zum gemeinsamen Abendessen in einem netten Lokal im Stadtzentrum. Unmittelbar nach dem Dinner begleiten wir Rodney zum Busbahnhof, er wird über Nacht nach Santiago fahren, Weihnachten steht vor der Tür, und die Freundin wartet dort. Morgan wird noch ein paar Tage hier in Copiapó verweilen, bevor er über Punta Arenas in die Antarktis weiterreisen wird, wo ihn sein nächstes Projekt, unter anderem Besteigung inclusive Gipfelmesse auf dem Mount Vinson, erwartet.
24.-29.12.2010
Santiago ist an den Feiertagen wie ausgestorben. Eigentlich war die eine oder andere Besteigung als Tagestour von der Stadt aus noch vorgesehen, so etwa die des Cerro Provincia oder der beiden Parva-Gipfel im Plomo-Gebiet. Doch soweit soll´s nicht mehr kommen. Nicht so schlimm, denn unser Plan ist sozusagen übererfüllt, die Besteigung des Ojos geglückt, dazu noch zwei weitere, sehr hohe Vulkanberge, einer davon sogar außerplanmäßig. Mit der Lebhaftigkeit von Buenos Aires und den Möglichkeiten, welche die argentinische Kapitale für Städteenthusiasten bietet, lässt sich Santiago sicher nicht vergleichen. Dafür ist die Vielfalt der Möglichkeiten, dem Großstadtrummel rasch mal für auch nur einen Tag zu entfliehen, sowohl hinab zur Pazifikküste, als auch mitten hinein in die gletscherstrotzende Welt der Hochanden, unvergleichlich. In Tagesausflügen besuchen wir zunächst die als UNESCO-Kulturerbe deklarierte Küstenstadt Valparaiso, Hort auch zahlreicher nationaler Schriftsteller und Künstler, und tags darauf noch Vina del Mar, dem wohl populärsten Badeort Chiles. Unsere körperlichen Aktivitäten reduzieren sich während dieser verbliebenen 5 Tage hier in Chile schwerpunktmäßig auf´s Kullinarische. Erfahrungsgemäß verliert man auf Touren, wie den jüngst zurückliegenden, locker mal 3 bis 4 Kilos, und zwar trotz der diesmal sehr guten Verpflegung, weshalb dieser Exzess uns nun eher guttut, als schadet.
Im Flugzeug verbringe ich die Nacht mit wenig Schlaf und viel Musik hören. Soeben läuft "Arde el Cielo" von Maná. Irgendjemand öffnet die Fensterluke schräg gegenüber. Tatsächlich, der Himmel glüht! Unsere Vulkane hingegen haben allenfalls tief in ihrem Inneren geglüht, denke ich noch, und das war sicher gut so :-))!
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