Langtang – Gosainkund – Helambu
Kultur, Landschaft und Gipfelziele auf einem Nepal-Klassiker
Nepal – das Land mit den meisten 8000ern, schlichtweg das Paradies des Trekkings. Sieben Jahre sind vergangen seit meiner letzten Reise dorthin. Der Himalaya hat mich seither nicht mehr losgelassen, aber ich habe mich in Indien und im pakistanischen Karakorum herumgetrieben. Natürlich aus Neugier – ich liebe die Abwechslung und das Entdecken mir noch unbekannter Gebiete und neuer Länder. Es war aber nicht zuletzt die hohe politische Unsicherheit im Land, die letztendlich sieben Jahre bis zu meiner Wiederkehr verstreichen ließen. Dann endlich hieß es, der ungeliebte letzte König trete zurück, es wurde demokratisch gewählt, die bislang im Untergrund einen bewaffneten Kampf gegen den Staat liefernden Maoisten avancierten völlig legitim in die Regierungsverantwortung, ihr Anführer wurde gar Ministerpäsident. Kurzum und recht spontan entscheide ich mich für eine Reise nach Nepal. Inzwischen weiß ich es, auch wenn der Bürgerkrieg derzeit ein Ende gefunden hat, das Land ist von stabilen Verhältnissen genau so weit entfernt, als wie zuvor. Aber unsere Reise dorthin hat sich gelohnt, wir kehren mit einem bunten Füllhorn aus unvergesslichen Eindrücken und Erlebnissen nach Hause zurück. Ein wenig Glück ist dazu nötig, denn vor kurzfristig anberaumten Streiks, Ausgangssperren oder vielleicht gar Schlimmerem ist man in Nepal leider immer noch nicht sicher.
Dass ich bei der Auswahl des Trekkinggebietes der Langtang-Helambu-Region den Vorzug gab, hat mehrere Gründe: relativ rasche und leichte Erreichbarkeit, sehr gute Infrastruktur für unabhängiges Trekking, keinerlei "Red Tape" – also außergewöhnliche Behördengänge, wie Permits oder Sonderbewilligungen nötig, und nicht zuletzt die vielen Lobpreisungen, die auf www.trekkingforum.com zu lesen waren. Allen voran Ulrich Friebel mit seinen Langtang-Blättern, die er zum großen Teil zwischenzeitlich sogar im Forum, und dort für jedermann zugänglich, zur Verfügung gestellt hat. Insbesondere dieser Informationsquelle haben wir ein vieles an Mehr-Erleben und Einfacher-Umsetzen auf unserer wunderbaren Reise zu verdanken.
Keinesfalls zählen Langtang/Gosainkund/Helambu zu den Geheimtips in Nepal. Es ist ein Klassiker, das Gebiet zählt zu den etabliertesten Trekkingzielen des Landes, der Langtang-Nationalpark ist der älteste Nepals. Dennoch wird diese Region bei weitem nicht so stark frequentiert, wie Annapurna und Khumbu/Everest. Der Hauptgrund ist das sichtbare Fehlen eines Achttausenders – und ich betone sichtbare, denn er ist da, ganz nah – die Shisha Pangma. Mit 8027 Metern ist er der niedrigste aller Achttausender, dennoch der als letzter von Menschen Bestiegene und der Einzige, welcher komplett auf tibetischem (chinesischem) Gebiet steht. Der Nur-Trekker wird diesen mächtigen Berg nicht zu sehen bekommen, wohl aber der Bergsteiger, welcher die (seit 2003 leider auch bürokratischen!) Mühen nicht scheut, auf den 5520 Meter hohen Aussichtsberg Yala Peak zu steigen.
Langtang ist ein grob von West nach Ost in den Langtang-Himal einschneidendes Flusstal, die Hauptwasserader trägt dann auch den Namen Langtang Khola. Das Tal wird traditionell vom Volk der Tamang besiedelt, inzwischen haben sich dort aber auch andere Volksgruppen niedergelassen, viele von ihnen tibetische Flüchtlinge von jenseits der Grenze zu China. Der Helambu fällt vom Langtang-Himal her nach Süden über die Himalaya-Vorgebirgswelt hinweg in Richtung Kathmandutal ab. Dieses Siedlungsgebiet betrifft dann auch nur die Vorberge unter 3500 Metern. Dort siedeln die Yolmo. Gosainkund ist eigentlich kein menschliches Siedlungsgebiet, sondern eine Bergregion zwischen Langtang im Norden und Helambu im Süden, in der sich eine Anzahl glasklarer, wunderschöner Bergseen befinden. Der den Namen tragende Gosainkundsee ist für hinduistische (!) Pilger ein bedeutender Wallfahrtsort, der von diesen besonders im Monsunmonat August aufgesucht wird.
Die oben bereits erwähnten Hauptvolksgruppen Tamang und Yolmo gehören, wie viele weitere Volksgruppen des Himalaya, seien es Sherpa, Spitianer, Gurung, Ladakhi, usw., was ihre Sprache, ihre vom ursprünglichen Bönkult unterlegte Form des Buddhismus, oder sonstige Lebensgewohnheiten betrifft, zu der großen Verwandtschaft der tibeto-burmesischen Völkerfamilie. Da ich weder Völkerkundler bin, noch beabsichtige, diesbezüglich eine Abhandlung vorzulegen, mag ich es bei diesen kurzen, aber sicherlich unzureichenden Worten belassen. Nur noch schnell eine kleine Erwähnung bezüglich der Yolmo: sowohl als Fremd- , als auch als Eigenbezeichnung tritt in ihrem Zusammenhang öfter der Name Sherpas auf. Um Verwechslungen mit den Khumbu-Sherpas vorzubeugen, sollte und scheint sich immer mehr die wohl korrektere und unmissverständlichere Bezeichung Yolmo für diese Volksgruppe durchzusetzen. Sowohl die Tamang- als auch die Yolmo-Männer tragen fast immer, der Tradition, aber auch sicher der Lebenspraxis als Bergbauern gehorchend, einen Dolch im Gürtel. Aber wie das meist der Fall ist, auch bei vielen anderen Völkern in der Welt, sind es die Frauen, die mit ihrer Tracht für einen Außenstehenden die klareren Abgrenzungen zwischen den Volksgruppen verdeutlichen.
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02.05.2009
Ankunft Kathmandu 16.45 h Ortszeit. Verglichen mit dem Brutofen Bangkok, wo wir den Flieger wechseln mussten, scheint uns das Klima hier recht angenehm. Allzu viel soll heute nicht mehr passieren – Einchecken im Hotel "Annapurna Lodge", situiert in der sogenannten "Freakstreet" (offiziell Jochem Tole). Ich habe uns bewusst diese Gegend ausgesucht, abseits vom Touri-Viertel Thamel, und daher auch mit mehr nepalesischem Flair. Zudem befindet sich der schöne Durbar Square, uraltes Wahrzeichen der Stadt, gerade ums Eck. Wir bummeln abends trotzdem mal bis Thamel hoch, um in der Dunkelheit ohne Lampen in die Jochem Tole zurückzukehren. Das sogenannte Load-shedding (Stromverfügung landesweit derzeit nur 8 Stunden am Tag!) sorgt für ein frühes Ende des städtischen Treibens und erinnert schon an die Curfew (Ausgangssperre) ab 22 Uhr bei meinem letzten Aufenthalt hier im Frühjahr 2002, als die bürgerkriegsähnlichen Konflikte zwischen Maoisten und damaligen Regierungstruppen noch im vollen Gange waren. Wir finden ein hübsches Dachrestaurant direkt über dem Durbar Square mit Ausblick zum angeleuchteten Swayambunath-Tempel ( der Strom wird zwar reduziert, aber offenbar nicht komplett abgestellt). Das Wetterleuchten eines aufziehenden Gewitters umkreist uns wie ein Satellit.
03.05.
Ein morgendlicher Gewitterguss lässt uns vorerst ausschlafen. Zunächst sieht´s nach Dauerregen aus, doch gegen 10 Uhr hören die Niederschläge auf und sanft beginnt die Sonne durch´s verbliebene Gewölk zu blinzeln, also geschwind runter zum Frühstück ins Hotel-Restaurant. Wir engagieren einen Taxifahrer, der uns zunächst zwecks TIMS-Beantragung zum Nepal-Tourism-Board hinausfahren soll. Nach rascher Erledigung dieses gebührenfreien Aktes lassen wir uns zum Bodnath-Stupa bringen. Das größte Stupa Nepals ist quadratisch von Restaurants und tibetischen Andenkenläden umschlossen. Nach einer beschaulichen Umrundung des Stupa (selbstverständlich im Uhrzeigersinn von links nach rechts!) lassen es wir uns auf einem der aussichtsreichen Dachrestaurant wohl ergehen. Zu Fuß wollen wir anschließend der im "Lonely Planet" beschriebenen kleinen Wanderung folgen, welche die beiden Gompas Gokarna Mahadev und Kopan verbindet. Dieser Ausflug wird interessant, trotz, oder vielleicht gerade deshalb, weil wir vom beschriebenen Weg weggeraten, und statt dessen einen eigentlich viel zu weiten Bogen laufen, welcher uns bis hinaus zum Stadtrand bringt. Wir erleben dabei den immer ersichtlicher werdenden Übergang von der urbanen in die ländliche Zone. In Bauernhäusern wird Stroh gedroschen, zu guter Letzt stehen wir zwischen gedeihenden Feldern, wo die einzelnen Behausungen in weiten Abständen zueinander stehen und nur wenig oberhalb von uns ein Waldgürtel beginnt. Der für Metropolen in der dritten Welt oft typische Außenring aus Favelas oder Elendshütten fehlt in Kathmandu. Diese scheinen sich eher unregelmäßig im gesamten Stadtgebiet zu verteilen. Wie mir scheint, vorherrschend an Ufern von völlig verdreckten Flüssen, entlang von großen Ausfahrstraßen oder etwa unterhalb von Straßenbrücken.
Es wäre ein Leichtes gewesen, von unserem Standort aus zum Gorkana-Kloster hinaufzusteigen, doch wir sind uns unsicher, ob das auf einem bewaldeten Sporn thronende Gebäude das richtige ist. Wir vermuten das weiter links, gleichfalls gut sichtbar auf der Kammhöhe situierte Gebäude, und somit erreichen wir das Kloster Kopan. Dort bietet sich uns ein wunderbarer Ausblick über die dunstüberzogene Stadt hinweg und hinüber zum nahen Flughafen Tribhuvan. Kopan ist ganz offensichtlich eine moderne Gründung und für Enthusiasten von alten Gemäuern kein geeignetes Ziel. Die bereits erwähnte Aussicht, sowie ein geschmackvoll angelegter, paradiesischer Garten laden hier dafür zum entspannenden Verweilen ein. Zahlreiche Gäste aus dem Ausland sind im Kloster zu religiösen oder Meditationskursen untergebracht. Bis wir von Kopan aus den Stadtrand wieder erreicht haben, dämmert es bereits. Per Taxi lassen wir uns zum berühmten Hindu-Heiligtum Pashumpatinath bringen. Dort erwartet uns eine Überraschung: es wird gerade eine nächtliche Puja zelebriert, die denen der Ganga-Artha-Pujas an den Gestaden des heiligen Ganges sehr ähnelt (siehe Reisestory "Zu den Heiligtümern des West-Garhwal"). Mehrere Priester haben sich überhalb der Ghats des Baghmati-Rivers postiert und schwenken, feierliche Gebete singend, leuchtende Feuerkessel durch das Dunkel der Nacht. Das in reicher Zahl erschienene Volk wirkt eifrig mit, es wird gesungen, gejubelt, getanzt und applaudiert. Eigentlich wollte ich meinen beiden Freunden nur mal schnell das bedeutendste Hindu-Heiligtum im Kathmandu-Tal zeigen, und werde nun selber von diesen spektakulären Feierlichkeiten überrascht. Wir müssen uns anschließend noch in Thamel mit ein paar Kleinigkeiten für unsere bevorstehende Trekkingtour eindecken, wobei wir dann gleich noch zum Abendessen im Viertel verbleiben. Die Rückkehr erfolgt wieder einmal halbwegs orientierungslos ohne Lampen durch finstere Gassen. Drum merke: in Nepal die Stirnlampe stets in der Tasche dabeihaben! Vor dem Zubettgehen werden wir noch mit einer beunruhigenden Nachricht konfrontiert: der maoistische Premierminister sei heute nach einem Streit mit den Militärs zurückgetreten, und für morgen seien landesweite Streiks zu erwarten. Das würde uns gerade noch fehlen, denn schließlich wollen wir sicher und unverzüglich unsere Trekkingdestination erreichen ...
04.05.2009
Früh treffen wir am Busstand Balaju ein, aber nicht mehr früh genug, um Sitzplätze zu bekommen. Mitsamt unserem Gepäck müssen wir auf dem Dach vorlieb nehmen, und das auf einer voraussichtlich 8-10 Stunden dauernden Fahrt! Mit der Beförderung auf dem Busdach ist es jedenfalls so, dass dieses mit äußerst unkomfortablen Metallrahmen ausgestattet ist. Die Schweizerin Anna soll uns später über ihre persönliche Dachfahrt ins Annapurna-Gebiet vor ein paar Jahren berichten. Damals war das Dach komplett mit Reissäcken ausgelegt, auf denen man es sich wunderbar bequem machen konnte. Wir hingegen müssen auf unseren eigenen Rucksäcken hocken oder liegen, von denen wir immer wieder herunterrutschen. Unterwegs füllt sich das Dach immer mehr mit einheimischen Mitreisenden. Peter bekommt gar noch einen Karton voller Hühner auf den Schoß gedrückt und zeitweise wird´s sogar richtig spaßig dort droben, als eine resolute Bäuerin sich zwischen uns setzt. Deren Bruder und seine Freunde heizen die süffige Stimmung hier oben noch kräftig mit an ;-)!
Beim Lunch-Stop in Trisuli Bazaar bekommen wir zum ersten Mal Kontakt mit Anna aus der Schweiz, die übrigens bereits in der Annapurna-Lodge unsere Nachbarin gewesen ist. Anlässlich einer weiteren Pause lassen wir uns frischen Yak-Joghurt schmecken und scheren uns einen Dreck um übertriebene Vorsichtsmassnahmen bezüglich der Ernährung. Wir befinden uns im Übrigen wieder einmal auf einer typischen Himalaya-Anfahrt: die Straße windet sich wild auf- und abwärts durch dramatische Vorgebirgslandschaften, die ständig über Schlaglöcher scheppernden Busräder streifen gelegentlich, Atemstocken verursachend, den Rand von abgrundtiefen Schluchten, ringsherum wuchert es üppig grün, viel Wald, und noch mehr steile Anbauterrassen, in der Sonne leuchtende Flecken von winzigen, auf die Hänge geklebten Dörfern oder einzelnen Gehöften. Zwischendurch platzt der Reifen, die Panne wird aber erst etwa zehn Kilometer weiter, im nächsten größeren Ort, behoben – wir haben ja schließlich Doppelbereifung ;-)! Bald weicht der Asphalt einer holprigen Piste, glücklicherweise bleiben wir von Staub verschont, dafür droht uns von oben her ein Gewitter –das würde gerade noch fehlen, auf die letzten paar Kilometer! Wir haben Glück, es bleibt bei ein paar harmlosen Tropfen. Während der Fahrt müssen wir wiederholt an diversen Checkposts des Militärs absteigen und ein paar Meter zu Fuß gehen, wobei uns der Bus stets wieder einholt. Uns tut die Geherei zwischendurch gut, denn die Position auf dem Dach wird uns mit zunehmender Dauer der Fahrt immer unbequemer. Am Nationalparkeingang marschieren wir einfach mit der aussteigenden Bevölkerung mit ins Dorf hinein und wundern uns noch, warum uns der Bus so lange Zeit nicht folgt. Schließlich holt uns jemand ein, wir sollen zurückkommen und uns registrieren lassen. Jetzt erst merken wir, dass wir unser Ziel, den kleinen Straßenort Dhunche, bereits erreicht haben. Bei der Registrierung wird übrigens eine einmalige Gebühr von 1000 Rupien pro Kopf fällig. Der Bus fährt noch weiter bis Siabrubensi, wo die Mehrzahl der Trekker ihre Wanderung hinauf ins Langtang-Valley beginnt. Wir jedoch haben uns bewusst für die traditionelle Variante ab Dhunche entschieden, die früher, bevor die Strasse weiter bis nach Siabrubensi gezogen wurde, als Startpunkt obligatorisch war. Wir versprechen uns hiervon ein Mehr an Erlebnis. Anna ist übrigens auch in Dhunche ausgestiegen und entscheidet sich, wie wir, für das Hotel "Tibetan Mountain View". Vom Balkon aus genießen wir einen wunderschönen Blick gen Norden, über das tief eingeschnittene Bhote-Kosi-Tal hinweg. Die Eisgipfel des Ganesh-Himal lassen sich allerdings nur schleierhaft und verschwommen zwischen Dunst und nachmittäglichen Wolkentürmen ausmachen. Ich habe noch ein paar Bilder für Uli Friebel bei der Schneiderin die Strasse runter abzugeben und werde dort auch gleich zum Tee geladen.
05.05.2009
Wir haben uns inzwischen mit Anna zusammengetan und wollen gemeinsam das Langtang hinaufwandern. Es ist um diese Jahreszeit übrigens um 5 Uhr schon hell, doch diese frühe Stunde sollen wir im Laufe unseres Trekkings nie schaffen :-). Wir starten um 7.15 h. Zunächst gehen wir abwärts zu einer Straßenbrücke und bis ins nette, kleine Örtchen Thulo Barku (1840 m) verbleiben wir auf der Pistenstraße. Die Straße würde von dort aus bis nach Siabrubensi weiterführen, wir aber wechseln nun auf einen Pfad, der rasch ansteigt und uns durch duftende Kiefern- und Rhododendronwälder bis zum höchsten Punkt der heutigen Etappe auf 2300 m bringt. Kurz dahinter passieren wir einen Tea Shop. Es folgt Brabal (2200 m), und schließlich treffen wir um die Mittagszeit in Thulo Siabru (2150 m) ein. Dieser Ort scheint der Kamm eines Gockels über die Schneide eines schmalen Bergrückens gezogen. Im Trekkinggebiet Langtang/Gosainkund stellt Thulo Siabru einen bedeutenden Knotenpunkt dar, der sich von mehreren Seiten/Ausgangspunkten aus erreichen, bzw. wieder verlassen lässt. Wir halten Mittagspause im Hof einer der vielen, aussichtsreich postierten Lodges. Ein erstes Tsampa-Porridge wird bestellt. Diese nahrhafte Kost soll für mich während unseres Langtang-Aufenthaltes zum festen Bestandteil meines Frühstücks werden. Die zahlreich uns umschwirrenden Fliegen lassen uns allerdings bald ins Hausinnere flüchten. Draußen auf dem Dorfplatz findet ein Fest anlässlich einer Babygeburt statt.
Nach dem Essen steigen wir hinab bis zum Punkt 1950, wo die Hängebrücke über den Gopche Khola erreicht wird. Ein kurzer Gegenanstieg, danach folgt ein Tea-Shop, an dem ich und Peter uns eine Cola gönnen. Nun erreichen wir, über steile Serpentinen abwärts steigend, das Flussufer des Langtang-Khola (1660 m). Somit haben wir definitiv das Langtang-Valley erreicht. Wir gönnen uns eine kleine Badepause im gar nicht so kalten Fluss, zumindest verglichen mit dem, was man aus Zanskar oder Spiti so kennt. Der Uferbereich ist herrlich sandig, und wir befinden uns mitten im schönsten Urwald. Wir genießen das tropische Vogelgepfeife und erfreuen uns an den umherflatternden Schmetterlingen.
Vorbei an der Pairo-Lodge, nun immer sehr nah am brüllenden Fluss verbleibend, erreichen wir nach stetigem Auf und Ab die Urwald-Lodgesiedlung Bamboo (1890 m). Der Pfad ist übrigens oft mit gut gangbaren Steintreppen ausgebaut. Derlei wunderschön angelegte Wege sollen wir nahezu ständig sowohl im Langtang, als auch am Gosainkund und im Helambu vorfinden. Unsere Lodge teilen wir mit einem in New York ansässigen polnischen Ehepaar. Der Ofen wird angefeuert, obwohl ich persönlich es noch nicht als so kalt empfinde. Nachts entlädt sich ein heftiges Gewitter.
06.05.2009
Nach einem opulenten Frühstück begeben wir uns etwas verspätet auf den Weiterweg. Für Peter haben wir ab heute einen Träger angeheuert, da sein Kreuzleiden ihm sonst noch den Rest seines Urlaubes zu vergällen droht. Wir bleiben den Gestaden des Langtang-Khola treu, der unter oder neben uns wild schäumt. Riesige Boulder und brausende Kaskaden findet man im Flussbett in großer Zahl. Wirklich fototaugliche Aussichtspunkte auf das tosende Wasser sind allerdings eher rar, da dichte, urwaldähnliche Vegetation die Sicht etwas einschränkt. Diese Vegetation ist aber eine Augenweide für sich: durch die Nähe des Wassers und somit der Feuchtigkeit, sind Bäume, Sträucher und Waldboden über und über mit allerlei lang- und kurzhaarigen Moosen überzogen, was wir in den Wäldern weiter oben so nicht hatten. Zum Rhododendron bleibt zu sagen, dass dieser derzeit seine schönste Blüte auf einer Höhe von etwa 2500 Metern entfaltet. In diesem Gebiet überwiegen weiße und weiß-violette Blüten die roten.
Ich bin übrigens nebenher noch als Briefträger im Langtang unterwegs. Uli Friebel hat mich gebeten, einige Couverts mit Fotos an verschiedene Familien im Langtang zu überbringen, ein Nebenjob, dem ich mit Vergnügen nachkomme, zumal man dabei stets auf erfreute Leute trifft, die einem dann oft noch bevorzugt behandeln :-). Wir steigen immer höher auf, und noch in der Regenwaldzone eröffnet sich uns eine erste und gleich atemberaubende Aussicht auf riesenhafte, schneeweiß glitzernde Himalaya-Gipfel. Hinter der Ortschaft Gora Tabela (2900 m) verliert das Tal seinen Schluchtencharakter und weitet sich nun trogförmig, auch die Baumgrenze lassen wir nun hinter uns. Hervorragende Blicke eröffnen sich hinauf ins geweitete, sattgrüne Tal, welches vom Langtang-Khola wie von ein Silberstreifen durchzogen wird. Über dem Abschluss wachen schneeweiße Bergriesen. Viele Dzos (Kreuzungen aus Yak und Rind) weiden hier oben. Reine Yaks werden wir während unserer Reise keine zu sehen bekommen, wenngleich hier die Dzos im Volksmund ebenfalls als Yak bezeichnet werden.
Entzückt erreichen wir das malerische Dörfchen Langtang (3350 m), wo wir im Eco-Guesthouse Quartier beziehen. Dieses befindet sich am nördlichen Ortsrand, und kuschelt sich ganz dicht unterhalb mächtiger, senkrechter bis überhängender Granitfelswände, von denen gischtende Wasserfälle herabstürzen. Das Eco-Guesthouse soll uns im nachhinein betrachtet als unsere Favoriten-Lodge im Langtang in Erinnerung bleiben. Die Wirtsleute sind sehr freundliche und liebenswerte Tibeter. Peter wartet etwas nervös auf seinen Träger, der mitsamt Gepäck unterwegs verloren gegangen zu sein scheint. Dieser konnte erst nach uns aufbrechen, und hatte erklärt, er würde uns unterwegs einholen. Ich beruhige Peter, ich weiß aus Erfahrung, dass auf die Leute in den Bergen absoluter Verlass ist. Man würde keinesfalls den guten Ruf des Tales aufs Spiel setzen. Und es ist, wie gesagt: irgendwann taucht auch der Träger im Dorf auf und Peter kann endlich zum Duschen gehen :-)). Der Träger ist übrigens Tamang und wird von unserer tibetischen Familie auf den Arm genommen, dieser gibt allerdings schlagfertig zurück, und unsere Lodge ist bald mit schallendem Gelächter erfüllt. Von den Tibetern werden die Tamang übrigens scherzhaft "Nonbu" genannt.
07.05.2009
Die Etappe zwischen Langtang-Village und dem obersten Langtang-Dorf Kijangjin erfordert eine reine Gehzeit von nur etwa 2 Stunden. Dieses Teilstück ist aber wohl das Sahnetörtchen der gesamten Langtang-Tour, und wir haben dabei Glück mit dem Wetter: wir starten unter einem strahlend blauen Himmel in den Tag. Fesselnde Aussichten auf die riesigen Eisgipfel im Talschluß, allen voran der Gangchenpo (6387 m), der mit einer gewaltigen und supersteilen Westwand beeindruckt. Im Wind flatternde Gebetsfahnen, Manimauern und wasserbetriebene Gebetsmühlen am Weg vergegenwärtigen uns die omnipotente Präsenz des tibetischen Buddhismus. Auf den Feldern arbeiten jeweils größere Gruppen von bunt gekleideten Frauen, die uns lachend zuwinken.
Wir erreichen Kijangjin (3750 m), wo wir uns in der Yeti-Lodge des Thiley Lama einquartieren. Mit Thiley Lama hatte ich bereits von Deutschland aus per E-Mail Kontakte geknüpft, er soll für uns eine Schlüsselrolle zur Besteigung des genehmigungspflichtigen Hochgipfels Yala-Peak (5520 m) spielen.
Das Wetter zeigt sich immer noch traumhaft und wir haben noch massig Zeit. Wir entscheiden uns somit für eine kleine Akklimatisierungstour zum dem Dorf nächstgelegenen Gipfel Brana Chumbo (4280 m). Dazu benutzen wir zunächst den Pfad, welcher, vom Kijangjin-Gompa aus startend, zum Basislager des Langtang-Lirung führt. Dieser Pfad wird allerdings nach kurzer Zeit, nun steil ansteigend, nach Westen verlassen. Der felsige Gipfel wird südseitig umgangen, ein Hauptpfad und zahllose Trampelpfade führen schließlich zum mit Gebetsfahnen geschmückten Gipfel. Die Aussicht berauscht uns, sowohl, was die direkte Draufsicht auf´s unter uns liegende Dorf Kijangjin und den weiten Blick das Langtang-Tal abwärts, als auch die Nahansichten auf gigantische Eisriesen anbelangt. Talaufwärts, in Richtung Langshisha, entzückt unsere Augen eine riesige Schwemmebene – ein Landschaftsbild, als sei die Erde hier gerade mal vor drei Tagen erschaffen worden. Am eindrucksvollsten erscheint uns aber die Ostflanke des Langtang Lirung (7231 m). Im Vergleich mit den umstehenden Riesen macht sich unser auserkorener Yala Peak verhältnismäßig bescheiden aus, aber auch er zeigt bereits Vergletscherung und somit den Charakter eines ernstzunehmenden Hochgipfels.
Anna möchte wieder ins Dorf zurückkehren, während mir und Valerij noch der Sinn nach etwas mehr steht. Der Menchamsa (4560 m) ist durch einen einfach zu begehenden Grat mit unserem jetzigen Standort verbunden. Er verspricht uns ein Näherrücken zu den Eisgipfeln. Zudem können wir vom Menchamsa aus in einen kleinen Sattel absteigen, wo uns die Rückkehr ins Dorf durch ein kleines Hochtal ermöglicht wird und wir somit eine wunderschöne Runde abschließen können, die Hin- und Rückweg auf der gleichen Route vermeidet. Gesagt, getan. Auf dem Menchamsa begegnen wir einer Gruppe von Belgiern, die durch das Tal, welches wir nun für unseren Abstieg wählen, hinaufgekommen sind. Im Übrigen ließe sich der Grat vom Sattel aus über diverse Felsspitzen hinweg weiterverfolgen, jedoch ganz offensichtlich dann nur mit Seilsicherung. Schön anzusehen ist dieser seltsam erodierte Felsgrat trotzdem.
Eigentlich wollten wir ja noch der Dorfkäserei einen Besuch abstatten, doch diese hat derzeit geschlossen. Abends sitzen wir mit Anna im jetzt viel zu großen Aufenthaltsraum der Yeti-Lodge, während Thiley Lama den Ofen am Brennen hält, denn hier oben ist es Abends gehörig frisch.
08.05.2009
Der Tsergo Ri (4984 m) lässt sich über zwei Seiten besteigen: die erste Möglichkeit führt relativ steil und zielstrebig zum Gipfel, die zweite Option ist weniger steil, dafür länger, aber mit der besseren Aussicht. Somit entscheiden wir uns für das Beste, was man eigentlich an einem Berg machen kann, wenn´s nur möglich ist: die Überschreitung. Wir, das sind Javed (England/Pakistan), Anna (Schweiz/Frankreich), Valerij (Deutschland/Kasachstan) und ich, beginnen mit der steilen Variante, die uns zunächst auf eine Schulter führt, von der aus der Gipfel über einen steilen Rücken erreicht wird. Wir sind um 6.45 h in Kijangjin aufgebrochen, auf dem Gipfel des Tsergo Ri stehen wir schließlich um 10.45 h. Das Gewölk ist im Laufe des Morgens immer mehr aufgedunsen, doch wir haben Glück, denn die fantastische Sicht auf die atemberaubende Himalaya-Gebirgswelt ist immer noch tadellos. Man kann dort oben alle möglichen Gipfel zwischen 6000 und über 7000 Metern ausmachen – außer der Shisha Pangma (8027 m)! Auch wenn manche einheimische Führer was anderes behaupten, für den Blick auf die Shisha Pangma muss man sich wohl oder übel auf den schwierigeren und mühevolleren Gipfel des Yala Peak bemühen, der obendrein noch offiziell mit einer Permitgebühr von stolzen 500 US-Dollar belegt ist (Gruppen bis zu 7 Personen). Der Ganchenpo ist von Kijanjing aus gen Südosten geblickt der eindrucksvollste Gipfel. Hier oben, auf dem Tsergo Ri, scheinen wir seiner gigantisch steilen Riffelfirnwand noch viel näher. Das Phänomen Riffelfirn soll sich übrigens durch das Zusammenwirken einer relativ steil einfallenden Mittagssonne (Tropennähe) mit den aufsteigenden Feuchtnebeln, insbesondere während der Monsunzeit bilden. Ein weltweit vielleicht etwas besser bekanntes Beispiel hierfür ist die Südwestwand des Alpamayo (5947 m) in den peruanischen Anden. Dieser wurde gar schon anlässlich einer Bergfotoausstellung in München in den 60er-Jahren zum schönsten Berg der Welt gekürt.
Über eine Stunde hängen wir dort oben am Gipfel ab, dösen, genießen die Aussicht mit halb oder ganz geöffneten Augen, plaudern mit anderen Gruppen, die sich hier oben aufhalten. Es gibt im Übrigen in diesem Gelände mehrere Gipfel mit dem Namen Tsergo Ri. Unserer hat die Nebenbezeichnung "West-Peak", obwohl er mit der Kette, in welcher sich die weiteren Tsergo-Ri-Gipfel (North/Middle/East-Peak) befinden, nicht zusammenhängt. Das gesamte Gelände stellt sich wie eine Mulde oder ein Plateau dar, welches durch unseren Gipfel und besagter Kette abgegrenzt wird. Das Plateau trägt den Namen Yala Kharka (Yala-Alm) und wird für gewöhnlich auch als Basecamp für die Yala-Peak-Besteigung genutzt.
Wir kehren über den aussichtsreichen Höhenweg hoch überhalb der Langshisha-Alm ins Tal zurück, mit stetigem Blick hinunter zur imposanten Schwemmebene des Langtang-Khola, sowie zu den inzwischen mit bedrohlich sich gebärdendem Gewölk verhangenen Eisgipfeln. Ein heftiger Wind hat eingesetzt, obendrein droht uns noch ein Gewitter. Wir lassen uns nicht beirren und setzen gutgelaunt unseren Weg fort. Die vereiste Ostwand des Langtang Lirung direkt in unserer Marschrichtung imponiert uns besonders. Wir sitzen bei Ankunft um 14.30 h noch zum Tee in Anna´s Lodge, verabschieden uns von Javed, der heute noch zu seiner wegen Höhenkrankheit in Langtang-Village zurückgebliebenen Freundin absteigen wird und schauen anschließend, was unser Peter denn so macht.
Der fühlt sich offensichtlich pudelwohl im Dorf, verbringt die Zeit mit Spaziergängen im und ums Dorf und pflegt Kontakte zu den Locals, das Ganze gar ohne Englischkenntnisse :-)!
09.05.2009
Heute wollen wir den bergsteigerischen Höhepunkt unserer Reise setzen, und es soll mit Sicherheit der mit Abstand mühevollste Tag der gesamten Trekkingtour werden: um 3 Uhr morgens verlassen Valerij und ich das Dorf. Der Weg ist zunächst identisch mit der gestrigen Abstiegsroute vom Tsergo Ri, eine Tatsache, über die wir glücklich sind, denn somit verlieren wir keine Zeit mit einer etwaigen nächtlichen Routensuche, und wir können rasch und zielstrebig an Höhe gewinnen. Die Nacht ist fantastisch. Ein sternenübersäter Himmel spannt sich über uns, der Vollmond leuchtet uns den Weg, was den Einsatz der Lampen nahezu überflüssig macht. Die schneeweißen Berge um uns herum schimmern im fahlen Mondlicht, ein unglaubliches Ambiente! Wir schalten unsere Lampen nur sporadisch ein, etwa wenn wir ein unwegsames Geländestück ausleuchten, eine geeignete Furt zum Durchwaten des Baches suchen oder die Weiterführung des Weges überprüfen müssen. Um 6.10 h erreichen wir die Almhütten von Yala Kharka (4600 m), es ist bereits Tag. Wir machen eine kleine Pause. Schweinekalt ist´s hier droben, und ich bin jetzt froh darüber, dass wir hier nicht übernachten mussten. Nur für einen kurzen Augenblick muss ich die Handschuhe ausziehen, und hernach dauert es fast eine halbe Stunde, um die Hände wieder warm zu kriegen. Wer den Yala Peak in zwei Tagen besteigen möchte, braucht übrigens derzeit kein Zelt mitzuschleppen, denn zwei der Almhütten taugen augenscheinlich wieder als Unterkunft, da diese zwischenzeitlich mit Steinplattendächern versehen sind. Falls die Viehhirten gerade auch oben sind, dürfte es sicher kein Problem sein, auf Anfrage mit ihnen zusammen dort oben zu übernachten, was das Erlebnis Yala Peak sicherlich noch bereichern dürfte :-).
Ein Stück weiter oben verflacht sich das Plateau, wir befinden uns nun in der am Vortag erwähnten Mulde. Dort fließt übrigens auch Wasser, an den Hütten haben wir, zumindest auf die Schnelle betrachtet, keines entdeckt. Ein halbes Dutzend Zelte einer Expedition steht hier oben. Laut Thiley Lama bereiten sich diese Leute derzeit hier auf die Besteigung eines höheren Berges vor. Wir meiden das Lager, aus Gründen die ich nicht öffentlich kundtun will ;-). Wir streben dem Tsergo Ri Nord (5140 m) zu, welcher auf dem Weg zum Yala Peak überschritten wird. Hinter dem Tsergo Ri Nord steigt man zunächst hinab in eine schuttgefüllte Mulde, anschließend folgt die erste "Schlüsselstelle". Eine steile Schuttrinne wird erklommen und eine felsige Rinne in einfacher Kletterei überwunden. Diese Rinne ist bezüglich Länge und Schwierigkeit gut mit dem Kamin im Gipfelaufbau des Piz Buin zu vergleichen. Dieser Vergleich liegt mir deshalb so nahe, weil ich den Buin das letzte Mal vier Wochen vor unserer Abreise zum zweiten Mal innerhalb kürzerer Zeitabstände bestiegen habe.
Wir haben bisher ein gehöriges Tempo hingelegt, was sich jetzt bei Valerij negativ bemerkbar macht. Ich bin heute sehr nervös, denn entgegen der vorangehenden Tage war heute früh bereits eine beunruhigende Trübung in der Atmosphäre zu beobachten und kleinere, dunkle Wolkenbildung lag in der Luft, in etwa unserer jetzigen Höhe. Seltsamerweise aber zeigt mein Höhenmesser keine nennenswerte Änderung. Wir sollen später noch von einem großen Waldbrand in der Gegend von Thulo Barku erfahren, im Nachhinein besehen erklären sich Lufttrübung und Wolken wohl aus diesem Vorfall. Hinterher ist man immer schlau, und momentan deute ich sie noch als Vorboten eines lokalen Gewitters. Doch nicht nur das, auch das typische, nachmittägliche Wolkenaufbauschen aus Nordost hat heute viel früher eingesetzt, als in den vergangenen Tagen. Ich blicke hinüber zu den Wolkentürmen und sage "wir müssen umkehren", dann wieder in Richtung des nun so nah scheinenden Gipfels und ich sage "wir schaffen es". Schlussendlich stehen wir unterhalb des Gletschers und somit ganz nah unter dem Gipfel. Wir müssen nur noch eine kurze Eispassage überwinden, die uns hinauf auf den äußeren Rand des Gletschers bringt, von wo aus wir spaltenfrei zum Gipfelgrat gelangen können. Die Aufstiegsroute scheint mir, wie bisher auch, eindeutig, und mit angelegten Steigeisen steige ich in einer Rinne voraus. Diese trägt im unteren Bereich noch ein wenig Neuschnee der vergangenen Nachmittage, weiter oben ist sie dann vollkommen blank. Und dort steilt sie gehörig auf! Laut Beschreibung von Uli Friebel soll sie 45 Grad haben, diese hier kommt aber locker auf 55 Grad, wenn auch nur über vielleicht 15 Meter. Jetzt bereue ich es, nur meine Steigeisen der dritten Garnitur dabei zu haben. Wenigstens hat mir Peter seinen guten Pickel mitgegeben, mit meinem Firlefanz-Aluminiumpickel wäre ich an dieser Stelle glatt erschossen gewesen! Ich versuche zunächst, in die nahen Felsen auszuweichen, ziehe schlussendlich dann doch das Eis vor. Valerij hat in seinem Leben noch nie kombiniert mit Steigeisen geklettert. Ich bin gottfroh darüber, dass er jetzt freiwillig aufgibt, denn ich hätte in sonst kaum davon abhalten können, mir zu folgen. Eigentlich müsste man diese Stelle mittels Seil und Eisschrauben absichern, wir haben beides nicht dabei.
Sehr zu meiner Überraschung komme ich oben direkt auf dem Grat raus. Das Wundern hält nicht lange an, ich schaue zurück, und mir wird mit einem Mal klar, dass diese Eisrinne nicht die von Uli gemeinte Route ist. Rechts unter mir liegt der flache Gletscher, der Aufstieg auf diesen hätte eigentlich weiter drüben stattfinden sollen. Auf dem Gletscher sind sogar noch alte Spuren zu erkennen. Ich überlege zuerst, ob ich Valerij von hier aus noch hinauflotsen soll, doch ich merke, das würde in seiner momentanen Verfassung viel zu lange dauern. Zudem sieht der vor mir sich ausstreckende, auf der Nordseite überwechtete Felsgrat für einen Anfänger auch nicht unbedingt appetitlich aus. Ich sehe ein Loch in der Wechte, hier muss mal ein Vorgänger mit dem linken Fuß in der Luft gestanden haben. Jetzt fehlt nur noch ein kurzes Stück zum Gipfel, welcher mit an einem Fahnenmast angebrachten Gebetsfahnen geschmückt ist. Viel Zeit kann ich mir hier oben nicht gönnen, ein paar hastige Fotos, ich murmle die ganze Zeit wie ein Besessener das Wort "Shisha Pangma" vor mich her, der 8027 Meter hohe Gipfel, den ich von hier oben unbedingt sehen wollte. Die Shisha Pangma ist übrigens der einzige 8000er, welcher vollständig auf tibetischem Gebiet steht. Es erheben sich hier viele prächtige Eisriesen auf der Nordseite in Richtung Tibet, aber die Karte hervorzukramen, bedeutet Zeitverlust und kalte Finger. Ich muss die Analyse auf´s Nachhinein verschieben, anhand der gemachten Fotos. Im Moment bleibt nur die Spekulation und die Bewunderung für diese herrlichen, gigantischen Eisriesen – egal im Moment, welche Namen diese tragen!
Den Abstieg nehme ich nun über die von Uli beschriebene Route vor und bin gottfroh, diese blöde Eisrinne nicht mehr absteigen zu müssen. Ein bisschen schummrig ist mir dennoch zumute. Der Gletscher ist mit Neuschnee bedeckt – genug, um eventuelle Spalten zu verdecken, aber zu wenig, um zuverlässige Schneebrücken zu bilden. Ich sondiere vorsichtig und mit weichen Knien mit dem Pickel. Laut Uli Friebel soll es in dieser Passage des Gletschers keine Spalten geben, doch mir surren nun alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Wann hat Uli diesen Gletscher zum letzten Mal aper gesehen? Falls das zu lange her sein sollte, sind Veränderungen nicht auszuschließen. Ich blicke nach rechts und sehe zwei Seilschaften über den Gletscher queren. Die gehören sicher zur Expedition, welche ihre Zelte unten in der Mulde stehen haben. Sie rufen mich an, und ich winke. Alles geht gut, jetzt folgt nur noch der Abstieg durch die Eisflanke, welcher wesentlich angenehmer zu bewerkstelligen ist, als die Eisrinne, zumal es dort nicht aper ist. Dann stehe ich wieder im Schotter, und zwar unterhalb von Valerij, der offenbar noch gar nicht mitbekommen hat, dass ich nun woanders abgestiegen bin. Ich rufe ihn, er kommt auf mich zu.
"Und, bist du trotzdem zufrieden?" Schließlich ist er ein Novize in den Bergen und hat heute eine Rekordhöhe von gut 5450 Metern erreicht, denn es waren sicher nicht mehr als 70 Höhenmeter, die ihm zum Gipfel noch gefehlt hätten, wenngleich diese definitiv die Schlüsselstelle waren, sie wären es aber auch über den "richtigen" Weg gewesen. "Wie kann ich zufrieden sein, wenn ich den Gipfel nicht erreicht habe!" lautet die trockene Antwort. Diese Aussage lässt mich nicht unberührt, und ich mache mir Gedanken, ob ich doch auch Schuld daran trage, dass Valerij es nicht ganz geschafft hat. Doch der Blick nach oben zeigt, dass höchste Eile geboten ist. Das Gewölk über uns verdichtet sich zusehends, Wind setzt ein. Wir sollten wenigstens ungeschoren aus dem schwierigeren Gelände herauskommen, bevor es uns hier möglicherweise einnebelt.
Valerij ist praktisch am Ende seiner Kräfte und wir kommen nur langsam voran. Ich begebe mich auf die Suche nach einer sicheren Abstiegsrinne und bitte ihn, kurz zu warten. Als ich zurückkehre, ist Valerij verschwunden. Ich rufe laut, immer wieder. Keine Antwort. Panik macht sich in mir breit. Was ist, wenn er einfach losgeklettert und dabei abgestürzt ist? Der Gedanke, mein Freund könnte schwer verletzt, oder gar tot unterhalb des Abhanges liegen, treibt mir den kalten Angstschweiß auf die Stirn. Irgendwann, nach dem vielleicht zehnten Brüllen mit und gegen den Wind höre ich eine Antwort, und zwar unter mir. Er ist also tatsächlich selbständig losgeklettert, dabei aber offensichtlich unversehrt nach unten gelangt. Vor lauter Erleichterung geht es mir glatt aus dem Sinn, ihn für sein Verhalten zu maßregeln. Ein kleiner Gegenanstieg, abermals hinauf zum Tsergo-Ri-Nord erwartet uns, dahinter wird das Gelände wieder leichter. Im Anstieg zum Gipfel werden wir von den ersten Graupelschauern überschüttet. Der harte, eisige Wind bleibt uns erhalten, die Schauer kommen und gehen, fallen aber glücklicherweise nicht zu heftig aus. Am wichtigsten ist jedoch, dass uns die Sicht erhalten bleibt, und kein Gewitter über unseren Köpfen losbricht. Am Wolkenbild erkenne ich, dass es in Kijangjin gerade runterlässt. Ich denke an Peter. Der ist sicher schon in Sorge um uns, denn wir haben inzwischen das besprochene Zeitlimit erreicht, doch wird sicher noch mehrere Stunden dauern, bis wir das Dorf erreichen.
Wir mühen uns bis zu den Hütten von Yala Kharka, wo wir uns die erste längere Pause des Tages gönnen. Hinter windgeschützten Mauern verzehren wir unsere mitgeführten Snickers-Momos (Spezialität aus Kijangjin :-))), trinken die letzten Schlücke des noch halbwarmen Tees, dazu kaltes Wasser. In nur langsamem Tempo, von garstigen Winden und immer wiederkehrenden Schauern gepeitscht, schaffen wir schließlich den uns nun unendlich erscheinenden Weg von Yala Kharka zurück ins Dorf. Peter kommt uns vom Dorf her bereits entgegen und bestätigt mir meine Sorge um seine Sorge. 17.15 h ist unsere exakte Ankunftszeit, mehr als 14 Stunden sind seit unserem Aufbruch heute morgen verstrichen. Für die Kenner der Walliser Alpen sei noch ein Vergleich herbeigeführt: der längste "Normalaufstieg" auf einen 4000er in den Alpen ist der zur Dufour-Spitze (4634 m) von der Monte-Rosa-Hütte (2795 m) aus mit mehr als 1800 Höhenmetern. Wir haben heute das gleiche getan, Ausgangs- und Zielpunkt allerdings um 1000 Höhenmeter nach oben verschoben ....
Wir kommen als zwei Pflegefälle in der Yeti-Lodge an. Peter bringt uns heißen Tee an die Betten, dampfende Knoblauchsuppe und reichlich anderes Essen werden unverzüglich für uns vorbereitet. Auch ich habe heute den fortgeschrittenen Erschöpfungszustand erreicht, kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten mal körperlich derart ans Limit gegangen bin. Ich fühle mich wie im Fieber, der Schädel brummt (jetzt erst, nachdem wir vom Berg wieder unten sind!), ich beginne zu frieren und zu zittern, und Valerij scheint es nicht anders zu gehen. Er hat mir übrigens schon auf dem Rückweg eine Ankündigung gemacht, die mich zunächst entsetzt hatte: "Ich will mir im Dorf einen Führer suchen und es übermorgen noch mal probieren!" Kein halbwegs normaler Mensch hätte in jenem Zustand, in dem er war, als er diesen Satz von sich ließ, nur im schlimmsten Alptraum daran gedacht, diese Route nur zwei Tage später noch einmal zu machen. Aber das ist eben Valerij ...
10.05.2009
Die Würfel sind in der Zwischenzeit gefallen, wir haben gestern alles besprochen. Thiley Lama wird Valerij für morgen einen Guide besorgen. Er wird heute einen Ruhetag einlegen, derweil ich und Peter gemütlich nach Langtang-Village runtersteigen. Unser Treffpunkt soll schließlich die Ganesh-View-Lodge (Rimche, 2450 m) sein. Desweiteren wurde vereinbart, dass Valerij unverzüglich in der Ganesh-View-Logde anrufen wird, sobald er unversehrt wieder vom Gipfel zurückgekehrt ist. Das Langtang ist auch diesbezüglich ein fortschrittliches Tal, weitestgehend mit Solarstrom und Telefonverbindung ausgestattet. Wie toll dieser Verbindung schlussendlich ist, sollen wir noch erfahren ...
Über Nacht hat es bis ins Dorf herab geschneit, der Tsergo Ri steht schneeweiß in der Luft. Während die wärmende Morgensonne in Kijanjin die Dächer schon zum Triefen bringt, werden die Hügel ringsum wohl ihr schickes Weiß noch eine Weile behalten, zumal es bereits kurz nach dem Frühstück schon wieder vorbei ist mit Sonnenschein. Nun heißt es für mich und Peter Abschied nehmen von unserem Gastgeber Thiley Lama, seiner Frau und ihrer Tochter. Am Dorfausgang geben wir Valerij noch je eine kräftige Umarmung und Glückwünsche mit, dann wird unter bereits düsteren Wolken Richtung Langtang-Village abgestiegen. Wir erreichen unsere geliebte Eco-Lodge gerade mal mit dem Losbrechen von nun dauerhaft anhaltenden, heftigen Regengüssen. Die Leute von der Lodge erkennen uns sofort wieder und begrüßen uns mit großer Freude. Außer uns beiden sind nur noch ein Deutscher und eine Schweizerin zu Gast. Beide sind Lehrer und haben im Rahmen eines Hilfsprojekts in Thulo Barku den dortigen Kindern etwas englisch beigebracht. Jetzt haben sie Auszeit und nutzen ihre verbliebenen Tage in Nepal zum Trekking. Von unserer tibetischen Gastfamilie erfahren wir noch, dass Langtang-Village ein rein tibetisches Dorf ist, will heißen Flüchtlinge aus dem chinesisch besetzten Teil Tibets oder deren Nachkommen.
Instruierend ist auch ein Blick aus dem Fenster: wenn es bei uns zu Hause in den Bergen regnet, so sinkt für gewöhnlich die Schneefallgrenze mit anhaltender Dauer der Niederschläge ab. Es ist mir bereits gestern aufgefallen, dass das hier anders zu sein scheint, denn die Schneefallgrenze sinkt und steigt innerhalb kürzester Zeiträume. Spektakuläre Phänomene ergeben sich immer wieder in den Niederschlagspausen, wenn umherziehender Nebel draußen wilde Spiele treibt, oder ein abendliches Sonnenstrahlbündel wie Laserlicht durch dampfende Wolkenbäusche hindurchbricht. Für gewöhnlich hält der Monsun im Monat Juni in Nepal Einzug. Im Mai nehmen im allgemeinen aber die Niederschläge, vor allem Nachmittags, zu. Dafür befinden wir uns jetzt in der wärmsten Zeit, obwohl uns das in dreieinhalbtausend Metern Höhe überhaupt nicht so erscheinen mag ;-)
11.05.2009
Unsere heutige Etappe wird bereits nach wenigen hundert Metern unterbrochen, denn im Aufstieg hatte ich bereits betont, dass ich das örtliche Gompa unbedingt besichtigen will. Die Bewohner der Häuser um Langtang-Gompa lotsen uns den Weg zu der Familie, die derzeit den Schlüssel innehat. Das Langtang-Tal ist sicher eines des wohlhabendsten Nepals, ja des gesamten Himalaya. Die Frau, die uns nun den Gompa aufschließt, scheint aber nicht zu den Gewinnern des hiesigen Tourismus zu gehören. Sie sieht sehr verwahrlost aus und auch schmutzig. Der Tourismus hat einem Großteil der hiesigen Bewohner einen gewissen Wohlstand gebracht. Auf der Verliererseite stehen die Leute, die nie an diesen Kuchen herangekommen sind, so auch teils steinalte, bucklige Männer, die sich als Träger verdingen müssen, aber auch ein hoher Konkurrenzkampf und verbreitete Bettelmentalität sind die weniger schönen Seiten dieser ganzen Entwicklung. Man hat hier inzwischen auch mitbekommen, was für Leute diese Touristen sind, wie sie ticken und wo man sie finanziell erweichen kann. So wird das Erbitten von Schulgeldüberweisungen für Kinder offenbar zur Masche. Es ist dann für einen Außenstehenden sehr schwer, zu beurteilen, wer hier jetzt bedürftig ist und wer nicht. Wenn man also nicht die Zeit und die Möglichkeit hat, genauer hinter die Kulissen schauen zu können, so scheint es wohl eher ratsam, seine Hilfswilligkeit mittels einer zuverlässigen Hilfsorganisation umzusetzen.
Das Gompa indes leidet unter Wasserschäden, was sehr bedauerlich ist, da es sich um ein jahrhundertealtes historisches Gebäude handelt. Auch wenn es nicht mehr permanent genutzt wird, so pilgern doch in gewissen Zeitabständen Mönche herauf, um hier oben zu meditieren oder Pujas zu feiern.
Nun erfolgt ein entspannender Abstieg, vorbei an wolkenverhangenen Bergspitzen, schwarzen, regenglitschigen Felswänden, üppig grünen, mit aschgrauen Steinmauern umrahmten Feldparzellen und mitunter in schönste Lagen gebaute Logdes oder Bauernhäuser. Bald schon tauchen wir in den regenduftenden, märchenhaften Nebelwald ein, weiße und violett angetönte Rhododendronblüten stechen zwischen all dem Grün hervor, aber auch die Waldböden sind übersät mit allerlei bunten Blumen.
Die Ortschaft Rimche (2450 m) besteht nur aus zwei Lodges: das Evening-View und das Ganesh-View. Beide Häuser thronen aussichtsreich hoch über einer üppigen Bergwaldszenerie. Sogar ein angeschneiter Bergspitz streckt noch überhalb eines wildbachdurchzogenen Schluchteneinschnitts seinen Kopf empor.
Das Ganesh-View kommt uns mit 8 Personen schon fast überfüllt vor. Wir nehmen am Tisch in einer Ecke Platz, der uns durch´s Fester großzügige Blicke talabwärts gewährt. Auch ein Wasserfall glänzt paradiesisch inmitten der tiefgrünen Flora. Übrigens gehört der rote Pandabär, neben Affen, Himalayabären und vielen anderen Waldtieren, zu den typischen Bewohnern der hiesigen Waldregion. Man soll den Pandabären übrigens fast so häufig zu Gesicht bekommen, wie den so oft zitierten Schneeleoparden ;-). Am Nachbartisch sitzt ein Führer, der seinen beiden holländischen Begleitern was vom Yeti erzählt. Davon soll es zwei Arten geben, einen gutartigen und einen bösartigen – au weia ...
Draußen gehen immer wieder starke Regengüsse herunter. Wir sitzen nach dem Essen beieinander und unsere Sorgen um Valerij werden größer und größer. Es ist schon Nacht und der versprochene Anruf ist immer noch nicht erfolgt. Wir spekulieren: nein, bei diesem Wetter sind sie bestimmt nicht losgegangen, das würde der Führer nicht mitmachen! Manchmal ist es gut, wenn man nicht alles weiß ...
Ich versuche jetzt, von uns aus in Kijangjin anzurufen. Ich erreiche zuerst Thiley Lama´s Lodge in Langtang ( er hat dort noch eine, neben der Yeti-Lodge in Kijangjin). Dort wird mir gesagt, die Yeti-Lodge habe kein Telefon. Ist in gewisser Weise richtig, sie haben dort oben nur Satellitentelefon. Die zweite Nummer, die mir Thiley gegeben hat, ist falsch, sie gehört einer anderen Lodge in Kijangjin. Zu guter Letzt rufen wir die unmittelbare Nachbarlodge von Thiley´s Yeti-Lodge an. Man soll dort zu Thiley rübergehen und ihm Bescheid sagen, er oder Valerij mögen uns doch bitte anrufen. Die Verbindungen sind übrigens katastrophal, man muss wie ein Brüllaffe in den Apparat hineinschreien und versteht dann obendrein fast nichts, da die Antwort undeutlich und mit zeitlicher Verzögerung rüberkommt. Gott sei Dank ist mir unser Wirt bei der ganzen Sache behilflich. Der Rückruf aus Kijangjin bleibt aus. Alle möglichen Gedanken und Ideen beschäftigen uns jetzt. Mit großen Sorgen legen wir uns schließlich zu Bett.
12.05.2009
Frühmorgens klopft die Lodgewirtin an unsere Tür. Telefon aus Kijangjin! Ich springe aus dem Bett, stürme über den Hof zum Apparat. Es ist Valerij. Alles sei gut gegangen, so seine Meldung. Sie seien auf dem Gipfel gewesen. Er würde uns alles noch später erklären, bis zum Nachmittag könnten wir mit seiner Ankunft in Rimche rechnen. Mir donnert ein Felsbrocken vom Herzen. Peter und ich haben jetzt alle Zeit der Welt, können nun endlich wieder unbeschwert das herrliche Ambiente um die Ganesh-View-Lodge genießen. Der Besitzer klagt uns sein Leid darüber, dass die meisten Trekkingtouristen an solchen Lodges, wie dem Ganesh einfach vorbeiziehen, da sie für gewöhnlich die Hauptetappenziele, wie etwa Lama Hotel anstreben. Diese vielen schön und ruhig gelegenen Häuser bleiben dabei buchstäblich auf der Strecke.
Mittags trifft Valerij ein, bereit, immer noch ein wenig weiterzumarschieren. Unglaublich, was der Mensch dann die vergangenen drei Tage geleistet hat! So brechen wir denn um 13.45 noch auf. Wir wollen nicht den neuen und vielbegangenen Weg durch die Schlucht einschlagen, der in einer Tagesetappe direkt nach Siabrubensi führen würde, sondern nehmen den alten, oberen Weg begehen und planen dabei noch einen kleinen Schlenker ins Bothi-Khosi-Tal, also Richtung tibetische Grenze. Das Ganze soll auf zwei gemütliche Tage verteilt werden. Heute wollen wir nur noch das Dorf Khamjing (2230 m) erreichen, in welchem wir nach etwas mehr als zwei Stunden Gehzeit eintreffen dürften. Wie gewohnt, ist das nachmittägliche Wetter wieder von starker Bewölkung geprägt, und unterwegs sucht uns gar ein Gewitter heim, welches aber glücklicherweise nicht zu heftig ausfällt. Nach einer Stunde Gehzeit passieren wir das Dorf Sherpagaon (2550 m), welches malerisch und aussichtsreich in den steilen Hang gebaut ist und ebenfalls eines Aufenthaltes über Nacht würdig wäre. Jenseits der Schlucht, als Hahnenkamm auf dem Gegenhang residierend, steht der Ort Thulo Siabru, wo wir uns auf dem Hinweg am ersten Tag unsere Mittagsrast gegönnt haben. Wenig später erspähe ich tief, direkt in Falllinie unter uns, eine Häusergruppe, die mir wie eine Missionsstation inmitten des Urwaldes erscheint. Es ist die Lodgesiedlung Bamboo, in der wir während unseres Aufstiegs ins Langtang die erste Nacht zugebracht hatten. Für einen weiteren lohnenden Aussichtspunkt, welcher zusätzlich mit Steinmauern umgeben ist, muss man später vom Weg aus einen kleinen Abstecher von wenigen Metern gehen, dann kann man hinunter zur Straße und nach Siabrubensi schauen.
Bald danach erreichen wir unser Tagesziel Khamjing. Ein zauberhaftes Dorf, in typischer Hanglage, abseits der Haupttouristenroute. Die regendüstere Stimmung malt ein Bild von wildherber Schönheit und suggeriert uns nun, einen Ort zu erreichen, wo uns anlässlich des doch unbehaglichen Wetters Behaglichkeit und Obhut geboten sein sollen. Im schlichten, aber sehr empfehlenswerten Yak-Hotel nehmen wir Quartier. Den ganzen Abend bringen wir in der warmen Küche der Hausherrin zu, die uns fleißig bekocht. Ständig kommen Dorfbewohner zu Besuch, es wird Tee und Schnaps getrunken, und auf Tamang getratscht, diskutiert und gelacht. Diese Übernachtung hier hat schon etwas von einem Homestay à la Spiti und soll mir als eine der originellsten auf unserer Reise in Erinnerung bleiben.
13.05.2009
Anderntags begutachten wir im strahlenden Morgenlicht die Felder des Dorfes, währenddessen die Wirtin uns ein reichhaltiges Frühstück zubereitet. Kartoffeln, Mais, Gerste, Knoblauch, Zwiebeln sind so die Nutzpflanzen, die wir Nicht-Agrarexperten in den wunderschön angelegten Terrassenfeldern ausfindig machen können.
Die Morgensonne ist angenehm warm, was uns zum Frühstück im Freien animiert. Unsere Blicke schweifen gen Süden über das Bothi-Koshi-Tal hinweg. Aus dieser Richtung sind wir mit dem Bus von Kathmandu her angereist. Im Westen erhebt sich eine verschneite Bergkette. Diese ist Teil des Ganesh-Himal. Der Ganesh-Himal ist ein Massiv, welches mit mehreren über 7000 Meter hohen Bergspitzen aufwarten kann. Die Hauptgipfel des Massivs tragen alle den Namen Ganesh und sind zur Differenzierung durchnummeriert, eine Praxis, die man in Himalaya und Karakorum häufig antrifft.
Unsere geplante Schlaufe, die uns den Bothi Koshi etwas weiter nach Norden hinaufbringen und uns durch einige urtümliche und pittoreske Tamang-Dörfer führen wird, soll etwas mehr als vier Stunden Gehzeit in Anspruch nehmen, wobei der Großteil an zurückzulegenden Höhenmetern bergab führen soll. Also wohl keine allzu anstrengende Etappe, denken wir. Peter scheint heute von uns Dreien am besten in Form zu sein. Ich selbst fühle mich nicht allzu ambitioniert und Valerij hat heute seinen absoluten physikalischen Tiefpunkt. Na ja, wen wundert´s ...
So wird es dann auch 10.45 h, bis wir uns gemächlich die Rucksackriemen überstreifen und uns langsam in Bewegung setzen. Die Tour ist im Übrigen von zahlreichen kleinen Zwischenanstiegen gekennzeichnet, von denen wir jetzt noch nichts wissen und die uns im fitten Zustand auch sicher keinerlei Mühe bereitet hätten. Doch heute bedeutet für Valerij und mich bereits jeder kleine Anstieg ein gewisses Maß an Selbstüberwindung. Wir marschieren nach einem Anstieg bald durch herrlich duftenden Kiefernwald, ein junger Einwohner des folgenden Dorfes Bhirdim (2130 m) hat sich inzwischen zu uns gesellt. Er erzählt uns von den Schönheiten seines Dorfes, denen wir gerne Glauben schenken, geben ihm aber auch zu verstehen, dass wir deswegen nicht dort übernachten werden. Das örtliche Gompa möchten wir uns dennoch von ihm zeigen lassen. Es handelt sich um ein kleines, aber sehr altes Kloster, welches unter einen großen, höhlenartigen Felsen geduckt ein verlassenes Dasein fristet. Einmal im Jahr fände hier ein großes Klosterfest statt, so unser Begleiter. Er macht uns noch auf einen Haufen merkwürdiger, wie kleine Muffins geformter Steine aufmerksam, eindeutig von Menschenhand so zugearbeitet. Leider habe ich den Sinn dieser Steine nicht ganz verstanden, weshalb ich hier jetzt auch nichts Falsches wiedergeben möchte. Die Sensation ist aber im Inneren des Gompa aufbewahrt: eine uralte Guru-Rimpoche-Statue. Sie sei vor Jahrhunderten von tibetischen Reisenden(?) oder Flüchtlingen (?) aus Tibet hierhergebracht worden und als Tausch gegen Nahrungsmittel mit den örtlichen Tamang hier verblieben. Ich vermute sehr, dass die Urgründer des Gompa zunächst nur den riesigen, überhängenden Felsen als ihre Gebets- oder Zufluchtstätte ausgewählt haben, da dieser ein natürliches Obdach bietet. Das Gompa trägt übrigens den Namen Dukpu und soll nach Angaben unseres Begleiters 8- bis 900 Jahre alt sein.
Im Anschluss an die Klostervisite besuchen wir das Haus unseres jungen Führers, welches ganz in der Nähe zum Gompa steht. Besonders für Peter ist der Besuch einer typischen einheimischen Behausung wichtig, da er ja nicht mit uns ins Helambu weiterziehen wird und er bislang, außer dem Küchenabend gestern in Khamjing, doch nur die Lodges von innen gesehen hat, die zwar auch von den Einheimischen bewohnt werden, deren Erbauungszweck aber stets ein touristischer ist. Wir diskutieren anschließend den Begriff "Elend", welcher von Kulturneulingen meiner Meinung nach zu häufig und obendrein oft noch falsch angewendet wird. Schuld daran ist meiner Ansicht nach das stets nach einer gewissen (An-)Ordnung suchende mitteleuropäische Auge, was vielen Betrachtern eine objektive Einschätzung erschwert. Die meisten Tamang-Häuser sind sehr sauber, man zieht bei Betreten eines Wohnraumes auch stets die Schuhe aus (wichtig!). Typisch für einen Wohn/Schlafraum ist der Ofen in der Mitte. Ringsherum sitzt man auf weichen Teppichen in Bodenhöhe, für gewöhnlich sind auch niedrige, langgezogene Tische vorhanden. An den Wänden stehen offene Regale, in welchen sämtliche Haushaltsartikel plus Lebensmittel untergebracht sind. An und für sich gleichen sich diese Behausungen weitestgehend mit jenen, die mir aus Spiti und Ladakh bekannt sind. Die Leute wohnen für gemeinhin nicht zur Miete, sondern nennen Haus, Hof, Felder und Nutztiere ihr Eigen. So viel in Kürze zum "Elend" ...
Unser Pfad führt hinter dem Dorf zunächst wieder abwärts zu einer Brücke auf 1960 Metern, dann wieder hinauf. Als nächstes streifen wir den Weiler Bado (1840 m), dann abermals bergab wird Lingning (1660 m) erreicht. Die von Uli Friebel erwähnte Dhaba (in Indien und Nepal eine Art "Gastwirtschaft") wird im Moment unseres Eintreffens von den Einheimischen okkupiert, die im Hof eine Puja feiern. Wir wollen dabei nicht weiter stören und verschieben unsere Lunch-Pause. Jetzt folgen wir direkt dem Lauf des Bothi Koshi abwärts, zunächst hoch überm Fluss, dann direkt an seinen brausenden Gestaden, wo im übrigen viele Kaktusstauden gedeihen, die bei mir Reminiszenzen an Mexiko hervorrufen :-)). Der Weg führt abermals aufwärts, sehr zu meinem und vor allem Valerij´s Verdruss, auch wenn dies wiederum herrliche Aussichten über das Flusstal ermöglicht. An einer einsam und schön gelegenen Lodge halten wir Einkehr. Allerdings belassen wir es beim Bestellen von Getränken und schieben unseren Hunger für unsere Ankunft im "zivilisatorischen" Siabrubensi auf. Wir wandern hier im Übrigen auf einem von Touristen wenig begangenen Teilstück. In diesem Gebiet verläuft übrigens der "Tamang-Heritage-Trail", auch Rasuwa-Trek genannt (benannt nach der Ortschaft Rasuwa), welcher im Verhältnis zum Langtang/Gosainkund/Helambu – zumindest bis vor Kurzem – nur sehr selten begangen wurde und höchste (Tamang-) kulturelle und landschaftliche (Ganesh-Himal) Eindrücke verspricht!
Im Dorf Wangal (1600 m) treffen wir mit dem direkt von Khamjing steil hierher herabführenden Pfad zusammen. Um 16.30 marschieren wir dann in die Neustadt von Siabrubensi ein. Eine Hängebrücke über den Bothi Khosi trennt sowohl Neu- und Altstadt und markiert auch den Straßenkopf, also das Ende der Straße von Kathmandu her. Indes sind Bauarbeiter oberhalb von Siabrubensi unter chinesischer Leitung emsig damit beschäftigt, eine Straße entlang des gesamten Bothi-Koshi-Tals hinauf zu sprengen, wodurch eines Tages eine Überlandverbindung nach chinesisch-Tibet geschaffen werden soll. Die Gerüche nach allerlei Gewürzen des indischen Subkontinents im Restaurant des Buddha-Guesthouses wecken in mir unmittelbare Begierden. Doch in erster Linie sind zumindest Valerij und ich gottfroh, endlich angekommen zu sein. Leider hatten wir in Kathmandu zu wenig Euros in Rupien gewechselt, was mich nun dazu zwingt, mein Glück in den umliegenden Läden zu versuchen. Es dauert eine geraume Weile, bis ich einen Laden gefunden habe, dessen Inhaberin bereit ist, mir mein Geld zu einem halbwegs akzeptablen Kurs einzutauschen. Der staubige Straßenort Siabrubensi vermittelt uns zwar ein eigenartiges Gefühl von Rückkehr in die "Zivilisation", es gibt hier allerdings weder Bank noch ATM. Als nächstes besorgen wir das Busticket für Peter, der morgen nach Kathmandu zurückkehren und bald schon wieder in Deutschland sein wird. Ein Rasierversuch meinerseits war ja vor Tagen oben in Kijangjin kläglich gescheitert, weshalb ich diesbezüglich meine Hoffnung auf unsere Ankunft in Siabrubensi gesetzt habe. Aber auch hier gibt es leider keinen Barber´s Shop, weshalb ich mich jetzt endgültig damit abfinde, erst in KTM wieder geschmeidige Backen zu bekommen. Nun ist Entspannung angesagt, Duschen, viel, viel Essen und Trinken, gemütliches Beisammensein :-). Ganz sicher werden wir die Abende mit Peter und sein Talent für derben und schonungslosen Männerhumor auf unserer Weiterreise ins Helambu mit großem Bedauern vermissen :-( ...
Eigentlich war vorgesehen, dass sich Peter´s und unsere Wege hier in Siabrubensi trennen sollen. Von hier aus wollten wir über Thulo Siabru in Richtung Gosainkund-Seen aufbrechen. Ich habe mir die Karte abermals angeschaut und eine kürzere Aufstiegsmöglichkeit ab Dhunche entdeckt. Das Dorf Thulo Siabru haben wir ja bereits auf dem Hinweg gesehen und sowohl die eine als auch der andere Aufstiegsvariante sind uns gänzlich unbekannt. Unsere Entscheidung ergeht zugunsten der kürzeren Option, weshalb wir morgen früh mit Peter zusammen in den Bus steigen und uns erst in Dhunche trennen werden.
14.05.2009
Heute dürfen wir sogar im Businneren sitzen :-). Nach anderthalb Stunden ruppiger Fahrzeit erreichen wir Dhunche. Es ist 8 Uhr. Die etwa 1200 Höhenmeter Anstieg durch verschiedene Waldvegetationsstufen, begleitet von allem möglichen subtropischen Vogelgezwitscher und
Gepfeife, sind für uns eine Wonne. Wir fühlen uns heute wieder vollkommen bei Kräften. Die Lodge von Deurali steht auf einer aussichtsreichen Lichtung mit entzückendem Bergpanorama (ich vermute die Pangsang-Lekh-Kette nördlich des Langtang-Tales). Wir kehren hier zum Lunch ein und lernen dabei ein katalanisches Pärchen kennen, welches sich auf Hochzeitsreise befindet. Ihre beiden nepalesischen Begleiter sprechen auch spanisch und ich bin erfreut, wieder mal in diesem von mir geliebten Idiom konversieren zu können.
Wir tauchen abermals in Bergwald ein. Hier sind es überwiegend wohlduftende Kiefern, die unsere Nasen kitzeln. Ein Checkposten wird passiert, dann erreichen wir Shin Gompa (3300 m). Shin Gompa ist nichts anderes als eine Anhäufung von Lodges um das namensgebende kleine Kloster herum. Der Umstand, dass sich die Lichtung hier, von einem Blumenmeer übersät, bis auf den Bergkamm hinauf ausbreitet, und somit tolle Aussichten zu den grünen Himalaya-Vorbergen eröffnet, ist vermutlich auf einen hier stattgefundenen Waldbrand zurückzuführen. Am Nachmittag wird die ganze Gegend von subtropischem Nebel eingehüllt. Wir kehren kurz in der örtlichen Käserei ein, die zwar zur Zeit nicht betrieben wird, uns aber trotzdem mild und fein schmeckenden Yakkäse verkauft. Wir haben Glück, als wir am Gompa eintreffen. Dies ist derzeit für Besichtigungen geschlossen, da gerade Renovierungsarbeiten in Vorbereitung sind. Unserem katalanischen Pärchen ist es aber gelungen, dafür zu sorgen, dass aufgeschlossen wird. Das Innere bietet, wie auch schon die beiden zuvor von uns besichtigten Gompas, vielleicht nicht gerade die Sensation des Himalaya, es handelt sich aber gleichwohl um ein sehr altes Kloster. Unsere Unterkunft "Sherpa-Hotel", in dem wir die einzigen Gäste sind, wird von einem blutjungen Pärchen mit einem süßen, zweijährigen Sohn geführt.
15.05.2009
Um 9.15 h setzen wir unseren Weg fort. Es herrscht bereits großräumiger Wolkenaufzug. Der Aufstieg erfolgt durch den Nebelwald des Bergkammes Chala Pati Danda, dem wir seit gestern kontinuierlich aufwärts folgen. Unterwegs passieren wir die kleine Lodgesiedlung Chala Pati (3584 m), dann folgt ein kleiner Schrein und auf etwa 3800 Metern Höhe ist die baumlose, subalpine Zone erreicht. Abermals schreiten wir zwischen einer kleinen Anhäufung von Unterkunftshäusern hindurch, hier liegen schon die ersten Neuschneeflecken. Ein weiterer Schrein folgt, inzwischen graupelt es vom Himmel herab und wir sind komplett in Nebel gehüllt. Eine Gruppe von hinduistischen Nepali kommt von den Seen herab, die roten Punkte der Puja sind noch frisch auf der Stirn. Das Gebiet Gosainkund besteht aus mehreren wunderschönen Bergseen inmitten herrlicher Bergkulisse. Einer der Seen trägt dann tatsächlich den Namen Gosainkund. An dessen Ufer befindet sich ein kleiner Hindutempel. Der See und der Tempel werden bei den Hindus hoch geheiligt. Im Monat August, also mitten im Monsun, findet hier ein Massenpilgern statt, wo tausende den beschwerlichen Fußweg hier herauf nehmen, um ihre Weihen zu empfangen und Pujas zu zelebrieren. Die lokalen Lodgebesitzer brauchen also hier während der Monsunzeit nicht zu befürchten, dass sie leer ausgehen, nur die Kundschaft ist dann eine andere.
Hinter dem bereits erwähnten Schrein wird unser Weg nun richtig spektakulär: in Serpentinen windet er sich zwischen nackten Felsen und tiefen Abhängen durch die Bergflanken, die Nebelschwaden ziehen launisch und unkontrolliert hin und her, geben Tiefblicke in schwindelerregende Abgründe frei oder bringen wunderschöne Bergseen zum Vorschein und decken diese zugleich wieder zu. Inzwischen hat Schneefall eingesetzt, ein garstiger Wind pfeift um unsere Ohren, Handschuhe und Mütze müssen herhalten. Das Wetter ist zwar unwirtlich, verleiht dieser Etappe dafür etwas Wildherbes, das Gefühl, in einer ungebändigten Natur unterwegs zu sein, ohne dass wir uns dabei jedoch in einer außergewöhnlichen Gefahr befinden.
Die Lodgesiedlung oberhalb des Gosainkund-Sees ist schließlich erreicht. Wir werden gleich beim ersten Haus vom Besitzer abgefangen und nach kurzen Verhandlungen beschließen wir, auch dort zu bleiben. Hier ist mal richtig was los: vier Holländer, vier Israeli und später soll sich noch unser katalanisches Pärchen dazugesellen. Hinzu kommt eine große Anzahl von nepalesischem Hilfspersonal, da die anderen Gruppen teils mit Führer und Trägern unterwegs sind. Wir erleben hier jedenfalls einen unterhaltsamen Abend, einschließlich der Teilnahme am jüdischen Sabbath (heute ist Freitag). Dummerweise werde ich aber seit gestern von einer Erkältung geplagt und ich fröstle die ganze Zeit über mehr oder weniger, obwohl unser Gastgeber den Ofen kräftig anheizt. Ich bitte unseren Wirt um eine Decke für die Nacht, denn schließlich befinden wir uns hier inzwischen wieder auf stolzen 4380 Metern, die Nacht verspricht kalt zu werden und die im Nebengebäude untergebrachten Schlafgemächer sind natürlich nicht beheizt. Als ich zu relativ später Stunde schließlich unter Schlafsack und Decke vergraben bin, wird mit zum ersten Mal seit unserer Ankunft so richtig mollig warm und ich falle in einen erholsamen Tiefschlaf.
16.05.2009
Um 8 Uhr gelingt uns der Abmarsch, um 9.15 h befinden wir uns auf der Passhöhe des Laurebina La (4609 m). Der Laurebina La vermittelt den Übergang von der Langtang-Region ins Helambu. Wir erleben diesen in Nebel und Neuschnee, eben wieder wildherb, wie am Vortag. Bis zur Passhöhe liegen weitere schöne Bergseen am Weg, dann folgt der Abstieg, der uns heute wieder in die Bergwaldzone zurückbringen soll. Wir müssen uns durchaus auf den Abstiegsweg konzentrieren, Neuschnee und Nebel erschweren die Situation. Ich möchte mich auch nicht nur einfach auf die Spuren unserer Vorgänger verlassen, denn ich weiß schließlich nicht, wer da nun vor uns gegangen ist. Wir erreichen ein Almgebäude und der Nebel lichtet sich. Jetzt wird der Blick frei über die schottrig-braune und weiß angezuckerte Bergwelt bis hinab in die grünen, supersteilen Taleinschnitte. Die erste kleine Lodgesiedlung Surya Phedi (3650 m) auf der Helambuseite fällt uns negativ durch die umgebende Vermüllung auf. Wir wollen ohnehin weiterziehen. Es wird eine lange und anstrengende Etappe, viele, teils nicht unerhebliche Gegenanstiege erwarten uns. Das landschaftliche Erlebnis entschädigt allerdings unsere Mühen. Mitunter haushohe Boulder säumen den Weg, wasserfalldurchtoste Schluchten werden gequert, herrliche Nebelwälder, reich an Blumen, Bambus und Rhododendron durchstreifen wir. Wir marschieren durch Gopte (3440 m), steigen anschließend mühevoll den Tharepatipass empor, bis wir zu guter Letzt die Lodgesiedlung von Tare Pati auf 3600 Metern Höhe erreichen. Die letzte Stunde unseres Marsches werden wir dann noch richtig nass, übrigens das erste Mal während unseres Trekkings. Schön, wenn man dann im beheizten Aufenthaltsraum einer urgemütlichen Lodge sich räkeln und von den kredenzten Speisen und Getränken verwöhnen lassen kann! Von unserem aussichtreichen Quartier aus können wir übrigens einen Blick zum heiligen Berg Ama Yangri (3771 m) hinüberwerfen. Dieser Anblick erheischt schon unsere Gemüter, vielleicht übermorgen auf diesen grünen, elegant und exponiert auf der anderen Talseite in die Höhe ragenden Berg hinaufzusteigen, und uns von der viel gepriesene Aussicht dort droben berauschen zu lassen und obendrein noch eine fromme Pilgerfahrt unternommen zu haben ...
Ich begebe mich zum Sonnenuntergang noch mal nach draußen, das Wetter hat sich inzwischen beruhigt und jetzt werden auch wieder die hohen Berge in der Ferne sichtbar. So kann ich nun den Ganchenpo von seiner anderen Seite her bewundern. Drüben im Hang ruht das Dorf Tarkegyang (2500 m), Endziel unserer morgigen Etappe.
17.05.2009
Um 8 Uhr begeben wir uns auf den Weg. Die Dörfer Melamchegaon und Nakotegaon erscheinen wie brasilianische Urwalddörfer, im Unterschied zu denen aber von dramatisch steilen Waldbergen, tiefeinschneidenden Schluchten und imponierenden Wasserfällen umgeben. Es sind dies für mich die bislang schönsten Dörfer auf unserer Trekkingtour. Die Siedlungen sind sehr weit ausladend gebaut, es ist viel Platz zwischen den einzelnen Häusern, der mit üppig bepflanzten Feldern ausgefüllt wird. Die Häuser selbst sind mit paradiesischen Blumengärten verziert, auch Palmen gedeihen hier. Zentrum eines jeden Dorfes ist stets ein Gompa. Zum Glück ist meine Nase wieder halbwegs frei, um sie von den köstlichen, aromatischen Düfte betören zu lassen, welche die Subtropen uns hier offerieren :-). Wir steigen nun bis auf 1800 Meter herab, der Tiefpunkt ist an der Hängebrücke über den Melamchi Khola erreicht, anschließend geht es wieder aufwärts. Um die Ortschaften herum, aber auch mitten am Weg, begegnen uns nun immer häufiger Chörten und Manimauern, die mit Gras und Moosen völlig überwuchert sind, und die auf diese Weise den verschollenen Maya-Ruinen in den Regenwäldern Mittelamerikas gleichen.
Um 14.30 h erreichen wir schließlich unser Tagesziel Tarkegyang (2500 m). Auch diese traumhaft schöne Ortschaft, welche sich idyllisch unter die steilen Hänge des heiligen Berges Ama Yangri duckt, vermittelt etwas von Urwaldstimmung. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Siedlungen stehen hier die Häuser allerdings wieder sehr dicht beieinander. Von Tarkegyang aus kann man wunderschön nach Melamchegaon hinüberschauen. Überrascht und erfreut sind wir über unsere Unterkunft: Das "Hotel Tarkegyang" hat die Bezeichnung Hotel wahrlich verdient. Der Diningroom ist fast schon vornehm im traditionellen Stil eingerichtet, man traut sich kaum, mit den verschmutzten Trekkingklamotten auf den schönen, sauberen Sitzteppichen Platz zu nehmen. Das preisliche Niveau ist dazu noch niedriger, als wir es in so manch schlichterer Lodge des Langtang erlebt haben. Auch unsere spätere Erfahrungen im Helambu stellen für mich persönlich die Aussagen in Frage, welche ich vor unserer Abreise nach Nepal mehrfach im Internet gelesen habe: die Lodges im Helambu seien bezüglich ihrer Einrichtungen und des Essens qualitativ schlechter und auch die Dörfer ärmer, als im Langtang. Diese Aussage kann ich mit meinen subjektiven Erfahrungen jedenfalls nicht bestätigen. Valerij hat sich unterwegs einen Blutegel eingefangen. Zur Monsunzeit soll dieses blutrünstige Gewürm ja zu einer richtiggehenden Plage werden.
18.05.2009
Wir wollen heute dem Gipfel der Ama Yangri einen Besuch abstatten. Zu diesem Zweck lassen wir unser Gepäck im Hotel zurück und steigen, nur mit Jacken und Wasserflaschen behangen, zunächst steil in die Passhöhe Chomothang (3120 m) auf, wo sich ein paar einfache Hirtenhütten befinden. Weiter bleibt der Weg steil, durch einen Totholzwald gehen wir nun hoch über einem Wolkenmeer, welches die Täler unter uns gänzlich verschluckt hat, zum Gipfel. Dieser wird von einem riesenhaften, neuen Chörten besetzt, den wir obligatorisch umrunden. Kurioserweise befindet sich neben dem Chörten einen Helilandeplatz (?). Auch wenn das inzwischen aufgezogene Gewölk immer nur einzelne Segmente der langen Bergkette vor uns freigibt: die Aussicht ist wirklich atemberaubend!
Die Ama Yangri wird von den Yolmo (Einwohner des Helambu) als eine hier auf der Erde zum Berg gewordene Göttin (Ama = Mutter) betrachtet. Wer sie ansieht, dem sei ein langes, unfallfreies Leben bestimmt. Alljährlich entweder im Monat März oder im April findet ihr zu Ehren auf ihrem Gipfel bei Vollmond ein großes Fest mit Puja statt.
Um 12.30 h sitzen wir wieder auf dem Balkon unseres Hotels, lassen uns Schwarztee und Snickers servieren. Sodann heißt es Abschied nehmen von Takegyang und seinem gleichnamigen 5-Sterne-Urwaldhotel! In drei Stunden Wanderzeit, die uns nur minimale Höhenunterschiede einbrocken, erreichen wir über das sehenswerte Gangyul schließlich Sermathang. Dieser auf 2600 m Höhe gelegene, wunderbare Flecken ist seit Kurzem an eine Fahrpiste angeschlossen. Zur dortigen Mountain-View-Lodge wurden wir von den Eignern des Tarkegyang-Hotels weitergereicht, eine allgemein übliche Praxis, die wir ja auch vom Langtang und vom Gosainkund her schon kennen. Die Wirtin ist eine sehr aufgeschlossene und freundliche Frau, das Töchterchen schlägt in der Liebenswürdigkeit der Mutter nach und der schon erwachsene Sohn, den wir am Abend kennenlernen, verfügt über die beste englische Pronuntiation, welche ich je von einem Nepalesen gehört habe. Verdanken würde er das den immer wieder in der örtlichen Dorfschule auf Zeit praktizierenden voluntären Lehrer aus England, so der junge Mann. Es ist wieder wärmer hier und so halten wir es heute gut und gerne bis nach Sonnenuntergang auf der aussichtsreichen Terrasse der Lodge aus. Wir beobachten die Dämmerung überm Melamchi-Khola-Tal und sehen, wie nach und nach die Lichter der in die umliegende Hänge gepflanzten Bauernhäuser angehen. Die Siedlungsdichte hat in dieser Gegend schon beträchtlich zugenommen. Wir essen zusammen mit der Familie in einem wunderschönen, blitzsauberen Dining-Room und hier wähne ich mich nun wirklich wie in einem echten Homestay, wie ich es in Spiti erlebt habe.
19.05.2009
Es wird hier in Sermathang offensichtlich, dass wir die großen Berge nun endgültig verlassen, und im Reich der immergrünen Wogen des Vorgebirges angekommen sind. Ein letzter Blick zurück zu den Großen ist uns aber doch noch in den frühen Morgenstunden vergönnt. Eigentlich wollten wir in einem der drei örtlichen Tempel einer Puja beiwohnen, was leider nicht geklappt hat. Dafür erstrahlen jetzt in der Morgensonne in einiger Entfernung nochmals verschneite Hochgipfel im Hintergrund. Die ganz Großen im Nordosten allerdings erscheinen durch den Sonnenstand recht fahl und Nachmittags sind sie für gewöhnlich um diese Jahreszeit in Wolken gehüllt. Eines der drei örtlichen Gompas hat übrigens eine auffallend verrußte Außenwand. Es muss hier wohl einmal gebrannt haben. Nachdem wir alle drei Dorftempel von außen besichtigt und der Puja auf dem Hügel einen Besuch abgestattet haben, kehren wir zurück zu unserer Lodge, um zu frühstücken. Eile ist heute überhaupt keine geboten, denn die geplante Etappe von hier nach Kakani beträgt nur zwei Marschstunden. Man empfiehlt uns, dabei auf der Straße zu bleiben. Im Nachhinein vermute ich aber, dass der alte Pfad immer noch existieren könnte. Mag sein, dass die Leute hier nun stolz sind auf die Errungenschaft einer "Straße" und es vielleicht nicht verstehen, wie man dann weiterhin einen altmodischen Wanderpfad bevorzugen kann. Wie auch immer, dort, wo die Straße relativ steil abwärts zu serpentieren beginnt, lässt sich über schöne Short-Cuts, die nun ganz offensichtlich Reste des alten Pfades sind, zielstrebig nach unten gehen.
Kakani als Dorf zu bezeichnen, wäre sicherlich der falsche Ausdruck. Ein paar Gästehäuser und eine Schule an einer wüsten, aber so gut wie nicht befahrenen Straße, das war´s. Schön ist die Umgebung hier dennoch: man ist umgeben vom Grün der Anbauterrassen und gönnt sich nochmal ein paar schöne Talblicke. Das Klima ist angenehm, es herrscht eine nochmals wunderbare Ruhe und das Gompa auf dem vorgelagerten Hügel wird es uns ermöglichen, zum guten Abschluss doch noch einer buddhistischen Puja beiwohnen zu können. Das lärmige und luftverpestete Kathmandu kann also noch einen Tag warten ... Mit in unserem Gästehaus untergebracht sind Steven und seine Frau Anne. Anne wird werden wir aber erst am folgenden Tag zu sehen bekommen, weil sie schwer erkrankt das Bett hüten muß.
Unser Lodgebesitzer lässt gerade anbauen und so haben wir Zeit und Muße, den beiden Maurern und Steinmetzen (die beiden Berufsgattungen vereinen sich in Nepal) bei ihrer Arbeit zuzuschauen, während wir uns die servierten Fingerchips angedeihen lassen ;-). Es ist schon mühsam und zeitaufwendig, wie jeder Stein erst einmal in die richtige Passform gemeißelt werden muss, doch am Abend ist ein durchaus sichtbares Resultat zu bewundern. Die Sicht in die Ferne ist am späten Nachmittag recht diesig geworden, aber es haben sich riesige Wokentürme aufgebauscht die nun von der Abendsonne buchstäblich lichtdurchflutet werden, ein fesselnder Anblick! Wir sitzen auch Nachts noch längere Zeit draußen und schauen den Glühwürmchen zu, wie sie in der Dunkelheit phosphoriszieren. Noch so ein Erlebnis, das uns froh macht, heute nicht unmittelbar ins Tal hinab und nach Kathmandu zurückgekehrt zu sein, was zeit- und leistungsmäßig sicher kein Problem gewesen wäre.
20.05.2009
Ein Gewitter mit sintflutartigen Regenfällen, wie wir es auf dieser Reise bislang noch nicht erlebt haben, verzögern den morgendlichen Abmarsch. Ich befürchte schon, der Monsun sei nun endgültig angekommen. Ich kann es dann kaum glauben, dass sich nach geraumer Zeit die Himmelsschleusen doch noch schließen. Im Hof wird derweil schon das Wasser mit Besen und Schaufeln beiseite geschoben, das Frühstück nehmen wir unten im Haus ein. Unsere letzte Trekkingetappe bricht an, die noch einige Überraschungen und Wirrnisse in sich bergen wird ;-). Wir meiden die Straße und umgehen den Hügel mit dem Gompa auf der linken Seite in Gehrichtung. Leider gibt es hier nicht nur einen, sondern viele Pfade. Am besten ist es, grob seine Marschrichtung beizubehalten und es so gut wie möglich zu vermeiden, über die Anbauterrassen zu latschen. Wenn dies unvermeidbar ist, was auch uns hin und wieder geschieht, so begeht man diese an den Rändern und schont dabei die Pflanzungen. Wir stoßen hin und wieder auf die Straße, preferieren aber immer wieder die Short-Cuts, was manchmal gut und manchmal schlecht für uns ist :-))! Über die Dörfer Dubhachaur und Kaphaigari gelangen wir schließlich und endlich ins tropische Tal des Melamchi Khola, wo Reis wächst und Bananen gedeihen. Der Ort am Straßenkopf heißt Melamchi Phul Bazaar und liegt nur noch auf 828 Metern, d.h. 500 Meter tiefer, als Kathmandu. Kulturell haben wir mit dem letzten Ort Kakani die Welt des Buddhismus zurückgelassen und sind uns nun wieder im hinduistisch dominierten Teil Nepals angekommen.
Wir bekommen unmittelbaren Busanschluss und in einer abenteuerlichen und strapaziösen, aber auch sehr schönen und interessanten Fahrt erreichen wir nach 5-stündigem Geschüttel und Gerüttel Kathmandu. Und da diese Fahrt eben auch bemerkenswert war, möchte ich doch noch ein paar Stichpunkte als Erinnerung festhalten: zunächst entlang des Indra-Khola-Flusses, wo man Reisanbau, Bananenplantagen und Kiesabbau im riesigen Schwemmgebiet des Flussbetts beobachten kann, führt die Rüttelpiste über einen staubigen Pass in ein weiteres, sehr tief gelegenes und daher auch tropisch geprägtes Tal. Ich beobachte hier eine interessante Häuserarchitektur: Giebeldächer, die mit rundlichen Ziegeln abgedeckt sind, die Überhänge der Dächer sind durch Holzbalken gestützt, was auf einen gezimmerten Dachstuhl schließen lässt. Nach etwa Hälfte Fahrzeit wird die Rüttelpiste durch eine Asphaltstraße abgelöst. Es geht nun in wilder Serpentinenfahrt überwiegend in die Höhe, und schließlich über einen weiteren Pass hinein ins große, trichterförmige Kathmandutal. Vorbei an Bakthapur und dem Flughafen Tribhuvan erreichen wir den Busbahnhof.
Valerij hat bereits den Wunsch geäußert, dass er gerne in Thamel übernachten möchte. Wir finden dort auch im Hotel Pushkar eine angenehme Unterkunft mit freundlichem Personal, dazu sind wir hier noch etwas von der lärmenden Straße weg, mit wunderschönem Restaurant ("Big Belly") im Innenhof. Allerdings werden Nachts die Mücken zu einer furchtbaren Plage.
KTM, wie hast du dich verändert in nur sieben Jahren! Miniröcke und andere schicke westliche Klamotten bei bildhübschen, jungen Mädchen sind inzwischen zu einem etablierten Bild in KTM geworden, so wie Handys, aber auch die Zahl der Brillenträger hat zugenommen. Das Tragen einer Brille geht meiner Ansicht nach auch mit einem gewissen Wohlstand einher, kann vielleicht sogar als ein Indikator für Bildung gewertet werden. Ich will hier nichts beschönigen oder falsch darstellen, sondern nur darauf hinweisen, dass ich noch vor sieben Jahren solche Dinge nur selten und manche sogar überhaupt nie gesehen habe. Auch will ich keine Positiv- oder Negativbewertungen der Entwicklung von meiner Seite her abgeben. Das gilt auch für Thamel: dort haben inzwischen zahlreiche Nachtclubs und Massagesalons eröffnet, Bangkok lässt grüßen! Abends hämmert von fast jeder Dachterrasse eine Liveband die alten Schinken von den Doors, Stones, Lou Reed usw. herab (der Hippiekult scheint sich hier auf alle Fälle über vier Dekaden hinweg konserviert zu haben :-)). Aber was will ich denn, von wegen große Veränderungen: Steven aus Kakani war das letzte Mal Anfang der 70er hier, das muss nun ein Schock sein! Damals gab es in KTM weder hupende Autos noch knatternde Mopeds ...
21.05.2009
Ein bisschen Nostalgiefindung bezüglich des "alten" Kathmandu scheint hier im Tal dennoch möglich, nämlich mit einem Besuch der für den Verkehr gesperrten und im prächtigsten Newari-Baustil erhaltenen alten Königsstadt Bakhtapur, den wir heute für uns auf den Plan gesetzt haben. Da wir zuvor noch einige Zeit in den Shops von KTM verbummeln, wird es früher Nachmittag, bis mit unserem Taxi am Haupttor der Altstadt ankommen. Für Ausländer wird hier eine für nepalesische Verhältnisse horrend hohe Eintrittsgebühr von 700 Rupies (ca. 7 Euro) fällig. Wer zum zweiten mal hierher kommt, der weiß dann sicher, wie man auch unproblematisch um diesen Obolus herumkommt, denn schließlich gibt es noch eine Vielzahl weiterer Zugänge in die Altstadt. Bakhtapur fasziniert uns. Das Kernstück der Altstadt, gleich hinter dem Haupteingang, mit einem ausladenden Platz voller Tempel, Pagoden und Palästen ist das eigentliche Ziel für schnelle Touristen und hastige Urlaubsfotografen. Doch man sollte es nicht allein dabei belassen, denn es sind die schattigen Gassen zwischen den schlichten Wohnhäusern, wo noch echtes Newari-Leben stattfindet, der Alltag zwischen eng aneinandergebauten, mehrstöckigen Ziegelhäusern und zahlreichen Innenhöfen stattfindet. Glaslose, holzgeschnitzte Fenster, aus denen ab und zu ein Kopf hervorlugt, unter den Holzbalken der Dächer und an den Balkonen hängen Knoblauch und Mais zum Trocknen aus, das Wasser wird vielerorts aus tiefen Schachtbrunnen empor gezogen. Aus kleinen, düsteren Werkstätten rattern mechanisch betriebene Nähmaschinen. Stein, Metall, Holz werden mit Hämmern, Klöppeln, Sägen und mehr bearbeitet, und nur ab und zu erinnert ein knatterndes Moped an die stetige Unruhe und Luftverpestung im benachbarten Kathmandu. Die Ernte wird mitten auf den Plätzen der Stadt gedroschen, eine eigenartige Symbiose zwischen Stadt- und Landleben scheint hier zu bestehen. So ähnlich hatten wir es bei unserem Spaziergang zum Stadtrand von Kathmandu am zweiten Tag nach unserer Ankunft beobachtet, doch diesmal befinden wir uns ja mitten in einer Stadt. Wir verlaufen uns mit Absicht stundenlang im Gassengewirr, wobei uns nicht nur die optischen und akkustischen Eindrücke, sondern auch eine Vielzahl an Gerüchen fasziniert. Viele und aberviele Details an Wohnhäusern, Tempeln und anderen Gebäuden zeugen von einer hohen Handwerks- und Kunstfertigkeit der Erbauer. Noch dazu ist Bakthapur überraschend unaufdringlich, und das, obwohl es seit Anbeginn des Tourismus in Nepal zu den ranghöchsten Sehenswürdigkeiten des Landes zählt. Anlässlich einer zukünftigen Nepalreise hier einmal eine oder zwei Nächte zu verbringen, das wäre schon mal was :-).
22.05.2009
Heute ist für uns Einkaufstag. Zu erwähnen bleibt der abendliche Gang zum Friseur, inclusive Kopf- und Oberkörpermassage. Man sollte sich dabei auf einiges gefasst machen, zwischendurch kann´s mal gehörig knacken in den Knochen und der Rücken wird gehörig ausgeklopft :-))! Das Resultat bestätigt aber eine hohe Effizienz: hinterher fühle ich mich herrlich locker – nach 16 Tagen schweren Rucksacktragens hat das durchaus Aussagekraft ;-)
23.05.2009
Ich möchte Valerij den Besuch von Swayambunath nicht vorenthalten. So lassen wir uns noch am Morgen unseres Abflugs zum wohl meistfotografierten buddhistischen Heiligtum Nepals und beinahe-schon-Wahrzeichen der Hauptstadt Kathmandu hinausfahren. Auch die Rhesusaffen sind selbstverständlich da, von denen so Mancher gar nicht gesund aussieht ...
Es folgt noch ein Besuch im Pilgrim´s Store in Thamel. Dieser gilt als der am besten sortierte Bücherladen bezüglich Trekking- und Bergsteigerliteratur auf dem gesamten indischen Subkontinent. Da macht das Stöbern Freude! Und schon wird es Zeit, dass wir uns von unserem jungen Taxifahrer, der uns bereits seit gestern stets zu Seite steht, zum Flughafen hinausfahren lassen. Die verbliebenen Rupies werden im dortigen Restaurant verpulvert. Doch Vorsicht: den Preisen auf der Speisekarte werden eine Steuer (??) plus Service hinzuaddiert, weshalb wir zum Schluss noch gezwungen sind, ein paar Dollarscheine hervorzuzücken ...
Die Maschine bricht rasch durch die geschlossene Wolkendecke. In den strahlend blauen Himmel ragen Berge – sehr hohe Berge, denke ich noch. "On your left side you can see Mount Everest" erklingt da die Stimme unseres thailändischen Piloten. Dann fängt mein geographisches Gedächtnis an zu arbeiten: wenn der in der Mitte der Everest ist, dann ist der vorne dran der Lothse, links davon kann nur der Cho Oyu stehen, rechts, das muss der Makalu sein. Und der ganz weit rechts außen – der Kanchenzönga- dritthöchster Berg der Welt. Ich habe mich gegenüber Freunden schon öfters dahingehend geäußert: ich werde wohl nie im Leben einen 8000er besteigen, aber die Chance, eines Tages mal alle Vierzehn mit eigenen Augen gesehen zu haben, stehen gut für mich. Shisha Pangma war Nummer Neun, und jetzt, mit einem Schlag und völlig unerwartet, die restlichen fünf ...
1 Kommentar:
Nice blog and wonderful pictures!
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